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II.Differenzierende Betrachtung des Grundsatzes ausschreibungs­frei zulässiger Vertragsänderungen anhand des Kriteriums der Binnenmarktrelevanz

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11Insbesondere am Anordnungsrecht des Auftraggebers aus § 1 Abs. 3 VOB/B und § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B wird deutlich, welch weitreichende, auch kalkulationsrelevante Änderungen sich auf die Bestimmungen der VOB/B stützen lassen. Die ausschreibungsfreie Zulässigkeit entsprechender Vertragsänderungen nach § 22 Hs. 1 VOB/A begegnet bei solchen Bauaufträgen erheblichen Bedenken, denen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutig grenzüberschreitendes Interesse zukommt und die folglich binnenmarktrelevant sind.23 Diese Bauaufträge müssen sich auch im Unterschwellenbereich an den Grundregeln und allgemeinen Grundsätzen des AEUV messen lassen, als welche die unionsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und die daraus resultierende Pflicht zur Transparenz einzuordnen sind.24 Damit geht nach der Rechtsprechung des EuGH u. a. das Erfordernis einher, dass vertragliche Regelungen, die Vertragsänderungen oder Vertragsanpassungen ermöglichen, inhaltlich hinreichend bestimmt und klar sein müssen, um den Auftraggeber von einer erneuten Ausschreibung entlasten zu können.25 Diesen unionsrechtlichen Anforderungen genügen § 1 Abs. 3 VOB/B und § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B – wie im Rahmen der Kommentierung des § 22 VOB/A EU näher dargelegt26 – nicht.

12Vor diesem Hintergrund dürfte auch im Unterschwellenbereich bei binnenmarktrelevanten Aufträgen eine ausschreibungsfreie Zulässigkeit wettbewerbsrelevanter Vertragsänderungen auf der Grundlage des § 22 VOB/A i. V. m. § 1 Abs. 3 VOB/B und § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B regelmäßig nicht in Betracht kommen. Aber auch für sonstige Vertragsveränderungen, die nicht auf das Anordnungsrecht des Auftraggebers aus § 1 Abs. 3 VOB/B und § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B zurückzuführen sind, sollte bei binnenmarktrelevanten Bauaufträgen im Unterschwellenbereich berücksichtigt werden, dass der Grundsatz der ausschreibungsfreien Zulässigkeit aus § 22 Hs. 1 VOB/A nur insoweit anwendbar ist, als die unionsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und die daraus resultierende Pflicht zur Transparenz einer Vertragsänderung ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nicht entgegenstehen. Als Orientierungshilfe steht insoweit § 22 VOB/A EU zur Verfügung, der für Vertragsänderungen im Oberschwellenbereich in Umsetzung der Richtlinienvorgaben die zuvor genannten unionsrechtlichen Grundsätze ausgestaltet und näher konkretisiert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Unionsrecht die Gültigkeit der nationalen Vorschriften nicht tangiert, sondern lediglich zu ihrer Unanwendbarkeit im Einzelfall führt, was dogmatisch auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts und die aufgrund des entgegenstehenden Wortlauts nicht vorhandene Möglichkeit zur unionsrechtskonformen Auslegung des § 22 VOB/A zurückzuführen ist.

13Anders sind die Anwendbarkeit und der Regelungsgehalt des § 22 VOB/A bei Bauaufträgen im Unterschwellenbereich ohne Binnenmarktrelevanz zu bewerten. Insoweit muss sich die Vorschrift nicht am Unionsrecht messen lassen, sodass der Grundsatz der ausschreibungsfreien Zulässigkeit von Vertragsänderungen nach den Bestimmungen der VOB/B im Ergebnis uneingeschränkt Anwendung findet. Für Bauaufträge ohne Binnenmarktrelevanz ist daher im Unterschwellenbereich die praxisrelevante und in der Vergangenheit kontrovers diskutierte Frage27 nach dem vergaberechtlichen Umgang mit Vertragsänderungen, welche ihre Grundlage im Anordnungsrecht des Auftraggebers aus § 1 Abs. 3 VOB/B und § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B haben, im Sinne einer ausschreibungsfreien Zulässigkeit derselben geklärt.

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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