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Das öffentliche Räsonnement der Staatsbürger
ОглавлениеDas öffentliche Räsonieren bürgerlicher Privatleute ist der Impuls einer neuen Lebensführung, die sich bewusst von der auch im 18. Jahrhundert noch fortbestehenden, wenn auch allmählich verblassenden Lebensform der höfischen Gesellschaft (vgl. I) abzusetzen beginnt. Der im 18. Jahrhundert durchaus gebräuchliche Begriff des Räsonierens13 verweist nicht nur auf die reflektierende Verstandestätigkeit, sondern konnotiert zugleich auch das Dialogische. Im Gespräch erst entfalten sich die Argumente der Vernunft. Das öffentlich geführte vernünftige Gespräch der bürgerlichen Privatleute stand dabei in ganz unterschiedlichen, aber nicht voneinander getrennten Bezügen. Diskutiert wurden die Maßnahmen des absolutistischen Staates, politische Ereignisse, staatsrechtliche Vorstellungen wie die oben erwähnten, natürlich auch die den Handel betreffenden Nachrichten, die auf Grund des gewerbsmäßig organisierten Nachrichtenverkehrs und der in Mode kommenden Zeitungen für viele zugänglich wurden. Diskutiert wurden in besonderem Maße auch literarische Neuerscheinungen, die durch die Entstehung des Buchmarkts (vgl. u.) schnell zugänglich wurden und mit der Zunahme der Lesefähigkeit gerade im Bürgertum auch relativ viele Leser fanden. Wer über Literatur sprach, verständigte sich zugleich über Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, über soziale Tätigkeiten und zwischenmenschliche Beziehungen und die dazugehörenden Gefühle.
Der Impuls, sich über all dies auszutauschen und sich damit auch öffentlich Gehör zu verschaffen, führte zur Gründung bzw. Ausbreitung etlicher ‚Institutionen‘,14 in denen sich die Lebensführung der staatsbürgerlichen Gesellschaft partiell niederschlug. Gemeint sind mit ihnen gesellschaftliche Vereinigungen, die nicht der Wahrnehmung partikulärer Interessen dienten, sondern prinzipiell – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – jedem Bürger offen standen.