Читать книгу Die Himmelskugel - Olli Jalonen - Страница 19
ОглавлениеBEI EINEM SO KLEINEN Huschen im Gras kann man nichts Sicheres sagen, auch wenn ich glaube, dass es eine gewöhnliche Maus ist. Der Herr Pastor befiehlt es mir aber trotzdem auf eine Art, dass ich hinrennen und nachsehen und mit den Füßen aufstampfen muss, um es noch einmal dazu zu bringen, aus seinem Versteck zu kommen.
Weil auf der kantenschmalen höchsten Höhe keine gründliche Suche gemacht werden konnte, hat der Herr Pastor beschlossen, wieder ein Stück abzusteigen, aber auf die andere Seite in ein anderes faltiges Tal. Dort suchen wir vor allem nach Früchte tragenden hohen Bäumen, denn in der Bibel heißt es, dass man sich dann in den mittleren Bereichen des Paradieses befindet.
Es gibt viele Vögel, auch die beobachten wir, aber mehr suchen wir nach fremden Landtieren. Eine Maus ist keines, aber ich stampfe dem Herrn Pastor zuliebe auf und bin bereit, mit den Händen zu schnappen, was immer auch hervorschießt.
Wir finden nichts Besonderes, und der Hunger kommt. Das Brot, das meine Mutter am Morgen gebacken hat, ist im Tuch gut geblieben. Der Herr Pastor kostet erstaunt die erhaltene Wärme, und auch ich koste davon, merke aber nicht das Gleiche, doch der Herr Pastor bricht ein Stück ab und betrachtet es gegen das Licht.
Ist das überhaupt Brot oder ein Umsorgen aus reinem Herzen? Schickt Gott seinem Diener durch deine gute Mutter eine Botschaft? Was müssen wir uns um die anderen Menschen kümmern, wenn Gott durch seine Zeichen Ja sagt, Ja und Ja?
Der Herr Pastor kostet ein Bröckchen und schöpft mit der hohlen Hand kaltes Wasser aus einem Wasserloch, das in einer Senke des feuchten Bodens entstanden ist, trinkt einen Schluck und blickt vor sich hin und hinauf zum Grat, der von unten wieder wie ein Berg aussieht. Er verliert sich in seinen Gedanken, aber ich esse, und der Herr Pastor isst dann auch, als er es sieht.
Er fängt an, etwas Sonderbares zu erzählen. Dass das Wort Gottes nicht für alle Völker, nicht einmal für alle Menschen innerhalb der Völker gleich ist. Das ist eine erschreckende Feststellung, aber der Herr Pastor merkt vielleicht, dass ich Angst bekomme, er tröstet mich und sagt bestimmt, dass Gott der Allmächtige sehr wohl das Richtige vom Falschen unterscheidet und wir deshalb keinen Grund zur Sorge haben.
Wir haben als Schutz die himmlischen Heerscharen, und überdies haben wir als starke Rückendeckung unser eigenes Land und unseren König. Wir haben unser Gebetbuch, wir haben unsere Bibel. Die Irrwege sind verlassen worden, um auf dem rechten Weg zu Gott zu gehen, die Sekten und die katholischen Andersgläubigen sind nur noch Spreu, die der Wind hinwegblasen wird.
Das beruhigt mich, aber dennoch geht mir die Sache im Kopf herum. Warum sind sich nicht alle im Glauben einig, Angus?, fragt der Herr Pastor, aber vielleicht nicht mich, sondern sich selbst, und sagt, als er jünger war, habe er anders gedacht. Dass es verschiedene Menschen gebe, verschieden in Charakter und Rang, höhere und niedrigere, aber ich glaubte fest, dass für uns alle die allergrößten Dinge ein und dasselbe seien. Gott und der König, in dieser Reihenfolge, der König von Gott an seinen jeweiligen Ort befohlen, der König in jeder Hinsicht Seiner Ehre und Größe huldigend sowie die Gemeindearbeit Seiner treuen Diener unterstützend.
