Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 29
2.2.2.2. Quader und hammerrechte Quader
ОглавлениеAngesichts des enormen Bauvolumens von Stadtmauern und des daraus abzuleitenden Zwanges zu billigen Materialien und Techniken sollten Stadtmauern, bei denen die gesamten Mauerschalen aus aufwendig herzustellenden Quadern bestehen, im Grunde auszuschließen sein. Dennoch gibt es solche Mauern als relativ seltene Ausnahmen, wobei offenbar zwei Faktoren, meist in Kombination, entscheidend waren.
Einerseits hat Quadermauerwerk die Anmutung des Soliden, ein Effekt, der aus der Antike herzuleiten ist und im Mittelalter durch Kirchen, Burgen und andere funktional herausragende Bauten weitergeführt wurde. In der späten Romanik gab es daher zumindest vereinzelt Mauern, deren Außenschalen vollständig aus hammerrechtem Quaderwerk bestanden, und ab dem 14. Jahrhundert, vor allem aber im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, wurde echtes Großquaderwerk oft für herausgehobene Einzelbauten, also Tore oder Türme, verwendet.
Andererseits wird Quaderwerk durch die Merkmale bestimmter Gesteine erleichtert. Insbesondere die verschiedenen Arten von Sandstein (und Molasse) und Kalkstein (einschließlich Tuff) erlauben die Herstellung von Quadern mit begrenztem Aufwand, vor allem dann, wenn nur „hammerrechte“ Quader – Quader ohne abschließende Feinbearbeitung der Kanten und Spiegel – hergestellt werden. Hilfreich ist auch eine ausgeprägte Schichtung des Gesteins, die die Herstellung von Quadern gleicher Höhe quasi vorgibt.
Noch in spätromanischer Zeit, also in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, gibt es vor allem am Oberrhein eine ganze Reihe von Mauern aus sorgfältig geschichtetem hammerrechten Quaderwerk (Abb. 26). Im Elsass sind – neben einzelnen Backsteinmauern – Colmar, Rufach, Neuweiler, Sulz und Weißenburg zu nennen, im Pfälzischen und Badischen Worms, Neuleiningen, Annweiler, Bergzabern, Landau sowie Heidelberg und Eberbach. Etwas vereinzelt liegt Kaufbeuren (1240 „burc“), dessen später erhöhte Mauer ähnliches Mauerwerk zeigt (Abb. 352). Eine weitere Gruppe, hier durch das Vorkommen von Kalkstein bzw. Muschelkalk definiert, findet man um Mühlhausen in Thüringen; auch die für die Gegend frühen Mauern der Bischofsstädte Halberstadt und Merseburg weisen Quaderwerk auf, darunter, besonders an den Türmen, nicht nur hammerrechte, sondern auch voll bearbeitete echte Quader.
In der Zeit zwischen etwa 1250 und 1400 tritt das hammerrechte Werk zurück, ohne dass in jedem Falle eine exakte Datierung möglich wäre, und es gibt einzelne Fälle von Mauern aus echtem Quaderwerk. Dabei fällt auf, dass in den Regionen des Sandsteins, der Molasse und des Kalksteins echte Quader kaum auftreten, sondern neben dem immer klar dominierenden Bruchsteinwerk weit überwiegend Buckelquader (vgl. 2.2.2.3.). Als Gruppe treten hier einige wenige Mauern aus großen Tuffquadern hervor. Tuff ist ein Gestein, das sich in frischem Zustand sägen lässt und daher ökonomischer herstellbar ist als Glattquader aus anderem Material. Man findet solche Mauern in der Nordwestschweiz (Aarberg, Wangen/Aare) und in Bayern (Mühldorf, „Münchener Tor“ (Abb. 358); Tittmoning; Burghausen, erste Mauer; Weilheim). Diese Städte liegen an Flüssen, die aus den Alpen kommen, sodass auch der leichtere Transport die Quaderverwendung erklärt. Als Sonderfall der Quaderverwendung sei der 1357 als „neu“ bezeichnete „Beginenturm“ in Hannover erwähnt, der aus den Quadern einer romanischen Kirche errichtet wurde (Abb. 433).
Im 15./16. Jahrhundert treten echte Großquader an Einzelbauten praktisch überall auf, wo brauchbares Gestein anstand. Dabei handelt es sich, entsprechend der allgemeinen Entwicklung der Stadtbefestigungen, stets nur um Einzelbauten und Verstärkungen, also um Tore, Türme sowie artillerietaugliche Bauten wie Rondelle und Streichwehren (Abb. 27). Dass man die weit höheren Kosten des Großquaderwerks nun wieder auf sich nahm – zu denen auch die bei diesen Gewichten unvermeidlichen Hebezeuge (Kräne, Zangen) beitrugen –, war nicht nur in dem begrenzten Umfang solcher Bauten begründet, sondern sicherlich auch in der wachsenden Bedeutung der Feuerwaffen. Zweifellos hielt Großquaderwerk den Geschützen kurzfristig besser stand als kleinteiliges Bruchsteinwerk; dass dies bei lang andauerndem Beschuss bedeutungslos wird, erkannte man erst langsam. Die nächste Stufe, den Verzicht auf Mauerwerk zugunsten „unzerstörbarer“ Erdschüttungen, erreicht man erst im Übergang zur Neuzeit (vgl. 2.2.11.7.).
Abb. 26 Egisheim (Elsass), die innere Stadtmauer als Beispiel eines spätromanischen Mauerwerks aus hammerrechten, in sauberen Schichten verlegten Quadern.