Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 155

B.Regelungen im Einzelnen I.Übersenden der Vergabeunterlagen, § 12a Abs. 1 1.Unverzügliche Übermittlung in geeigneter Weise

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2Während die alte Regelung von „Bewerbern“ sprach, richtet sich die Neue allgemein an „Unternehmen“. Dies ist sachgerecht, da als Bewerber der Begrifflichkeit nach nur die Unternehmen bezeichnet werden, die einen Teilnahmeantrag bzw. eine Bewerbung abgegeben haben. Solche gibt es bei Bauvergaben folglich nur bei der Verfahrensart der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb gem. § 3 Abs. 3. Die Inhalte richten sich aber auch an interessierte Unternehmen an der Öffentlichen Ausschreibung und auch solche, die im Rahmen der Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb oder Freihändigen Vergabe vorausgesucht sind und zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.

3Vertreten wird, dass § 12a Abs. 1 Nr. 1 ausschließlich für Fälle der Öffentliche Ausschreibung gilt, dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss zu § 12a Abs. 1 Nr. 2, welcher explizit von der Beschränkten Ausschreibung und der Freihändigen Vergabe spricht.4 Denn bei § 12a Abs. 1 Nr. 1 muss der Bieter die Unterlagen anfordern und erhält sie dann unverzüglich. Im Falle des § 12a Abs. 1 Nr. 2 wählt der Auftraggeber die Bieter aus und schickt diesen gleichzeitig die Unterlagen. Dieser Schluss ist nicht zwingend, denn zum einen ist der Wortlaut des § 12a Abs. 1 Nr. 1 nicht auf die Öffentliche Ausschreibung begrenzt. Zum anderen regelt § 12a Abs. 1 Nr. 1 auch allgemeine Inhalte, welche für die Beschränkte Ausschreibung und Freihändige Vergabe von Bedeutung sind, so z. B. die Übermittlung in „geeigneter Weise“. § 12a Abs. 1 Nr. 2 will hingegen für die Wahrung des Gleichbehandlungsgebotes sicherstellen, dass die Unterlagen allen Bewerbern gleichzeitig zugesendet werden und somit keiner einen zeitlichen Vorteil generieren kann. Beide Ziffern – Nr. 1 und Nr. 2 – ergänzen sich demnach.

4Der Versand der Unterlagen setzt voraus, dass die interessierten Unternehmen zunächst die Unterlagen angefordert haben. Hierbei ist zu beachten, dass die Anforderung bzw. Interessensbekundung nach dem Startzeitpunkt des Verfahrens – bei Öffentlicher Ausschreibung nach Veröffentlichung der Bekanntmachung – erfolgt sein muss.5 Anderenfalls würde es zu einer automatischen Verpflichtung zum Versand von Unterlagen bei jeglicher, nicht auftragsbezogener Interessensbekundung führen, die weder mit dem Gleichbehandlungsgebot übereinzubringen, noch für die Vergabestellen händelbar wäre. Die Festlegung einer Frist für die Anforderung der Unterlagen dürfte mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbar sein.6 Interessierte Unternehmen haben ohnehin ein eigenes Interesse an der frühestmöglichen Anforderung der Vergabeunterlagen, damit sie hinreichend Zeit zur Bearbeitung und Stellen von Fragen haben und ihrer Mitteilungsverpflichtung bei etwaigen Mängeln – bei EU-weiten Vergabeverfahren auch ihrer Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 GWB – genügen können.7 Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung einer derartigen Frist auch nicht zwingend geboten.

5Nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 sind die Vergabeunterlagen unverzüglich den Unternehmen zu übermitteln. Sinn und Zweck der Regelung ist es, unnötige Zeitverzögerungen im Verfahren zu vermeiden und den Bietern bzw. Bewerbern schnellstmöglich die für die Angebotsabgabe bzw. Teilnahme erforderlichen Informationen und Formblätter zur Verfügung zu stellen. Unverzüglich bedeutet im zivilrechtlichen Sinne gem. § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Dies setzt voraus, dass sämtliche Vergabeunterlagen zum Startzeitpunkt des Vergabeverfahrens bereits erstellt sind, anderenfalls besteht keine Ausschreibungsreife und es liegt letztlich ein Verstoß gegen § 2 Abs. 5 vor.8 Wann ein Vergabeverfahren beginnt, hängt von der Verfahrensart ab: die Öffentliche Ausschreibung beginnt mit Versand der Bekanntmachung, gleiches gilt für die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb. Eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb sowie eine Freihändige Vergabe beginnen regelmäßig mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe. Bei der Öffentlichen Ausschreibung fordern die interessierten Unternehmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Unterlagen an, je nach dem, wann sie die Ausschreibung zur Kenntnis genommen haben und wann sie den Entschluss zur Teilnahme gefasst haben. Hierbei hat der öffentliche Auftraggeber darauf zu achten, dass er den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrt und bei den Anfragen gleichermaßen unverzüglich reagiert.9 So kann es zu Fällen kommen, bei denen ein Bieter der werktags die Unterlagen anfordert und diese deshalb schneller erhält als ein Bieter, der diese erst am Freitagnachmittag anfordert, wenn die Vergabeverstelle oder die Kontaktstelle nicht mehr besetzt ist. In diesem Fall läge keine Ungleichbehandlung vor.

6Kann der öffentliche Auftraggeber die Vergabeunterlagen nicht unverzüglich übermitteln und liegt eine schuldhafte Verzögerung vor – zum Beispiel, weil der Auftraggeber eine zu geringe Menge an Unterlagen drucken ließ und es, trotz absehbar regem Interesse, unterlassen hat weitere Unterlagen nachzudrucken –, kommen sogar Schadensersatzansprüche der Unternehmen nach den Gesichtspunkten der c. i. c. (culpa in contrahendo gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) gegen die Vergabestelle in Betracht.10 Eine Lösungsmöglichkeit für den öffentlichen Auftraggeber wäre in diesem Fall, die Angebotsfrist rechtzeitig zu verlängern, um derartiges zu vermeiden.

7Den Umfang und Inhalt der Vergabeunterlagen definiert § 8. Bestandteile sind zwingend das Aufforderungsschreiben, die Teilnahmebedingungen und die Vertragsunterlagen.11 Aus Bietersicht ist es zudem wichtig, die erhaltenen Unterlagen – soweit erkennbar – darauf zu überprüfen, ob diese versehentlich eingefügte und nicht für die Kenntnisnahme des Bieters bestimmte Bestandteile enthalten. Denn bei Öffnung und Einsehen solcher Unterlagen kann im Einzelfall ein Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot vorliegen, welches den öffentlichen Auftraggeber zum Ausschluss des Bieters aus dem Vergabeverfahren berechtigen kann.12 Ein Streit, ob bei zweistufigen Vergabeverfahren (beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb) alle Unterlagen gleichzeitig zur Verfügung zu stellen sind, d. h. auch solche, die erst für die zweite Stufe relevant sind, stellt sich bei unterschwelligen Bauvergaben nicht. Der Wortlaut geht nämlich von „ausgewählten Bewerbern“ aus.13 Unklarheiten in den Vergabeunterlagen gehen i. Ü. zu Lasten des Auftraggebers. Sind die Vergabeunterlagen z. B. hinsichtlich der geforderten Form der Angebotsabgabe nicht eindeutig, steht dies einem Angebotsausschluss wegen formwidriger Angebotsabgabe regelmäßig entgegen.14

8Nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 sind die Vergabeunterlagen zudem in geeigneter Weise den Unternehmen zu übermitteln. Dies setzt eine aktive Übermittlung durch den Auftraggeber voraus.15 Der Verweis einer Abrufmöglichkeit auf der eigenen Homepage ist folglich nicht ausreichend.16 Ausgenommen sind zudem die Fälle der elektronischen Vergabe nach § 11 Abs. 2 und 3, wonach die Unterlagen elektronisch (auf einem Vergabeportal wie z. B. dem subreport/ELViS) zur „Verfügung gestellt werden“ und die interessierten Unternehmen diese selbst herunterladen müssen. Mit Blick auf die wohl unaufhaltsame Digitalisierung auch bei unterschwelligen Vergabeverfahren wird die Regelung mit der Zeit keine eigenständige Bedeutung mehr haben. Mündliche Mitteilungen von Vergabebedingungen sind zudem grundsätzlich nicht ausreichend. Solche sind lediglich in Ausnahmefällen denkbar und vergabekonform, so z. B. bei Dringlichkeit und extrem kurzen Angebotsfristen. Für den Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte ergibt sich das aus § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EU, wonach bei bestimmten Verfahrensarten die Unterlagen gleichzeitig in Textform übermittelt werden.17 Bereits aus Gründen der Praktikabilität ist das auch für Bauvergaben nach dem ersten Abschnitt der VOB/A auszuschließen, da mündliche Mitteilungen nicht ohne weiteres dokumentiert werden können, dies aber nach § 20 Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist: denn alle wichtigen Entscheidungen sind in Textform festzuhalten.

9Die postalische Übermittlung spielt in der Praxis kaum mehr eine Rolle.18 Aus Zeit- und Kostengründen werden die Vergabeunterlagen regelmäßig per E-Mail versendet. Dies ist bei Bauvergaben z. B. bei der Übermittlung von umfangreichen Plänen oftmals schwierig, da nicht sichergestellt werden kann und auch im Vorfeld nicht bekannt ist, auf welches Datenvolumen die Posteingänge der Unternehmen begrenzt sind. In diesem Zusammenhang wird die Vorgabe des § 12a Abs. 2 maßgebend, wonach Unterlagen auszulegen sind, sofern sie kalkulationserheblich sind.19 Zudem kann in solchen Fällen auf webbasierte Datenspeicherungssystemen bzw. Filehosting-Dienste (auch Cloud Storage genannt, z. B. der Firma Dropbox) zurückgegriffen werden, sofern die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Auftraggeber gehalten ist, eine dem nicht-elektronischen Versand entsprechende Dokumentation vorzunehmen, da er für die „geeignete“ Auswahl und den ordnungsgemäßen Versand beweisbelastet ist.20 Bei Bauvergaben erfolgt der Informations- und Datenaustausch im großen Umfang unter Berücksichtigung der Dateistandards, die vom Gemeinsamen Ausschuss für Elektronik im Bauwesen (GAEB)21 entwickelt wurden. Die interessierten Unternehmen haben dabei keinen Anspruch auf eine bestimmte Form der Übermittlung.22 Hat sich der öffentliche Auftraggeber gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 an eine bestimmte Kommunikationsart gebunden und dies bekannt gegeben, muss er sich hieran während des ganzen Vergabeverfahrens halten.

10Sind beim Versand für den Bieter bzw. Bewerber Fehler erkennbar – z. B. weil die Unterlagen nicht wie angekündigt angekommen sind – so trifft den Bieter bzw. Bewerber eine Mitwirkungspflicht.23 Verletzt er diese, kann er sich nicht mehr darauf berufen, nicht mehr am Verfahren teilnehmen zu können und kann von der Vergabestelle auch nicht verlangen, das Vergabeverfahren insgesamt zeitlich nach hinten zu verschieben, z. B. mittels Verlängerung der Angebotsabgabefrist und Verschiebung des Submissionstermins. Zeigt der Bieter jedoch den Fehler an, hat der öffentliche Auftraggeber nach entsprechender Anzeige die Unterlagen erneut zu versenden, der Bieter trägt allerdings dann das Risiko, keine hinreichende Zeit zur Angebotslegung mehr zur Verfügung zu haben.24

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