Читать книгу Marshals und Coltkiller: Wichita Western Sammelband 9 Romane - Pete Hackett - Страница 45
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ОглавлениеBis Tucson betrug die Entfernung von der Hayes Farm aus etwas über sechzig Meilen. Carrie benötigte dafür eine Woche, denn sie hatte kein Geld und sie war darauf angewiesen, auf den Farmen und Ranches, die an ihrem Weg lagen, Mahlzeiten zu erbetteln. Sie scheute sich auch nicht, für eine Mahlzeit ein paar Stunden zu arbeiten.
Begleitet wurde sie von Jerry, dem deutschen Schäferhund. Sie trug eine Hose und ein Hemd ihres ermordeten Bruders. Auf ihrem Kopf saß eine Mütze, und auch sie hatte einmal dem fünfzehnjährigen Barry gehört.
Das Pferd, das sie ritt, war ein Fünfzig-Dollar-Gaul, den ihr Vater je nach Bedarf vor den Pflug oder das Fuhrwerk spannte, der aber auch als Reittier benutzt wurde. Das Leder des alten Sattels war brüchig. Aus dem Scabbard ragte der Kolben einer Winchester – das Gewehr ihres Vaters. Und sie hatte sich einen Patronengurt umgelegt und an ihrem rechten Oberschenkel das Holster festgebunden, in dem der Army Colt, Model 1860, Kaliber .44, steckte, den ihr Dad, ein geborener Texaner, während des Sezessionskrieges getragen und den er samt Gurt und Holster in einer Truhe aufbewahrt hatte.
Carrie vermittelte einen kriegerischen Eindruck. Auf den ersten Blick hätte man sie für einen blutjungen Burschen halten können, denn ihre langen, blonden Haare hatte sie unter der Mütze versteckt, sie war verstaubt und verschwitzt, in ihrem Gesicht klebte eine dünne Schicht aus eingetrocknetem Schweiß und Staub, und die Strapazen und Entbehrungen während der zurückliegenden Woche hatte die Linien darin schärfer und härter werden lassen.
Lane Wilburn, der Town Marshal von Tucson, erkannte sie dennoch, als sie an seinem Office vorbeiritt. Vor einigen Tagen hatte ihm der Sheriff von Tombstone per Telegramm die sehr wahrscheinliche Ankunft der jungen Lady in Tucson angekündigt. Ein grimmiges Lächeln umspielte die Lippen des sechsunddreißigjährigen, dunkelhaarigen Gesetzeshüters, er trat hinaus auf den Vorbau und rief hinter Carrie, die das Office bereits passiert hatte, her: „He, Carrie!“
Sie zügelte augenblicklich das Pferd und vollführte mit dem Oberkörper eine Drehung, sah den Mann und den matt schimmernden Stern an seiner Weste und ein Schatten schien über ihr Gesicht zu huschen. Jerry, der Schäferhund, hatte sich umgedreht, sich leicht geduckt und belauerte den Mann auf dem Vorbau.
„Einen Moment!“, rief Lane Wilburn, stieg die drei Stufen des Vorbaus nach unten und stapfte durch den knöcheltiefen Staub auf Carrie zu. Jerry begann zu knurren, doch der Town Marshal schritt unerschrocken und furchtlos weiter. Lediglich seine Rechte legte sich auf den Knauf des Revolvers und er sagte: „Halt deinen Hund zurück, kleine Lady. Wenn er mich angreift, muss ich ihn erschießen.“
„Still, Jerry!“, blaffte Carrie.
Jerry gehorchte.
Wilburn ging um das Pferd herum, nahm es am Zaumzeug und sagte: „Sheriff Miller hat mir telegraphiert. Er bittet mich, dich – falls du in Tucson auftauchst -, in die nächste Kutsche zu setzen und nach Tombstone zurückzuschicken.“
„Ace Miller ist weder mein Vater noch mein Vormund!“, fauchte Carrie staubheiser. „Er hat mir nichts zu sagen.“
„Er meint es nur gut, Kleine. Was hast du überhaupt vor? Bist du auf dem Kriegspfad? Die Waffen, die du mit dir herumschleppst, lassen diesen Schluss zu.“
„Ich verfolge die Mörder meiner Eltern und meines Bruders“, erwiderte Carrie. „Ihre Namen sind …“
Wilburn winkte ab. „Ich kenne ihre Namen. Sie kamen nach Tucson. Als wir sie verhaften wollten, kam es allerdings zu einer Schießerei. Einer von ihnen hat eine Kugel ins Bein bekommen, die anderen sind leider abgehauen. Cole Jackson befindet sich im Jail, und in den nächsten Tagen schon wird sein Prozess stattfinden. Sheriff Donegan hat dem Gericht bereits die Anklageschrift vorgelegt.“
„Sie haben einen der Bastarde in Ihrem Jail, Marshal?“, kam es geradezu ungläubig von Carrie.
