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Geheimbünde, Tischgesellschaften, Freundschaftsbünde
ОглавлениеZu den ältesten und bedeutsamsten dieser Institutionen, in denen der öffentliche Gebrauch der Vernunft sich entfalten sollte, gehörten Gesellschaften, die sich paradoxerweise der Öffentlichkeit gerade entzogen, nämlich die Logen oder – einst von ihren Gegnern so bezeichneten – ‚Geheimbünde‘ der Freimaurer und der ihnen nahe stehenden Illuminaten. Dies mag verdeutlichen, wie die ‚Exklusivität‘ noch als Schutz vor politischer Herrschaft empfunden wurde, obwohl sich in den Logen neben Bürgern auch Adlige versammelten. Aber die in ihnen angestrebte soziale Gleichheit war die Gleichheit von Privatpersonen, eine Gleichheit außerhalb des Machtbereichs des Staates, und auch Friedrich II., der seit 1738 einer Freimaurerloge angehörte, wurde in ihr nur als ‚Privatperson‘ angesehen – ein Beleg dafür, dass das Selbstverständnis der Freimaurer nicht politisch, sondern moralisch bestimmt war. – Die Geschichte dieser Bruderschaft geht auf mittelalterliche Baugenossenschaften der Steinmetzen und auf Dombauhütten zurück, deren Mitglieder eigenen, vom Kaiser genehmigten, Ordnungen unterstanden, die ihnen in gewissem Umfang Unabhängigkeit von lokalen Administrationen und von städtischen Zunftzwängen gewährleisteten. Der Übergang von der Bauhütte zur Freimaurerloge vollzog sich Anfang des 18. Jahrhunderts in England (Gründung der ersten Großloge 1717 in London), wobei die Loge (aus engl. ‚lodge‘ = Hütte) nun auch Männer aufnahm, die nicht dem Baugewerbe angehörten (der ‚freemason‘ = Freimaurer war seinerzeit der höher qualifizierte Steinmetz, der die freistehenden Steine bearbeitete), aber sich zum Baugedanken im Sinne eines geistigen Bauwerks bekannten. Das Einleuchtende dieser Entscheidung lag darin, dass auch die mittelalterlichen Dombauten einen geistigen und sittlichen Zusammenhalt aller am Bau Beteiligten voraussetzten und zudem über sich hinauswiesen in eine religiöse Dimension. Wer der Loge beitrat, bekannte sich – insofern sprach die in den ‚Alten Pflichten‘ niedergelegte Ordnung der Freimaurer Überzeugungen der Aufklärung aus – zu einer von gesitteter Duldsamkeit getragenen Gemeinschaft, die ganz dem aus Steinen gefügten Gewölbe vergleichbar erschien, das nur im Zusammenhalt aller Teile bestehen kann. Der Gedanke der Brüderlichkeit – der ethische Gehalt der christlichen Religion – war zugleich der Orientierungsmaßstab für alles Handeln der Logenmitglieder. Religiöser Schwärmerei abgeneigt, planten sie während ihrer Zusammenkünfte – auch darin Baumeistern gleich – die Umsetzung ihrer sittlichen Überzeugung in praktische Tätigkeiten. Überlegte Hilfestellungen für einzelne Personen (der Freimaurer Goethe hat in Wilhelm Meisters Lehrjahre diesen Aspekt veranschaulicht) sowie die Gründung und Unterstützung karitativer Einrichtungen (wie z.B. Waisenhäuser), die der Staat vernachlässigte, ergänzten sich dabei. Lessing – wie Goethe, Herder, Wieland und viele andere Künstler, z.B. Mozart, ebenfalls Freimaurer – hat in Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer (1778) den Gedanken, dass die Freimaurerei ein notwendiges Korrelat des Staates sei, deutlich hervorgehoben. – Das Bedürfnis, aufklärerisch und ethisch handelnd in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen (und dabei auch gesellschaftliche Schranken zu überspielen, die z.T. freilich durch maurerische Würden aufrechterhalten wurden), übte eine derartige Faszination aus, dass die Freimaurerbewegung sich rasch über ganz Europa (in Deutschland seit 1737) und über Europa hinaus (besonders in die USA) ausbreitete und im Übrigen auch heute noch sehr lebendig ist, wobei der Schwerpunkt ihres Engagements gegenwärtig eher darin liegt, Möglichkeiten der Begegnung aller Nationen, Rassen, Religionen und Weltanschauungen zu schaffen. Eine Sonderrolle spielte am Ende des 18. Jahrhunderts der 1776 in Süddeutschland gegründete Illuminatenorden, der bald das Misstrauen der Obrigkeit erregte und in Bayern und Österreich verboten wurde, weil seine Mitglieder radikal-demokratische Auffassungen in staatliche Institutionen trugen und zielstrebig die Beamtenschaft und offizielle Publikationsorgane zu beeinflussen suchten.
