Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 36
2.2.3.3. Fundamentierung
ОглавлениеDie sorgfältige Planung der Fundamente bzw. der Gründung ist beim heutigen Bauen selbstverständlich. Die Eigenschaften des Untergrundes, die erwartbare Setzung, die frostfreie Gründungstiefe, die Beschaffenheit des Fundamentes selbst, sein Schutz gegen Feuchtigkeit – das alles und mehr hat man heute gut im Griff, so dass Bauschäden aufgrund problematischer Fundamente bei Neubauten kaum noch vorkommen.
Grundsätzlich würde man annehmen, dass Befestigungen gerade in jenem Zeitalter, als das Unterminieren die häufigste Zerstörungsmethode war, eher noch solidere Fundamente besaßen, zumindest, wenn sie nicht auf Fels gebaut oder durch hohes Grundwasser geschützt waren. Rein funktionales Denken müsste folglich zu der Annahme führen, dass die Mauern in weiterhin erheblicher Dicke tief ins Erdreich (oder in den Graben) „hinabreichten“, um die Zerstörung durch Unterminierung zu erschweren.
Was wir über die Fundamente der Stadtmauern wissen, ist natürlich eng begrenzt, weil sie nur in wenigen Fällen zugänglich geworden sind, durch Ausgrabungen, manchmal auch durch Erdrutschung oder durch Entfernung von Erde zu anderweitiger Verwendung. Die seltenen Fälle zeigen jedoch mit einiger Deutlichkeit, dass von einer soliden Fundamentierung im heutigen Verständnis kaum die Rede sein konnte. In den meisten Fällen trifft vielmehr das zu, was Walter Haas etwas überrascht, aber sehr anschaulich zur Mauer der „Lorenzer Stadt“ von Nürnberg festgestellt hat, die (spätestens um 1300) auf Sand erbaut wurde: „Jeder leidlich motivierte Dackel hätte sie untergraben können.“ Auch in Duisburg, unter der mindestens ins mittlere 12. Jahrhundert zurückgehenden Mauer, wurde eine sehr flache Fundamentierung festgestellt und in Neuss fanden die Archäologen, dass die (frühestens ab 1180 erbaute) Stadtmauer oder auch nur ihre Fundamentgrube nicht mehr nachweisbar war, obwohl alte Darstellungen ihren Verlauf eindeutig zeigten und in der Neuzeit nur wenige Dezimeter Erdoberfläche abgetragen worden waren. In Konstanz, und ähnlich schon um 1000 an der Hildesheimer Domburg, muss eine erste Mauer so schnell gekippt sein, dass man sie aufgeben musste und umgehend eine neue direkt dahinter bzw. darauf errichtete; dass die nach 1288 erbaute Ziegelmauer von Düsseldorf bald vom Rhein unterspült wurde und umstürzte, ist ebenfalls durch das Fehlen jeglicher Fundamentierung erklärlich. Schließlich wurden bei den fränkischen Stadtmauern von Hof und Rodach aus dem 13./14. Jahrhundert archäologisch Fundamenttiefen von nur 15 bzw. 50 cm festgestellt.
Abb. 38 Freiburg im Breisgau, die Rekonstruktionsskizze der Stadtbefestigung im Zustand um 1150 zeigt die Aufschüttung hinter der Mauer, deren sekundäre Abstützung durch eine schräge „Schürze“ (vgl. Abb. 40) und eine gemauerte Contrescarpe (Porsche, Die mittelalterliche Stadtbefestigung von Freiburg/Br., 1994).
