Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 42

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Abb. 53 Rothenburg ob der Tauber (Mittelfranken), der Faulturm der äußeren Mauer (spätes 14. Jahrhundert) ist ein Beispiel für einen besonders hohen Stadtmauerturm, der eine bessere Kontrolle eines problematischen Vorgeländes ermöglichte.

Ein wichtiger Aspekt der Wehrfähigkeit der Türme war ihre Verbindung mit den anderen Teilen der Befestigungen und der Stadt. Um mit dem Zweiten zu beginnen, so ist es keinesfalls gesichert, dass der Normalturm immer einen Zugang auf Straßenniveau besaß; zwar ist das heute fast immer so, aber die Fälle, bei denen die Pforte definitiv aus der ersten Bauzeit stammt, sind seltene Ausnahmen. Anzunehmen ist daher, dass es neben dem von der Stadt direkt zugänglichen Turmtypus auch jenen gab, der unter einem Zugang ins Obergeschoss ein nur von oben zugängliches „Verlies“ besaß, vergleichbar mit den Bergfrieden der Burgen. Eine sichere Aussage, wie häufig diese letztere Art Turm war, ist aber schwer möglich. Ein gewisser Hinweis kann aus der Art der oberen Eingänge gezogen werden (vgl. unten), denn vor allem der Normalfall des Turmes mit durchgeführtem Wehrgang war nicht mehr in der Art eines Bergfrieds zu isolieren. Und nimmt man die große Häufigkeit der Schalentürme hinzu, die von vornherein auf jede Abschließbarkeit verzichteten, so darf wohl gesagt werden, dass der bergfriedartig isolierte Turm bei Stadtmauern die Ausnahme war; als seltenes Beispiel seien wieder der „Markusturm“ in Rothenburg ob der Tauber und der „Lachnersturm“ in Waldenburg/Hohenlohe genannt, beides Türme noch aus dem 13. Jahrhundert mit isolierten Hocheinstiegen (Abb. 146, 389).

Vieles spricht dafür, dass die Türme im Normalfall auch die Aufstiege auf den Wehrgang enthielten, dass also ihre Innentreppen zugleich diesen Zweck erfüllten. Allerdings ist auch hier der gesunde Menschenverstand das entscheidende Argument – warum hätte man gesonderte Aufstiege zum Wehrgang bauen sollen, wenn ein Turm wenige Meter weiter dasselbe bot? –, während der Befund uns weitgehend im Stich lässt. Denn die Treppen, gleich ob in den Türmen oder direkt zu den Wehrgängen, waren in aller Regel aus Holz und daher ist kaum je eine original erhalten; um über die Gesamtorganisation der Aufgänge etwas auszusagen, wäre eine Mauer mit umfassend erhaltenen mittelalterlichen Holzteilen nötig, eine völlig unrealistische Anforderung. Steinerne Treppen existierten zwar auch, aber nur als Ausnahmen; an den Mauern bzw. Kurtinen gibt es kaum erhaltene Treppen (etwa in Oberwesel/Mittelrhein; Abb. 44), in Türmen (und Tortürmen) schon einige mehr. Die steinernen Treppen gehörten zum Beispiel zur Normalausstattung eines Haupttypus der brandenburgischen Wiekhäuser, die, da nicht durch Wehrgänge verbunden, jeweils eigenständiger und schneller Zugänglichkeit bedurften. Die sehr steilen, überwölbten und verschließbaren Treppen von der Mauergasse zum Obergeschoss lagen hier in der Seitenwand des Turmes, die selten erhaltenen Läufe zu weiteren Geschossen darüber (Abb. 494). Diese Anordnung der Mauertreppe ist gut nachvollziehbar; in der Turmfront wäre die Mauer geschwächt worden, an der Stadtseite fehlte bei Schalentürmen die Mauer, anderenfalls wäre hier meist der Eingang zum Erdgeschoss im Weg gewesen. Aus diesem Grunde liegen auch sonst steinerne Treppen praktisch immer in der Seitenwand. Sie treten als Sonderfälle quasi im gesamten deutschen Raum auf, aber ohne erkennbares System oder auffällige regionale Verdichtung. Die Frage, ob die Treppe nur bis ins erste Obergeschoss oder noch weiter hinaufführte, würde fast immer genauere Untersuchung des Einzelbaues erfordern.

Beim Verhältnis des Turmes zum Wehrgang der Mauer gab es prinzipiell zwei Formen: dass der Wehrgang durch den Turm hindurch oder dass er stadtseitig um ihn herum führte. Zwei weitere theoretische Möglichkeiten fehlen in der Praxis: die feldseitige Herumführung des Wehrganges und seine Unterbrechung durch den Turm, was zeigt, dass das Durchlaufen des Wehrganges möglichst um die gesamte Stadt herum und auch die direkte Einwirkung des Turmes auf das Vorfeld entscheidende Werte waren.

