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2.2.3.6. Mauergasse

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Eine stadtseitig direkt an der Mauer entlangführende Straße, die Mauergasse (Abb. 47), gilt insbesondere in Norddeutschland als selbstverständlicher Bestandteil jeder Stadtbefestigung, während es weiter südlich, vor allem in der Schweiz, als ebenso normal gilt, dass Grundstücke und Bebauung direkt an die Mauer stoßen (Abb. 48). Beide Auffassungen erweisen sich bei einer übergreifenden Betrachtung der mittelalterlichen Städte als richtig bzw. regional begründet, bedürfen aber der Differenzierung und ohnehin der Erklärung.

Einerseits reicht die Region ohne Mauergassen weit über die Schweiz und den alemannischen Raum hinaus und umfasst im Prinzip das gesamte Süddeutschland. Andererseits gibt es auch in Süddeutschland Städte mit Mauergasse und in Norddeutschland solche ohne, nur dass es sich jeweils um den Ausnahmefall handelt. Die Abgrenzung der beiden Gebiete ist keine klare Linie, es gibt eher eine Durchdringungszone, die im Westen ziemlich genau mit der Nordgrenze des Schiefergebirges zusammenfällt, während sie im Osten bis nach Franken und in die Oberpfalz hinunterreicht; eine Übersicht folgt am Ende des Kapitels.

Kleine Städte zeigen auch im Norden eine leichte Tendenz zum Verzicht auf die Mauergasse; andererseits besaßen große Städte auch in Süddeutschland oft Mauergassen. Ist schon dies ein Hinweis darauf, dass Vorhandensein oder Fehlen der Mauergasse etwas mit dem internen Funktionieren der Städte zu hatte, so kann man die Tatsache, dass Mauergassen vor allem bei späten Städten und Mauern ab Ende des 13. Jahrhunderts und vor allem im 14./15. Jahrhundert üblich sind, in gleicher Richtung ausdeuten.

Zum Beleg solcher Interpretationsansätze muss man sich zunächst die Vor- und Nachteile des Konzepts „Mauergasse“ verdeutlichen. Eine durchlaufende Straße direkt an der Mauer bietet im Angriffsfalle vor allem die Möglichkeit, Truppen und Material schnell und in einiger Menge an eine angegriffene Stelle zu bringen; dies ist die Hauptfunktion der Mauergasse, die weit in die Antike zurückzuverfolgen ist und bei römischen Städten der Normalfall war (via sagularis, auch bei vielen Kastellen; im Mittelalter findet man unter den ganz seltenen Erwähnungen des Phänomens in Langensalza den Begriff retro murum). Allein für solche raumgreifenden Aktionen benötigte man wirkliche Straßen; ein einzelner Wächter hätte genauso gut und zudem mit Überblick über Graben und Vorland auf dem Wehrgang (falls vorhanden) patrouillieren können. Wenn die Mauergasse in der Schweiz „Rondengang“ heißt, so steckt dahinter eine komplexere Organisation der Wache – die an bestimmten Stellen der Mauer fest postierten Wachen wurden zusätzlich durch übergeordnete Amtsträger kontrolliert, die für ihre Runden („Ronden“), meist zu Pferde, die Mauergasse nutzten.

Aber die Mauergasse hatte noch einen weiteren Vorteil, indem sie die Mauer auch in Friedenszeiten zugänglich hielt. Denn es war keineswegs so, dass die normalen Bürger ihre Mauer aus Einsicht in deren Funktion konsequent instand hielten. Es gab vielmehr auch Individualinteressen, die sie schädigten und vor allem dann wirksam wurden, wenn private Grundstücke oder gar Häuser gegen die Mauer stießen. Ein privater Ausgang zu den Feldern, ein Aborterker zum Graben, ein zusätzliches Fenster oder auch nur die außen unsichtbare Aushöhlung der Mauer, um einen Raum zu vergrößern – all dies lag nahe und geschah oft und konnte einem Angreifer in die Hände spielen. Die Mauergasse verhinderte das, erlaubte die jederzeitige Kontrolle der Mauer auch von innen und erleichterte den Zugang bei Bauarbeiten entscheidend.

