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Das Selbstverständnis der Stadtbürger als Staatsbürger
ОглавлениеDer Begriff des ‚Staatsbürgers‘, den in Deutschland die regional unterschiedlich und auch unterschiedlich schnell sich entwickelnde, Einfluss gewinnende neue Schicht der leistungsorientierten, aus ständischen Schranken ausbrechenden Stadtbürger für sich in Anspruch zu nehmen begann, weist auf deren Selbstverständnis hin. Gemeint waren mit diesem Wort all diejenigen, die sich als Bürger nicht länger mehr auf Grund ihrer ständischen Zuordnung, sondern auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat verstanden, den sie aus eigenem Willen heraus mitzugestalten wünschten. Dieser Wunsch enthielt insofern erhebliches Konfliktpotenzial, als der absolutistische Staat, so sehr er auf die Mitarbeit der neuen Bürgerschicht angewiesen war, doch seine Herrschaftsrechte nicht aufzugeben gewillt war und den Gehorsam sämtlicher Untertanen forderte, während all denen, die sich als Staatsbürger bezeichneten, eine Gesellschaftsordnung vorschwebte, in der sie nicht nur frei von geburtsständischen Privilegien, sondern auch frei von absolutistischer sowie auch kirchlicher Bevormundung zusammenleben konnten. Gerade dieser Wunsch, der letztlich in der Idee der Rechtsgleichheit aller mündet, macht deutlich, dass die neue Schicht der für sich die ‚Staatsbürgerschaft‘ reklamierenden Stadtbürger die eigentliche Trägerin der Aufklärung gewesen ist – was freilich nicht impliziert, dass auch jeder einzelne, der diese geistige Bewegung vorantrieb oder sich ihr zumindest verpflichtet fühlte, dieser Schicht angehören musste.