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Drei Tage später stand Carrie Hayes an den Gräbern ihrer Familie. Der Totengräber hatte Erde über die einfachen Särge aus Fichtenbrettern gehäuft, drei flache Hügel wiesen auf die letzte Ruhestätte Isaac Hayes’, seiner Gattin und seines Sohnes hin. Der Reverend und die Menschen, die zur Beerdigung gekommen waren, hatten den Boothill bereits verlassen.

Sheriff Ace Miller lehnte an einem Baum am Rand des Friedhofs, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete Carrie. Er hatte Mitleid mit ihr; sie stand nun mutterseelenallein auf der Welt, man hatte sie geschändet, ihre Ehre mit Füßen getreten, und wenn sie körperlich auch unversehrt geblieben war – die tiefen, seelischen Wunden würden sicherlich niemals heilen.

Mit erloschenem Blick starrte die junge Frau auf die Grabhügel. Es war ein Albtraum, und mit dem Herzen konnte sie noch immer nicht akzeptieren, was ihr der Verstand einzuhämmern versuchte. Es überstieg ihr Begriffsvermögen. Bis vor drei Tagen war ihre Welt noch in Ordnung gewesen. Und nun …

In ihr war etwas abgestorben. Sie verspürte Trauer, Mutlosigkeit und – Angst, denn sie würde künftig ganz alleine auf sich gestellt sein. Und davor fürchtete sie sich. Aber da war etwas, das noch stärker war als das erdrückende Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit. Es war Hass - leidenschaftlicher, mörderischer Hass auf die Männer, die ihr Leben zerstört hatten.

Fast widerwillig wandte sie sich ab, hörte das Knirschen von Kies unter harten Ledersohlen und drehte ein wenig den Kopf. Der Sheriff schritt auf sie zu. Er blieb einen Schritt vor ihr stehen, schaute sie ernst, zugleich aber auch forschend an und fragte schließlich: „Was wirst du nun tun, Carrie? Willst du auf der Farm bleiben?“

In ihrem bleichen Gesicht zuckten die Muskeln, ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Nun konnte sie nicht mehr weinen; zu viele Tränen hatte sie in den zurückliegenden drei Tagen vergossen. „Ich weiß es nicht“, murmelte sie. „Ich denke aber, dass ich nicht auf der Farm bleibe. Die Erinnerung …“

Ihre Stimme brach, sie schluchzte trocken, senkte den Blick und murmelte: „Die Kerle sprachen davon, dass sie nach Tucson wollten. Ich kenne ihre Namen, und ich habe mir ihre Gesichter eingeprägt; sie haben sich in mein Gedächtnis regelrecht eingebrannt. Ich glaube, ich gehe auch nach Tucson.“

Ace Miller runzelte die Stirn. „Davon kann ich nur abraten, Mädchen. Tucson ist ein Sündenpfuhl, und du wirst dem lichtscheuen Gesindel, das sich dort ein Stelldichein gibt, hilflos ausgeliefert sein, denn du bist schwach und du hast keinen Cent Bargeld. Du kommst in Tucson unter die Räder.“

„Nein!“, stieß Carrie hervor. „Ich werde mich behaupten. Und wenn die Mörder meiner Familie in Tucson sind, dann …“

Jetzt wurde der Blick des Sheriffs durchdringend, geradezu stechend. „Was hast du vor, Carrie?“, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Carrie hob wieder den Blick und schaute den Sheriff an, dann antwortete sie mit harter und präziser Stimme: „Ich will diese dreckigen Mörder zur Rechenschaft ziehen, Sheriff. Sie müssen büßen für das, was sie getan haben.“

„Überlass es dem Gesetz, Mädchen“, knurrte Miller. „In Tucson weiß man Bescheid. Ich habe den Bundesrichter telegraphisch informiert, außerdem habe ich einen ausführlichen, schriftlichen Bericht hinterher gesandt. Sollten die vier Kerle dort aufkreuzen, wird sich entweder der Sheriff oder der Town Marshal um sie kümmern.“

