Читать книгу Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde - Natalka Sniadanko - Страница 19
1975
Оглавление„Willst du dein Ei in Öl gebraten oder mit Speck?“, fragte Großmutter Sofia die kleine Halyna, während sie eine Zwiebel sorgfältig in halbe Ringe schnitt.
Die Großmutter brachte Halyna bei, Zwiebel genau auf diese Weise zu schneiden: zuerst in die Hälfte, dann beide Hälften mit dem Anschnitt auf das Schneidbrett legen und in dünne Scheiben schneiden. Geduldig erklärte sie der kleinen Halyna, die Zwiebeldämpfe würden senkrecht nach oben steigen, beuge man sich beim Schneiden also etwas nach hinten, gelängen die brennenden Dämpfe nicht in die Augen, und man weine nicht. Genau so machte es die Großmutter, zusätzlich waren ihre Augen von einer Brille mit dicken Gläsern geschützt.
Mutter machte es anders: Sie hielt die Zwiebel in der Hand, schnitt sie zuerst horizontal, dann vertikal ein paar Mal ein, um sie schließlich in möglichst kleine Würfel zu schneiden. Mutter beugte sich beim Zwiebelschneiden nicht nach hinten und weinte immer. Dabei lachte sie und meinte, das seien gute Tränen, weil sie die Tränengänge reinigten. Erst als Halyna größer war, gestand ihr die Mutter, dass sie das Zwiebelschneiden wegen dem brennenden Schmerz in den Augen immer gehasst habe, weshalb sie beim Kochen nach und nach weniger Zwiebel verwendete, bis sie völlig darauf verzichtete.
„Hat Babuschka Aljona dir nicht erklärt, wie man Zwiebel schneidet, ohne dass die Augen brennen?“, fragte Halyna, überzeugt, dass alle Großmütter auf der Welt das geheime Wissen über das Zwiebelschneiden besaßen.
„Babuschka Aljona war der Meinung, dass es gesund ist, manchmal zu weinen. Besonders beim Zwiebelschneiden“, lachte Mutter. „Selbst wenn ihr jemand gesagt hätte, dass sich das Weinen vermeiden lässt, hätte sie nicht darauf gehört, denn ihre Überzeugungen waren unerschütterlich. Das weißt du doch.“
Halyna wusste es und sagte nichts.
Babuschka Aljona und die Mutter schnitten Zwiebeln, Gurken, Tomaten und anderes Gemüse würfelig und gaben Dosenerbsen, Extrawurst und Mayonnaise dazu, was alle Salate – die an eine Art bunten Mischmasch erinnerten – gleich aussehen (und auch schmecken) ließ. Großmutter Sofia dagegen verwendete keine Mayonnaise, sie machte Salate mit Olivenöl, Knoblauch und mit einem Klecks Senf an und gab geschnittenes Basilikum oder Majoran dazu, die sie auf dem Fensterbrett zog. Sie mochte das Gemüse in größeren Stücken, nicht nur Zwiebel, sondern auch Gurke und Tomaten. Nicht einmal Salatblätter schnitt sie in feine Streifen, wie alle anderen sowjetischen Hausfrauen, sondern zerriss sie mit den Händen. Solche Salate bekam Halyna sonst nirgendwo.
Großmutter Sofia gewöhnte sich nie daran, dass die Maschinen zum Schneiden von Schinken für immer aus den Läden des sowjetischen Lemberg verschwanden. Mit einem gewöhnlichen Messer konnte man Schinken niemals so dünn schneiden. Die Großmutter erzählte Halyna, dass sie als Kind immer mit der Mutter in den Laden von Qualbrun einkaufen gegangen war, wo sie um zehn Groschen fünf bis zehn Dekagramm aufgeschnittenen Schinken bekamen.
„Milch wurde von der Milchfrau geliefert, die Butter kauften wir im Laden. Mutter brachte mir bei, nur die von ‚Maslosojus‘ mit einer Kleeblüte und den Buchstaben ‚MS‘ auf der Verpackung zu nehmen“, erzählte Großmutter Sofia. „Unsere Nachbarin war Polin und verlor nie ein gutes Wort über die Ukrainer, aber ihr Dienstmädchen ließ sie heimlich die Butter ‚mit der Kleeblüte‘ holen. Zu Hause wickelte sie die Butter in ein anderes Papier, die Originalverpackung zerriss sie in kleine Stückchen und warf sie weg. Zu jener Zeit gründeten alle irgendwelche Kooperativen. Manchmal Leute, von denen man es am wenigsten erwartete. ‚Maslosojus‘ wurde zum Beispiel von Ostap Nyschankiwskyj gegründet.“
„Der das Weihnachtslied ‚Gott wird geboren‘ geschrieben hat?“, fragte Halyna verwundert.
„Genau der“, antwortete die Großmutter. „Er war Komponist und Priester. Als er 1919 erschossen wurde, gab es Gerüchte, die Polen hätten ihn aus Eifersucht umgebracht, weil die Lebensmittel von ‚Maslosojus‘ so beliebt waren. Die Butter wurde nicht nur nach Krakau und Wien exportiert, sondern auch nach Australien und Palästina.“