Читать книгу Die Himmelskugel - Olli Jalonen - Страница 12
ОглавлениеWIR SIND GESEGNET, ANGUS, weil wir in dieser großen Zeit leben dürfen. Wir sind in so reichem Maße mit Gottes-Gut bedacht worden, dass wir nicht mehr erhoffen können. Sichtbare Spuren des Paradieses sind für uns zurückgelassen worden, und der gute himmlische Gott hat unsere Insel mit einer hellen Kristallglocke überdacht. So werden uns an jedem einzelnen Tag und jede Nacht die Beweise für den Kristallhimmel der Ewigkeit wie auch für den Anbeginn unserer Zeit präsentiert.
Hast du letzte Nacht gesehen, wie die Feuer Gottes wieder ganz hell von einem Rand des Horizonts zum anderen zogen? So ist es nicht oft, aber wenn die Wolken aufreißen und gleichzeitig der Nebel von den Höhenzügen verschwindet, ist der ganze silberne Himmel nah und bietet sich uns dar.
Am Samstag habe ich eine Wanderung zu dem Hang hinauf unternommen, der jetzt Halley-Berg genannt wird. Nicht von ungefähr wird er so genannt. Dort verzeichnete Herr Halley sämtliche Sterne, die er mit exakter Genauigkeit feststellen konnte. Es sind 341. Woher weiß ich jetzt auf einmal ihre genaue Zahl? Das sage ich dir gleich.
Es traf sich, dass am Samstag gute Sicht herrschte, und so saß ich lange für mich allein dort oben, aß meinen Proviant und betrachtete die Wälder und Gefilde unter mir. Ich hatte noch nie so deutlich gesehen und war auch nicht auf den Gedanken gekommen, dass es von dort, von den Schultern der Insel, so aussieht, als befänden wir uns inmitten eines uferlosen Meeres auf einem großen, bemoosten Stein. Auf diesem sitzen, stehen und gehen wir, Angus, um uns herum der große Horizontkreis und über uns der sich wölbende, von Gott zu durchscheinendem Kristall gemachte Himmel. Nur das Land unter uns gehört ein wenig uns, aber auch das nur durch die Gnade des Allmächtigen, es ist uns für einen flüchtigen Moment geborgt.
Jetzt verrate ich dir, woher ich so genau die Zahl unserer Sterne weiß. Gestern kam ein Brief von Herrn Halley. Zum Glück war das Schiff der Handelskompanie gezwungen, schon auf der Hinfahrt hier vorbeizukommen, ohne die Mastreparatur hätte der Brief lange unterwegs gewesen sein können.
In diesem Brief berichtet Herr Halley, in London halte man seine Sternkarte für eine große Leistung und für den Beweis persönlicher Kompromisslosigkeit und unbestreitbarer Begabung sowie englischer Unnachgiebigkeit. Es ist eine große Errungenschaft, und daraus hat sich mit der Zeit viel Gutes für ihn ergeben.
Der Titel seines Kartenbuchs lautet ausgeschrieben so: Catalogus Stellarum Australium sive Supplementum Catalogi Tychonici. Du kannst die Buchstaben auf dem Deckblatt später zur Übung abschreiben, auch wenn du von dem Titel nichts verstehst.
Ich hoffe, dass ich es einmal ganz sehen darf, dass ein solcher Tag kommen wird. Ich könnte es lesen und wenigstens zum Teil verstehen. Es ist Latein, und Latein spricht man völlig anders aus als Englisch. Auf der Welt gibt es bestimmt hundert verschiedene Sprachen, und diejenigen, die die einen beherrschen, beherrschen die anderen nicht, außer durch Zufall und harte Arbeit, durch Lernen und mühsames Üben.
Herrn Halleys Catalogus Stellarum ist natürlich auf Latein, weil es wichtiges Wissen für alle enthält. Ich kann es lesen, schreibe es aber nicht gern, weil ich nicht für alle neuen Dinge die Wörter kenne und es im Lateinischen eher alte Wörter gibt. Darum ist Englisch die Sprache meines Pamphlets.
