Читать книгу Staatsrecht I - Ute Mager - Страница 77
3.4Freiheit und Gleichheit
Оглавление142Gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Gründung von Parteien frei. Dies ist die notwendige Konsequenz aus dem bereits in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG vorausgesetzten Mehrparteiensystem („die Parteien“). Die Gründungsfreiheit bedeutet insbesondere, dass die Eigenschaft als Partei an keine spezifische Rechtsform geknüpft ist. Dadurch wird verhindert, dass sie etwa durch Eintragung in ein Register oder durch Anerkennung von staatlicher Mitwirkung abhängig gemacht werden könnte.48 Darüber hinaus genießen die Parteien Freiheit bei ihrer Betätigung. Sie sind Grundrechtsträger, soweit Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG dem Wesen nach auf sie Anwendung finden können: Parteien genießen etwa Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) sowie allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).49
Zum Mehrparteiensystem gehört notwendig ein freier Wettbewerb zwischen den Parteien, mit der Chance einer jeden, die Mehrheit der Wählerstimmen zu erringen. Wettbewerb ist nur frei, wenn die Wettbewerber auf der Grundlage einer gleichen Rechtsstellung grundsätzlich die gleichen Chancen haben. Würde einer Partei ein besonderer Rechtsstatus50 oder eine politische Führungsrolle51 eingeräumt, wäre dies verfassungswidrig. Eine besondere Ausprägung hat der in Art. 21 Abs. 1 iVm. Art. 3 Abs. 1 GG und im Zusammenhang mit Wahlen auch in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Grundsatz der Chancengleichheit in § 5 PartG gefunden. Es handelt sich um einen „derivativen Leistungsanspruch“, der Träger öffentlicher Gewalt (und nur diese!52) für den Fall, dass sie Parteien öffentliche Leistungen gewähren, dazu verpflichtet, alle Parteien gleich zu behandeln. Dieser Anspruch ist von Bedeutung im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Sondernutzung öffentlicher Straßen oder auf Nutzung gemeindlicher Einrichtungen wie etwa Stadthallen. Eine besondere Rolle spielt er auch im Zusammenhang mit Wahlwerbesendungen, die durch öffentliche Rundfunkanstalten ausgestrahlt werden.53
143Problematisch erscheint der in § 5 Abs. 1 PartG normierte Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit, wonach der Umfang der Gewährung nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung ihres Zwecks erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden kann. Die Bedeutung kann sich insbesondere auch nach den Ergebnissen vorangegangener Wahlen bemessen, wobei für eine Partei, die im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, der Umfang der Gewährung mindestens halb so groß wie für jede andere Partei sein muss. Tatsächliche Ungleichheit in der aktuellen Bedeutung einer Partei findet hier Niederschlag im Recht. Rechtfertigung findet diese rechtliche Ungleichbehandlung nach Auffassung der Rechtsprechung gerade im Grundsatz der Chancengleichheit: „die absolute formale Gleichbehandlung aller Parteien (brächte) eine Verfälschung mit sich …, weil mit einer solchen Gleichbehandlung der Anschein des gleichen Gewichts der verschiedenen Parteien erweckt und der Wähler über die wahre Bedeutung der einzelnen Parteien getäuscht würde; die formale Gleichbehandlung würde somit das Recht der größeren Parteien auf Achtung auch ihrer Chancengleichheit zugunsten der kleineren Parteien und damit zugleich das Neutralitätsgebot der Träger öffentlicher Gewalt im Wahlkampf verletzen; die formale Gleichbehandlung hätte mithin eine nicht zu billigende Ungleichbehandlung zur Folge.“54 Die Abstufung dürfe allerdings nicht zum optischen Untergang der kleinen Parteien gegenüber der erdrückenden Werbung einer großen Partei führen.55
In der Literatur wird der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit kritisiert. Es sei nicht Sache des Gesetzgebers oder der Verwaltung, über den Umfang der Wahlwerbung und Selbstdarstellung der Parteien zu befinden. Dieses Argument überzeugt, wenn und soweit es um den Zugang zu Gütern geht, die nach den Mechanismen des Marktes zugeteilt werden, also entweder grenzenlos zur Verfügung stehen, so dass jeder wunschgemäß bedient werden kann56, oder aber entgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Sofern dies auf öffentliche Leistungen nicht zutrifft, muss dagegen eine Zuteilungsentscheidung getroffen werden. Diese auch an der aktuellen Bedeutung der Parteien auszurichten, erscheint mit den Gründen der Rechtsprechung sachgerecht.
