Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 27
2.2.2. Stein als Baumaterial
ОглавлениеDass das anstehende Gestein die Architektur einer Region in hohem Maße prägte, ist eine grundlegende Erkenntnis der Kunstgeschichte. Der hervorragende Kalkstein etwa der Ile de France leistete der hohen Qualität der sich entwickelnden gotischen Architektur Vorschub, Werkstein aus Caen wurde schon in der Romanik in weite Teile Englands exportiert; die gestalterischen Möglichkeiten guten Buntsandsteins sind allgemein bekannt, etwa am Oberrhein oder unteren Main. Auch umgekehrt ist man sich bewusst, dass das Fehlen eines anstehenden guten Natursteins Folgen hatte. Der Backstein als Ersatz brachte in Norddeutschland und anderen glazial geprägten Regionen eine verspätete, aber formal eigenständige Blüte der Architektur hervor; nicht ganz so bekannt, aber in seinen Folgen vergleichbar ist der Transport von Werkstein auf geeigneten Flüssen, etwa von Drachenfels-Trachyt oder Mayener Basalt bis zum Niederrhein.
Für die Stadtmauern besaß das Baumaterial einen fast noch höheren Stellenwert, denn hier ging es wenig um ornamentale Gestaltung, sondern um pure Masse. Kein anderer mittelalterlicher Bautypus, mit Ausnahme vielleicht einer großen gotischen Kathedrale, umfasste ein vergleichbares Bauvolumen und war folglich in so hohem Maße durch die Beschaffung des Baumaterials wie die Stadtmauern geprägt.
Der Wirkungsmechanismus der geologischen Verhältnisse wird im norddeutschen, eiszeitlich geprägten Flachland besonders deutlich. Es beginnt damit, dass die überwiegend sandigen und kiesigen Böden einen deutlich geringeren landwirtschaftlichen Ertrag brachten, was den Zeitpunkt der Besiedlung verzögerte und ihre Dichte begrenzte. Daher entstanden a priori weniger Städte als anderswo und auch ihre Entwicklungsgeschwindigkeit und Wirtschaftskraft blieben meist auf niedrigerem Niveau. Hatte eine solche Stadt dann aber verspätet den Punkt erreicht, an dem der Mauerbau wirtschaftlich tragbar schien, so zeigten sich weitere Probleme. Stein ist in solchen Gegenden ein seltenes Material (Feldstein), er war schlecht zu bearbeiten (Granit und andere sehr harte Gesteine) oder musste mit einer besonderen, erst zu erlernenden Technologie künstlich hergestellt werden (Backstein), was teuer und deshalb oft recht zeitraubend war. Entstanden dann aber doch Mauern – überwiegend im 14./15. Jahrhundert, also ein halbes bis ganzes Jahrhundert später als anderswo –, dann war auch ihre „Überlebenschance“ geringer als anderswo. Denn die Seltenheit des Steinmaterials blieb ja auch später bestehen. Sobald die Mauern daher ihre Funktion teilweise oder ganz einbüßten, wurden sie, deutlich konsequenter als in den Natursteingebieten, als „Steinbruch“ ausgebeutet; sie verschwanden daher schneller und vollständiger als in Natursteingebieten.
Abb. 23 Zu Quadern bearbeiteter Feldstein – in der Regel skandinavischer Granit oder ein anderes Urgestein – kommt praktisch nur im eiszeitlich geprägten Norddeutschland vor; Prenzlau (Brandenburg), Seitenwand des Blindower Tores, Unterbau nach 1287.
In den Natursteingebieten, also in den Mittel- und Hochgebirgen, ist das Gegenteil solcher Verhältnisse weniger deutlich zu erkennen, weil die Abläufe selbstverständlicher erscheinen; die vergleichsweise gute Verfügbarkeit des Natursteins führte zu mehr und früher errichteten Mauern, die sich auch besser erhalten haben, weil die Steinbrüche den Nachschub an frischem Material jederzeit sicherten. Im Hochgebirge, das heißt in den Alpen, prägte die Geologie die Verhältnisse allerdings noch anders. Das extreme Verhältnis zwischen einer sehr begrenzten Siedlungs- und Landwirtschaftsfläche einerseits und großen siedlungsfeindlichen Regionen andererseits begrenzte die Anzahl und Größe der Städte entscheidend; nur an den wichtigsten Handelsstraßen gab es eine hinreichende wirtschaftliche Grundlage. Damit gab es dort auch nur wenige und in der Regel eher bescheidene Stadtmauern.