Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 33
2.2.3. Die Hauptmauer
ОглавлениеDie Mauer selbst – wenn man sie definieren will: der aus Stein aufgemauerte, die gesamte Stadt umziehende Baukörper von mehreren Metern Höhe und relativ geringer Dicke, der durch Türme, Tore, Gräben usw. ergänzt und verstärkt wurde – war der von der Funktion her grundlegende, zugleich aber in der Gestaltung schlichteste Teil der Stadtbefestigung. Sie wird hier als „Hauptmauer“ bezeichnet, um sie von den davor verlaufenden Zwingermauern (vgl. 2.2.7. und 2.2.8.) zu unterscheiden. Variieren konnten bei der Hauptmauer, wenn man das Baumaterial einmal beiseitelässt (vgl. 2.2.2.), insbesondere die Abmessungen und die der aktiven Verteidigung dienenden Einrichtungen, das heißt der Wehrgang und die Schießscharten.
Abb. 34 Rautenmuster aus Backsteinen mit schwarzen Köpfen kamen im Ordensland auch an Stadtbefestigungen vor. Links ein Eckturm der Stadtbefestigung von Braunsberg („Pfaffenturm“), rechts ein Eckturm („Efeuturm“) im gleichfalls vom Orden befestigten Lauenburg (Pommern), beide wohl zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts (Foto Chr. Herrmann; Die Baudenkmäler der Provinz Pommern, 3, 2, 2: Bütow u. Lauenburg, 1911).
Die Schlichtheit der Hauptmauer – die noch deutlicher wird, wenn man sich verdeutlicht, dass viele Mauern kaum Türme besaßen (vgl. 2.2.4.3.) – ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es heute angesichts der zahllos erhaltenen Stadtbefestigungen erscheint. Bei frühgeschichtlichen und antiken Mauern gab es durchaus komplexere Formen wie die sogenannten Kasemattenmauern, bei denen aus der Mauer selbst und aus hinten an sie angebauten lückenlosen Reihen von Räumen eine Einheit gebildet wurde, indem deren Dächer zugleich den Wehrgang bildeten. Solche Kasemattenmauern gab es bei frühmittelalterlichen Befestigungen noch gelegentlich, etwa bei der karolingischen Büraburg nahe Fritzlar, aber bei den Stadtmauern des Hoch- und Spätmittelalters sind sie unbekannt. In ihre Tradition könnte man lediglich jene Fälle stellen, in denen Bürgerhäuser von Anfang an direkt an die Mauer angebaut wurden, sodass ihre Rückwand und die Mauer identisch waren. Diese Fälle, die wegen der zahlreichen typischen Veränderungen städtischer Bebauung nur durch Archäologie bzw. Bauforschung sicher nachgewiesen werden können, mehren sich in den letzten Jahren im süddeutschen Raum, vor allem in der Schweiz (vgl. Bd. II, Topographischer Teil, 4.). Sie sind dennoch etwas grundsätzlich anderes, weil die Häuser in der Regel mehrgeschossig waren und komplexere Innenräume besaßen, sodass der Wehrgang bestenfalls durch sie hindurchgeführt wurde. Eine Ähnlichkeit zur älteren Form der Kasemattenmauer besteht hier nur im Prinzip, indem kollektive Verteidigung mit individueller Nutzung der Räume/Häuser (Wohnen, Arbeiten, Lager) baulich gekoppelt wurde. Ob sich vielleicht das eine aus dem anderen entwickelt hat, ob also frühmittelalterliche Kasemattenmauern den Städten als Anregung gedient haben könnten, kann jedenfalls bisher nicht gesagt werden.