Aus diesen Feststellungen ergibt sich eine Aussage, die auch in den Quellen gelegentlich bestätigt wird, obwohl Details der Befestigungen dort selten angesprochen werden: Anlage und Instandhaltung einer Mauergasse waren grundsätzlich im Interesse der Obrigkeit, die die Bedeutung der Stadtbefestigung, ihrer Funktionalität und Erhaltung hoch einschätzte – höher als viele Stadtbewohner, denen man in diesem Punkte nicht recht trauen konnte. Schriftliche Belege aus dem 14. Jahrhundert gibt es dafür in München, wo Ludwig der Bayer 1315 explizit die Mauergasse hinter der geplanten „äuzzere[n] … Rinchmauer“ forderte, und in Regensburg, wo es der Rat war.


Abb. 48 Vergleich einer norddeutschen Stadt mit Mauergasse (Königsberg in der Neumark, Polen, Umzeichnung eines Plans von 1724) mit einer süddeutschen ohne Mauergasse (Frauenfeld, Schweiz, Gemälde um 1762), wo die Mauer im 18. Jahrhundert bereits weitgehend in Häuserfassaden aufgegangen ist (E. J. Siedler, Märkischer Städtebau im Mittelalter, 1914; Stadt- und Landmauern, I, 1995).

Im Umkehrschluss kann man aus solchen Feststellungen auch die nirgends schriftlich festgehaltenen Motive ermitteln, die zum Verzicht auf Mauergassen führten. Weit wichtiger als die erwähnte Versuchung, die Mauer zu durchbrechen, um dem einzelnen Grundstücksbesitzer Vorteile zu verschaffen, waren zweifellos der Wert des Bodens, der für die Mauergasse benötigt wurde, und die Besitzverhältnisse an diesem Boden. Wo die Befestigung um eine schon vorhandene Siedlung entstand, musste sie oft oder fast immer über Grundstücke geführt werden, etwa über die Gärten und Felder, die an bäuerliche Höfe anschlossen; in Köslin (Pommern) ist als große Ausnahme der Vertrag von 1288 erhalten, in dem sich das städtische Nonnenkloster mit dem Rat über die Anlage der Mauergasse auf seinem Grund einigte. Waren solche rechtlichen Klärungen in Zeiten robuster Herrschaftsverhältnisse – keineswegs alle Stadtbewohner oder Bauern waren im heutigen Sinne Eigentümer ihrer Höfe – natürlich einfacher durchsetzbar als heute, wo Planungen durch Einsprüche um viele Jahre verzögert werden können, so konnten doch Anordnungen unterlaufen werden, indem man eine anfangs festgelegte Mauergasse unauffällig wieder in Privatnutzung übernahm, oder konnte auch ein Stadtgründer bzw. Stadtherr zu der Überlegung gelangen, den landwirtschaftlich wertvollen Boden nicht durch eine „unnötige“ Mauergasse weiter zu reduzieren.

Deswegen war die Anlage einer Mauergasse wohl nicht allein eine Frage einer durchsetzungsfähigen Obrigkeit, sondern auch von deren zunehmender Erfahrung – anschaulich gesagt: Eine neue Mauer machte zunächst immer einen guten Eindruck, ob ohne oder mit Mauergasse, erst die folgenden Jahrzehnte dürften jene Probleme mit Verteidigung, Überwachung und Instandhaltung gezeigt haben, für die allein die Mauergasse eine konsequente Lösung darstellte. In dem ergrabenen, frühen Fall von Basel, das im Bischof einen zum Durchgreifen fähigen Herrn hatte, wird eine solche Entwicklung dadurch belegt, dass die wallartig überhöhte Mauergasse erst nachträglich vor einer schon vorhandenen Mauer entstand (Abb. 49); das nahe gelegene und früh damit verglichene Freiburg im Breisgau belegt dagegen, dass man auch ganz neu angelegte Befestigungen über bereits bebaute Grundstücke herüberführte – beides sind Beispiele dafür, wie obrigkeitlicher Wille sich über schon vorhandene Eigentums- und Bebauungsstrukturen hinwegsetzte, in Basel aber eben erst nachträglich. Dass Derartiges vielleicht öfter geschah, als das heute noch bekannt ist, kann etwa das kleine, mainzische Obernburg in Unterfranken andeuten, wo die Mauer ab 1344 entstand, während erst ein Jahrhundert später auf kurfürstlichen Befehl „alle Scheuern, Stallungen und Gärten von der Ringmauer abgerückt“ werden mussten, um eine Mauergasse zu schaffen.


