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Verdun
ОглавлениеDie deutsche Militärführung, an ihrer Spitze der Nachfolger Moltkes als Generalstabschef, der vormalige Kriegsminister Erich von Falkenhayn, ist sich im Verlauf des Jahres 1915 nicht ganz im Klaren, ob ein Durchbruchsversuch zum Erfolg führen wird. Hatte von Falkenhayn doch kurz nach der Ablösung Moltkes im Herbst 1914 die entsetzlichen Verluste der Kriegsfreiwilligenverbände bei Langemarck zu verantworten gehabt. Ende 1915 präsentiert er dem Kaiser einen ganz anders gelagerten Plan. Die Franzosen sollen nun an einer für sie militärisch unverzichtbaren Stelle angegriffen werden. Nicht der Durchbruch steht dabei im Vordergrund, sondern die Bindung aller französischen Kräfte an diesem Punkt. Ist der Gegner erst einmal gestellt, wird die dort zusammengezogene deutsche Artillerie den Feind schon zermalmen. Als Frontstelle, an der »Frankreichs Kräfte verbluten« sollen, wird der Frontbogen von Verdun ausgewählt. Das festungsmäßig stark ausgebaute Gebiet vor Verdun ist seit 1914 immer wieder Ziel deutscher Angriffe gewesen, ohne dass sich diese Gefechte sonderlich von denen an anderen Abschnitten der Front unterschieden hätten. Nun steht die ahnungslose Kleinstadt Verdun kurz davor, in trauriger Weise in die Geschichte zweier Nationen einzugehen.
Beiderseits der Maas, die Verdun in nordwestlicher Richtung durchfließt, sind in den Jahrzehnten vor dem Krieg zahlreiche Forts errichtet worden. Die Verteidigungswerke befinden sich insbesondere östlich des Flusses, wo sich etwa drei Kilometer vor der Stadt ein langes Plateau – im Westen zur Maas abfallend und im Osten in die Woëvre-Ebene übergehend – gen Norden erstreckt. Das erste Befestigungssystem, auf das Angreifer aus dem Norden stoßen müssen, besteht aus Waldstellungen und Blockhäusern. Die eigentliche Festungsregion wird wenige Kilometer weiter südlich vom Fort Douaumont angeführt, gefolgt vom Zwischenwerk Thiaumont und dem Fort Froideterre bzw. im Osten dem Fort Vaux und dem ihm vorgelagerten Werk Hardaumont. Hinter diesem Festungsring, Verdun zugewandt, befinden sich dann nur noch die älteren Forts wie Belleville und Souville. All diese Festungswerke fügen sich in ein waldreiches Gebiet mit kreuz und quer laufenden Schluchten und Senken ein. Ganz anders verhält sich die Topografie am Westufer der Maas. Aus einer Ebene ragen dort die vereinzelten Bergkuppen des Toten Mannes – übrigens schon vor dem Krieg so genannt – und der Höhe 304 hervor, in deren Schutz sich weitere Forts befinden.
Am 4. Januar 1916 beschließt das Armeeoberkommando den Angriff auf Verdun. Diese schwere Aufgabe kommt der 5. Armee zu, in deren Bereich der Frontbogen von Verdun liegt und die dem Kronprinzen untersteht. Der Angriff ist für den 12. Februar geplant. In den Tagen zuvor werden von den Deutschen ungeheuere Artilleriekräfte im Hinterland Verduns zusammengezogen. In dem Hauptangriffsgebiet zwischen dem kleinen Ort Consenvoye an der Maas und Azannes werden 1200 Geschütze aller Art, darunter immerhin 16 Rohre der »Dicken Bertha«, und ca. 2½ Millionen Granaten platziert. Sage und schreibe 24 neue Bahn- und Verladestellen müssen zu diesem Zweck errichtet werden. Doch am 12. Februar regnet es und es herrscht diesiges Wetter, das keinerlei Artilleriebeobachtung zulässt. Der Vormarsch der schon in ihren Ausgangsstellungen angetretenen Truppen findet an diesem Tag nicht statt. Im Westen dieser nur etwa 15 Kilometer breiten Front zur Maas hin ist das VII. Reservekorps aufmarschiert, in dessen Stoßrichtung die Ortschaften Haumont und Samogneux liegen. In der Mitte vor dem Bois des Caures sowie den Orten Beaumont und Louvemont sind die Hessen des XVIII. Armeekorps stationiert. Östlich hiervon befinden sich die brandenburgischen Truppen des III. Armeekorps, vor denen der Herbebois und der Fossewald liegen. Insgesamt stehen 150000 Mann bereit, von denen sich 32000 in vorderster Linie befinden.
