Читать книгу Staatsrecht I - Ute Mager - Страница 85
3.6.3Chancengleichheit
Оглавление153Als auch diese Änderungen die Verwerfungen zwischen großen und kleinen Parteien nicht beenden konnten, zwischenzeitlich die staatlichen Zuwendungen aber auf insgesamt über 200 Millionen DM angewachsen waren, führte eine erneute Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Parteienfinanzierung zu einer grundsätzlichen Neuorientierung.90
154Das Bundesverfassungsgericht gab seine Auffassung auf, wonach die staatliche Finanzierung ihren Grund allein in den Kosten der Parteien für den Wahlkampf haben dürfe. Es stellte nunmehr fest, dass eine staatliche Finanzierung für die gesamte politische Betätigung der Parteien zulässig ist, vorausgesetzt, es handele sich nicht um eine umfassende Finanzierung, sondern beschränke sich auf eine Teilfinanzierung.91 Es betonte noch einmal die Staatsfreiheit der Parteien, ihren Charakter als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen. Dementsprechend dürfen die Parteien durch staatliche Zuwendungen nicht der Notwendigkeit enthoben sein, sich um die auch finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu bemühen. Hieraus ergibt sich, dass das Gesamtvolumen der staatlichen Zuwendungen an eine Partei die Summe ihrer selbst erwirtschafteten Einnahmen nicht überschreiten darf (relative Obergrenze).92 Rechtlich nur schwer zu begründen ist die Erfindung der absoluten Obergrenze.93 Sie dient der Sicherung der Staatsfreiheit der Parteien und lässt sich im Übrigen nur daraus erklären, dass dem Gericht die Unfähigkeit der Parteien zur Selbstbeschränkung vor Augen stand. Das Gericht erklärte, dass die staatliche Finanzierung insgesamt das bisher erreichte Volumen von 230 Mill. DM nicht überschreiten dürfe, solange sich keine einschneidende Änderung der Verhältnisse ergebe.
155Der Gesetzgeber setzte diese Vorgaben durch das 6. Parteienänderungsgesetz von 1994 um. Die Parteien erhielten nunmehr für jede gewonnene Wählerstimme bei den Bundestags-, Landtags- und Europaparlamentswahlen 1 DM. Für die ersten bis zu 5 Millionen erzielten Stimmen wurde jeder Partei sogar 1,30 DM gewährt. Spenden sollten bis zu 6000,– DM pro Person und Jahr abzugsfähig sein. Für jede Spendenmark, die sich innerhalb dieses Rahmens hielt, bekamen die Parteien 0,50 DM vom Staat. Spenden von juristischen Personen waren steuerlich nicht mehr abzugsfähig. Die vom Bundesverfassungsgericht verfügte absolute Obergrenze wurde in das Gesetz übernommen. Gleichzeitig wurde die Rechtsgrundlage für die Einrichtung einer Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung geschaffen und auch gleich berufen. Sie sollte die Auswirkungen dieser Neuregelungen überprüfen. In ihrem Bericht machte die Kommission zwar keine konkreten Vorschläge für eine Änderung des § 18 ParteienG, wies jedoch darauf hin, dass ein Ungleichgewicht zwischen dem Wählerstimmenanteil und dem Zuwendungsanteil an der Finanzierung bestehe und dass nach der geltenden Regelung die staatlichen Leistungen bereits weitgehend durch den Zuwendungsanteil ausgeschöpft werden könnten.
156Durch das 7. Parteienänderungsgesetz von 1999 erhöhte der Gesetzgeber die absolute Obergrenze von 230 Millionen DM auf 245 Millionen DM. Der Parteispendenskandal von 1999/2000 führte sodann zu dem Auftrag an die Kommission unabhängiger Sachverständiger, das geltende Recht der Parteienfinanzierung einer umfassenden Prüfung zu unterziehen, sowie zum Erlass des 8. Parteienänderungsgesetzes von 2002, das Änderungen hinsichtlich der Rechenschaftspflicht der Parteien, in Anlehnung an die Kommissionsempfehlungen eine Erhöhung der auf Wählerstimmen bezogenen staatlichen Leistungen und eine Absenkung der zuwendungsbezogenen staatlichen Leistungen enthielt.94 Entgegen der ausdrücklichen Empfehlung der Kommission erschwerte der Gesetzgeber allerdings auch den Zugang zu den staatlichen Leistungen nach Maßgabe der errungenen Wählerstimmen, indem er ein „Drei-Länder-Quorum“ einführte. Danach sollten Parteien bei Landtagswahlen nur dann noch an der vollen staatlichen Teilfinanzierung unter Berücksichtigung ihres Zuwendungsanteils teilnehmen können, wenn sie das Stimmenquorum von 1 % bei mindestens drei Landtagswahlen erfüllten oder bei einer der jeweils letzten Landtagswahlen 5 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhielten. Das von kleineren Parteien angestrengte Organstreitverfahren gegen diese Erschwerung des Zugangs zu staatlichen Leistungen hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass das Recht der Parteienfinanzierung das Entstehen neuer Parteien nicht über Gebühr erschweren und die Betätigung kleiner Parteien nicht unangemessen beeinträchtigen dürfe. Das „Drei-Länder-Quorum“ erschwere das Entstehen kleiner Parteien und ihre Behauptung im Wettbewerb. Die Regelung berge daher die Gefahr eines Verlusts der politischen Vielfalt. (Ls. 2). Zudem setze die Regelung Parteien, deren Programm auf ein einzelnes Land ausgerichtet sei, gegenüber länderübergreifend agierenden Mitbewerbern gleichheitswidrig zurück. (Ls. 3).95