Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 34
2.2.3.1. Maße der Hauptmauer
ОглавлениеWie hoch und dick waren Stadtmauern? Darauf gibt es zunächst zwei unbefriedigende Antworten, nämlich einerseits: Das ist sehr unterschiedlich, und andererseits: Das ist zumeist noch gar nicht zuverlässig festgestellt worden. Um zunächst den zweiten Punkt zu erläutern: Es ist keineswegs so einfach, wie es scheint, die Dicke einer Stadtmauer zu messen. Zwar stehen manche Mauerteile noch frei und haben Durchbrüche, die das Messen einfach machen, aber in der Mehrzahl der Fälle sind die Mauern wenn nicht zerstört, dann zumindest eingebaut oder verändert, abgesehen von der Unklarheit, ob sie an jeder Stelle und auf jeder Höhe gleich dick waren. Daher finden sich zwar in Beschreibungen von Mauern oft Maße, aber diese sind häufig Schätzmaße und es bleibt unklar, ob sie für jede Stelle der Mauer galten; sicher kann man meist nur sein, wenn Bauforschung stattgefunden hat.
Ein Vergleich von acht Mauern im Schweizer Kanton Aargau (Abb. 35) ergibt beispielsweise, dass die meisten Mauern dort um 0,90 m (= drei Fuß?) dick und einschließlich der Zinnen 8–9 m hoch waren, bei Extremwerten allerdings nur 0,60 m Dicke und 14 m Höhe aufwiesen. In Niederschlesien (Abb. 36) ergibt ein entsprechender Vergleich Dicken zwischen 0,80 m und 2,20 m, wobei die meisten zwischen 1,10 m und 1,60 m und die Höhen zwischen 7,00 m und 9,60 m liegen. In beiden Fällen sind dabei die höchsten Mauern nicht zugleich die dicksten. Dies zeigt bereits, dass die Maße der Mauern von Landschaft zu Landschaft leicht schwankten; die schweizerischen Kleinstädte unterscheiden sich deutlich von den größeren und meist später ummauerten schlesischen Städten. Dennoch ist die Schwankungsbreite nicht wirklich groß, auch wenn man bedenkt, dass die mit Abstand höchste Mauer (Rheinfelden) ausgerechnet im Gebiet der schwachen Mauern steht.
Auch eine viel umfangreichere Sammlung von Maßen würde daher wohl bei der Erkenntnis enden, dass die weitaus meisten (Haupt-)Mauern zwischen 0,80 m und 1,60 m dick und einschließlich Zinnen 7–9 m hoch waren. Werte unterhalb dieses Mittelfeldes kommen angesichts der hohen Anzahl wenig finanzkräftiger Kleinstädte durchaus vor – etwa in Dürnstein (Wachau): Dicke um 0,50 m am schwer zugänglichen Felshang –, ebenso gelegentlich dickere und höhere Mauern oder zumindest Mauerabschnitte, aber das bleiben Ausnahmen, die das Gesamtbild nicht ändern.
Interessanter als eine solche statistische Abschätzung ist aber die Frage, ob in den Maßen der Mauern eine Entwicklung erkennbar wird, etwa von relativ niedrigen und schwachen Mauern zu höheren und stärkeren. Ausgangspunkt für diese Frage kann nicht nur die Tatsache sein, dass der äußerst aufwendige Mauerbau stets eine Versuchung zur Sparsamkeit auch in den Maßen schuf, sondern auch eine konkrete Quelle – ein ausgesprochener Ausnahmefall. In einem viel zitierten (und oft verallgemeinerten) Privileg König Konrads IV. von 1238 für Murten in der Westschweiz wurde nämlich festgelegt, dass eine dort zu errichtende Mauer unten etwa 1,80 m dick sein solle und oben etwa 1,20 m, bei einer Höhe von etwa 3,60 m (Maße aus Fuß umgerechnet). Dabei erscheint die Dicke relativ beachtlich, die Höhe eher gering, selbst dann, wenn man unterstellt, dass zu den 3,60 m noch die Brustwehr gerechnet werden muss.