Aussagen über „die“ Fundamentierung der mittelalterlichen Stadtmauer sind bei der geringen Anzahl solcher Ergebnisse natürlich noch nicht möglich. Was wir schon wissen, mahnt aber ein weiteres Mal zu größter Vorsicht gegenüber den vor allem in älteren Werken verbreiteten Rückschlüssen, mittelalterliche Befestigungsbauten müssten so oder so ausgesehen haben, weil „militärische“ Notwendigkeiten das erfordert hätten. Ein kräftiges, auch nur 2 m abgetieftes Fundament hätte allein den Aufwand an Material und Maurerarbeit um ein Drittel oder noch mehr erhöht, wobei Erdarbeiten noch gar nicht angesetzt sind. Angesichts dessen, was wir oben schon zum enormen Umfang der Bauaufgabe bzw. zur Problematik der Materialbeschaffung festgestellt hatten, finden wir hier wohl ein weiteres Indiz dafür, welch zentrale Bedeutung diese Faktoren in der Realität besaßen. Auch die Feststellung bei verschiedenen Grabungen in Brandenburg, dass die Feldsteinfundamente nur selten mit Lehm oder Mörtel gebunden waren, deutet durchaus in dieselbe Richtung.
Eine Sonderform der Fundamentierung, die auf den ersten Blick schwer zu verstehen ist, bestätigt diese Erwägungen ebenfalls, allerdings erst auf den zweiten Blick: die Fundamentbögen. Unter „Fundamentbögen“ werden hier Bögen zwischen Pfeilern verstanden, die die Mauer tragen, wobei sie sich aber vollständig unter der Erde befinden. Gelegentlich kann man die Bögen aus der Erde ragen sehen (Abb. 39), selten sind sie bei Grabungen freigelegt worden. Vor allem in Köln und im nördlichen Rheinland war diese Art der Gründung offenbar normal – Blankenberg/Sieg zeigt den Befund (Abb. 426) besonders deutlich an der Hauptmauer (Mitte des 13. Jahrhunderts) und am Zwinger (14. Jahrhundert?) –, aber manche Einzelfälle deuten an, dass sie auch darüber hinaus oft vorkam. Beispielsweise zeigt Frankenhausen (Thüringen; Mitte des 13. Jahrhunderts) den Befund, ebenso weite Strecken der gut erhaltenen äußeren Mauer von Rothenburg ob der Tauber (Ende des 14. Jahrhunderts; Abb. 39).
Was aber war der Zweck dieser Art Gründung? Auf den ersten Blick sind auch die Fundamentbögen fortifikatorischer Unsinn, bieten sie doch den Mineuren quasi „unterirdische Tore“ zwischen den Pfeilern. Eine technisch naheliegende Erklärung läge darin, dass die „Punktfundamente“ (Pfeiler) bis auf tragfähigen Boden heruntergeführt sind, weil die oberen Schichten unzuverlässig schienen; jedoch spricht wenig dafür, dass solche Verhältnisse besonders häufig waren; bei eindeutig sumpfigem Grund baute man eher Pfahlroste. Näher liegt die Deutung, dass es sich doch um eine Sicherung gegen Unterminierung handelt. Geht man nämlich von der Verbreitung extrem flach gegründeter Mauern aus, so boten die Fundamentbögen einen Vorteil: Eine solche Mauer konnte punktuell untergraben werden, ohne sofort einzustürzen; nur die gezielte Zerstörung auch eines Pfeilers konnte hier zum Erfolg führen. Um den Pfeiler zu treffen, musste man die Bögen jedoch von außen sehen, was in der Regel nicht der Fall war. Denn die Bögen lagen meist knapp unter Bodenniveau oder aber wurden an der Außenseite durch eine niedrige Anschüttung nachträglich kaschiert. Für diese Anschüttung kann man etwa schon die Mauer von Soest (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts?) oder auch Helmstedt (um 1230–44) zitieren; jene von Duderstadt (Mitte 13. Jahrhundert bis spätes 14. Jahrhundert?) ist deswegen interessant, weil Ausgrabungen dort an mehreren Stellen zeigen konnten, wie die Gründung pragmatisch auf den Untergrund reagierte – neben außen angeschütteten Fundamentbögen fand man im sumpfigen Bereich auch Pfahlgründungen und weitere Arten der Fundamentierung. Die Maskierung der Bögen durch Anschüttung ist natürlich oft schwer zu erkennen, weil es sich im Prinzip ja auch um Reste eines älteren Walles handeln kann (vgl. 2.2.1.2.); ein Indiz ist aber, wenn dem „halben Wall“ kein zweiter an der Stadtseite entspricht.
