Читать книгу Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde - Natalka Sniadanko - Страница 24

1950–2000

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Ein Zimmer in Großmutter Sofias Wohnung war ihre Schneiderwerkstatt. Nachdem der Krieg Sofias Pläne einer Musikkarriere zerstört hatte, entdeckte sie ihr Nähtalent und verdiente damit ihr ganzes Leben lang Geld. Um ihr Können webten sich wahre Legenden, es war eine Ehre, ihre Kundin zu werden. Die Großmutter führte die Bestellungen nicht nur meisterhaft aus, sie verstand es auch, für jede Frau einen eigenen Stil zu kreieren. Halyna beobachtete gerne, wie Frauen ohne Selbstvertrauen, ungeschickt gekleidet und viel zu stark geschminkt Großmutters Wohnung betraten. Sie waren entweder unverheiratet oder in einer Phase ihres Ehelebens, in der sie dringend eine Veränderung brauchten, um nicht alles zu verlieren. Großmutter Sofia betrachtete jede neue Kundin genau, bot ihr eine Tasse Kaffee an und entwarf bei einem entspannten Gespräch nach und nach einen neuen Stil für diese Frau. Dabei redete Großmutter Sofia wenig, sie fragte nach, beobachtete aufmerksam Sprache und Gesten der Frau, betrachtete ihre Figur und meinte dann ganz beiläufig:

„Rosa ist nicht Ihre Farbe, ich würde Ihnen Schwarz empfehlen.“

Oder:

„Nehmen Sie den Hut ab und halten Sie die Haare hinten zusammen. Kürzere Haare würden Ihnen besser stehen.“

Ein paar Minuten später skizzierte Großmutter Sofia auf durchsichtigem Papier bereits das erste Modell. Ein Kleid, einen Rock, ein Damenkostüm, einen Mantel. Einen Monat später würde eine völlig andere Frau diese Wohnung verlassen: voller Selbstvertrauen, ruhig und elegant.

Großmutter Sofias Dienste waren alles andere als billig, doch sie hatte immer mehr Anfragen, als sie Kundinnen betreuen konnte.

„Wieso nimmst du dir nicht eine Angestellte? Dann könntest du mehr Kundinnen haben“, fragte Halyna.

„Das wäre nicht dasselbe. Ich muss mit jedem Menschen persönlich arbeiten. Und man kann sowieso nicht alles Geld der Welt verdienen.“

Der Großmutter ging es tatsächlich weniger ums Geld als um diesen flüchtigen Moment der Verwandlung, um die Magie der Kleidung, die an einer Frau grau und uninteressant wirkte und die andere zu einer Schönheit machte. Ihr ging es darum, diese Nuancen einzufangen und ein weiteres Wunder geschehen zu lassen.

Großmutters erste Kundinnen waren Offiziersgattinnen, die in ihrem Haus eingezogen waren. Und auch später nähte sie meistens für die Ehefrauen von Militärangehörigen. Das sowjetische Elend verlangte von der Schneiderin besondere Kreativität, oft musste sie etwas aus groben Stoffen nähen, nicht aufgetragene Uniformen umarbeiten, einen Herrenschnitt an eine weibliche Figur anpassen. Damals entwickelte Großmutter Sofia ihr phänomenales Können: Egal wie hoffnungslos die Figur der Frau, für die sie nähte, egal wie hoffnungslos der Stoff, aus dem das neue Stück genäht wurde – was Großmutter Sofias Hände verließ, sah an der Kundin elegant aus und zierte sie. Niemand wusste, worin das Geheimnis bestand, denn Großmutter Sofia nähte oft nach denselben Schnitten wie andere Schneiderinnen, trotzdem war das Ergebnis stets ein ganz anderes.

Es begann bei der ersten Anprobe. Kritisch betrachtete Großmutter Sofia die grob zusammengehefteten Kleidungsstücke und erkannte sofort, wo sie etwas wegnehmen und wo sie zugeben musste, welche Fasson sie bei diesem Stoff und für diese Figur am besten wählen sollte, wo sie kürzen und wo sie Tüll oder Spitze anstückeln musste (mit der Zeit fand sie sogar eine Frau, die Spitzenkrägen und andere Accessoires für Kleider herstellte). Großmutter nähte auf einer deutschen Singer-Nähmaschine aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und hätte sie um nichts in der Welt gegen eine modernere eingetauscht, selbst als es bereits bessere Modelle und elektrische Maschinen gab. Später besaß sie ein paar Nähmaschinen, doch die feinsten Arbeiten vertraute sie auch weiterhin nur ihrer Singer an.

„Weißt du, ich spüre diese Nähmaschine und das ist manchmal sehr hilfreich, um nichts Überflüssiges zu machen, um dort aufzuhören, wo es notwendig ist.“

Alle von Großmutter Sofias Versuchen, Halyna das Nähen beizubringen, endeten in einem Desaster. Obwohl Halyna keine schlechte räumliche Vorstellungskraft und einen guten Geschmack hatte, fehlte ihr das nötige Feingefühl in den Fingern. Natürlich lernte sie Nähen und es ging ihr ganz gut von der Hand, hätte sie sich an anderen, gewöhnlichen Schneiderinnen gemessen. Doch die unerreichbare Autorität der Großmutter erstickte in Halyna jedes Verlangen, auch nur ansatzweise an sie heranzukommen. Sofia betrachtete Halynas Näharbeiten immer kritisch, setzte sich dann wortlos hin und vollbrachte vor den Augen des Mädchens eines ihrer Schneider-Wunder.

Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde

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