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2.2.2.4. Backstein

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Die Verwendung von Backstein hat vor allem in Norddeutschland eine leicht verspätete, aber sehr eigenständige und beeindruckende Formenwelt auch im Stadtmauerbau hervorgebracht. Die Tore etwa in der Mark Brandenburg oder Einzelbauten wie das Lübecker Holstentor genießen einen hohen Bekanntheitsgrad und führen ein wenig zu dem falschen Eindruck, das Phänomen sei auf diesen Raum begrenzt. Es gibt jedoch weitere, wenn auch etwas kleinere mittelalterliche Backsteingebiete in Deutschland, bei denen gleiche Ausgangsbedingungen zum gleichen Material führten. Im Grundsatz sind dies Regionen, wo Fels nicht an die Oberfläche tritt bzw. von Kiesen oder Sanden überdeckt ist; neben den eiszeitlich geprägten Regionen Norddeutschlands und des Voralpenlandes gilt dies auch für breite Flusstäler, beispielsweise am Oberrhein.

Backstein ist im Prinzip ein Ersatzmaterial für Naturstein, das dessen Festigkeit und Haltbarkeit dort verfügbar machen sollte, wo Naturstein nicht oder nur in ungeeigneter Art zur Verfügung stand. Ob es im Mittelalter vor Ort aus antiker Tradition bekannt war oder ob die Technologie neu importiert wurde, etwa aus Norditalien – beide Meinungen werden vertreten –, ist hier nicht zu diskutieren, vor allem auch deswegen, weil Backstein in aller Regel zuerst für Sakralbauten verwendet wurde. Die Herstellung von Backsteinen, vor allem in den enormen Mengen, die eine Stadtmauer erforderte, war sehr aufwendig. Um über Jahrzehnte Tonmaterial in entsprechender Menge zu beschaffen, Brennöfen in Betrieb zu halten und den Transport zu organisieren, bedurfte es – noch mehr als schon allgemein für den Mauerbau – einer finanziell kräftigen und gut entwickelten Stadt. Dem entspricht die schon behandelte Tatsache (vgl. 2.2.1.6.), dass es in den typischen Backsteinregionen, vor allem Nord- und Ostdeutschlands, viele Städte gibt, die es gar nicht bis zum Mauerbau brachten.


Abb. 30 Esslingen (Baden-Württemberg), „Wolfstor“, „kissenförmiges“ Buckelquaderwerk der Feldseite, aus Sandstein (um 1220/40).


Abb. 31 Konstanz (Baden-Württemberg), „Schnetztor“, Rustika (zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, ab 1976 erneuert).

Die frühesten Stadtbefestigungen mit Backstein findet man im Norden, wo Dänemark für frühe Backsteinverwendung bekannt ist und wo unter anderen Heinrich der Löwe große Backsteinkirchen errichtete oder förderte (Dom Lübeck, Dom Ratzeburg, Jerichow und andere). Dass das Danewerk, eine der wichtigen Landwehren Deutschlands (vgl. 2.2.12.; Abb. 483), schon ab 1158/63 eine Backsteinfront erhielt, steht also durchaus in einem Zusammenhang, und ebenso die erste, nur 75 cm dicke und von Strebepfeilern gestützte Backsteinmauer von Lübeck, die auf etwa 1181 datiert wird; ihr folgte ab 1217 die weit längere Backsteinmauer um die gesamte Halbinsel. Auch die verschwundene, vor 1229 errichtete Mauer von Bremen, fraglos von Lübeck abhängig, ist so zu verstehen und ebenso die für 1229 erwähnte, bisher aber nur archäologisch bestätigte Mauer von Brandenburg überrascht nicht, sie war ein Vorläufer des im späteren 13. Jahrhundert einsetzenden brandenburgischen Backsteinbooms.

In einigen wichtigeren Städten am Westufer des Oberrheins, nach heutigen Begriffen in direkter Nähe zu den Natursteinvorkommen der Vogesen, trat Backstein gleichfalls früh auf, wobei hier bei den Bischofsstädten auch römische Anregungen erwogen werden. Die Wormser Mauer (vor 1200 bis um 1230) besaß zumindest einige Backsteinzinnen, das dortige „Martinstor“ war gänzlich aus Backstein. Völlig aus Backstein war auch die lange und mit zahlreichen großen Türmen ausgestattete Mauer von Straßburg, die um 1200–50 entstand (Abb. 64). Das gilt nach Grabungen auch für die verschwundene Mauer von Hagenau und für zumindest einen Torturm in Schlettstadt, die beide noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts gehören. Gegen Mitte des 13. Jahrhunderts umwehrte auch Speyer, dessen erste Mauer noch aus dem 11. Jahrhundert stammte, seinen Hafen in Backstein, später (ab 1325) auch seine verschiedenen Vorstädte. Ein kleiner Rest in Hagenbach (um 1300) zeigt, dass auch kleinere Städte der Gegend Backsteinmauern besaßen.