Abb. 39 Rothenburg ob der Tauber (Mittelfranken), Fundamentbogen der äußeren Mauer, der heute (wegen der Abtragung eines vorangegangenen Walles?) aus dem Boden ragt (oben). In Köln wurde ein Punktfundament solcher Bögen beim Abbruch der Mauer dokumentiert (Wiethase, Kölner Thorburgen …, 1884).
Abb. 40 Freiburg im Breisgau, die Mauer des mittleren 12. Jahrhunderts wurde an einen Geländeabfall durch eine schräge „Schürze“ sekundär abgestützt (vgl. Abb. 38; Porsche, Die mittelalterliche Stadtbefestigung von Freiburg/Br., 1994).
Was die Herstellung der Fundamentbögen betrifft, wird man davon ausgehen dürfen, dass sie in der Regel anders als normale Bögen erstellt wurden. Man wird sicherlich keine Bretterschalung benutzt haben, für die man erst ein großes Loch hätte ausheben und nach Aufmauerung wieder verfüllen müssen. Vielmehr ist anzunehmen, dass hier der anstehende Boden selbst als Schalung diente, dass man also die Pfeiler ohne Verwendung von Brettern in rechteckige Löcher mauerte und dann das Erdreich dazwischen „abrundete“, um die (Stich-)Bögen direkt darauf mauern zu können.
Pfahlgründungen bzw. Balkenroste unter der Mauer dürften bei feuchtem Boden durchaus häufig gewesen sein, sind aber nur durch Grabung festzustellen; Beispiele fanden sich bei vielen Grabungen in Brandenburg, aber auch etwa in Kiel und bei der Vorstadt „Stadelhofen“ von Konstanz, am Bodenseeufer. Ein weiteres, eher unauffälliges Phänomen, das sich erst auf den zweiten Blick als Aspekt einer bestimmten Fundamentierungsart zu erkennen gibt, ist der steile, grabenseitige Anzug des unteren Mauerteiles. Er ist nicht sehr häufig, sondern findet sich vor allem bei Mauern der Zeit vor 1250 im weiteren Oberrheingebiet (Freiburg im Breisgau, Offenburg, Gengenbach, Rottweil), aber etwa auch in Nürnberg im 14. Jahrhundert. Bei der Mauer von Freiburg im Breisgau aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist archäologisch festgestellt worden, dass dieser schräge Mauerteil („Schürze“), der aus der Grabentiefe aufsteigt und die senkrechte eigentliche Mauer stützt, nachträglich entstanden ist, aber offenbar mit geringer Verzögerung; wahrscheinlich sollte er nach einer Verbreiterung und Vertiefung des Grabens die durch Abrutschung und auch Untergrabung gefährdete Mauer sichern (Abb. 40). Die innere Grabenwand wurde durch ihn effektiv und optisch zum Sockel der Mauer selbst. Die etwas jüngeren Mauern gleicher Form ahmten dies zumindest formal nach; dass die „Schürze“ auch bei ihnen sekundär entstand, scheint aber eher unwahrscheinlich.
Zusammenfassend kann man also feststellen, dass Stadtmauern, von dem letzten Fall einmal abgesehen, sehr wenig gegen Unterminierung geschützt waren, obwohl dies, wenn man von zerstörungsfreien Methoden wie Übersteigen oder Überrumpeln absieht, die übliche Methode des Eindringens in die Befestigung war. Lediglich die Fundamentbögen kann man als eine gewisse Vorsorge gegen Untergrabung verstehen, deren Wirksamkeit aber auch eng begrenzt blieb. Sparsamkeit prägte die Fundamentierung also weit stärker als ein Denken in den Kategorien von Angriff und Verteidigung, für dessen Umsetzung augenscheinlich einfach die Mittel fehlten.