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1.2. Aufklärung Begriff, Träger, Zielsetzungen der Aufklärung

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In der Aufklärung, die der ganzen Epoche schließlich den Namen gegeben hat, verbanden sich Emanzipationsbestrebungen und utopische Zielsetzungen. Das Wort ‚aufklären‘, der Alchemie zugehörig, dann im meteorologischen Sinn gebraucht, erhielt im 18. Jahrhundert in metaphorischer Verwendung die Bedeutung von ‚geistig erhellen‘ oder ‚zur Klarheit führen‘ und bezeichnete damit eher die kritische Komponente der Bewegung. Aufklärung als kritische Tätigkeit war (und ist, sofern das ‚Projekt Aufklärung‘ noch immer nicht abgeschlossen ist1) an die Kraft der Vernunft gebunden, wobei der Vernunftbegriff im 18. Jahrhundert unterschiedlich gebraucht wurde. Man konnte (wie die Rationalisten) unter Vernunft die reine – logische – Verstandestätigkeit verstehen, das diskursive Nachdenken, das sich zwischen den Begriffen hin und her bewegt, sie ordnet, verknüpft oder trennt, konnte (wie die Empiristen) den Bereich der Empfindungen in die Verstandestätigkeit einbinden und ihr die Fähigkeit intuitiver Einsicht zusprechen, konnte sie aber auch (wie Kant) als das ‚obere Erkenntnisvermögen‘ ansehen, das bestrebt ist, auch das eigene rationale Vermögen kritisch zu reflektieren, alle durch den Verstand ermöglichte Erkenntnis auf den universellen Zusammenhang aller Dinge und allen Geschehens zu beziehen. Aus Kants Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784) stammt die berühmte Definition:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“2

Aufklärung und Verstandestätigkeit gehören in dieser Definition zusammen, aber es ist entscheidend, dass die Verstandestätigkeit auf eine Wertsetzung bezogen wird, auf die Mündigkeit der Person, die Freiheit der Selbstbestimmung des Einzelnen, der damit aufgefordert wird, über das Gegebene hinauszufragen und sich damit vernünftig zu verhalten. Wenn Kant im weiteren Verlauf dieser Schrift den öffentlichen Gebrauch der „Vernunft“ propagiert, ihr die Aufgabe der „allgemeinen Aufklärung“ zuweist und sich allmähliche Auswirkungen des „freien Denken(s)“ „auf die Sinnesart des Volks“ erhofft, so wird damit zugleich die andere Komponente der aufklärerischen Bewegung angesprochen, ihre optimistische Erwartung einer in der Zukunft liegenden neuen Gesellschaft. Auch diese Erwartung, die mit dem Interesse an einer bewussten Lebensgestaltung einhergeht, beruht auf dem Vertrauen in die Kraft der Vernunft. Die den Menschen eingepflanzte, ihr Selbstbewusstsein begründende Vernunft erschöpft sich nie in der Kritik um der Kritik willen, sondern sucht stets auch nach den menschlichen Möglichkeiten, sich in der von Gott hervorgebrachten Schöpfung vernünftig handelnd einzurichten. Auf Vernunft gegründete Kritik und auf Vernunft gegründetes Handeln gehören untrennbar zusammen.

Eines der wichtigsten Angriffsziele der Aufklärer war der Aber- und Wunderglaube des Volkes, der ihnen als Zeugnis der allgemeinen Unwissenheit galt,3 die vernünftiges Handeln blockierte. So wurde kritisch gesehen, dass abergläubische Bauernregeln die Modernisierung der Landwirtschaft oder die alten Handwerkerrituale die Effektivität der neuen Gewerbebetriebe verhinderten. Gerade an solchen Beispielen der Kritik wird deutlich, dass sich in den idealistischen Wunsch nach Herrschaft der Vernunft auch Nützlichkeitserwägungen einschlichen, die ganz im Interesse der ‚neuen‘ Bürger lagen. Doch deren Nützlichkeitsdenken jegliche sittliche Motivation abzusprechen, wäre andererseits eine grobe Verallgemeinerung. Nicht nur ‚gegen‘ den Aberglauben, den man als Unmündigkeit begriff, richtete sich das allgemeine Engagement für die Erziehung der Jugend. Gerade in den Erziehungsplänen der Pädagogen und natürlich auch in den erzieherischen Intentionen der Schriftsteller, von denen ausführlicher noch die Rede sein wird, kam „die utopische Energie der Aufklärer“ zum Tragen.4

Vehement richtete sich ihre Kritik auch gegen die Kirche, zumal gegen die katholische, deren Herrschaftsansprüche man attackierte und die mit ihren Heiligenkulten als Hort des Aberglaubens angeprangert wurde. Weiterreichend war die Kritik an den Glaubensinhalten, obwohl sich gerade die protestantische Kirche, so orthodox sich viele ihrer Vertreter auch zeigten, dem aufgeklärten Denken teilweise öffnete. Für Lessing (Die Erziehung des Menschengeschlechts, 1777) gab „die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.“ Von dem Versuch, ‚geoffenbarte Wahrheiten‘ (Lessing) und Vernunftwahrheiten miteinander zu versöhnen, rückte man gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend ab und betonte entschiedener, dass es jedem einzelnen Menschen möglich sei, sein Glück ganz ohne religiöse Überzeugungen in der diesseitigen Ordnung der Dinge zu finden. Hierzu freilich bedurfte es der Ausbildung einer neuen, an die praktische Vernunft gebundenen Sittlichkeit. Da der Mensch für die Aufklärung nicht von Natur aus böse war, also nicht von Erbsünde und Schuld belastet, kam es vor allem darauf an, das Gute in ihm zur Entfaltung und Wirkung zu bringen. Dies ist der Grund dafür, dass gerade im 18. Jahrhundert der moralischen Erziehung und der damit verbundenen Selbstdisziplinierung so große Anstrengungen gegolten haben. Eine tugendhafte Menschheit entstehen zu lassen, war aufklärerische Utopie, aus der sich mannigfache (in der Literatur veranschaulichte) Konflikte ergeben haben. Zu dieser Utopie gehörte nicht nur die Leitidee der Toleranz, die Akzeptanz verschiedener Weltanschauungen, was für den einzelnen Menschen nicht deren ‚gleiche Gültigkeit‘ implizierte (vgl. u.; die ‚Gleichgültigkeit‘ beruht auf einem zunehmend sich ausbreitenden Missverständnis der Toleranzidee), sondern auch der Kosmopolitismus, das Bekenntnis zum Weltbürgertum. Weltbürger sein, hieß für die Aufklärer, die eigene Identität nicht aus ständischen Wurzeln oder der Zugehörigkeit zu einem Staat oder einer Kirche zu gewinnen, sondern aus der Bindung an die allen Menschen eigene Vernunft, deren Herrschaft das friedliche Zusammenleben aller Völker als Glieder einer Familie ermöglichen sollte.

