Читать книгу Die Himmelskugel - Olli Jalonen - Страница 25
ОглавлениеDIE MONATE SIND SEILE, die am Früheren festhängen, wie in der Rupertschlucht die Brücke an der Stelle hängt, wo die Ränder zu steil sind und man nicht mehr auf die andere Seite kommt, indem man durchs Gebüsch auf den Grund hinabsteigt. Alle nennen sie Brücke, obwohl es nur zwei dicke Seile mit dazwischen festgebundenen Brettern sind. Trotzdem verbinden sie die Ränder so, dass man an der Stelle vorsichtig darübergehen kann.
Wir kommen nicht recht vom Alten los und an den Anfang des Neuen. Die Menschen gewöhnen sich nicht daran, dass wir heruntergezogen sind. Ich höre aus dem, was meine Mutter und der Herr Pastor reden, dass der Herr Pastor nun für unpassend für sein Amt gehalten wird, und darum muss er immer kraftvollere Predigten halten und die geistige Schlaffheit und die heimlichen Sünden verurteilen, obwohl er lieber über den großen Plan des guten Gottes reden würde.
Wer bin ich, dass ich über Heather Gabriels Leben etwas Absolutes sage, jedenfalls so, dass die anderen es hören, warum sollte ich als Höherer urteilen, was richtig und was falsch ist, und den Stein des Urteils zum Fallen bringen. Nein, Catherine, ich will keines meiner Gemeindemitglieder vor den anderen beschämen. So etwas ist nicht die Aufgabe eines Dieners des Herrn, vielmehr sollte er denjenigen trösten, der sich schämt, und die Wunden waschen, die durch die geworfenen Steine der Anschuldigungen im Gesicht aufplatzen.
Sie verlangen von mir, einzugestehen, dass sich Gottes Absichten geändert haben, und sie jagen mich mit Hunden wie einen Fuchs. Man versucht, mich in eine immer engere Ecke zu drängen, damit ich aufgebe und freiwillig weggehe. Aber so hat es Gott nicht gemeint, und Er spricht mich nicht mit den Worten der Irrlehre an, sondern Er hat mir die Gewissheit gegeben, nach Seinem Willen zu handeln und auf der Insel die Falschheit, das Lügen und jeglichen Widerhall von Hass, der aus der Vergangenheit hervorquillt, auszurotten.
Wenn ich das getan und Gottes Werk in dieser Hinsicht zu Ende geführt habe, erst dann, liebe Catherine, erwarten uns die sanften sonntäglichen Sommermorgen von Kent, der Buchenwald und die Amseln, dort sind wir ganz und gar akzeptiert, dort werden wir für den Rest unseres Lebens gute Tage unter unseresgleichen verleben. Ich werde die heimische Flora studieren, vom kleinsten Riedgras bis zur größten, uralten Eiche. Das habe ich immer tun wollen, mich frei in der Natur bewegen. In meiner Heimat werde ich geachtet, und dich wird man Frau Propst nennen und dich überallhin einladen, wo man auch die anderen Frauen deines Ranges zu Besuch bittet und zur Organisation der wichtigen Ereignisse in der Gemeinde. Vertraue mir, alles wird sich fügen.
Es gibt selten Tage und Nächte, in denen der Herr Pastor meine Mutter nicht trösten und lange Rede führen muss. Meine Mutter ist ängstlich geworden. Vor dem Umzug hat die Wahrsagerin auf der Hochebene zwischen kleinen Steinen einen schwarzen umgedreht. Ich weiß, dass meine Mutter ihn unter ihrer Bluse trägt, und wenn ihr der Herr Pastor einen solchen Aberglauben noch so verbietet.
Meine Mutter bekommt schöne Worte zu hören. Der Herr Pastor ist ein belesener Mann und blättert auch abends nicht immer nur in seinen geliebten Andachtsbüchern, sondern sagt für meine Mutter Verse auf, dass sie sich mit dem bestickten Tuch, das er ihr geschenkt hat, die Augen wischen muss.
Wenn der Herr Pastor früh am Abend vorliest und nicht erst, wenn die Zwischentür schon geschlossen ist, werden wir Kinder nicht weggescheucht, sondern der Herr Pastor sagt im Gegenteil, es gebe keinen Grund, die Anwesenheit von Bildung und Schönheit vor den Kleinen zu verbergen.
