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2.2.1.4. Dauer bis zum Mauerbau

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Aus der Feststellung der letzten Kapitel, dass der Mauer oft eine Befestigung aus Holz und Erde vorausging, ergibt sich die Frage, wie lange es gedauert hat, bis auf diese erste Umwehrung – bzw. auch auf die Entstehung der Stadt – die Mauer im engeren Sinne folgte, also die Umwehrung in Stein.

Im Prinzip ist diese Frage leicht zu beantworten. So wie die relativ schnell und billig herzustellende Sicherung aus Gräben, Wällen und Holzanlagen zur Anfangsphase einer Stadt passte, wo Arbeitskraft und Finanzen für andere Aufgaben höchst angespannt waren, so entsprach der extrem umfangreiche und aufwendige Bau einer Mauer, oft mit vielen Türmen, jener deutlich späteren Phase, in der Wirtschaftskraft und Organisation des Gemeinwesens bereits so stabil waren, dass auch die enormen Kosten einer solchen dauerhafteren Sicherung aufgebracht werden konnten.

Die Frage, wie lange es bis zum Bau der Mauer dauerte, kann nur in seltenen Fällen konkret beantwortet werden, deren „statistischer Wert“ natürlich begrenzt bleibt. Nur neun Jahre vergingen in Wartenberg (Ordensland Preußen) zwischen Gründung sowie Holzbefestigung (1364) und Beginn des Mauerbaues (1373–1401). Duderstadt existierte schon 1247, zunächst mit Wall und Graben, die Mauer dann um 1276/79, was drei Jahrzehnte ergibt, und diese Spanne findet man auch in Remagen, wo 1357 Karl IV. die Befestigung erlaubte, aber 1387 die im Bau befindlichen Mauern niedergelegt werden mussten, und in Kolberg, wo der 1241 gegründete Markt 1264 Ummauerungsrecht erhielt und der Bau 1272 begann. Extrem anschaulich sind, dank Grabungen und mehreren Dendrodatierungen, die Abläufe in Einbeck. Nachdem um 1230/40 die Neustadt entstanden war, sind Torschwellen und Grabenbrücken auf 1244 −6/+8 und 1250 dendrodatiert; 1264 wird dann der Zehnte für den Mauerbau verwendet und ein Holztrog für Mörtel ist 1271 +/–10 datiert. Der Abstand von Holz- und Mauerbefestigung lag demnach auch hier bei rund 30 Jahren.

In Bonn ist 1244 noch die Rede von den lignea propugnacula und neuen Steintoren, von der Mauer erst 1291, was mindestens ein halbes Jahrhundert ergibt, und Kaiserslautern (1253 oppidum) war ab 1276 Reichsstadt, aber die Fundamentpfähle der Mauer wurden erst 1330–33(d) geschlagen, was 54 oder gar 80 Jahre ergibt. Eine ähnliche Frist findet man im ungleich größeren Köln, wo der äußere Befestigungsring ab 1154 diskutiert wurde, 1180 ein Wallgraben im Bau war und die äußere Mauer knapp vor 1200 erwähnt wird. 60 Jahre vergingen zwischen der Gründung (1244) von Friedland (heute Mecklenburg) und der Erlaubnis zum Mauerbau 1304. Ungewöhnlich ist der Fall von Menden (Westfalen), das schon 1276, als es wohl kölnische Stadt wurde, ein befestigtes Dorf war. Nach der Schlacht bei Worringen durch die Gegner des Erzbischofs entfestigt, erhielt es ab 1292 wiederum nur Graben und Palisade; es folgten zwei weitere Entfestigungen (1313, 1344) und erst dann die Ummauerung – mehr als 68 Jahre nach der Stadterhebung und noch länger nach der ersten Umwehrung. Ähnlich hatte Kamen schon 1263 Gräben und Planken, wurde1278 entfestigt, erhielt 1342 Stadtrecht und noch später, also 80 oder mehr Jahre nach der ersten Umwehrung, endlich die Mauer.


