Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 25
2.2.1.5. Dauer und Förderung des Mauerbaues
ОглавлениеIst schon die „Wartezeit“ bis zum Mauerbau schwierig zu ermitteln, so ist die Frage noch problematischer, wie lange der Bau einer Mauer dauerte. Selbst, wenn die mittelalterlichen Quellen reicher fließen würden, als sie es nun einmal tun, bliebe es erfahrungsgemäß schwierig, vor allem das Ende des Baues exakt zu bestimmen. Denn bei umfangreichen Bauvorhaben – man weiß das von großen Sakralbauten oder von Befestigungen der frühen Neuzeit, bei denen oft eher von einem Erlahmen der Kraft die Rede sein kann, nicht von einer „offiziellen“ Fertigstellung – pflegten die letzten Bauarbeiten mehr oder minder unmerklich in die ersten Instandsetzungen und Modernisierungen überzugehen. Die wenigen Beispiele, bei denen wir etwas von der Länge spätmittelalterlicher Baumaßnahmen erfahren, darf man genauso wenig verallgemeinern wie die „Wartezeiten“, denn selbstverständlich hing die Dauer der Arbeit von den verfügbaren Ressourcen – Geld, Arbeitskraft, Material –, von den politischen Umständen und manch anderem ab, konnte also a priori sehr verschieden sein (vgl. 3.1.).
Gelegentlichen Meldungen extrem kurzer Bauzeiten – in wenigen Jahren bis hin zu der Behauptung, die Mauer sei in einem einzigen Jahr entstanden – wird man eher mit Misstrauen begegnen. In der Forschung neigte man oft dazu, vor allem auch in der älteren heimatgeschichtlichen Literatur, die Bauleistung zu heroisieren, als frühes Beispiel aktiven Bürgerstolzes. Bei großen, wirtschaftlich blühenden und politisch aktiven Städten war eine funktionierende und moderne Befestigung zweifellos ein Muss, aber ganz zu Anfang waren auch diese Städte erst im Aufbau und strotzten keineswegs vor Wirtschafts- und Finanzkraft. Und erst recht dürfte die Realität bei der weit überwiegenden Anzahl kleiner Städte ganz anders ausgesehen haben. Am deutlichsten wird dies bei jenen Fällen, bei denen Städte über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg von ihrem Stadtherrn immer wieder aufgefordert wurden, die Mauer zu bauen bzw. zu vollenden, wobei sowohl Versprechungen als auch Strafandrohungen Mittel der Wahl waren.
Von acht Jahren Bauzeit – freilich nur für eine Verstärkung der Befestigung – spricht eine Inschrifttafel in Schärding/Inn: „der stat zwinger“ und „der stat graben“ seien ab 1429 in acht Jahren angelegt worden. Mindestens 15 Jahre sind in Neuburg/Donau zu konstatieren, denn 1332 gab es dort bereits Mauern, aber noch 1347 wurde für ihren Bau der Zoll erlassen. In Zülpich wurde der begonnene Mauerbau 1279 abgebrochen und dann 1376–93 erst vollendet. Zumindest 34 Jahre dauerte der Mauerbau in Eltville, der 1313 erwähnt wurde und 1347 vollendet war. Waren dies alles kleinere Städte, so baute Regensburg, eine der größten Städte des damaligen Deutschland, letztlich 116 Jahre an seiner äußeren Mauer; nachdem sie chronikalisch 1284 begonnen wurde, bezeugen Bauinschriften Arbeiten an der Hauptmauer bis 1320. Die avzer mauer im graben – was die Contrescarpe oder den Zwinger meint – ist 1330–1400 durch weitere Inschriften belegt.
Angeblich 1321–68 war die Mauer von Butzbach im Bau, also 47 Jahre. Sehr genau kennen wir den Ablauf in Namslau (Schlesien), der trotz des Druck ausübenden kaiserlichen Bauherrn 65 Jahre dauerte. Karl IV. legte 1350 den Grundstein und mahnte 1359 den Weiterbau an, 1371 waren die Haupttore fertig, 1388 war das Wassertor im Bau, in den 1390er Jahren Türme und 1415 wurde die Mauer als fertig bezeichnet. Die Mauern von Bischofstein im Ordensland waren 1401 im Bau, aber 1460/70 noch nicht fertig. 1294 erteilt Erzbischof Sigfrid von Köln Kempen Stadtrechte und merkt an, die Bürger hätten schon viel Mühe in den Mauerbau gesteckt; er dauerte dennoch bis Ende des 14. Jahrhunderts, also ein rundes Jahrhundert. Und noch länger scheint es in Duderstadt gedauert zu haben, wo die 1276/79 erwähnte Mauer wohl Mitte des 13. Jahrhunderts begonnen und bis zum späten 14. Jahrhundert im Bau war.