„Das Gesetz ist schwach, Sheriff“, versetzte Carrie, „darum verlasse ich mich nicht darauf, dass die Mörder irgendwann geschnappt und verurteilt werden.“

„Das ist Irrsinn, Carrie. Diese Kerle sind skrupellose Banditen; niederträchtig, heimtückisch, brutal und absolut tödlich – tödlicher als Klapperschlangen. Wie stellst du dir das vor? Willst du dir einen Colt umschnallen oder das Gewehr deines Vaters nehmen, vor die Schufte hintreten, ihnen deinen Hass ins Gesicht schleudern und schließlich mit ihnen kämpfen? Gütiger Gott, Mädchen! Weißt du, was die mit dir machen?“

Carries Gesicht hatte sich verschlossen. „Es wird sich zeigen“, murmelte das Mädchen, setzte sich in Bewegung und schritt an Ace Miller vorbei in die Richtung der Pforte, durch die man den Friedhof verlassen konnte.

Eine Viertelstunde später verließ Carrie Tombstone mit dem Fuhrwerk, mit dem das Aufgebot aus Warren sie und ihre getöteten Angehörigen in die Stadt transportiert hatte. Als sie am Office vorüber fuhr, stand der Sheriff auf dem Vorbau. Carrie vermied es, ihn anzusehen und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet.

In Millers Zügen arbeitete es. Versonnen schaute er hinter Carrie her und er fragte sich, ob sie ihren verrückten Plan tatsächlich in die Tat umzusetzen gedachte. Verdammt!, durchfuhr es ihn. Sie hat absolut entschlossen gewirkt. Und sie ist voll Hass. Wie kann ich verhindern, dass sie eine Dummheit begeht?

Er sprach am Abend mit seiner Frau. Clementine sagte kurz entschlossen: „Reite hinaus zur Farm und hol Carrie in die Stadt, Ace. Ich möchte, dass sie künftig bei uns lebt. Wir werden ihr, so gut wir können, die Eltern ersetzen. Wir dürfen sie nicht sich selbst überlassen. Darum bieten wir ihr ein Zuhause, und die Zeit wird irgendwann auch ihre Wunden heilen.“

„Hoffentlich komme ich nicht zu spät“, murmelte Ace Miller und erhob sich aus dem Sessel, in dem er saß, holte seinen Revolvergurt, schnallte ihn um, schnappte sich sein Gewehr und verabschiedete sich von seiner Frau.

Es war ziemlich finster, als er auf der Hayes Farm eintraf. Die Gatter der Pferche und Koppeln, in denen die Schafe und Ziegen sowie die beiden Milchkühe geweidet hatten, waren geöffnet. Die Tiere standen verstreut rund um die Farm herum, einige waren bei dem schmalen Bach, der in der Nähe des Hauses in Richtung des San Pedro River floss.

Nirgends war Licht zu sehen.

Ace Miller hatte sein Pferd im Farmhof angehalten und rief einige Male laut Carries Namen. Der Sheriff zerkaute eine Verwünschung, saß ab, ging ins Haus und rief erneut den Namen der jungen Frau. Nichts! Er schaute in den Stall. Er war leer. Ace Miller begriff, dass Carrie sämtliche Tiere freigelassen hatte, damit sie ausreichend Futter fanden und zum Wasser laufen konnten.

Das Pferd, gleichermaßen Zug- sowie Reittier Isaac Hayes’, war verschwunden.

„Sie hat keine Zeit verloren“, murmelte er für sich und dachte: Du hast versagt, Ace, denn du hättest verhindern müssen, dass sie auf die Farm zurückkehrt. Und wenn sie in ihr Unglück rennt, dann kannst du dir das an deine Fahne heften. Die Hölle verschlinge die vier Halsabschneider …

Marshals und Coltkiller: Wichita Western Sammelband 9 Romane

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