Abb. 49 Basel, die Entwicklung der inneren Mauer in schematischer Darstellung, nach Untersuchungen am Leonhardsgraben 47. Oben einfache Mauer um 1100, in der Mitte Anfügung eines Turmes im späten 12. Jahrhundert, unten neue äußere Mauer mit „Rondengang“ dahinter, 13. Jahrhundert (Zeichnung S. Tramèr in R. D’Aujourd’hui, in: Unsere Kunstdenkmäler, 41, 1990/2).

Die These der wachsenden Erfahrung mit den Nachteilen der gassenlosen Mauer passt auch gut zu der Feststellung, dass Mauergassen erst bei späten Mauern des 14./15. Jahrhunderts typisch werden. Im süddeutschen Raum findet man die Mauergasse vorzugsweise in den Stadterweiterungen, im norddeutschen und vor allem nordostdeutschen Raum, wo sie der Normalfall war, sind Mauern der Zeit vor 1300 ohnehin selten. Im Zusammenhang des langsamen Aufkommens der Mauergassen wird man auch die in manchen Regionen (Oberpfalz, Franken, Elsass) verbreiteten Mauern sehen, wo nur einzelne Abschnitte der Mauer von einer Gasse begleitet waren; wahrscheinlich hat man hier pragmatisch die Mauergasse angelegt, wo dies noch möglich war – etwa auf Feldern oder wenig genutztem Land –, und darauf verzichtet, wo Bebauung oder Nutzung schon dichter waren.

Eine recht verbreitete Vorstellung zur gassenlosen Mauer lässt sich bisher weder aus den Quellen noch aus archäologischen Befunden bestätigen – dass nämlich Mauerabschnitte von jenen Bürgern verteidigt wurden, deren Grundstück direkt an sie grenzte. Zwar ist dies eine naheliegende Idee, wenn man bedenkt, wie schwer eine gassenlose Mauer über die Grundstücke hinweg und durch die Bebauung hindurch mit Verteidigern besetzt werden konnte, aber soweit das Thema bisher untersucht wurde, konnte nirgends eine entsprechende städtische Verfassung nachgewiesen werden. Alle bekannten Modelle bestehen vielmehr darin, dass entweder Angehörige bestimmter Zünfte oder Bewohner bestimmter Viertel gewisse Teile der Mauer verteidigten, ganz unabhängig von der Beziehung einzelner Grundstücke zur Mauer (vgl. 3.2.). Auch Fälle, wo die Mauer quasi „grundstücksweise“ erbaut wurde, sind bisher kaum bekannt (Basel?, Schaffhausen?); die meisten Mauern mit anstoßenden Grundstücken, die in der Schweiz schon näher untersucht wurden, sind in einem Zuge errichtet worden, mit nachträglich angebauten Häusern, was wieder auf eine obrigkeitlich gelenkte und einheitlich geplante Baumaßnahme schließen lässt. Und bestimmte frühe Inschriften (vgl. 3.2.) deuten analog darauf hin, dass zum Beispiel Bewohner benachbarter Siedlungen auch jeweils für bestimmte größere Mauerabschnitte zuständig waren. Dennoch soll hier nicht ausgeschlossen werden, dass das Modell „Grundstückseigentümer verteidigt die Mauer hinter seinem Haus“ existiert hat; es müsste freilich ein sehr frühes, quasi vorstädtisches Modell gewesen sein, das in den späteren Zeiten größerer Quellendichte schon wieder verschwunden war.