Auch aus der Betrachtung der Bauformen lässt sich gelegentlich eine lange Bauzeit erahnen. Die Problematik hierbei ist allerdings, dass es sich durchaus auch um Erneuerungen verschwundener Teile bzw. mehrere Bauphasen gehandelt haben kann, eventuell auch um einen sehr raschen Wandel der Formen; nur genaue Bauuntersuchungen oder eine sehr gute Quellenlage können in solchen Fällen vielleicht Sicherheit bringen. Relativ sichere Beispiele für solchen Formwandel in langer Bauzeit findet man vor allem im brandenburgischen Backsteingebiet, etwa in Jüterbog oder Zerbst, wo eine Feldsteinmauer des mittleren(?) 13. Jahrhunderts sich bis zu den typischen Wiekhausformen des (späteren?) 14. Jahrhunderts fortentwickelte. Auch Tangermünde, wo die Entwicklung von rechteckigen Wiekhäusern verschiedener Form bis zu Rundschalen (des 15. Jahrhunderts?) führte und in einer Erneuerung der Haupttore um 1440–70 endete, gehört zu diesen Fällen. Zeitlich eher knapp erscheint dagegen Beeskow, wo eine typisch wehrganglose Wiekhausmauer (ab Ende des 14. Jahrhunderts) zunächst mit gezinntem Wehrgang ergänzt und nach 1450 an der Flussseite mit echten Rondellen abgeschlossen wurde.
Doch sollte man aus diesen Beispielen – gleich ob aus Quellen oder Baubeobachtung belegt – nicht allzu viel schließen. Es sind zu wenige Fälle und es ist zu unsicher, was die Quellen genau meinen oder in welchen Zeiträumen sich Formen wandelten. Zurückzubehalten ist letztlich wohl nur die Tatsache, dass auch die Realisierung der Mauer, ähnlich wie die „Wartezeit“ auf sie, sehr verschiedene Zeit benötigen konnte – von ein bis zwei Jahrzehnten bis zu über einem Jahrhundert.
Wichtig für den Ablauf des Mauerbaues waren die Einwirkungen der jeweiligen Landesherren, auf die wir schon mehrfach, auch bei den Holzbefestigungen, getroffen waren. Obwohl es gelegentlich Verbote des Mauerbaues oder gar drakonischere Maßnahmen gab – Friedrich I. ordnete in Köln und Mainz sogar Abbrüche an, was nach dem 12. Jahrhundert aber nicht mehr vorkam –, überwiegen bei Weitem fördernde Maßnahmen, das heißt die Erlaubnis des Mauerbaues bis hin zu deren (Mit-)Finanzierung, aber auch die Ermahnung, dieser Erlaubnis bald und konsequent nachzukommen.
Auf Beispiele für die direkte Kostenübernahme waren wir schon getroffen, etwa in Trachenberg 1253. Normal war hier aber nicht die modernen Verhältnissen entsprechende Hergabe von Geld, sondern die Abtretung von Material, Rechten oder Einkünften. Genannt sei etwa die Erlaubnis, Holz zu schlagen (Neubrandenburg 1261) oder sich „Sponsoren“ zu suchen (Dudeldorf 1384), auch der Erlass von Steuern, vor allem aber die Abtretung von Einnahmen wie Zöllen und vor allem dem allgegenwärtigen „Ungeld“, einer lukrativen Steuer auf alkoholische Getränke. Dies wird hier nicht vertieft, da dazu ein eigenes Kapitel eingefügt ist (vgl. 3.1.).
Auch die Erlaubnis zur Befestigung – zunächst der Holz-Erde-Befestigung, dann der Mauer – war vom 13. bis ins 15. Jahrhundert so häufig, dass die Beispiele hier nicht wiederholt werden müssen. Dass die erlaubten Mauern im Interesse der Landes- bzw. Stadtherren waren, zeigen fast noch deutlicher ihre Mahnungen dort, wo der Mauerbau zu langsam voranging. Das Beispiel von Namslau 1349 war genannt worden, wo Karl IV. neun Jahre nach dem Grundstein den Weiterbau forderte. In Müncheberg (heute Brandenburg) drohte Herzog Wratislaw von Pommern 1319 den Bürgern mit einer jährlichen Strafe, solange die Mauer unvollendet ist; im gleichen Jahre fuhren alle Dörfer im Lande Leubus Steine dafür an. Eher mit Lob versuchte es Erzbischof Sigfrid von Köln 1294, als er Kempen Stadtrecht verlieh und den schon weit vorangetriebenen Mauerbau anerkannte. Noch geschickter war der Herzog von Pommern, der Stolp 1310 zur Stadt erhob und Mauerbau oft bis Mitte des 14.eine zehnjährige Steuerbefreiung für den Zeitpunkt versprach, wenn die Palisaden fertiggestellt sein würden.
Vor allem in Bayern und Tirol gibt es Diskussionen unter Historikern darüber, ob der Landesherr nicht das Stadtrecht generell erst unter der Bedingung verliehen hat, dass die Mauer fertig war. In beiden Ländern übten die Landesherren ihre Macht überdurchschnittlich konsequent aus, was die Kontroversen verständlich macht. In Bayern ist ab dem späten 14. Jahrhundert oft der Fall festzustellen, dass der Herzog das Markt- und Befestigungsrecht verlieh und zugleich das volle Stadtrecht in Aussicht stellte, sobald die Mauer fertig sei – eine recht konsequente Politik, die aber trotzdem oft keineswegs zur Fertigstellung der Mauer führte! In Tirol gab es wohl eine ähnliche Politik, aber durchaus auch Gegenbeispiele. Imst zum Beispiel erhielt 1312 Stadtrecht und sollte binnen zehn Jahren die Mauer erbauen, schaffte es aber nicht; hingegen wurde Rattenberg schon 1333/40 befestigt, erhielt aber keineswegs bald danach, sondern erst 1393 Stadtrecht.