Abb. 22 Rheinbach (Nordrhein-Westfalen). Der Plan des frühen 19. Jahrhunderts zeigt eine ausgedehnte Umwallung wohl vorstädtischer Entstehungszeit. Beim Mauerbau des frühen 14. Jahrhunderts wurde das Stadtgebiet erheblich verkleinert (vgl. Abb. 273; Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 4.2, 1898).

Rund 100 Jahre vergingen in Osnabrück bis zum Mauerbau; 1171 privilegierte Friedrich I. die Bürger der Stadt und verlieh ihnen Befestigungsrecht, aber kein erhaltener Teil der Mauer ist vor der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden. Ähnlich lange, eigentlich aber 300 Jahre, benötigte das kleine Themar in Thüringen. Es wurde 1319 Stadt, 1390 wurde die Mauer verboten, 1457 dann erlaubt; erbaut wurde sie erst von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts (Abb. 218). Kompliziert war auch der Ablauf in Dudeldorf (Rheinland-Pfalz); nach dem Stadtrecht 1345 wird dem Stadtrichter noch bei der zweiten Bestätigung dieser Rechte 1384 erlaubt, nach Geld und Hilfe für den Mauerbau zu suchen. Das erhaltene Obertor ist jedoch erst „1453“ datiert. Uelzen, 1269 mit Gräben und Planken versehen, baute 111 Jahre später, 1380–87 seine Mauer; bei Celle, gegründet 1292 und zunächst umwallt, ist die Mauer 1407 belegbar, also nach 115 Jahren. In Hattingen wurden 1369 Wall und Graben genehmigt, die Mauer entstand erst im 16. Jahrhundert. Babenhausen erhob ein Ungeld für die Mauer 1441, also 146 Jahre nach dem Stadtrecht von 1295, und noch ein Jahr länger brauchte Ornbau (Mittelfranken), das schon 1317 Befestigungserlaubnis vom Bischof von Eichstätt erhielt, seine Mauern aber offenbar erst errichtete, als diese Erlaubnis 1464 erneuert wurde.

Aber mit rund anderthalb Jahrhunderten ist die maximale „Wartezeit“, die wir in den Quellen finden, noch keineswegs erreicht, vielmehr nennen sie uns mindestens sechs Fälle von teils weit über zwei Jahrhunderten. Lauchheim erhielt Befestigungsrecht schon 1397/1402, 1431 dann volles Stadtrecht, aber seine Mauer entstand erst um 1600–20; vergleichbar ist Ohrdruf in Thüringen, das 1348 Stadt wurde, ummauert aber erst um 1560–80. Xanten hatte Stadtrecht ab 1228, 1389 wurde erwähnt, das seine Wälle verfallen sind, aber die Mauer wurde erst 1444 begonnen – 216 Jahre nach der Stadtgründung. Kindelbrück in Thüringen entwickelte sich im Sinne einer Berg-und-Tal-Bahn: Obwohl es 1291 Stadtrecht erhielt, wird es 1366 wieder villa genannt, erhält 1372 wieder Stadtrecht, aber erst 1508 wird die Mauer auf strengen landesherrlichen Befehl begonnen, nach 217 Jahren. Dillenburg im Westerwald wird schon 1254 oppidum genannt, erhält 1344 durch Ludwig den Bayern Stadtrecht, aber erst 1588–1618 eine Mauer – 244 Jahre. Künzelsau schließlich – freilich auch ein extrem verspätetes Beispiel – verfügte schon 1495 über Wall und Graben, besaß 1525–52 Tore, aber die Mauer wurde erst 1767–86 erbaut, 272 Jahre nach der Ersterwähnung der Befestigung, und wohl nur noch als Zollmauer.