Die Breite von Mauergassen lag selten unter 4 m – nur in Hessen mit seinen meist späten Mauern des 14./15. Jahrhunderts waren die dort nicht allzu häufigen Mauergassen offenbar schmaler und wurden häufig später überbaut –, oft aber lag sie auch deutlich darüber, bis zu über 8 m. Diese auffällige Breite, die in mittelalterlichen Städten sonst nur von Hauptstraßen erreicht oder übertroffen wurde, führte später in vielen Fällen dazu, dass man bescheidene, aber immerhin bis zu 3–4 m tiefe Häuser an die Mauer anbauen konnte (Abb. 50) – in der Regel für die Stadtarmut und eben deswegen auf städtischem Grund –, wobei dennoch eine nutzbare Straßenbreite übrig blieb. Warum gab es dermaßen breite Mauergassen? Eine einfache Erklärung ist, dass hier Raum für Lager- oder Abstellzwecke bereitgehalten wurde, zum Beispiel für Baumaterial oder Flüchtlinge in Kriegszeiten, damit wäre die Mauergasse Ergebnis bewusster Planung. Eine interessante Erwägung ist andererseits, dass die breite Mauergasse zumindest in manchen Fällen auf einen Wall zurückgehen könnte, der mehrere Meter tief war, während die ihn später ersetzende Mauer nur 1–2 m benötigte. Die normale Gasse wäre dann einfach der später eingeebnete Wall, die besondere Breite hätte sich aus der Gasse hinter dem Wall und dessen eigener Breite ergeben. Da selbst bei heute noch sichtbaren Wällen ohne Grabung nicht zu klären ist, ob die Wälle wirklich älter als die darauf stehende Mauer sind, können allerdings nur besonders glückliche Grabungsergebnisse zumindest in Einzelfällen zeigen, ob es eine solche Abfolge von Wall und Mauergasse gegeben hat. Ein Beispiel bietet bisher etwa Lemgo, wo die Mauer vor die ältere Palisade in den Graben hineingebaut wurde, sodass eine 20 m(!) breite Mauergasse entstand; ähnliche Abläufe – die Mauer wird vor die ältere Umwehrung gebaut, sodass deren Einebnung die Stadt vergrößert – sind auch in Frankfurt/Oder und Spandau (Abb. 20) nachgewiesen.

Abschließend soll eine knappe Übersicht über die Verbreitung der Mauergassen die dargestellte regionale Verbreitung belegen. In der Schweiz besaßen schon die berühmten Zähringerstädte keine Mauergassen und dies blieb auch bei den späteren Städten allgemein üblich; dass Häuser von Anfang an direkt an die Mauer gebaut wurden, ist durch Archäologie und Bauforschung schon für das 12. Jahrhundert belegt (Basel, Freiburg im Üechtland), weit häufiger für das 13./14. Jahrhundert (Diessenhofen, Zug, Stein am Rhein, Burgdorf, Wiedlisbach, Unterseen (Abb. 304), Wil, Willisau, Aarberg, Werdenberg). Ähnlich sah es in Tirol und im übrigen Alpenraum aus, wo entsprechend intensive Untersuchungen bisher aber fast völlig fehlen. In Bayern sind Mauergassen zunächst unüblich, mit der Ausnahme wohl des noch spätromanischen Wasserburg am Inn und der schon erwähnten äußeren Mauer von München (1315); erst im späten 14. und 15. Jahrhundert kamen die Mauergassen stärker auf (Ingolstadt, Deggendorf, Pfaffenhofen, Schrobenhausen, Beilngries; teilweise in Abensberg, Kelheim, Neustadt). Ähnlich ist das Bild im bayerischen Schwaben und in Oberschwaben: In einer Landschaft, die generell auf die Gasse verzichtete, war Augsburg eine frühe Ausnahme noch des 13. Jahrhunderts, im 14./15. Jahrhundert folgten weitere Beispiele (die Erweiterung des 14. Jahrhunderts in Ulm, Nördlingen und Memmingen/Süderweiterung, Gundelfingen, Lauingen, Höchstadt, Mindelheim, Weißenhorn, Dillingen/Ostvorstadt, Isny, Ravensburg). Weiter westlich sind das Neckarland und Württembergisch Franken weitgehend mauergassenlos; Esslingen besitzt teilweise, Reutlingen, Heilbronn und Weinsberg haben generell Mauergassen, alle noch im 13. Jahrhundert; ab dem späten 14. Jahrhundert treten sie im Neckarland gelegentlich auch bei kleineren Städten auf, im abgelegeneren Württembergisch Franken aber weiterhin kaum (Mergentheim).

Mauergassen, regionaler Überblick


Abb. 50 Butzbach (Hessen), in die Wehrgangbögen der Mauer (um 1321–68) wurden ab dem 15. Jahrhundert Fachwerkbauten eingebaut, zunächst als Lager. Obwohl die Innenräume nur etwa 1,5 m tief sind, wurden sie später für lange Zeit bewohnt.

