Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 35
2.2.3.2. Wälle mit Mauerfront
ОглавлениеZwischen dem „reinen“ Erdwall, der höchstens auf seiner Krone eine Palisade trägt, und der ebenso „reinen“ Mauer, die beidseitig frei steht, gibt es eine Zwischenform, die man an vielen Beispielen von der Antike bis ins frühe Mittelalter belegen kann: den Wall, der feldseitig eine Mauerverkleidung besitzt. Die Vorteile einer solchen Anlage gegenüber den beiden anderen Formen liegen auf der Hand; der reine Wall ist leicht zu ersteigen, die frei stehende Mauer kann ausschließlich als – technologisch anspruchsvolle, daher teure – Mörtelmauer ausgeführt werden, will man sie nicht als Trockenmauer so breit machen, dass sie praktisch schon wieder ein Wall wäre.
Solche Wälle mit Mauerfront wurden in der Antike auch zur Umwehrung von Städten angelegt, wie als herausragendes und frühes Beispiel die republikanische, sogenannte „Servianische Mauer“ von Rom (390 v. Chr.) belegt, deren agger (Wall) feldseitig eine aufwendige Quaderverblendung besaß. Dass eine solche Anlage von außen durchaus so solide wirken konnte wie eine frei stehende Mauer, kann heute die wilhelminisch rekonstruierte Umwallung der „Saalburg“ im Taunus veranschaulichen, die hier nur als Einzelbeispiel eines römischen Kastells im späteren Deutschland angeführt sei. Auch bei den vielfältigen frühmittelalterlichen, nichtstädtischen Befestigungen in Deutschland, die hier nicht im Einzelnen auszubreiten sind, war die Form sehr häufig, wobei nicht nur Stein zur Verblendung der Front verwendet wurde, sondern zum Beispiel auch Holz – dann wurde die Steilheit der Front durch Verankerungen im Erdkörper gesichert – oder sogar Grassoden.
Dass auch mittelalterliche Städte gelegentlich solche Wälle mit Mauerfront besaßen, blieb lange unbeachtet, obwohl es Hinweise gab; erst jüngere Grabungsergebnisse haben das Thema besser ins Licht gerückt. In den benachbarten, früh entwickelten Städten Basel und Freiburg im Breisgau wurden in den letzten Jahren Umwallungen des späten 11. bzw. der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts festgestellt, die nicht nur eine gemauerte Vorder-, sondern auch eine ebensolche Rückfront besaßen. Der bis 5 m erhöhte und bis 6 m breite Weg auf diesem Wall – die Maße stammen aus Freiburg – (Abb. 38) wurde zuerst in Basel mit dem schweizerischen Begriff des „Rondengangs“ belegt, der die Inhalte der Begriffe „Wehrgang“ und „Mauergasse“ vereint, da die Wächter ihre Rundgänge sowohl auf als auch hinter der Mauer machen konnten. In der Tat vereinte eine breite Wallkrone hinter der Brustwehr gewissermaßen die Funktionen von Wehrgang und Mauergasse, indem sie nicht nur Standort der Verteidiger sein konnte, sondern – im Gegensatz zum schmalen Wehrgang der frei stehenden Mauer – auch Platz für die Bewegung einer größeren Anzahl von Menschen oder auch für Transportzwecke bot. Erst der Übergang zur frei stehenden Mauer mit schmalem Wehrgang (vgl. 2.2.3.4.) machte die ebenerdige Gasse nötig, um die letzteren Aufgaben zu übernehmen (vgl. 2.2.3.6.). Die hintere Stützmauer, die in Basel und Freiburg erst an kleinen Abschnitten der Mauer festgestellt wurde, kann am ehesten mit bereits vorhandenen und bebauten Grundstücken hinter dem Wall erklärt werden; eine raumfressende Wallböschung hätte sie noch stärker beschnitten, die teurere Mauer ließ mehr von ihnen bestehen.
Im oberrheinisch-alemannischen Raum gab es noch mehr Wälle mit Mauerfront, die wohl bis ins 14. Jahrhundert hinein entstanden. Die Mauer von Villingen, nach Dendrodatum 1209/10 im Bau, besaß noch die Wallschüttung dahinter, aber auch schon einen hölzernen Wehrgang. In Offenburg, wo die Befestigung 1241 zumindest geplant war, weisen Indizien auf den Wall, auch in Zürich kann man ihn vermuten. Wesentlich jünger und als benachbarte Kleinstädte vermutlich direkt vom Vorbild Freiburg abhängig waren Münster im Breisgau (nach Mitte des 13. Jahrhunderts) und Waldkirch (1341 als Stadt belegt).
Weiter nördlich besaßen frühe Städte im niederrheinisch-westfälischen Raum gelegentlich mauerverkleidete Wälle, bei denen aber noch keine systematischen Grabungen vorliegen. Das gilt etwa für Paderborn, wo der vermutlich zwischen 1127 und 1146 entstandene Wall mindestens 3 m hoch war; Dortmund und Geseke waren wohl Nachfolger in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die auf Initiative Friedrichs I. ab 1171 in Aachen entstehende Umwehrung war offenbar ein mauerverkleideter Wall und dasselbe darf man für die kaum später begonnene äußere Umwallung von Köln vermuten, denn dort sind in der nach 1200 begonnenen Mauer Teile einer niedrigeren gezinnten Mauer erkennbar geblieben, die die Wallfront gebildet haben dürfte (Abb. 39).
Insgesamt wird man den Wall mit Mauerfront beim gegenwärtigen Forschungsstand als eine frühe, schwerpunktmäßig ins 11./12. Jahrhundert gehörende Übergangsform betrachten, die noch frühmittelalterlichen, nichtstädtischen Vorbildern folgte, letztlich an den westdeutschrheinischen Raum gebunden blieb und sich bald verlor. Sie wird schon wegen der Seltenheit früher Städte eine Ausnahme gewesen sein, aber weitere Ausgrabungen könnten die bekannten Fälle dennoch deutlich vermehren, weil die Wälle später in der Regel eingeebnet und überbaut worden sein dürften.