So ‚unpolitisch‘ – sieht man vom Illuminatenorden einmal ab – die Freimaurerbewegung in ihren Absichten im Großen und Ganzen gewesen und geblieben ist, so politisch war ihre Wirkung. Denn aus der aufklärerischen Tätigkeit der Loge, die auch politische Herrschaft ‚beurteilte‘, bildete sich so etwas wie ein Gewissen politischen Handelns, das den absolutistischen Staat im Kern bedrohte.
Während die Freimaurer ihr Handeln ausdrücklich an christliche und humanistische Wertvorstellungen banden und es mit ihnen begründeten, waren andere gesellschaftliche Vereinigungen, wie z.B. die zahlreichen ‚patriotischen Gesellschaften‘ eher pragmatisch ausgerichtet und – ganz im Sinne von Selbsthilfeorganisationen – um die Verbesserung nützlicher Einrichtungen bemüht (von der Einrichtung von Gewerbeschulen bis zur Installation von Blitzableitern). Auch in ihnen wurde rational argumentiert, und auch in ihnen war der Impuls der Gemeinnützigkeit wirksam.
Neben solchen handlungsorientierten standen die sog. literarischen Institutionen, die im Wesentlichen das Selbstverständnis der neuen Bürger förderten. Was in Frankreich die großbürgerlichen Salons und in England die sich breiteren, mittelständischen Schichten öffnenden Kaffeehäuser leisteten, das ahmten in Deutschland zunächst die Tischgesellschaften nach, in denen akademisch gebildete Bürgerliche sich untereinander und mit politisch einflusslosen Adligen trafen, um über Geschäfte, Politik und Kirche, Wissenschaften und Künste zu reden.
Das Bedeutsame dieser Gesprächskreise liegt darin, dass soziale Ungleichheiten, das Zeremoniell der Ränge (vgl. I), durch die Autorität der Argumente überspielt wurden, wodurch sich gerade unter den Bürgern das Gefühl der Ebenbürtigkeit stärkte.15 Außerdem förderten die Gespräche in diesen Kreisen die Problematisierung von Bereichen, die zuvor nicht hinterfragt worden waren, so dass die Grundlage für eine diskutierfreudige Kultur geschaffen wurde. Die Gesprächskreise gipfelten schließlich um die Jahrhundertwende in den Berliner ‚Salons‘ einer Henriette Herz und Rahel Varnhagen von Ense, in denen sich die intellektuelle Avantgarde traf und die Geselligkeit als solche zu einer Art Kunstwerk stilisiert wurde.
Eine Variante der Tischgesellschaften bildeten Freundschaftsbünde16 (wie seit 1772 der Göttinger Hain, dem u.a. die Schriftsteller Hölty, Voß, Bürger und die Grafen Stolberg angehörten) oder andere private Vereinigungen von Gelehrten und Aufklärern (wie z.B. der 1748 konstituierte Berliner Montags-Klub, in dem sich u.a. Nicolai, Mendelssohn, Ramler, Sulzer, seit 1752 auch Lessing regelmäßig trafen).