„Ja. Gleich nach dem Mord an deiner Familie hat Sheriff Miller das Distrikt Gericht informiert. Patterson wird den Schurken wohl unter den Galgen schicken. Er ist Bundesrichter und seine Urteile können nicht angefochten werden. Wenn er Jackson zum Tode verurteilt, hängen wir ihn am darauffolgenden Tag. – Patterson hat veranlasst, dass die Fahndung nach den anderen drei Banditen auf das gesamte Territorium ausgeweitet wird. Er hat eine Belohnung von insgesamt siebenhundert Dollar ausgesetzt. Die Kerle werden keine ruhige Minute mehr haben. Denn hinter ihnen werden nicht nur Sheriffs und Marshals her sein, sondern auch Kopfgeldjäger; und die sind in der Regel mindestens ebenso verkommen, skrupellos und heimtückisch, wie die Banditen selbst. Du kannst also wieder heimreiten, Carrie.“
„Ich möchte mit Cole Jackson sprechen, Marshal.“
„Weshalb? Willst du tatsächlich einem der Männer, die dich …“
Der Town Marshal brach ab; alles in ihm sträubte sich dagegen, es auszusprechen und dadurch möglicherweise den Finger auf eine Wunde zu legen, die noch ausgesprochen frisch war.
„Ja, das will ich!“, stieß Carrie mit fester, klarer Stimme hervor. „Gerade deshalb.“
„Wenn du bereit bist, deine Waffen im Office zu hinterlegen“, murmelte Wilburn nach kurzer Überlegung.
„Sicher“, versprach Carrie.
Der Marshal führte das Pferd schräg über die Straße bis vor sein Office und band es, während Carrie absaß, am Hitchrack fest. Jerry beäugte war den Mann nach wie vor argwöhnisch und lauernd, ließ ihn aber gewähren.
Sie gingen hinein und Carrie legte ihre Waffen auf den Schreibtisch.
„Kannst du überhaupt damit umgehen?“, fragte Wilburn.
„Ich hab einige Male mit dem Gewehr auf leere Flaschen geschossen“, antwortete Carrie. „Zu Hause, auf der Farm.“
„Der Colt ist ein ziemlich altes Stück“, murmelte der Ordnungshüter.
„Mein Vater trug ihn während des Krieges. Nach dem Krieg ist er mit Ma und mir nach Arizona gegangen. Ich war damals zwei Jahre alt. Später wurde dann mein Bruder geboren.“
Sie begaben sich in den Zellentrakt. Es gab insgesamt sechs Zellen. Da sie nur über kleine, vergitterte Fenster verfügten, war es hier ziemlich düster. Das Sonnenlicht fiel in schräger Bahn herein und malte die Fenster als Lichtvierecke auf den Boden, die Gitter zeichneten sich als Schatten ab.
Cole Jackson lag auf der Pritsche. Jetzt erhob er sich, humpelte zur Gitterwand und legte seine Hände um zwei der zolldicken Eisenstangen, dabei hielt er den Blick starr auf Carrie gerichtet.
Jerry, der dicht neben Carrie herglitt, hatte beim Anblick des Banditen die Zähne gefletscht und drohend zu knurren begonnen. Die Haare seines Kamms standen senkrecht in die Höhe.
Plötzlich glitt der Schimmer der Erkenntnis über Jacksons Züge, er zeigte die Zähne und knirschte: „Was für eine Überraschung. Hey, Honey, bist du gekommen, um mir zu sagen, wie gut ich war?“ Ein schmieriges Grinsen zog seine dünnen Lippen auseinander.
Carrie erinnerte sich an sein Gesicht ganz deutlich. Mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung fixierte sie ihn. Dass in ihr ein Aufruhr der Gefühle tobte, zeigte sie nicht.
„Dir wird das Lachen noch vergehen, Jackson!“, schnarrte der Town Marshal. „Ich zumindest hab noch keinen lachen sehen, wenn er mit einem Strick um den Hals durch die Luke fiel.“
„Noch habe ich keinen Strick um den Hals, Sternschlepper!“, giftete der Bandit, dann richtete er sich wieder an Carrie: „Bist du hier, um im Prozess gegen mich auszusagen? Denkst du denn wirklich, diese Dummköpfe hier hängen mich? Dagegen werden einige Leute eine ganze Menge haben.“
„Du wirst hängen, Jackson!“, sagte Carrie und war bemüht, ihrer Stimme Ruhe zu verleihen. „Und ich werde in der ersten Reihe stehen und – lachen. Ja, ich werde lachen. Und mit meinem Lachen in den Ohren wirst du dir am Ende des Stricks das Genick brechen.“
Jacksons Gesicht verzerrte sich, seine Augen glitzerten gehässig. „An diese Worte werde ich dich eines Tages erinnern, Chica.“ Er benutzte das spanische Wort für Mädchen. „Aber ehe ich dir den Hals durchschneide, werde ich noch einmal Spaß mit dir haben. Mein Wort drauf.“
„Du wirst hängen, Jackson“, wiederholte Carrie. „Eigentlich wollte ich dich fragen, wohin sich Shaw, Shelton und Gentry gewandt haben. Doch das dürfte sich erübrigt haben, denn deinen Worten konnte ich entnehmen, dass sie herkommen, um dich aus dem Jail zu holen. Ich werde also hier auf sie warten.“
Der Bandit starrte sie an, als hätte sie kompletten Unsinn gesprochen. Aber auch der Town Marshal schaute nicht gerade geistreich drein. Jackson schnappte, nachdem er Carries Worte verarbeitet hatte: „Gesetzt den Fall – du willst dich ihnen in den Weg stellen? Du – du musst übergeschnappt sein, Chica.“ Er lachte wie belustigt auf, aber es war kein echtes Lachen; es war aufgesetzt, von weit hergeholt.
„Ihr werdet alle zur Hölle gehen!“, prophezeite Carrie.