Читать книгу Die Himmelskugel - Olli Jalonen - Страница 9

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JA, ICH BRINGE ES DIR GERN BEI, weil mir Herr Halley hier ein äußerst angenehmer und in intellektueller Hinsicht guter Gesprächspartner war, wenn auch ein junger, aber er ist eifrig im Diskutieren und kennt wichtige Dinge, wenngleich andere als ich, ganz und gar andere, sehr sonderbare und solche vielleicht, die bislang kaum in den Gedanken von anderen vorkommen dürften. Und in den Gedanken und Werken des guten Allmächtigen Gottes natürlich.

Und sage nicht Herr Hawley, Angus, weil das nicht stimmt, alle hier sagen es falsch, Angus, hier hört man falsch und versteht das Gesagte schlecht. Hier kann man nicht lesen, wie es geschrieben steht, weil man hier nicht lesen kann, sondern alles sagt, wie man es für richtig hält. Vielleicht ist das ganz allgemein ein Fehler und Symptom der Menschheit, aber hier ist es in ganz besonderem Maße so. Auf dieser Seite der Welt fließt sogar das Wasser falsch herum in die Löcher. Herr Halley hat große Pendelexperimente durchgeführt, und am Ende drehten sich auch alle Pendel falsch. Auf dieser Seite drehen sich die Winde schief, an diesem Himmel sind die Sterne andere.

Also sage nie mehr Herr Hawley, so wie die anderen hier, sondern male mir jetzt genau diese sechs Buchstaben nach. Zähle sie zuerst einzeln laut auf und sage dann alle zusammen in einem Wort: H und A und L und L und E und Y. Das heißt Halley.

Das ist es. Das ist das Lesen, Angus, damit fängt es an, von da aus kommt alles, was Gott für die Welt vorgesehen hat, in Form von Buchstaben und Wörtern in dich hinein, sagt und lehrt der Herr Pastor.

Ich lerne es, obwohl es zuerst sonderbar ist und viele Sachen anders sind, als ich geglaubt habe. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ein H ausgesprochen fast dasselbe ist wie eine 8 und ein A allein gesagt anders als zusammen mit anderen gesagt, aber ein L fast immer gleich, das E nicht, und das Y ist wieder ganz etwas anderes und fällt auch noch am Ende weg? So muss ich mir über jeden Buchstaben Gedanken machen, aber schon in der zweiten Woche sind zwischen fremden Wörtern bekannte Wörter zu erkennen.

Wenn man fast die ganze Zeit übt, wenn man nicht auf dem Feld ist oder seine Tagesaufgabe in der Araukarie erfüllt, tragen die fremden Buchstaben nicht den Sieg davon, sondern verwandeln sich, einer nach dem anderen, in bekannte. Am nächsten Morgen sind sie dann gewöhnlich, und ziemlich bald sind alle Buchstaben beisammen, alle sechsundzwanzig hintereinander in einer Schlange. Danach stehen nur noch bekannte Buchstaben auf den Buchseiten, allerdings mit fremden Wörtern dazwischen, aber auch bei denen weiß man fast schon, was sie sagen, selbst wenn man nicht weiß, was sie bedeuten. Wörter und Namen gibt es fremde und bekannte. Sehr gewöhnlich sind er und sie und und.

Im Kalender lerne ich die Namen der Monate lesen. Beim Herrn Pastor bekomme ich seine eigenen Papiere zum Lesen, aber vorher das kleine, in Leder gebundene Andachtsbuch. So lerne ich lesen und durch das Lesen schreiben. Ich schreibe meinen Namen in den Sand und kann ihn noch am nächsten Tag lesen, falls die Tiere nicht über ihn hinweggelaufen sind oder Regen und Wind ihn verwischt haben.

Der Herr Pastor lobt mich, er habe noch nie so schnelles Lernen gesehen, obwohl er immerhin die Kinder des Herrn Gouverneurs unterrichtet und als junger Mann in der größten Gemeinde von Kent, der Heimatgemeinde seines Vaters, des Herrn Propstes, für herrschaftliche Töchter Zirkel im Lesen und in Bibelkunde abgehalten hat.