Verhältnis zwischen Turm und Wehrgang

Der Normalfall war die Hindurchführung des Wehrganges durch ein Obergeschoss des Turmes, in der Regel durch das erste; dazu ist das Wesentliche bereits gesagt worden, nämlich, dass es die Turmräume in das System der Wehrgänge integrierte. Bei der Herumführung des Wehrganges war es dagegen möglich, den Turminnenraum ohne Unterbrechung des Wehrganges zu isolieren (sofern der Turm auch im Erdgeschoss keine Pforte besaß). Dennoch gewinnt man nicht den Eindruck, dass in dieser Isolierung der Innenräume der Hauptgrund der Wehrgangführung lag, sondern eher in Dimension und Grundrissform der Türme. Denn das Verschließen der Türme war natürlich gerade im Verteidigungsfalle sinnwidrig, wenn man auch die Türme besetzen musste; zudem war ein Abschluss der Turmräume auch bei Hindurchführung des Wehrganges möglich, nämlich durch eine Innenwand. Es fällt zudem auf, dass die Herumführung des Wehrganges weit öfter bei kleinen und bei runden Türmen zu beobachten ist, was leicht nachvollziehbare konstruktive Gründe hat. Denn die Schwächung des Mauerwerks durch gleich zwei Pforten fällt bei einem rechteckigen Turm mit Seitenlängen von 6 bis 8 m wenig ins Gewicht, bei einem mit 4 bis 6 m schon deutlich mehr, und bei einem kleinen Rundturm verschärft sich das Problem wegen der fehlenden Ecken nochmals, am meisten, wenn der Durchgang nicht radial, sondern eher tangential durch den Turm geführt wird. Dies ist die beste Erklärung dafür, dass man etwa in Hessen, wo relativ späte und schlanke Rundtürme dominieren, zumeist jenen charakteristischen Kranz von vorkragenden Konsolen an der Stadtseite findet, der die Steinplatten oder Bretter des Wehrganges trug und über dem dann auch die Pforte liegt (Abb. 54).

Mit der Beobachtung, dass die stadtseitige Herumführung vor allem bei kleinen Türmen zu beobachten ist, passt es gut zusammen, dass das Phänomen recht eindeutig erst im 14./15. Jahrhundert auftrat. Denn erst in dieser Zeit entstanden die Mauern der zahlreichen kleinen Städte, deren Türme ihrem bescheidenen Etat entsprachen. Ein weiterer Erklärungsansatz dürfte darin liegen, dass vorkragende Konstruktionen im 13. Jahrhundert wohl noch überwiegend in Holz ausgeführt wurden. Man vergleiche etwa die herumgeführten Wehrgänge an den Toren in Münstereifel oder die Balkenlöcher der Hurden an den Mauertürmen in Oberwesel, beide aus dem mittleren 13. Jahrhundert, wobei die meisten Beispiele heute nicht mehr leicht kenntlich sein dürften, weil die Balken verrottet sind und ihre Löcher oft zugemauert wurden.

Als gut erhaltene Beispiele für stadtseitig herumgeführte Wehrgänge auf Konsolen seien von Norden nach Süden aufgeführt: ein Rundturm in Ingelfingen (Württembergisch Franken), der „Pfeifferturm“ in Eppingen, Türme in Kaub und Münstermaifeld im Rheinischen Schiefergebirge, ein Rundturm in Einbeck (15. Jahrhundert), mehrere Türme in Hameln (1401–66) und der „Schnabelturm“ im schlesischen Striegau von 1378. Wehrgänge, die über unten dickere Mauern (und teils zusätzliche Konsolen) geführt sind, kann man noch in Bacharach und Oberlahnstein am Mittelrhein sehen, am „Balkenturm“ in Borgentreich (Westfalen) sowie an einem Rundturm in (Bad) Hersfeld. Auf Rundbögen um den Turm geführt sind schließlich Wehrgänge in Steinheim am Main und Reinheim im Odenwald. Bei all diesen Beispielen handelt es sich um kleine Städte und Türme, die vom 14. Jahrhundert bis zum mittleren 15. Jahrhundert entstanden.

Zusammenfassend darf also zum „normalen“ Mauerturm in Deutschland gesagt werden, dass er außer seiner Funktion in der Verteidigung kaum weitere Aufgaben zu erfüllen hatte und dass er dieser Hauptaufgabe fast immer in eher schlichter Weise entsprach – er setzte auf Höhe und meist auch auf Schießscharten, aber kaum auf Flankierung. Lediglich auf seine Einbindung ins System der gesamten Mauer und ihrer Wehrgänge wurde konsequent geachtet.


Abb. 54 Witzenhausen (Hessen), der Diebesturm (1413) ist ein typisches Beispiel, wie der Wehrgang stadtseitig auf Konsolen um den Turm herumgeführt wurde; die Holzteile sind selbstverständlich modern.

Der „anonyme“ Charakter der Türme spiegelte sich im Übrigen auch in ihren Bezeichnungen. Wir kennen sie erst aus spätmittelalterlichen Quellen, als viele Türme schon seit Längerem existierten und auch ihre Bezeichnungen Zeit gehabt hatten, sich herauszubilden. Diese „Namen“ sind im Allgemeinen – und bei den Tornamen wird Ähnliches festzustellen sein – von pragmatischer Art, das heißt, sie wurden beispielsweise nach den Farben ihrer Dächer oder des Putzes, anderen Auffälligkeiten des Äußeren („Storchenturm“), meist aber nach angrenzenden Bauten, deren Funktionen oder Besitzern genannt. Dabei ist auch oft festzustellen, was die Forschung nicht eben erleichtert, dass die Bezeichnungen wechselten oder verschiedene gleichzeitig in Gebrauch waren. Die Türme als Einzelbauten waren auch nach diesen Indizien in den Augen der Zeitgenossen offenbar eher Gebrauchsgegenstände als Symbole.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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