Читать книгу Die Himmelskugel - Olli Jalonen - Страница 20

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ICH MUSS DEN ESEL weit die Hänge hinaufführen, weil der Herr Pastor beim Abstieg in einem Zwischenpass ausgerutscht und die schlammige Kluft hinuntergerollt und gegen Bäume geprallt ist und sich das linke Bein und die Seite verletzt hat. Sonst habe ich nichts tun können, ich habe ihn auf der Erde liegen lassen und bin allein hinunter, um in den nächsten Häusern Hilfe beim Tragen zu holen.

Es ist schon dunkel geworden, und ich habe bloß leihweise einen zottigen Esel bekommen. Niemand hat sich getraut, im Stockfinstern auf den Bergrücken zu gehen. Im Hoheweidendorf haben sie Angst vor den nächtlichen Lehrjungen des Satans, aber vor allem vor der Banshee, die im Dunkeln die Todesankunft ausruft, sie hat in ihren Lumpen auch Ratten auf die Berge hinaufgebracht, die gelbes Licht abstrahlen.

Ich versuche, zwischendurch zu reiten, damit meine Beine über dem Boden sind und nichts im Gras an mir hängen bleiben kann, aber auch wenn ich ihm in die Seiten trete, kriege ich keine Geschwindigkeit in den Esel hinein. Er trottet, wie er trottet, und es ist leichter, ihn am Halfter in die richtige Richtung zu ziehen.

Ich kann und will nicht umkehren, weil dies ein Auftrag ist, den man mir gegeben hat. Ich versuche, nicht auf das Rascheln in der Finsternis zu hören, und denke immer nur, dass es jetzt meine wichtige Aufgabe ist, den Esel zu führen, und es keine Rolle spielt, ob es Tag ist oder Nacht. So lasse ich die Berg-Banshee und auch die Morrígan weder durch die Ohren noch durch die Augen ganz in meinen Kopf hinein und beruhige mich. Ich gehe einfach weiter und führe den Esel, weil ich weiß, dass ich, der Totholz-Angus, allein dem Herrn Pastor in der Dunkelheit Hilfe bringen muss, und ich kenne die Strecke zu den Hängen auch mit geschlossenen Augen.

So innerlich gestärkt sehe ich keine einzige Ratte, die ihr gelbes Licht gestohlen hat, ich sehe nicht einmal Katzenkreise, wie sie sich an diesen Stellen der Insel gehören. Nachts versammeln sich die Katzen in großen Kreisen, die schwarz-weißen in ihrem eigenen und die buntscheckigen in einem anderen, und niemand hat je eine schwarze oder schwarz-weiße in den Kreisen der rötlichen und braunen und gemischten gesehen und umgekehrt.

Als ich den Hang erreiche und an der leeren, trockenen Felsstelle keine Bäume mehr als Hindernis vor mir habe, öffnet sich über meinem Kopf der ganze Sternenhimmel. Ich halte den Esel neben mir an und suche nach der kleinen Stelle am Himmel, von der aus ich jede Nacht zur gleichen Zeit durch das Aufzeichnungsloch die Sterne vermerke (vergiss nicht, den Baum einmal im Monat auszuästen, Angus, miss mit dem Ellenholz nach). Die Luft ist am Hang so klar, dass mehr Sterne und Silberfarbe den Himmel bedecken, oder aber die Augen sind durch die Übung schon zu Falkenaugen geworden.

Als ich die Stelle am Himmel finde, ist da mehr als sonst, und ich kann nichts vermerken, weil ich die Aloe-Scheibe nicht mitgenommen habe. Weil sie nicht da ist, darf ich hinsehen, wo ich will. Es gibt mehr einzelne Sterne, am mittleren Himmel ist mehr silberner Nebel. Und Flecken gibt es auch, von denen sehe ich ebenfalls viele, hier und dort über die Himmelskuppel verstreut, aber die meisten so, dass ich sie nicht direkt anschaue, sondern dass sie sich mehr an den Seiten des Schauens zeigen. Vielleicht schwimmen sie irgendwo so tief, dass man sie selbst nicht sieht, sondern nur ihre Schatten.

(Mir ist aufgefallen, Clarke, dass es in der Erinnerung Flecken gibt, ich bin dazu übergegangen, sie Flecken zu nennen. Sie sind ebenso nebelhaft wie die Flecken zwischen den hellen Sternen. Und über Flecken wiederum habe ich zu denken begonnen, dass sie in der Dimension des Himmels irgendwie verhüllt sind, sodass sie weit entfernt erscheinen. Wäre das möglich, was meinst du? Sind sie verhüllt oder weiter weg? Aber was folgt daraus, sag mir das, Clarke. Wenn sie verhüllt sind, dann womit, dann kann es viele Lösungen geben, wir wissen darüber nichts. Aber wenn sie nur deshalb getrübt und nebelhaft sind, weil sie sich in größerer Ferne befinden, dann muss der Himmel sehr tief und aus Tiefenschichten gebaut sein.)