144Die gerichtlichen Entscheidungen, die im Zusammenhang mit dem Zugang von Parteien zu öffentlichen Einrichtungen,57 der Nutzung öffentlichen Straßenraums für Wahlwerbung,58 der Einräumung von Sendezeit für Wahlwerbespots59 oder der Beteiligung von Spitzenkandidaten an wahlbezogenen Fernsehsendungen60 ergangen sind, sind Legion. Es handelt sich um eine inzwischen klassische Konstellation, in der im Zusammenhang mit einem verwaltungsrechtlichen Anspruch auf Zugang die Grundentscheidungen des Art. 21 GG im Wege verfassungskonformer Auslegung oder verfassungsgemäßer Ermessensausübung zur Anwendung kommen. So darf einer Partei nicht mit dem Argument ihrer Verfassungswidrigkeit eine öffentliche Leistung verweigert werden, wenn und solange sie nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten ist (Parteienprivileg).61 Das Ermessen hinsichtlich der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen reduziert sich hinsichtlich des „ob“ im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG im Regelfall auf Null.62
Die Chancengleichheit der Parteien gebietet nicht zuletzt, dass staatliche Organe und Stellen sich mit negativen Werturteilen über einzelne Parteien zurückhalten. Das Maß des Erlaubten bestimmt sich nach der jeweiligen staatlichen Funktion und nach der Situation, in der die Äußerung fällt. Von Bedeutung ist auch, in welcher Funktion eine Person eine Äußerung vornimmt und inwieweit staatliche Mittel in Anspruch genommen werden.63 So darf die Bundesregierung in Zeiten des Wahlkampfes ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht steigern und keinesfalls entsprechendes Material den sie tragenden Parteien zu Wahlkampfzwecken zur Verfügung stellen.64 In den Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern gilt als Maßstab das Verbot sachfremder Erwägungen; die auf Tatsachen gestützte Wertung des Verhaltens einer Partei als verfassungsfeindlich ist funktionsgerecht.65 In Bezug auf negative Äußerungen des Bundespräsidenten ergibt sich der Maßstab aus dessen Integrationsfunktion: In der Wahrnehmung dieser Funktion kommt dem Amtsinhaber ein großer Spielraum zu. Die Grenzen ergeben sich aus dem Verbot gänzlich unsachlicher Schmähkritik, evidenter Vernachlässigung der Integrationsfunktion und dem Willkürverbot.66
Rechtsprechung: BVerfGE 14, 121 – FDP Sendezeiten (abgestufte Chancengleichheit); 44, 125 – Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vs. Wahlwerbung; 47, 198 – Wahlwerbesendungen (Parteienprivileg); 82, 54 – Spitzenkandidaten; BVerfG, NJW 2002, 2939 – Kanzlerduell; BVerfG, NVwZ 2014, 1156 – Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten Fall Schwesig, Fall Bildungsministerin.
Literatur: C. Gröpl/S. Zembruski, Äußerungsbefugnisse oberster Staatsorgane und Amtsträger, Jura 2016, 268; W. Haensle, Das „Kanzlerduell“: Noch zeitgemäß?, DÖV 2011, 10; M. Hahn-Lorber/S. Roßner, TV-Duell ohne Herausforderer?, NVwZ 2011, 471; Ph. Kunig, Parteien in HStR III, 3. Aufl. 2005, § 40 Rn. 93 ff.; J. Milker, Äußerungen von Hoheitsträgern im Wahlkampf und darüber hinaus, JA 2017, 647; A. Schulze-Sölde, Politische Parteien und Wahlwerbung in der dualen Rundfunkordnung, 1994; T. Spitzlei, Die politische Äußerungsbefugnis staatlicher Organe, JuS 2018, 856.
Fallbearbeitungen: M. Bader, Anspruch einer Partei auf Nutzung kommunaler Einrichtungen, Jura 2009, 940; H-J. Cremer, Der Sonderparteitag der Extremisten in der Gemeindehalle, Jura 1992, 653; G. Gornig/R. Jahn, Der Parteitag in der Stadthalle, JuS 1992, 857; J. Hohnerlein, Extremisten unerwünscht, Jura 2018, 1045; A. Kozlowska, „Rote Karte für wen?“, JA 2018, 515; G.H. Stumpf, „Wahlkampfgetöse“ – Bundesminister versus Landespartei, JA 2016, 198.