Der Herr Pastor ist ein guter Mensch, das weiß ich ganz sicher. Inzwischen habe ich Angst, dass meine Mutter das nicht immer ganz versteht. Manchmal antwortet sie ihm schnippisch und achtet seine Meinung nicht in allem, und es kann sein, dass sie Ann gegenüber schnaubt, heute Abend darfst du dem Träumer das Wasser für seinen Grog warm machen.
Der Herr Pastor glaubt normalerweise an das Gute im Menschen und nur selten an das Schlechte, aber wenn er Betrug, Unzuverlässigkeit und Geheimkatholizismus entdeckt, hindert er seinen berechtigten Zorn nicht daran, aufzusteigen. So habe ich ihn sagen gehört, weil er sich auch selbst erforscht.
Diese auffahrende Seite an ihm fürchtet meine Mutter und versucht, sie zu vertreiben. Ihrer Meinung nach ist es immer besser, sich von Streitigkeiten fernzuhalten und möglichst unsichtbar zu bleiben, aber der Herr Pastor sagt, in einem Diener Gottes müsse auch ein Leu des Rechts wohnen.
Zuerst ist das kein ernster Unterschied, aber auch in dieser Sache kommt es mir so vor, als würde ich schon weiter sehen. Die Monate unten vergehen, lassen aber das Frühere nicht los. Die Nachbarn sind immer noch unfreundlich, und manchmal höre ich ein Stück von einem Gerücht. Wenn sie mich bemerken, verstummen sie.
Dann wird durch mich auf schlimme Weise eine Botschaft und Warnung gesandt. Ich habe beim Saubermachen der Kapelle geholfen und bin zwischendurch hinaus ans Licht gegangen, um die Stoffe auszuklopfen. Ein Stück weiter weg stehen zwei Männer und rufen mich näher heran.
Bist du nicht der einzige Sohn des gestorbenen Totholz-Steven?, fragt der eine.
Ich habe beide Männer schon einmal gesehen, aber ich weiß nicht, wie sie heißen. Ich antworte höflich, dass ich es bin.
Richte dem Pastor einen schönen Gruß aus, sag ihm, dass dies eine Botschaft und eine Warnung ist. Sag es so. Dass derjenige, der sich vom Herrn lossagt, sich von seiner Gemeinde lossagt. Darum möge er sich ganz von der Gemeinde lossagen. Dass derjenige, der in Sünde lebt, aufs Schwerste verurteilt werden möge, so wie auch alle seine Mitbeteiligten.
Ich würde weglaufen, aber ich kann nicht, weil ich dann nicht wäre, wie man zu sein hat. Darum stehe ich nur da und starre in meiner Angst auf die Hand des einen Mannes, an der Finger fehlen.
Merkst du dir, wie du es sagst?
Nein, Herr, antworte ich, weil ich es mir nicht merke.
Da deutet einer der Männer auf die Tür der Kapelle. Der Herr Pastor ist herausgekommen, steht aber mit dem Rücken zu uns da. Die Männer verschwinden schnell hinter den Häusern. Ich blicke ihnen nach. Dann gehe ich zum Herrn Pastor und will ihm sofort berichten, aber er kommt mir zuvor und fängt von den Spatzen an, das sind kleine braun-graue Vögel, auf der Insel gibt es wohl nicht allzu viele davon, zu Hause gibt es sie in herrlichen Schwärmen, sagt der Herr Pastor.
Ich will gerade von den Männern anfangen und von der Warnung, aber dann kann ich es nicht. Würde ich es sagen, würde ich es auf die falsche Art sagen und falsch über Mutter reden, denn das ist es, was die Männer gemeint haben, obwohl sie nicht über Mutter geredet, sondern befohlen haben, es nur dem Pastor zu sagen und ihm die Botschaft und Warnung zu überbringen.
Woran denkst du, Angus, mein Junge?
An die Vögel, antworte ich, obwohl es nicht einmal zur Hälfte wahr ist.
Ja, dort in der Ferne zwitschern sie. Keine Schönheiten, bescheiden, aber in ihrer Bescheidenheit sehr schön und wohlproportioniert, Vögel Gottes, sagt der Herr Pastor mit sanfterer Stimme als sonst.
Der Spatz ist der Vogel Gottes, ich weiß, dass ich mir das merken werde. Ich weiß sicher, dass ich noch einmal welche sehen werde: Sie füllen den Himmel braun-grau, sind keine Wolke und kein Nebel, sondern an einem fremden Himmel so viele nebeneinander, dass man einen nicht von den anderen unterscheiden kann. Ich könnte kein einziges Korn fallen lassen.