Kritisches Bewusstsein entfaltete sich während des 18. Jahrhunderts ferner nachdrücklich im Umgang mit den Naturwissenschaften, wobei die Aufklärer hier unmittelbar an die Erkenntnisse der Humanisten (vgl. P. N., 2012 a, V) anknüpften und viel dafür taten, das heliozentrische Weltbild zu popularisieren. Aber anders als noch im 17. Jahrhundert, in dem weithin noch der Vorbehalt galt, dass das Geheimnis der Schöpfung sich dem Menschen letztlich nicht erschließen könne, weil das absolute Wissen über sie nur Gott selbst zukomme, hielten die meisten Naturwissenschaftler im 18. Jahrhundert Gottes Schöpfung, die für sie nach den Prinzipien der Vernunft geschafften war, auch einer den Regeln der Vernunft folgenden Verfahrensweise für zugänglich, womit sich die Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsbegriff der Theologie weiter zuspitzte. Hypothetische Denkmodelle wurden umfassender als schon im 16. und 17. Jahrhundert durch empirische Methoden, durch die Beobachtung der Natur und die Überprüfung ihrer Gesetzmäßigkeiten im Experiment ersetzt. Auch hierin verbirgt sich eine utopische Zielsetzung, nämlich nichts als die Wahrheit zur Leitlinie jedes Erkenntniswillens zu machen. Dieser Wahrheitswille implizierte nicht nur Unparteilichkeit, die es verbot, sich nach den Vorgaben von Autoritäten zu richten, die einen absoluten Wahrheitsanspruch erhoben, sondern war auch an Überprüfung und Intersubjektivität gebunden und damit an Öffentlichkeit und öffentlichen Diskurs. Seit der Aufklärung gewinnt damit der Prozesscharakter der Wahrheitsfindung endgültig seinen besonderen Stellenwert. Kontinuierlich nach ‚Wahrheiten‘ zu suchen, ersetzt die Auffassung, es sei möglich, in den Besitz der Wahrheit im Sinne einer endgültigen Erkenntnis zu kommen. Kants Kritik der reinen Vernunft (zuerst 1781), in der die Grenzen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten aufgedeckt wurden, hat die Ablehnung dieser überkommenen Auffassung weiter bestärkt.

Aufklärerische Kritik richtete sich schließlich auch gegen die Standesschranken und gegen das absolutistische System, obwohl der Fürstenstaat der Rahmen war, innerhalb dessen sich der bürgerliche Aufstieg vollzog. Während zwischen 1668 und 1720 die Aufstiegschancen insbesondere bürgerlicher Juristen in die Hofverwaltung besonders groß waren und die politische Weltklugheit und galante Lebensführung (vgl. I) auch unter den bürgerlichen Aufsteigern als nachahmenswerte Verhaltensweisen galten, änderte sich diese Einstellung im Laufe des 18. Jahrhunderts in dem Maße, in dem die Hofverwaltung (außer in Preußen) ‚rearistokratisiert‘5 und die bürgerliche Intelligenz aus ihr hinausgedrängt wurde. So ist es kein Wunder, dass die bürgerliche Opposition gegen die Privilegien des Adels, die diesem auf Grund seiner Geburt und nicht auf Grund seiner Leistung zufielen, anwuchs. Man sah in ihm einen parasitären, überflüssigen Stand. Auch die Kritik an der unproduktiven Verschwendungssucht der Höfe setzte neu ein. Dennoch blieb all diese Kritik zunächst insofern an der Peripherie, als sie „moralisch geleitete Sozialkritik“ war6 und den politischen Kern des Absolutismus, die Willkürherrschaft der Fürsten und deren Unterdrückungspolitik, nicht traf. Zur Absolutismuskritik kam es in Verbindung mit Freiheitsforderungen erst im letzten Drittel des Jahrhunderts – in Deutschland vor allem in der Literatur der Geniebewegung. Adelskritik, Hofkritik, Absolutismuskritik hatten ihre produktive Kehrseite in der planenden Vernunft der aufgeklärten Staatsrechtler und Philosophen. Deren Vorstellungen über die Einrichtung eines bürgerlichen, die Vorherrschaft des Adels aufhebenden Rechtsstaats verdienen schon deswegen eine ausführlichere Betrachtung, als sie nicht nur in politische Konsequenzen mündeten (in England und Frankreich in andere als in Deutschland), sondern auch zum Thema des öffentlichen Diskurses und – wie jüngst herausgestellt worden ist7 – zum nicht geringen Teil auch der Literatur wurden und zugleich auch dem Begriff des Staatsbürgers eine tiefere Dimension geben.

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