Aber ganz ist es nicht so, war es nicht und ist es nicht, nicht in allem und für jeden, das habe ich zu meiner Enttäuschung im reiferen Alter erkennen müssen. Nicht einmal für alle unsere Inselbewohner ist dasjenige das Größte und Gemeinsame, das es sein sollte. Das Gemeinsame ist nicht absolut und lückenlos. Ich habe Echos von etwas ganz anderem vernehmen müssen. Ich habe Stücke von falschen Reden gehört. Ich habe angefangen, einen Anflug von Unfreundlichkeit auf den Gesichtern gewisser Gemeindemitglieder zu sehen.
Und was das Schlimmste ist, nicht einmal die guten Absichten des Königs und die administrativen Verordnungen gelangen immer so, wie sie sind, bis zu uns, sondern werden unterwegs verfälscht.
Ein Gouverneur sollte als Hand, Ohr und Mund nicht nur der Handelskompanie, sondern auch des Königs dienen. Hinter dem Gouverneur steht die Garnison, die Stütze der Garnison ist der Gouverneur. Beide sollten die guten Taten unseres guten Königs überbringen und verteilen. Aber ist es so immer gewesen? Ich frage dich das nicht, Angus, ich sage nur, erinnere dich daran.
Erinnere dich und vergiss. Jetzt vergisst du, dass ich so gesprochen habe, du vergisst es vollständig, als hätte es diese Worte nie gegeben. Dir muss man kein weiteres Mal erzählen, was die Portugiesen mit Plappermäulern machen. Du kannst mir glauben, dass die menschliche Zunge entsetzlich aussieht, wenn sie herausgezogen und abgeschnitten worden ist. Was antwortest du mir jetzt?
Der Herr Pastor fragt das so mittendrin und plötzlich und dreht sich zu mir um, dass ich erschrecke und mir die Hände vors Gesicht halten würde, aber das kann ich nicht, denn das wäre das Zeichen für einen Lügner und Verräter. Ich weiß nicht, was ich antworten soll, ich antworte nichts, ich versuche nur die Augen auf die Augen des Herrn Pastors zu richten, weil es so höflich ist, wenn man mit einem Höheren spricht und besonders genau zuhören muss.
Nein, ich erwarte nicht, dass du etwas sagst. Du bist ja noch ein Kind, wenn auch in deiner Klugheit wachsend, am Baum der Weisheit zum Wachsen gebracht. Herr Halley hat in dich genau den richtigen Samen der Gelehrsamkeit gelegt. Darum spreche ich zu dir, obschon ich über solche Dinge mit jemandem wie ihm sprechen möchte. Bisweilen kommt es mir so vor, als wäre ich in die öde Wüste verbannt worden und mein Glaube werde in der Einsamkeit ohne meinesgleichen auf die Probe gestellt.
Auch ich will, dass Herr Halley zurückkommt, sage ich.
Der Herr Pastor hört mich und kehrt aus seinen Gedanken zurück und legt mir die Hand auf die Schulter.
Ja, Angus, mein Junge. Das wünschst du dir gewiss, aber er wird nicht kommen. Warum sollte er hierherkommen, er erforscht bereits den nördlichen großen Sternenhimmel, und unter diesem befindet er sich näher an allem wichtigen Wissen und größerer Bildung. Er ist in der Lage, sich neue Instrumente zu beschaffen, und darf in viele Länder reisen, um Gelehrte zu treffen. Er ist vollständiges Mitglied der Royal Society und zu deren Gesprächen und Treffen berechtigt. Er kommt nicht hierher zurück.
Und ich bin mir auch nicht mehr ganz sicher, ob ich ihn gern als dauerhaften Bewohner unserer Kolonie haben möchte. Es ist sicher am besten, wenn er dort ist, wo die anderen seinesgleichen sind.
Wir haben unser kleines Leben. Wir können seine Richtung sehr wenig und am Ende nur durch gute Taten selbst verändern und drehen, aber immer bestimmt Gott allein, sagt der Herr Pastor. Dann fängt er nach Schweigen und Seufzern wieder mit der Umzugssache an, von der ich nichts hören will.