Augsburg wies die älteste Backsteinmauer weiter östlich auf, vielleicht noch aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Erste Backsteinmauern in Schlesien, wo romanische Sakral- und Profanbauten in die erste Jahrhunderthälfte zurückreichen, entstanden vielleicht schon ab den 1260er Jahren, sicher nach 1290.

Beschränkten sich die ersten Backsteinmauern im 13. Jahrhundert auf wenige wichtige Städte in ganz verschiedenen Regionen, so sah das 14. Jahrhundert – durchaus analog zur allgemeinen Entwicklung der Stadtbefestigungen – die Ausbreitung des Materials vor allem bei der Masse kleinerer und mittlerer Städte Norddeutschlands und im Voralpenland, also dort, wo großflächig der Naturstein fehlte.

Im südlichen Verbreitungsgebiet trifft man Backsteinmauern im Umkreis von Augsburg etwa ab 1300, Ulm begann seine äußere Backsteinmauer wohl 1316. In Nördlingen, wo Naturstein kein Problem war, zeigt die äußere Mauer (1327 bis etwa 1390) teils nur eine Backsteinbrustwehr (Abb. 32), teils ist sie ganz aus diesem Material. In Bayern war offenbar die äußere Mauer von München (ab 1315/19) der Startschuss für die Backsteinmauern; die Stadt legte in Bogenhausen eigens Ziegeleien an. Es folgten die Straubinger Mauer ab 1341 und später viele weitere Mauern, darunter so bedeutende wie in Ingolstadt.

In Norddeutschland findet man Backstein an niederrheinischen Mauern ab etwa 1310; es bleibt im ganzen 14. und 15. Jahrhundert das normale Material. In Westfalen ist Backstein dagegen erstaunlicherweise eher selten (Borken, Warendorf, Coesfeld, Werne). In dem anderen ganz großen Verbreitungsgebiet des Backsteins – im Kern die Mark Brandenburg mit Randbereichen im heutigen Sachsen-Anhalt (Zerbst), im nördlichen Sachsen (Belgern, Pegau, Delitzsch, Bautzen Lauenturm) und Schlesien, nördlich davon auch das von Lübeck aus stark beeinflusste Mecklenburg – und in Vorpommern beginnt der Boom der Mauern gleichfalls kurz vor 1300; 1311 werden, ein früher Fall, Ziegel zum Mauerbau in Rheinsberg erwähnt. In dieser Region wird im gesamten 14. und 15. Jahrhundert eifrig gebaut, während das Material auch in die Regionen weiter östlich vordrang, nach Hinterpommern, in die Neumark und ins Ordensland.


Abb. 32 Nördlingen (Bayerisch Schwaben), die Brustwehr der äußeren Mauer bestand, im Gegensatz zum Bruchstein der Mauer selbst, von Anfang an aus Backstein (1327 bis um 1390); auch für Reparaturen und die Verkleinerung der Zinnen zu Schießfenstern wurde im 15./16. Jahrhundert Backstein verwendet.

Die besonderen Eigenschaften des Backsteins ermöglichten eine aufwendig wirkende, aber relativ leicht herzustellende Ornamentik, die die Backsteinmauern von den Natursteinmauern deutlich unterschied; sie tritt natürlich an anderen Bautypen ähnlich und noch reicher auf, insbesondere im Sakralbau. Ornamente konnten aus Ton leicht in Formen gestrichen und zu Hunderten gebrannt werden; der Aufwand war durch die nur einmalige Herstellung der Form weitaus geringer als bei entsprechender Steinmetzarbeit. Dennoch blieb diese Art Ornamentik (Terrakotta, zum Beispiel Schivelbein/Pommern) an Stadtmauern extrem selten und auch profilierte Steine waren nicht sehr häufig; am ehesten traten noch einfache Formen wie Fasen oder Viertelrundungen auf. Normal und optisch prägend waren dagegen Blendgliederungen bzw. Lisenen und Bänder, die aus normalen Mauersteinen einfach durch Vor- und Zurücksetzen der Mauerfluchten entstanden (Abb. 33); die normierten Maße der Steine – wiederum auf die Herstellung in Formen zurückzuführen – machten dies den Maurern ohne großen Mehraufwand möglich. Selbst das Verputzen und das meist weiße Fassen der Blenden blieben im Aufwand begrenzt, wenn man es mit dem vollflächigen Putzen einer Bruchsteinmauer vergleicht. Die Blendgliederungen waren so normal, dass ein Torturm mit völlig glatten Mauerflächen (Barth, „Dammtor“, um 1475; Abb. 522) als erstaunliche Ausnahme erscheint. Dass die Gliederungen mit Blenden, Lisenen und Bändern wirklich für das Material typisch sind, nicht für die Schönheitsvorstellungen und Moden einer Region, wird vielleicht dort am deutlichsten, wo wenige Backsteinbauten in einer sonst von Naturstein dominierten Landschaft stehen. So findet man im Oberschwäbischen Einzelbauten des späten 14. und 15. Jahrhunderts, die backsteintypische Lisenen- bzw. Bändergliederungen zeigen (Biberach, Türme des späten 14. Jahrhunderts; Mindelheim 1365–89; Dillingen, „Leitentor“, vor 1498), während diese Form sonst in dieser Gegend unbekannt ist. „Zahnschnitte“ aus übereck gereihten Steinen, die im Backsteingebiet keineswegs etwa romanisch sind, oder (meist horizontale) Bänder aus vorgestreckten Mauersteinen, als Ersatz für profilierte Gesimse, sind weitere Beispiele für backsteintypische, unaufwendige, aber wirkungsvolle Gliederungen.