Die Vermutung, dass Stadtmauern anfangs, in romanischer Zeit, noch relativ niedrig waren, lässt sich auch sonst belegen. Die besonders frühe Mauer von Speyer (um 1061–1100) war 1 m dick; ihre Zinnen lagen wohl kaum mehr als 4 m hoch, aber wir kennen das damalige Bodenniveau nicht zuverlässig. In Basel (um 1080–1100) lagen die Zinnen definitiv nicht höher und es gab keinen Wehrgangabsatz (bei dieser Höhe ist ein auf dem Boden stehender Wehrgang denkbar; vgl. 2.2.3.5.). Auch bei der wohl um 1150–65 entstandenen Mauer von Fulda lagen die Zinnen nur 4,50 m über dem (heutigen) Boden (Abb. 437). In Eisenach, dessen Mauer vielleicht vor 1172 begonnen wurde, aber überwiegend wohl eher ins frühe 13. Jahrhundert gehört, liegt der Wehrgang ebenfalls stellenweise nur 1,70 m über dem heutigen Gelände; in Lübeck (ab 1181) war die Mauer 0,75 m dick, in Neuss (ab 1180) 0,60 m. Auch in Köln lässt sich schließlich eine niedrigere Mauer wohl der Zeit um 1180–1200 belegen, indem deren Zinnen in den höheren Neubau um 1210–50 integriert sind. Weiterhin sind in den rheinischen Bischofsstädten Worms und Mainz niedrige Mauern erkennbar bzw. belegbar geblieben – in Worms mit Backsteinzinnen –, die wohl in die Zeit um 1200 gehörten und im ersteren Falle recht bald, in Mainz erst im 14./15. Jahrhundert erhöht wurden (Abb. 37). Ähnliche Befunde kann man in Kaufbeuren sehen, wo die Mauer aus der Zeit vor 1240(?) wohl noch vor 1300 erhöht wurde; in Straßburg könnte die Mauer der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nach einem mit Zinnen erhaltenen Stück im Süden ähnlich niedrig gewesen sein. Eberbach am Neckar schließlich, dessen Mauer ins zweite Viertel des 13. Jahrhunderts gehört, zeigt einen Wehrgang dicht über dem erhaltenen Mauertor.
Um 1200 und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gibt es jedoch auch schon Beispiele für stärker dimensionierte Mauern; sie belegen wieder einmal, dass allzu geradlinige Entwicklungsvorstellungen problematisch sind, weil man von Anfang an mit wirtschaftlich oder anders begründeten Einflussfaktoren bzw. Ausnahmefällen rechnen muss. Die Mauer von Halberstadt war 1,90 m dick, jene der verschwundenen Bergwerkstadt Prinzbach besaß 2,50 m dicke Fundamente; auch die Mauer von Zug, aus dem frühen 13. Jahrhundert, war 1,90 m dick und wurde relativ bald auf 10 m erhöht. In Hainburg und Marchegg, in Niederösterreich, findet man im frühen und mittleren 13. Jahrhundert um die 2,20 m dicke Mauern. Einen gewissen Rekordwert bietet Fritzlar, das 1232 eingenommen worden war, und daraufhin eine Mauer von nicht weniger als 2,75–3,25 m Dicke baute! Auch Freiberg, wie Prinzbach eine reiche, nur weit größere Bergwerkstadt, besaß eine ab 1233 erwähnte, 2,50 m dicke und 9 m hohe Mauer. Weit im Osten sei Jauer in Schlesien erwähnt, mit 2,10 m Dicke. Als Gegenbeispiel einer frühen Mauer, die offenbar alles andere als stark war, sei hier Mühlhausen in Thüringen angeführt, dessen romanische Mauer nach dem Baubefund langsam einstürzte und schon im 14. Jahrhundert neu aufgemauert und erhöht werden musste; ein vergleichbares Problem ist aus Konstanz bekannt.
Abb. 35 Die variable Dicke und Höhe der Hauptmauern wurde erst in wenigen Landschaften vergleichend dokumentiert, wie hier für den Aargau (Schweiz) (vgl. Abb. 36; Stadt- und Landmauern, Bd. 2).
