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Bekanntschaft mit der Hölle: Verdun

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Otto Hayen, geb. 1895:

Dann haben wir die elende Schlacht bei Verdun geführt. Dort sind wir einen Monat gewesen, sind vier Mal eingesetzt worden. Wir haben dort unser ganzes Bataillon erneuern müssen. Alle gefallen oder verwundet. Wir kamen von Azannes auf dem Fußweg zur Brûle-Schlucht. Die Schlucht wurde stark beschossen, weil in dieser Gegend 24er Mörser standen. An der Innenseite der Schlucht waren Küchen aufgestellt. Links von uns war die Hassoule-Schlucht. Von hier aus mussten wir die vielleicht 1000 Meter zum Fort hoch gehen. Die Gegend bestand nur aus Trichtern. Es regnete und überall war Schlamm. Es war fürchterlich damals. Auf dem Pfad, auf dem wir gegangen sind, war der Boden blank. Es wurde immer nur dieser Pfad genommen. Er war der einzige, auf dem man noch laufen konnte. Komischerweise hat er während der ganzen Zeit gehalten, obwohl dort zehn Fesselballons der Franzosen standen, die alles überwachten. Ich bin vier, fünf Mal diesen Pfad längsgegangen. Dann kam man an einem Wasserloch vorbei, aus dem Wasser tropfte. Diese Ecke war früher einmal das Dorf Douaumont gewesen. Aber bevor Sie zu dem tropfenden Dings kamen, mussten Sie über Dutzende von Leichen klettern. Der Franzose wusste von dem Wasserloch und schoss immer wieder hinein. Da lagen Infanteristen, Pioniere, alle haufenweise aufeinander. Jeder wollte Wasser haben und kriegte es doch nicht. Ein Tropfen, schon war er erledigt. Die Pioniere haben verschiedentlich versucht, Rohre von der Brûle-Schlucht zum Fort zu bringen. Sie haben die Rohre verlegt, und zu einem bestimmten Zeitpunkt sollten die Rohre zusammengeschraubt und Wasser durchgeleitet werden. Die Leitung ist nie zustande gekommen. Da liegen Tausende von Leuten neben diesen kaputtgeschossenen Rohren.

Am Fort Douaumont musste man einen großen Trichter runter. Unsere Dicke Bertha hatte dort das Fort durchschlagen und eine Kasematte getroffen. Durch dieses Loch musste man hinein. Nahe des Loches stand ein Motor, die Zentrale für elektrisches Licht. Da lagen nun die 1., die 2. und die 4. Kompanie, und da lagen auch noch Bayern. Ich war damals schon Sanitäter, hatte kein Gewehr mehr nötig, nur eine Pistole zur Selbstverteidigung. Wir trugen die Rot-Kreuz-Binde. Traten Ärzte raus: »Komm mal her, anfassen, Verwundete!« In den Gängen gab es nur Kerzenlicht. Wenn sie sich länger dort aufhielten, wurden die Kerzen immer kleiner, bis es »blupp« machte und sie mangels Sauerstoff erloschen. Wo die Ärzte in Hemdsärmeln arbeiteten, war es schon allein wegen der Wärme fürchterlich. Von dem hinteren Eingangsloch musste man zwei Etagen hochsteigen, bis man plan zum Ausgang war. Der Ausgang war früher ein richtiger Eingang mit Türen gewesen. Heute gab es dort nur Sandsäcke. Es war gerade so viel Platz, dass ein Mann mit Dachs – wir Jäger hatten keine Tornister, sondern Dachse aus Dachsfell – herauskriechen konnte.

Jeder Einsatz, den wir als 2. Kompanie damals machen mussten, war so vielseitig, so ausgedehnt, dass man weiter nichts kannte. Was bei Thiaumont geschah, da bin ich gar nicht dahintergekommen. Nach vier Tagen, die wir draußen gelegen haben, waren alle Menschen weg. Wir hatten zwei Feldwebel, Fahnenjunker, ganz fixe junge Leute, die sind auch dort geblieben. Wir haben Leute verloren! Ich musste einmal Sanitätsgepäck holen. Ich komme wieder von der Brûle-Schlucht bei Tage zum Fort zurück, da kommt mir auf der anderen Seite unser Bataillonskommandeur, Hauptmann Kirchheim, am Kopf verbunden, entgegen. »Kommen Sie mal her, Jäger«, sagt er. »Welche Kompanie sind Sie denn?« Ich sag: »Die zweite.« »Ach, ich will Sie ja nicht aufhalten, aber hier gibt es keinen Krieg mehr. Das ist Mord, was hier geschieht.« Das hat der Hauptmann Kirchheim gesagt. Der ist nachher im Zweiten Weltkrieg noch General geworden.