Herr Halley merkt in seinem Brief an, er werde bald zu einer langen Reise auf den Kontinent aufbrechen, zu einem Ort namens Danzig, zum Observatorium des Herrn Hevelius. Dort hat er eine wichtige Kontrollaufgabe zu erfüllen. Die klugen Männer der Royal Society haben ihn gebeten, zu überprüfen, wie es Herrn Hevelius gelungen ist, seine Beobachtungen mit einer so eigentümlichen Genauigkeit zu machen, aber ohne die modernsten Messinstrumente. Herrn Hevelius steht angeblich nicht einmal ein so gutes Fernrohr zur Verfügung, wie es Herr Halley hier auf dem Berg aufgestellt hat.
(24 Fuß vom Auge aus bis ans Ende des Eichenrohrs genau, nur Zahlen sind genau, Angus, nur was mit Maßen gemessen wird, ist genau, Ahnungen und Vermutungen sind es nie. Hier entspricht das Maß des Maßstabs dem eines Königsfußes, vom Auge aus vierundzwanzig Maßstablängen Messing.)
Herr Halley schreibt auch, er sei jetzt offiziell akzeptiertes Mitglied der Royal Society. Des Weiteren teilt er die große Nachricht mit, der König selbst habe per literas regias bestimmt, dass er seine Studien nicht mehr fortsetzen muss, sondern nun auf Geheiß des Königs offiziell die Universität Oxford absolviert hat.
Es ist eine Ehre für unsere kleine Insel, einen solchen Brief zu erhalten. Ich hatte als Erster die große Freude, diese unwahrscheinlich großartigen Neuigkeiten zu lesen.
Würde ich in London wohnen, oder meinetwegen in irgendeinem sympathischen Dorf in der näheren Umgebung, würde ich ihn in der Winchesterstraße aufsuchen und ihm die wärmsten Glückwünsche überbringen. Ein so begabter junger Mann und gut im Disputieren, und das mit nicht einmal zweiundzwanzig Jahren. Wir waren Gesprächspartner, und darum ist mir nach seiner Abreise manchmal ein wenig einsam zumute gewesen. Nicht immer mag man bloß über gewöhnliche Dinge reden. Wie man die Ernte vor den Ratten in Sicherheit bringt und warum sich die Katzen angeblich nicht mehr trauen, sich auf sie zu stürzen und sie zu fressen. Ist es der Mond, der den Ratten einen furchterregenden gelben Umhang verleiht? Ist mein Leben dazu bestimmt, mir solches abergläubisches Geschwätz anzuhören?
Gewiss kann man sich stets Gott zuwenden und beten und mit Ihm und bei sich die Dinge der Bibel bedenken, über diesen Teil beklage ich mich selbstredend nicht, es ist ein guter Teil, der beste, der einem Menschen gegeben wird. In Gott dem Allmächtigen liegt unsere Bestimmung. Und mit den Soldaten kann ich über nasses Musketenpulver reden und eine Kreidepfeife rauchen, aber wenn man etwa über die Sterne oder das Alter der Welt sprechen will, fragt sich, wer dazu hier imstande ist.
Allmählich kommt es mir so vor, als könnte ich besser mit dir reden, Angus, als mit jenen Torfköpfen.
Die hiesigen Leute mischen sich in die Angelegenheiten anderer ein, weil sie keine eigenen haben. Und beschweren sich beim Gouverneur über das Leben der anderen, weil sie von ihrem eigenen enttäuscht sind. Das ist böse formuliert und auch nicht die volle Wahrheit, aber wenn ein Siebenjähriger so schnell lesen lernt, wie du es gelernt hast, und hier nicht einmal die Soldaten von James Fort mehr können als mit Müh und Not ihr Namenszeichen, dann muss im Vergleich zu dieser Hoffnungslosigkeit deine Denkfähigkeit in der Entwicklung begriffen sein, und du bist eine seltene Ausnahme hier. Etwas in der Richtung hat auch Herr Halley gesagt. Und damals dürftest du erst sechs gewesen sein. Er sagte, wenn man ein gefügiges Kind von klein auf nur mit dem Besten füllt, und zwar Tag für Tag und so, dass nichts Überflüssiges es füllt, dann kann daraus etwas ganz Besonderes und für viele Zwecke der Naturphilosophie Wichtiges entstehen.
Ich fügte die Bestimmungen Gottes hinzu. Herr Halley nickte und stimmte mit einem Nicken zu. Obschon er nicht im Ruf des allerfrommsten Gläubigen zu stehen scheint und nicht so oft in die Kirche geht, wie es wünschenswert wäre, will ich ihn nicht tadeln. Er wird sich schon noch fügen und gewöhnen, jeder neigt das Haupt vor Gott, sobald die Jahre sich etwas häufen, wenn Erfahrungen gemacht werden, die bereut werden müssen, oder wenn man merkt, dass man in schweren Zeiten Kraft benötigt oder auch nur den schieren Glauben neben allem Wissen.