Was ein Zirkel ist? Ziemlich das, wie man es sagt, ein Kreis, ein Halbkreis. Keine echte Schule, sondern ein Zirkel, die Eltern schicken die Zirkelmitglieder hin, sie kommen zu mir und vor mich und lernen, weil sie selbst etwas lernen wollen, weil ihre Eltern wollen, dass sie etwas lernen, weil Gott es so vorherbestimmt hat.

Jetzt herrscht eine neue Zeit, es kommt die bleibende große Zeit Gottes, die goldene Zeit des Dürstens nach Lernen. Hier befinden wir uns wohl, Angus, inmitten aller guten Gelehrsamkeit oder erst ganz am Anfang. Uns kommt dabei eine Aufgabe zu, ich habe meine, und du hast deine, für jeden ist ein Platz vorgesehen, aber man muss ihn selbst finden.

Wir machen morgen weiter. Danke deiner Mutter für die köstliche Pastete und die süße Beerensoße.

Frage bis morgen, aus welcher Beere oder vielleicht aus welchen mehreren Beerensorten die Soße gepresst und gekocht worden ist. Wenn deine Mutter die Namen nicht kennt, dann bringe, falls das möglich ist, einige Beeren mit, oder wenn keine Beeren, dann ein Blatt und ein Stück Stiel. Mich interessieren alle Tatsachen auf der Insel, ich kann dir verraten, dass ich an einem Pamphletbuch über unsere kleine Welt schreibe.

Weil alles gerade erst begonnen hat, kann man hier noch immer bis zum reinen Anfang blicken. Seit der Zeit des Paradieses ist auf unserer Insel nicht mehr als ein Jahrhundert vergangen. Du kannst doch die Zahlen? Herr Halley hat sie dir beigebracht, vor den Buchstaben und dem Lesen, ein interessanter Versuch übrigens, Herr Halley muss sich etwas dabei gedacht haben, es ist nie die Rede darauf gekommen, es gab so viel anderes, ich muss irgendwann in einem Brief danach fragen, gewiss wird er sich an seinen Hilfsjungen erinnern. Ich muss ihm auch schreiben, dass ich dich das Lesen und Schreiben gelehrt habe. Herr Halley wird sich darüber freuen, weil er schnelles Lernen zu schätzen weiß, dafür, dass er ein so junger Mann ist, ist er ein guter Denker, schnell in seinen Gedanken, und vor allem einer, der sie weiterentwickelt und in der Praxis überprüft.

Ja, Angus, es ist so, dass etwas mehr als hundert Jahre in der Zeit Gottes eine unwahrscheinlich kleine Zeit und Spanne ist. Selbst in der Zeit des Menschen ist es nicht mehr als drei Generationen, vier, fünf oder höchstens sechs, wenn die Menschen sehr jung fortpflanzungsfähig und sündig sind. Als Menschenalter kann ein Jahrhundert höchstens ein Mensch von der Geburt bis zum Tod sein, das ist nichts.

So dürfen wir auf St. Helena noch immer am reinen Anfang von allem leben, auch wenn anderswo die Zeit schon viel weiter gelaufen ist. Gott hat in seiner großen Güte beschlossen, hier für uns ein Guckloch auf den Anfang der Welt offen zu lassen.

Denke daran, deiner Mutter Grüße zu bestellen. Das Mischmus letzte Woche war sehr gut. Von der Pastete ist noch etwas da. Frage deine Mutter nach der Soße, nach den Beeren und bringe ein paar mit, um sie mir zu zeigen. Deine Mutter backt gutes Brot, denke daran, ihr einen besonderen Dank auch für das Brot auszurichten. Es ist bald aus. Mir kommen immer die Sommermorgen in Kent in den Sinn, so frisch hat das Brot deiner Mutter wieder geschmeckt.

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