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2.Gewaltenteilung als rechtsstaatliches Prinzip

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166Gewaltenteilung als ein oberstes rechtsstaatliches Prinzip entspringt der historischen Erkenntnis, dass geballte staatliche Macht, oft in der Hand nur einer Person konzentriert, zu Machtmissbrauch, Willkürherrschaft und Unterdrückung der Menschen führt. Die Gewaltenteilung im klassischen Sinne ist vor allem auf die Lehre von Charles Baron de Montesquieu (1689–1755) zurückzuführen, der als Reaktion auf die absolute monarchische Herrschaft in Frankreich eine Dreiteilung der staatlichen Gewalt forderte, die einen Ausgleich zwischen der bestehenden Monarchie und dem aufstrebenden Bürgertum ermöglichen sollte53. In jedem Staat, so Montesquieu, gebe es eine gesetzgebende Gewalt (Legislative, puissance législative), eine vollziehende Gewalt (Exekutive, puissance exécutrice) und eine rechtsprechende Gewalt (Judikative, puissance de juger). Jede dieser Staatsfunktionen müsse, so seine Forderung, durch unterschiedliche Träger ausgeübt werden, die grundsätzlich unabhängig voneinander agieren sollen. Die Gesetzgebung solle durch ein parlamentarisches Zweikammersystem aus Adel und Volksvertretern ausgeübt werden, die vollziehende Gewalt – damals vor allem auswärtige Angelegenheiten, Militär, Polizei und Steuern – durch den Monarchen und ihm nachgeordnete Verwaltungsapparate, die Rechtsprechung durch die Richter. Die reine organisatorische Aufteilung wird so durch eine systematische Aufteilung der staatlichen Funktionen ergänzt, um staatliche Macht zu begrenzen. Ausschließlich der Gesetzgeber soll Gesetze erlassen und hierdurch über den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des staatlichen Handelns die vollziehende Gewalt in Inhalt und Reichweite beschränken. Die Rechtsprechung kontrolliert die Akte der vollziehenden Gewalt auf ihre Rechtmäßigkeit und macht sie unter Umständen rückgängig. Die Rechtsprechung selbst wird kontrolliert durch ihre Bindung an die geltenden Gesetze, die der Gesetzgeber erlässt. Wesentlich ist dabei die personelle Gewaltenteilung, die durch strenge Inkompatibilität erreicht werden soll. Niemand darf zugleich ein Amt in mehr als einer der Gewalten innehaben. Indem sich die drei Teilgewalten gegenseitig „behindern“ und hemmen, wird die staatliche Machtausübung kontrolliert und Machtmissbrauch erschwert54.

167Im demokratischen Staat ist das Volk alleiniger Träger der Staatsgewalt; aufgegliedert in Legislative, Exekutive und Judikative wird dort somit allein die Ausübung der Staatsgewalt55: Diese wird auf die Volksvertretung als Gesetzgeber, auf die demokratisch legitimierte Regierung und die ihr nachgeordneten Verwaltungsbehörden als vollziehende Gewalt und auf die Richter als Organe der Rechtsprechung verteilt.

Die Legislative (Gesetzgebung) stellt abstrakt-generelle Regeln auf, die für Bürger und staatliche Stellen verbindliche Gebote und Verbote enthalten. Die Normen richten sich dabei an eine unbestimmte Anzahl von Personen und ihr Anwendungsbereich ist weder zeitlich noch örtlich festgelegt. Die Exekutive (vollziehende Gewalt) setzt sich aus Regierung und Verwaltung zusammen. Ihre typische Aufgabe besteht im Vollzug von Gesetzen, wobei sie anders als die Gesetzgebung konkrete Einzelfallentscheidungen trifft. Der Begriff der Exekutive ist weit auszulegen und umfasst jedes staatliche Handeln, das nicht Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist56. Die Judikative (Rechtsprechung) trifft als am jeweiligen Rechtsstreit unbeteiligte Dritte eine Rechtsentscheidung am Maßstab des Rechts in einem förmlichen Verfahren57.

168Bei der „Gewaltenteilung“ handelt es sich freilich nicht um eine vollständige Trennung von Funktionsbereichen. Eine solche wäre praktisch nicht möglich und ist auch rechtsstaatlich unerwünscht. Vielmehr sollen gerade gegenseitige Einfluss- und Kontrollrechte Machtüberschreitungen einzelner Gewalten verhindern. Nur ein System aus „checks and balances“ kann ein staatliches Gefüge auf Dauer im Gleichgewicht halten und Machtmissbrauch vermeiden. Der demokratischen Staatsform läuft eine vollständige Gewaltenteilung schon deshalb zuwider, weil alle staatliche Gewalt von nur einem Träger, nämlich vom Volk, abgeleitet werden muss. Vermittelt die Volksvertretung die demokratische Legitimation aller staatlichen Gewalt, dann muss die Ausübung der Rechtsprechung und vollziehenden Gewalt zumindest mittelbar auf den Volkswillen zurückführbar sein. Das erfordert gewisse Durchbrechungen der Gewaltenteilung durch parlamentarische Einflussmöglichkeiten, Kontroll- und Mitwirkungsrechte. Auch eine bundesstaatliche Organisationsform macht die reine klassische Gewaltenteilung faktisch unmöglich, weil eine sinnvolle Verteilung der Staatsgewalt nicht nur horizontal auf Bundesebene, sondern auch vertikal auf Länderebene erfolgen muss. Grundkonzeption der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung bleibt jedoch die historisch gewachsene Dreiteilung der Ausübung der staatlichen Gewalt58.

Staatsrecht I

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