Wir unterhielten uns darüber, ob der Geist eines Kindes bei der Geburt von ganz und gar dröhnender Leere sei und wie lange es dauere, bis er sich so weit gefüllt habe, dass nichts Großes und Neues mehr hineinpassen will. Ich erinnere mich nicht, zu welchem Schluss wir kamen. Auf jeden Fall waren wir uns darüber einig, dass das Lernen nicht mit einem bestimmten Alter ins Stocken gerate, sondern dass der Grund Faulheit und Faulheit eine Sünde sei. Weder Jung noch Alt können sich vor dem Neuen verstecken, wenn sie es nicht eigens und halsstarrig wollen und sich weigern, auf diejenigen zu hören, die klüger sind als sie.
Die Schärfe deiner Augen ist etwas, was du üben musst, aber dich in deinen Gedanken zu üben, ist etwas anderes. Ich beabsichtige, Herrn Halley bei diesem Versuch zu helfen, auch wenn er mich nicht direkt darum gebeten hat.
Darum darfst du anfangen, die Blätter des von mir geschriebenen Pamphlets zu lesen, aber unter der Bedingung, dass du niemals und unter keinen Umständen jemandem erzählst, was du gelesen hast; dass der Herr Pastor etwas geschrieben hat; ja, du darfst nicht einmal erzählen, dass du etwas gesehen hast.
Wer bald acht ist, der kann schon sein Wort aufs Schweigen geben. Lege die Hand auf die Bibel und versprich und schwöre!
Weißt du, wie die Portugiesen solche bestrafen, die etwas ausplaudern? Sie ziehen dem Verbrecher die Zunge mit der Kneifzange heraus und schneiden sie am Ansatz ab. Die Portugiesen sind von Natur aus Rohlinge und Bestien.
Ich erzähle dir das nicht, um dir Angst einzuflößen. Aber jetzt, da du geschworen hast, niemals mit jemandem über deine Leseübungen zu sprechen, verstehst du auch, dass Gott den Eidbrüchigen ebenfalls straft. Seine Strafen sind stets gerecht, aber wenn Er straft, tut Er es mit noch schrecklicheren Mitteln als die Portugiesen, aber nur wenn Er es für richtig erachtet, denn in Seiner Gerechtigkeit ist der Allmächtige über uns absolut und vollkommen.
Angus, wir sind beide gleichermaßen gesegnet. Wir dürfen auf Gottes großem Schiff leben. Am Samstag sah ich es von oben. Auf allen Seiten das uferlose Meer und unsere Insel ein Schiff aus Stein, nirgendwo befestigt, sondern ein auf dem Meer treibendes riesiges Schiff und nur durch den guten Willen Gottes an seinem Platz.
»DIESE CHRONOLOGIE UNSERER INSEL
UND UNSERER ZEIT, UNTER BESONDERER
BERÜCKSICHTIGUNG DER ÜBERRESTE
VON GOTTES PARADIES IN UNSERER MITTE,
HAT VERFASST UND
DIE BEWEISE DAFÜR GESAMMELT
PASTOR MARTIN BURCH
Es heißt, am Tag der heiligen Helena im Jahr des Herrn 1502 hätten portugiesische Seefahrer unsere Insel zufällig mitten im leeren Ozean entdeckt.
Das mag sein, aber es ist in besitzrechtlicher Hinsicht nicht die entscheidende Grundlage. Was Gott geschaffen, mit seiner Absicht gemacht und seinem Willen gemäß geformt hat, kann niemand mit alleinigem Recht entdecken. Es hat ebenso gut auf uns gewartet wie auf die Portugiesen oder die Holländer.
Die Insel ist durch den Willen Gottes seit Anbeginn an ihrem Platz gewesen. Er hat sie dorthin gerückt, als hätte er ein Schiff an seinen Ankerplatz geleitet. Kein anderer als der Allmächtige hat im Voraus wissen können, was an dieser Stelle aus dem uferlosen Meer aufragt.