Am 20. Februar klart das Wetter auf. Am kommenden Morgen um 8 Uhr 12 setzt das deutsche Artillerie-Inferno ein. Die Erde bebt und doch überleben unerwartet viele Franzosen in ihren ersten Verteidigungsstellungen und setzen den Angriffen erheblichen Widerstand entgegen. Mühsam kämpfen sich die Deutschen in den kommenden Tagen bis zu fünf Kilometer vor, immer von der französischen Artillerie beiderseits der Maas bedrängt. Am 24. Februar ist der französische Widerstand fürs Erste erschöpft. Die Franzosen verlieren an diesem Tag 20000 Mann, von denen 10000 in Gefangenschaft gehen. Der 25. Februar wird dann zu einem der geschichtsträchtigsten Tage im Ringen um Verdun. Einigen Angehörigen des 24. Brandenburgischen Infanterie-Regiments gelingt es mehr beiläufig, Fort Douaumont einzunehmen. Obwohl von den Franzosen beinahe abgeschrieben und dementsprechend kaum besetzt, wird die Eroberung des Forts als einer der größten deutschen Kriegserfolge gefeiert. Hinter diesem Ereignis treten die Kämpfe um das nahe Dorf Douaumont, die bis zum 2. März zahllose Opfer auf beiden Seiten kosten, zurück. Das Dorf verschwindet wie viele Dörfer und Weiler im Frontbogen von Verdun für alle Zeiten vom Erdboden. Das auf einer Bergkuppe gelegene Fort Douaumont aber wird für die Deutschen in den kommenden Monaten zu einer ganz wichtigen Durchgangsstation für die vorgehenden Truppen.
Die Franzosen aber nutzen die Tage nach dem Fall des Forts Douaumont. General Pétain hat den Oberbefehl über die Front bei Verdun übernommen und organisiert die Verteidigung der Stadt. Eine ununterbrochene Kette von Lastkraftwagen befördert von nun an über eine einzige Straße, die Voie Sacré (Heilige Straße), zusätzlich zu den Soldaten all das, was vorne benötigt wird. Es beginnt ein noch zäheres Ringen um jeden Meter Boden. Von März bis Juli konzentrieren sich die Kämpfe auf ein verhältnismäßig kleines Areal zwischen Douaumont, Thiaumont, Fleury und Vaux, dessen weitester Punkt nur etwa drei Kilometer vom Fort Douaumont entfernt ist. Langsam schieben sich die deutschen Linien – im Gelände kaum als solche erkennbar – über die Minzeschlucht, die Albain- und die Thiaumont-Schlucht, die Todesschlucht, den Caillette- und Chapitrewald, den Fumin in Richtung auf das Dorf Fleury und das Fort Vaux vorwärts. Die deutschen Truppen nehmen auf ihrem Weg unter großen Verlusten kleinere Zwischenwerke, Stützpunkte und Batterien ein, müssen aber beispielsweise noch Ende Mai eine beinahe geglückte französische Rückeroberung des Forts Douaumont verhindern. Der April kostet die Deutschen in Verdun nahezu 40000 Tote, Verwundete und Vermisste, im Mai steigt die Zahl auf etwa 55000 an. Um dem Artilleriefeuer vom Westufer der Maas zu begegnen, beginnt Anfang März der Kampf um die Bergkuppen des Toten Mannes und der Höhe 304, die nach ihrer Eroberung durch die Deutschen im Verlauf des Mai erst im Spätsommer 1917 von den Franzosen zurückerobert werden können.
Am 7. Juni ergibt sich die Besatzung des Forts Vaux, Ende Juni wird das völlig zerstörte Dorf Fleury eingenommen. Vereinzelten bayerischen Soldaten gelingt es sogar kurzzeitig, bis zum Fort Froideterre vorzudringen. Jetzt sind die Deutschen nur noch sechs Kilometer von der Stadt Verdun entfernt, aber ihre Kräfte sind endgültig erschöpft. Im August wird Falkenhayn als Chef des Generalstabs abgelöst und durch von Hindenburg und Ludendorff ersetzt. Der großangelegte Angriff der Franzosen und Engländer an der Somme lenkt seit dem 1. Juli die Aufmerksamkeit der Obersten Heeresleitung auf die Picardie und beweist letztlich, dass »die Hölle vor Verdun« sinnlos gewesen ist. Mit ihren Offensiven vom Oktober und Dezember 1916 werfen die Franzosen die deutschen Truppen auf eine Linie zurück, die in etwa der vom zweiten oder dritten Angriffstag des Februar entspricht. Als wäre nichts gewesen, prägt in den letzten zwei Kriegsjahren wieder der Stellungskrieg das tägliche Bild. Zurück liegt das Jahr 1916, in dem das deutsche Heer vor Verdun insgesamt 337000 Mann eingebüßt hat, während sich die französischen Verluste auf 362000 belaufen. Sie sind in erster Linie Opfer der mindestens 21 Millionen deutschen und 15 Millionen französischen Granaten, die auf das nur etwa 30 Kilometer breite und zehn Kilometer tiefe Schlachtfeld niedergegangen sind.