Unter einem solchen Himmel ist es für einen Moment so, als würde ich die anderen an ihren Orten sehen und mich selbst anderswo als jetzt, und dort, anderswo, fragt mich Herr Halley, wie viele Flecken am Himmel sind. Er will wissen, an welchen Stellen genau sie stehen, und schraubt das Maß auf das Glas des Fernrohrs, aber dann führe ich den Esel weiter und gucke an den schwierigen Stellen kein einziges Mal mehr nach oben und denke nichts Unnützes, sondern schaue nur mit Augen, die sich ans Dunkel gewöhnt haben, nach vorn und zwischendurch auf meine Füße, damit die Ratten nicht aus dem Gras heraus angreifen und mir die Zehen abbeißen oder die Lehrjungen des Satans weiter oben auf dem Pfad warten und lauern.

Zwischen den Bäumen ist es schlimmer, aber ich gehe immer weiter und finde schließlich am Hang die richtige Stelle, wo der Herr Pastor an der Seite hinuntergerollt ist und sich verletzt hat.

Schon von Weitem höre ich, wie er das Vaterunser betet. Ich huste, damit er nicht erschrickt, wenn im Dunkeln der Brocken von Esel auftaucht, und es ist gut, dass ich huste, weil gleich danach der Esel kreischt, und das klingt entsetzlich in der düsteren, schwarzen Schlucht.

Danke, guter Gott, dass du Angus zurückgebracht hast! Danke, Angus, Gott segne dich, wiederholt der Herr Pastor mehrere Male.

Es hilft nicht, lange nachzudenken. Ich helfe dem Herrn Pastor auf die Beine und setze mich auf die Erde, sodass er meine Schulter als Treppe benutzen kann und auf den Esel kommt, obwohl sein linkes Bein kaputt ist. Dem Esel gefällt das fremde Gewicht nicht, er zerrt und wiehert, aber ich nehme ihn hart am Zügel und führe ihn die Schlucht hinunter.

Als wir auf die andere Seite des Dickichts kommen, ist es im Sternenlicht, als wäre es überhaupt nicht dunkel. Ich habe vor nichts mehr Angst, aber beim Herrn Pastor bin ich mir nicht sicher, weil er ständig Achtung sagt und ganz oft fragt, woher ich im Dunkeln die Richtung weiß, dabei ist es gar nicht dunkel. Es ist nicht stockfinster und nicht pechschwarz. Meine Augen sind jetzt schon besser. Sie haben die Dunkelheit geübt, wie die Beine das Rennen geübt haben. Für mich gibt es kein Schwarz und nichts Undurchsichtiges mehr, außer wenn mir die Augen mit einem dicken Tuch verbunden werden oder im lichtstreifenlosen Bodenloch des Erdkellers.

Ich führe den Herrn Pastor auf dem Esel an einer Stelle mit trockenem Boden über das leere Fischertal und von dort direkt nach Hause an den Rand der Totholzebene. Meine Mutter wacht vom Gepolter auf und kommt an die Tür, erkennt uns an den Stimmen, geht aber zuerst wieder hinein, um sich mehr Kleider anzuziehen und Feuer zu holen.

Im Licht sehe ich genau, und meine Mutter sieht es auch und schüttelt den Kopf darüber, wie sich der Herr Pastor im Schlamm gewälzt hat. Die schöne Tasche aus hellem Leder ist gerissen, und der Hut ist ganz verloren gegangen, im Gesicht hat er trockenen Schlamm, an den Händen Blut und in den Kleidern Risse.

Verzeihung, Frau Catherine, es ist ein Missgeschick und fast ein kleiner Unfall passiert. Zum Glück hat Gott mir Angus als Schutz und Begleiter mitgegeben, sodass wir durch die Finsternis zurückgefunden haben.

Auch meine Mutter spricht höflich, wie man es tun muss, gibt aber Befehle. Ich stütze den Herrn Pastor und helfe ihm hinein. Ann wacht zuerst auf, dann Adam und Thomas. Ann beruhigt sie, damit sie nicht weinen, und verlegt die Schlafplätze von allen ins Vorderzimmer, damit der Herr Pastor sich im Zimmer säubern kann. Meine Mutter reißt Lappen in Verbandsstreifen und mischt in einer Tonschale grünen Aloe-Matsch mit Schaffett. Sie zieht eine Schürze über ihren Rock, streicht sich die Haare glatt und geht zum Herrn Pastor, um ihn zu versorgen.

Wir anderen warten im Vorderzimmer. Die Zwillinge schlafen bald wieder ein. Ann gähnt, und ich bedeute ihr, sich auf dem Boden auszustrecken. Gehört sich das denn?, fragt sie aus der Nähe, damit man es im Zimmer nicht hört, und ich nicke, und Ann legt sich neben Adam und Thomas auf die Seite, sucht eine Weile nach der richtigen Haltung und schläft dann ein.

Ich bleibe auf der Bank sitzen. Einmal geht Mutter in den Hof, um das Wasser im Eimer zu wechseln. Ein anderes Mal holt sie den Weinkrug und zwei Becher ins Zimmer. Ich höre durch die Tür überhaupt keine Geräusche und auch nicht, was dort geredet wird.

Draußen schreit der Esel, aber dagegen kann man nichts tun. Es ist sinnlos, ihm zu erklären, du kommst schon wieder zurück an deinen eigenen Pflock, aber nicht jetzt und nicht bevor der Herr Pastor vielleicht morgen schon nach Hause reitet oder, falls es mit dem Bein schlimm ist, eine längere Strecke zum Feldscher von James Fort.

Die Himmelskugel

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