Jetzt sind wir dauerhaft hierhergezogen, Gottes großer Bestimmung entsprechend. Die Insel hat auf uns gewartet, nicht wir auf die Insel. Jemand kann aus Versehen einen unbekannten Ort entdecken, aber erst diejenigen, die mit einer Absicht kommen, sind von Gott erwählt.
In dieser Sonderstellung hätten wir das volle Recht und allen Grund, den Namen der Insel in Neu-Karlsland abzuändern, aber das würde nur unnötige Streitigkeiten provozieren. Darum möge der Name weiterhin St. Helena bleiben, nach der Mutter des ersten zum christlichen Glauben bekehrten römischen Kaisers.
Es heißt, der Name sei der Insel an jenem Tag V 21° 1502 gegeben worden, als sich ihre Ufer zum ersten Mal einem menschlichen Auge zeigten, oder aber die Portugiesen haben auch in dieser Angelegenheit eine ihrer Lügen erzählt. Ob gelogen oder nicht, möge es vorerst so bleiben. Als Name möge St. Helena taugen, denn man weiß, dass Flavia Iulia Helena Augusta eine fromme und gute Christin war, und auch deshalb, weil ihr Sohn Konstantin der Große in York zum Kaiser ausgerufen wurde, auf unserem Boden.
In einem so abgelegenen Winkel der Welt müssen kriegsähnliche, zerstörerische Kämpfe vermieden werden. Die Entfernungen sind zu groß und Hilfskräfte nicht einmal innerhalb von vier Monaten zu bekommen. Lassen wir unnötige Namensstreitigkeiten also bleiben. Selbst eine dünne Suppe ist besser als ein blutiger Streit. Möge Gott uns hier vor allem Übel bewahren.
Kriege und Querelen wollen wir an unseren Ufern nicht mehr haben. Gott möge die Lusitaner und ihre Verbündeten wissen und auf immer glauben lassen, dass dieses Land uns gehört, von uns besiedelt wird und für uns bestimmt ist. Möge unser Besitzrecht wohlweislich im Gedächtnis aller Völker erhalten bleiben!
In meiner Jugend durfte ich in meinem geliebten Heimatland in der Bibliothek unseres ehrwürdigen Bischofs im Atlas Universalia blättern. Darin waren bereits die Inseln St. Helena und Ascension an den richtigen Stellen verzeichnet, obwohl der Atlas 1519 in Amsterdam gedruckt worden war.
Dies allein ist schon ein sicherer Beweis dafür, dass die Entdeckungsgeschichten der Portugiesen Gerüchte und absichtliche Verfälschungen sind. Ebenso gut kann der Entdecker unserer Insel ein Holländer gewesen sein oder noch wahrscheinlicher ein Engländer. Von den ersten Besuchern in den Anfangsjahrzehnten sind nur keine schriftlichen Zeugnisse erhalten geblieben.
Die Geschichte der Entdeckung unserer Insel ist jedoch nicht das eigentliche und in keiner Weise das wichtigste Thema dieses Pamphlets, obschon man bereits aufgrund dieser nachweislichen Umstände versteht, dass St. Helena untrennbar zu den Domänen unseres guten Königs Karl II. zählt.
Mit meiner Schrift will ich einige andere Tatsachen ans Licht bringen. Ich habe vor, mich darauf zu konzentrieren, von den noch immer sichtbaren Spuren des Paradieses zu berichten. Desgleichen lege ich von mir in großem Umfange gesammelte Beweise vor.
Ich glaube nämlich fest, dass es Gott in seiner Allmacht gewollt, bestimmt und sichtbar gemacht hat, dass wir auf der Insel St. Helena in der Lage sind, bis in die goldene Zeit der Schöpfung zurückzublicken.
Einen kürzeren Weg ins Paradies und zum Anbeginn der Zeit kann es auf Erden nicht geben. Der menschliche Fuß hat gerade eben erst den hiesigen Ufersand berührt. Seit kaum hundert Jahren besiedelt das menschliche Geschlecht dauerhaft unsere Insel. Zuvor haben erwiesenermaßen nur wenige arme Menschen Besuche abgestattet und verweilt.
Erst wir sind auf die Art und Weise hergekommen, wie es bestimmt ist, dass ein Volk weiterrückt und wächst. Weil unsere Insel von Gott für uns vorgesehen worden ist, hat Er offen und sichtbar das Paradies genau für uns hinterlassen. Auf diese Aufgabe, auf dieses Land haben wir das heilige Recht und die demütige Pflicht.«