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3.5.1Materielle Voraussetzungen
Оглавление146Welche Umstände es rechtfertigen, eine Partei als verfassungswidrig einzustufen, hängt zunächst davon ab, was unter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verstehen ist, innerhalb derer die Parteien frei agieren können, auf deren Beseitigung sie aber nicht hinwirken dürfen. Das BVerfG hat die freiheitliche demokratische Grundordnung folgendermaßen definiert: „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem dem Recht der Persönlichkeit und auf Leben und freie Entfaltung; die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“71
In § 92 StGB, der Legaldefinitionen für die Delikte des Hochverrats sowie der Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats enthält, findet sich diese Formulierung fast wörtlich wieder. Nicht zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört die föderalistische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn sie Bestandteil des Verfassungskerns ist, den Art. 79 Abs. 3 GG schützt. Anderes lässt sich auch nicht aus der Tatbestandsalternative „Gefährdung des Bestands der Bundesrepublik Deutschland“ ableiten.72 Gemeint ist damit die äußere Souveränität und territoriale Integrität.73 Aus der Verwendung des Begriffs „Bundesrepublik“ anderes ableiten zu wollen, erscheint als Überinterpretation der Verwendung des amtlichen Namens dieses Staates. Die politische Entscheidung für einen Einheitsstaat liegt im Rahmen der Möglichkeiten einer freiheitlichen Demokratie, die Art. 21 Abs. 2 GG schützen will. Die föderale Ordnung findet Schutz durch Art. 79 Abs. 3 GG, aus dem folgt, dass sie nur im Wege der Verfassungsneugebung abgeschafft werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat die von Art. 21 Abs. 2 GG geforderte Absicht, die freiheitliche demokratische Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, dahingehend interpretiert, dass die Partei eine aktiv kämpferische aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung einnehmen und zum Ausdruck bringen muss.74 Dies erfordert allerdings kein kämpferisch aggressives Handeln im strafrechtlich relevanten Bereich. Es genügt, wenn der politische Kurs der Partei durch eine Absicht bestimmt ist, „die grundsätzlich und dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist.“75 Ob die Bekämpfung Aussicht auf Erfolg hat oder wie die Partei ihre Erfolgsaussichten einschätzt, sollte nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Rolle spielen. In der NPD-Verbotsentscheidung vom 17.1.2017 hat das Gericht seine Rechtsprechung im Hinblick auf die strengere Linie des EGMR76 ausdrücklich geändert. Zwar ist keine konkrete Gefahr eines Umsturzes erforderlich, das Tatbestandsmerkmal „darauf ausgehen“ ist aber nur erfüllt, wenn „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen“. Die Subsumtion unter dieses Merkmal ist im Einzelfall angesichts der Vieldeutigkeit von Verhalten und der Möglichkeiten der Verschleierung aber auch Zuschreibung von Absichten alles andere als leicht. Der Begriff „darauf ausgerichtet“ im Sinne des Art. 21 Abs. 3 GG erfasst die Konstellation, in der die Partei eindeutig verfassungswidrige Ziele verfolgt, ihrem Handeln jedoch die Aussicht auf Erfolg fehlt.