Abb. 36 Vergleich der Querschnitte niederschlesischer Stadtmauern: 1. Kanth; 2. Ohlau; 3. Strehlen; 4. Neumarkt; 5. Breslau, äußere Mauer; 6. Breslau, innere Mauer (Mury obronne miast dolnego Śląska).
Abb. 37 Gelegentlich lassen vermauerte Zinnenreihen die mehrfache Erhöhung der Mauer erkennen. Links die Ostmauer von Worms, rechts steinrechte Zeichnung eines entsprechenden Befundes aus Oberwesel (beide Rheinland-Pfalz; rechts: Kunstdenkmäler von Rheinland-Pfalz, Stadt Oberwesel, Bd. II; vgl. Abb. 4).
Entsprechend der anfangs begrenzten Höhe vieler Mauern waren nachträgliche Erhöhungen häufig. Sie sind dort deutlich zu erkennen, wo die ersten Zinnen in der Erhöhung erhalten blieben oder wenn sich die Erhöhung zumindest in der Mauertechnik oder im Material unterscheidet. In vielen Fällen allerdings, bei denen nichts davon der Fall war oder spätere Veränderungen oder Verdeckungen aufwendige Forschungsmethoden erfordern würden, müssen wir davon ausgehen, dass die Erhöhung bisher nicht erkennbar ist. So gibt es etwa im Neckarland Mauern des späten 13. Jahrhunderts, die teils erstaunlich hoch sind (Bönnigheim 9 m, Waiblingen bis 12 m), ohne dass eine Erhöhung ablesbar wäre. Beispiele sichtbarer Erhöhungen in der Zeit vor 1250 waren in den rheinischen Bischofsstädten schon genannt worden, Oberwesel wäre dort zu ergänzen (Abb. 37). Für das Spätmittelalter darf man als besonders anschauliches Beispiel einer Kleinstadtmauer Stadtilm in Thüringen nennen, wo die Mauer der Zeit um 1300 nur 3 m hoch war und im 15. Jahrhundert auf fast 8 m erhöht wurde. In der Schweiz sind mehrere Beispiele genauer untersucht worden. Die bis zum späten 15. Jahrhundert dreimal erhöhte Mauer von Murten ist hier ein besonders eindrucksvolles Beispiel (Abb. 209). Im kleinen Lenzburg, wo die 1376 begonnene Mauer zunächst nur 5,1 m hoch war, wurde sie nur wenig später auf 8 m erhöht. Das große Schaffhausen erreichte dagegen nach einer Erhöhung um 1400 nicht weniger als 11,5 m. In Chur schließlich fand die letzte Erhöhung noch 1542 statt, als man anderswo im Zeichen der Artillerie schon zu betont niedrigen Bauten und Erdwällen überging.
Als prinzipiellen Grund der Entwicklung zu höheren Mauern wird man kaum eine rasante Entwicklung der Belagerungstechnik anzunehmen haben, sondern eher eine wachsende wirtschaftliche Fähigkeit der Städte, sich auf die Bedrohung einzustellen. Eine erhebliche Mauerhöhe war in einem Zeitalter, in dem man die Mauern zu ersteigen versuchte und jeder Meter Höhe auch mehr Überblick über das Vorfeld bedeutete, von Anfang an wünschenswert; die frühen Mauern von größerer Höhe, die angesprochen wurden, belegen dies hinreichend. Wenn man trotzdem oft Mauern errichtete, an deren Zinnen man mit keineswegs extrem langen Leitern gut herankam, sobald man sie über den Graben gebracht hatte, dann bedeutet dies sicherlich vor allem, dass ein höherer Bauaufwand nicht möglich war. So betrachtet, war der Schritt von der frühen Holzbefestigung zur ersten Mauer gar nicht so groß, wie er uns heute erscheint, weil die Erstere stets verschwunden, die Letztere oft erhalten ist. Es handelte sich vielmehr in beiden Fällen noch um Sparformen, die erst durch weiteren Ausbau jenen Zustand erreichten, der uns heute als vollständige Stadtmauer erscheint.