Mein letzter Einsatz war an dem Bahndamm vor Fleury. Wir hatten ja Fleury schon genommen. Da saß ich tagsüber ganz allein in einem Loch. Die Geschosse sausten über mich hinweg. Wir hatten ihre Bahn schon kennengelernt und wussten, wann so ein schwarzes Ding über uns wegging. Die französischen Flieger flogen 100 Meter über uns, ohne dass etwas passierte. Am gleichen Tag, es wurde schon dämmerig, kommen nachmittags zwei Jäger in mein Loch gesprungen. Ich sag: »Wo kommt ihr denn her?« Das andere war nur das Zischen von Geschossen. Da sagt der eine: »Von Goslar, 10. Jäger.« »Ja, was ist denn eure Heimat?« »Oldenburg.« Ich sag: »Oldenburg ist groß. Wo seid ihr denn in Oldenburg zu Hause? Nun lasst euch nicht ausquetschen.« »Lindenstraße.« Ich stellte fest, dass es zwei Lehrlinge vom Maler Braasch waren. Und neben dem Maler Braasch wohnten wir. Nun stellen Sie sich diesen Zufall einmal vor! Da hab ich gesagt: »Geht nicht weiter vor, geht links oder rechts hin, aber nicht weiter vor. Dort liegt der Franzose, und zwar der Marokkaner.« Ich habe sie nie wiedergesehen. Die Granaten gingen hoch nachher. Sie sind bestimmt nicht mehr am Leben. Ich habe später noch einmal mit der Tochter vom Maler Braasch gesprochen, die sich so halb an die beiden erinnern konnte, aber sie wusste auch nichts Genaues.

Jetzt kommt der Morgen. Mit einmal wird das Feuer von den Franzosen nach vorne verlegt. Es hatte bislang immer nur hinten reingepfeffert. Nicht in unsere Stellung, aber unmittelbar dahinter. Das Gelände erkannte man nur, wenn Leuchtkugeln hochgingen, sonst sah man bloß schwarze Erde. Orientieren konnte man sich überhaupt nicht. Man hatte nur noch im Gedächtnis: »Aha, da liegt das Fort, daher bist du vermutlich gekommen.« Mit Bestimmtheit konnte man aber auch das nicht sagen. Mit einem Mal höre ich einen Pfiff aus einer Pfeife. Ich guck hoch, steht da zehn Meter vor mir eine große Gestalt in einem blauen Mantel und pfeift. Es war ein Marokkaner. Vorsichtshalber hatte ich mir ein Gewehr bereitgelegt – ich hatte ansonsten nur die Walther-Pistole – und habe tatsächlich mit dem Gewehr den Mann erschossen. Tut mir leid, aber es ist einer, den ich bewusst erschossen habe. Er pfiff, Offizier oder sonst was, um seine Leute hochzutreiben. Dadurch, dass er zusammensackte, ist kein Mann hochgekommen. Der Angriff ist nur links von uns vorgetragen worden. Wir haben noch einen Tag dort gelegen ohne jeden Angriff. Abends im Dunkeln kommt ein Mann in mein Loch gesprungen. Es war der Offizier-Stellvertreter. Wir nannten ihn Mohrbock, weil er einen schwarzen Schnurrbart hatte. Wilhelm hieß er. Der sagt: »Ich such hier schon die ganze Front ab. Ich kann niemanden mehr finden, ich hab bislang sieben Mann festgestellt.« Die zweite Kompanie hatte aus 200 Mann bestanden. Von denen, die tatsächlich noch am Leben waren, sind auf dem Rückweg zur Brûle-Schlucht noch einige gefallen. In Azannes wurden wir dann zusammengestellt. Da waren wir vom Bataillon keine 300 Mann mehr. Der Hauptmann Kirchheim hatte es richtig ausgedrückt. Es war kein Feind mehr da, es ging nur noch ums Umbringen.

Hineingeworfen

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