Ja, Angus, so habe ich es mir gedacht, dass ich deiner Mutter und eurer ganzen Familie die Möglichkeit anbiete, in das Haus neben meinem Haus zu ziehen. Das ist nur eine kleine gute Tat, die Gott billigt. Ich habe in schlaflosen Nächten darüber nachgedacht, ich habe gebetet und für meine Sünden um Vergebung gebeten. Jetzt bin ich ganz sicher, dass Er mir eine Antwort gesandt hat. Nicht ein Mal, sondern jedes Mal, wenn ich gebetet habe. Deine Mutter Catherine ist das Licht meines Lebens geworden.
Der Herr Pastor steht auf und nimmt ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner feinen Ledertasche. Er klopft mit dem Wanderstab auf die Erde. Weil ich noch auf dem Stamm der umgestürzten Eiche sitze, sieht er größer aus, als er ist, und stark. Er faltet das Blatt auseinander und fängt an, laut zu lesen, was er am Abend zuvor daraufgeschrieben hat:
»An Catherine«
»Sperlingsflug und Blütenduft.
Deine Schönheit ist der Quell des Lebens.
Des süßen Sommers ew’ge Wonne,
der Frühlingsströme Lauf, des Herbstes klare Luft.«
Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen soll. Ich blicke nur zu Boden und warte, ob er weitermacht, aber als er es nicht tut, stehe ich neben ihm auf, bereit, ihm in die Richtung zu folgen, in die Gott die Exkursion führt. Drinnen bleibt ein reibendes Gefühl zurück, weil ich nicht weiß, was richtig ist, und nicht weiß, was für meine Mutter richtig ist und was sie dem Herrn Pastor antworten wird. Ich erinnere mich an das Nebenhaus im Hof des Pastors, und es ist kein schlechtes Haus, aber ich weiß einfach nicht, und das Nichtwissen ist als eine Stelle im Inneren zu spüren.
Der Herr Pastor geht in Kurven, aber sicher durchs Dickicht, weil er eine Aufgabe hat. Er ist Gottes Bote, darum zaudert er nicht und hat keine Angst. Ich trage trotzdem seine Sachen, damit er nicht zu müde wird oder außer Atem kommt. Er nimmt den großen Hut ab und trocknet sich mit einem dünnen Tuch die Haare.
Als wir an eine Lichtung gelangen, ist diese zuerst am anderen Licht zu erkennen. Die Sonne fällt so aufs Gras, dass es blendet, wenn man aus dem Dunkeln kommt. Es ist eine vollkommene Lichtung, um die herum die hohen Bäume abgestorben sind. An den Stämmen sieht man schwarze Kohle.
Der Herr Pastor kniet sich hin und betet. Guter Gott, ist es das?, fragt er und breitet die Arme aus.
Ich ziehe vorsichtshalber die Schultern hoch, für den Fall, dass Gott antwortet, denn seine Stimme müsste größer als der Donner sein. Ich erinnere mich an die Bibel, dass der Vorhang im Tempel von oben nach unten entzweiriss, die Erde bebte und die Felsen zersprangen, die Gräber sich öffneten und die darin schlafenden heiligen Leiber aufstanden und ihre Gräber verließen. Diese Taten hat die Stimme Gottes auf Golgatha vollbracht.
Gott antwortet mit keiner Stimme und mit keiner sichtbaren Tat. Nach dem Gebet des Herrn Pastors ist es ebenso still wie zuvor. Weiter weg hört man Mainas und Finken, vielleicht, ich kann sie nicht genau auseinanderhalten, sodass es auch die Dickichtvögel sein können, von denen ich die Stimme nicht kenne und den Namen auch nicht.
Der Herr Pastor geht auf der Lichtung hin und her und klopft mit dem Stab auf die Erde, stößt aber nirgendwo auf etwas Hartes oder wenigstens Steiniges. Es ist kein Deckel einer vergrabenen Truhe zu finden und auch kein verschlossener Krug. Wir begegnen keinen fremden Tieren, und die Pflanzen sind nicht mehr als Grashalme.
Alles ist sehr grün, aber nicht sonderbar grün, sondern nur hellgrün auf die Art, wie es an Sonnenstellen ist und nie im vollen Schatten.
Wir gehen weiter. Hier sind noch nicht alle Zeichen beisammen, es wachsen keine großen Obstbäume, entscheidet der Herr Pastor.