Als Mischgebiete erscheinen die Oberpfalz, Franken und Hessen. Die äußere Mauer von Regensburg besitzt eine (vom Rat angeordnete) Mauergasse, auch die größeren Städte Amberg, Neumarkt und Weiden und wenige späte Kleinstädte; so weit entspricht dies den Regionen weiter südlich, aber die oberpfälzischen Kleinstädte besitzen recht häufig Mauergassen zumindest hinter Teilabschnitten der Mauer. Ganz ähnlich ist Franken zu beschreiben, wobei schon die Lorenzerstadt in Nürnberg, dann aber vor allem die dortige äußere Mauer und ebenso jene von Rothenburg und Dinkelsbühl systematisch Mauergassen aufweisen; sie stammen alle aus dem 14. Jahrhundert, wobei die älteren Stadtkerne durchweg keine Mauergassen hatten. Auch in Hessen waren Mauergassen eher Ausnahmen; im 12./13. Jahrhundert besaß nur Fritzlar weitgehend eine Gasse, in Limburg ist sie schon 1276 belegbar; im 14./15. Jahrhundert konnte ich fünfzehn sichere Beispiele von Mauergassen zählen, die weitgehend oder total umlaufen. Bei der Fülle kleiner Städte vor allem in Oberhessen heißt dies, dass die Mehrheit ohne Mauergasse auskam.

Im Oberrheinischen findet man im Prinzip die gleichen Phänomene wie weiter östlich. Über Freiburg im Breisgau war schon gesprochen worden, daneben findet man Mauergassen in den jüngeren Teilen von Heidelberg und teils in Pforzheim – sonst fehlen sie fast völlig (Ausnahmen des 15. Jahrhunderts in Zell/Harmersbach und Lahr). Auf der anderen Rheinseite, im Elsass und in der Pfalz sah es ganz ähnlich aus; die Mauern des 13. Jahrhunderts in Straßburg, Colmar und Rufach besaßen teilweise Mauergassen, selbst bei den Bischofsstädten Straßburg, Worms, Speyer und Mainz traten sie nur in den Vorstädten auf, bei den jüngeren Städten fehlen sie fast völlig. Im Rheinischen Schiefergebirge treten die Gassen gleichfalls nur bei größeren Städten auf, bei kleinen gibt es sie charakteristischerweise nur ganz im Norden (Ahrweiler, Remagen, Sinzig).

Weiter nördlich, in der norddeutschen Tiefebene, kehrt sich das Verhältnis exakt um, hier ist die Mauergasse absolut normal. Das gilt für den nördlichen Teil des Rheinlandes und für Westfalen, wo das Phänomen wohl von der bedeutenden, ab den 1220er Jahren errichteten Mauer von Köln ausging; nur sehr kleine Städte verzichteten hier ausnahmsweise auf die Mauergasse. Über das eher städtearme Flachland des heutigen Niedersachsen zieht sich die Erscheinungsform bis in das gebirgige, südliche Niedersachsen und nach Sachsen-Anhalt hinüber, wo die Mauergasse jedenfalls im 14./15. Jahrhundert normal war, wohl auch schon im 13. Jahrhundert, wo aber unsere Kenntnis allzu beschränkt ist; noch stärker gilt dies für Sachsen mit seinen enormen Substanzverlusten, wo kaum noch Aussagen möglich sind. Schlesien gehörte ebenfalls zu den Gebieten, in denen die Mauergasse üblich war. Den Höhepunkt der Mauergassenregion stellen jedoch Brandenburg und die Länder an der Ostsee dar, bis nach Ostpreußen hinauf; hier sind die wenigen, meist sehr kleinen Städte ohne Mauergasse auffällige Ausnahmen. Vor allem für das große Brandenburg muss man sich verdeutlichen, dass Mauergassen hier unverzichtbar waren, weil das um 1300 entwickelte und dann fast ausnahmslos angewandte „Wiekhaussystem“ ohne Wehrgänge auskam, sodass ohne Mauergassen überhaupt keine schnelle Besetzung der Wiekhäuser und kein Umrunden der Mauer möglich gewesen wäre. In Elbing im Ordensland ist die Mauergasse schon 1238 erwähnt, hier war sie also von allem Anfang an selbstverständlich.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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