Schmucksysteme der beschriebenen Art erlauben vielfältige Abwandlungen, die sowohl regional als auch zeitlich gebunden sein können. So findet man etwa im Brandenburgischen und darüber hinaus anfangs eine wenig gegliederte Feldseite der Tortürme, während im 14./15. Jahrhundert die reiche Blendgliederung der Stadtseite auch hierhin übergriff. In Pommern, wo im 14. Jahrhundert manchmal Blendmaßwerk verwendet wurde, setzte im 15. Jahrhundert eine Tendenz zu besonders schlichten Blendgliederungen ein, zunächst in zwei Reihen, dann, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, entstanden extrem hohe Felder, die über dem Erdgeschoss beginnen und über die ganze Turmhöhe bis in den Giebel aufsteigen. Im Ordensland Preußen schließlich findet man bei den Tortürmen überwiegend ungegliederte Turmschäfte und eine Verlagerung der reichen Blendgliederung in den obersten Teil bzw. auf die Giebel. Eine allgemeine, das ganze Backsteingebiet übergreifende Tendenz dieser formalen Entwicklung im Stadtmauerbau lässt sich bisher kaum formulieren, es müssten vielmehr genaue regionale Untersuchungen angestellt werden. Bisher liegt dazu lediglich jene von Heinrich Trost von 1959 vor, die im Wesentlichen das Gebiet der ehemaligen DDR umfasst, also Brandenburg, Mecklenburg und Vorpommern.


Abb. 33 Preußisch Holland (Ordensland Preußen), die Stadtseite des Torturmes zeigt eine für das Ordensland charakteristische Blendgliederung, die aus normalen (nicht profilierten) Backsteinen hergestellt ist (Chr. Herrmann).

Ein Schmuckelement von backsteintypischer Schlichtheit, dessen Herkunft und Verbreitung exakter einzuschätzen ist, sind Rautenmuster aus den schwarz gebrannten Köpfen normaler bzw. fehlgebrannter Mauersteine (Abb. 34). Dieses Motiv, das im frühen 14. Jahrhundert an Ordensburgen entwickelt wurde, hat erwartungsgemäß sein Schwergewicht im Ordensland, jedoch findet man es, überwiegend im späten 14. Jahrhundert und bis ins frühe 16. Jahrhundert, auch in Schlesien (Namslau, Guhrau, Kreuzburg, Liegnitz), in Pommern (Stargard, Rostock „Zwinger“ am Steintor, 1526–32) und Brandenburg (Beeskow); das westlichste Vorkommen fand ich in Borken in Westfalen („Kuhmturm“, „Diebesturm“). Farbig glasierte Steine wurden dagegen an Stadtmauern kaum verwendet, etwa am „Kröpeliner Tor“ in Rostock und am „Knieper Tor“ in Stralsund; das aufwendigste Beispiel bieten die schwarz glasierten Fensterwimperge am „Bautor“ der pommerschen Bischofsstadt Cammin.

Verschiedentlich ist versucht worden – bei Bauten aller Art, nicht nur bei Stadtmauern – aus den Backsteinverbänden Datierungen abzuleiten. Aus den Beobachtungen an Stadtmauern ist festzuhalten, dass die Verbände offenbar eher an Regionen als an Zeiten gebunden waren. In Mecklenburg war schon in romanischer Zeit der „wendische Verband“ (an Kirchen) üblich, der dort, in Brandenburg und auch in Pommern immer vorherrschend blieb. In Schlesien (und Polen) herrscht dagegen der Kreuzverband vor; in Ostpreußen schließlich treten, was man mit der späten Entstehung der dortigen Mauern erklären mag, vielleicht auch mit Maurern verschiedener Herkunft, Block- und wendischer Verband nebeneinander auf. Engere Datierungen wird man daher meines Erachtens aus dem Auftreten bestimmter Verbände in der Regel kaum ableiten können.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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