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4.Sog. „Räte-“ und „Volksdemokratien“

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126Kennzeichen einer Rätedemokratie ist, dass die staatliche Organisation auf allen Ebenen aus einem System von Räten besteht. Idee der Rätedemokratie ist, dass sich das Volk unmittelbar selbst regiert und sich dafür auf der untersten Ebene in Räten organisiert, in denen es seine Angelegenheiten selbst regelt. Soweit höhere staatliche Ebenen erforderlich sind, werden höherstufige Räte bis zur obersten staatlichen Ebene gewählt.

127Räte sind öffentliche, vom Volk gewählte Delegiertenversammlungen. Sie sind grundsätzlich allzuständig, d. h. sie können in jeglicher Angelegenheit tätig werden. Es existiert keine funktionale und personale Trennung von Exekutive und Legislative. Auch die Rechtsprechung unterliegt der Kontrolle der Räte. Die Richter haben keine unabhängige Position, sondern werden von den Räten befristet gewählt und sind jederzeit abrufbar. Die Räte selbst unterliegen der permanenten Kontrolle durch das Volk, werden befristet gewählt und sind jederzeit abrufbar. Die Wahl in einen Rat bedeutet ein imperatives Mandat, d. h. Räte entscheiden nicht frei und unabhängig, sondern in öffentlichen Sitzungen nach Maßgabe des Volkes. Im Ergebnis ist die Rätedemokratie eine Organisationsform der direkten Demokratie zu Lasten maßgeblicher rechtsstaatlicher Elemente wie der Gewaltenteilung und des Minderheitenschutzes.

128Die Rätedemokratie war seit 1917 wesentlicher Teil der Staatsform der Sowjetunion (Räte = Sowjets) und nach 1945 in den meisten früheren Ostblockstaaten. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass in diesen Ländern eine Rätedemokratie nur dem Begriff nach herrschte. Nirgendwo war die staatliche Organisation so geregelt, dass sich der Volkswille tatsächlich von unten nach oben entfalten konnte. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich die jeweilige sog. Rätedemokratie stets als eine Oligarchie der kommunistischen Partei. Der Willensbildungsprozess vollzog sich stets von oben nach unten und nicht umgekehrt.

129Der Begriff Volksdemokratie ist eine Wortschöpfung der früheren Ostblockstaaten, die zu Recht als zynischer Pleonasmus bezeichnet wird18. Kennzeichnend für die Volksdemokratien war, dass das Volk sich durch Wahlen eine Volksvertretung schaffen konnte. Die Volksvertretungen waren jedoch keine wirklich demokratischen Staatsorgane. Die Wahl ihrer Vertreter wurde von einer staatstragenden Partei dominiert und die Auswahl wurde allenfalls von den sog. Blockparteien auf Einheitslisten ergänzt. Ein demokratischer Wettbewerb um die Stimmen der Wähler war von vorneherein ausgeschlossen. Die Volksvertretung besaß zudem auch keine tatsächliche staatliche Macht.

Staatsrecht I

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