Es gibt auch Fälle, in denen der Mauerbau eine Verkleinerung der Befestigung bedeutet hat; sie sind aus den Schriftquellen allerdings nicht zu erschließen. In der Regel fällt vielmehr auf, dass im Gelände oder auch nur in der Parzellierung eine rundlich ovale Gesamtform erkennbar geblieben ist, aus der die Stadtmauer einen Teil „herausgeschnitten“ hat. Derartiges findet man ganz deutlich etwa in Rheinbach bei Bonn (Abb. 22, Mauer um 1290–1323), (Sooden-)Allendorf (Mauer noch 13. Jahrhundert?), in Xanten (Mauer nach 1444) und – auch im Namen anschaulich – in Tangermünde, wo der Stadtteil „Hühnerdorf“ zwar noch in der Umwallung lag, beim Mauerbau im 14./15. Jahrhundert aber ausgeschlossen wurde. Auch in Ettlingen und Bruchsal gibt es archäologische Belege der Reduzierung. In Rheinbach und Tangermünde gestaltete man die Verkleinerung der Stadt so, dass die Burg in die auch sonst verbreitete Ecklage kam. Hauptgrund solcher Verkleinerungen war aber gewiss der Zwang zur Sparsamkeit, der zur Aufgabe dünn besiedelter oder als minder wichtig eingeschätzter Teile der älteren Stadt oder Siedlung führte. So ist sicherlich auch das eindrucksvollste Beispiel solcher Verkleinerungen zu erklären, nämlich Friesach in Kärnten, wo sogar Reste der älteren Marktummauerung weit außerhalb der Stadtmauer des 13. Jahrhunderts erhalten sind (Abb. 273).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die „Wartezeit“ auf die Mauer sehr lang sein konnte, falls die Mauer überhaupt realisiert wurde. Fristen unter 30 Jahren sind Ausnahmen, dafür kommen Spannen von über zwei Jahrhunderten mehrfach vor! Natürlich kann die geringe Anzahl überlieferter Beispiele das reale Bild verschoben haben; man mag sich wirklich kaum vorstellen, dass die Masse der Städte mehr als einige Jahrzehnte bis zum Mauerbau gebraucht haben soll. Eine Bestätigung dieser Annahme darf man vielleicht darin sehen, dass unter den „Wartezeiten“ von nicht mehr als 60 Jahren recht bedeutende Städte sind, während unter jenen, die weitaus länger benötigten, kleine oder abgelegene Städte von fraglos geringer Wirtschaftskraft klar überwiegen. Dennoch bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass von der Stadtgründung bis zum Mauerbau in der Regel mit etlichen Jahrzehnten zu rechnen ist, dass aber auch weit über zwei Jahrhunderte durchaus möglich sind.

Jedenfalls erweisen diese Fälle den gerade in der lokalen Literatur nicht seltenen Schluss, dass die Stadtgründung zugleich den Beginn des Mauerbaues markierte, mit jeder wünschenswerten Deutlichkeit als falsch. Und als weitere Komplikation ist zu notieren, dass das Stadtrecht keineswegs zwingende Voraussetzung der Befestigung war; es wurde durchaus auch Orten verliehen, die zumindest schon Holzumwehrungen besaßen (und manchmal auch bereits Mauern).

Freilich gibt es bekanntlich keine Regel ohne Ausnahme. In ganz wenigen Fällen kann schon heute belegt oder wahrscheinlich gemacht werden, dass die Mauer gleich mit der Stadtgründung begonnen wurde. So ist die Mauer von Villingen um 1209/10(d) bis um 1241 datierbar, jene von Neuleinigen (Pfalz) entstand nach dem Baubefund in einem Bauvorgang mit der 1238–41 datierbaren Burg, die ihrerseits erst den Beginn der Besiedlung an dieser Stelle bildete, und auch in Dillingen (oppidum 1220) wird man Ähnliches vermuten dürfen, entstand doch die Burg um 1220 und auch ein Stadttor zeigt noch romanische Merkmale. Weitere Verdachtsfälle gibt es sicherlich, vor allem bei Stadtgründungen des Spätmittelalters, aber in der Regel werden vertiefte Untersuchungen nötig sein, um die Gleichzeitigkeit wirklich zu belegen. Hinter solchen Ausnahmefällen standen fraglos Stadtgründer, die besonders hohen Aufwand treiben konnten, um ihrer Unternehmung zum Erfolg zu verhelfen, denn für die Anlockung jener Stadtbewohner, die das Konzept erst mit wirtschaftlichem Leben füllen konnten, war eine von Anfang an vorhandene hohe Sicherheit sicher ein ähnlich geeignetes Mittel wie die allgemein üblichen Privilegierungen.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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