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Kriegsende
ОглавлениеIn Deutschland nimmt währenddessen die Kriegsmüdigkeit konkrete Formen an. Ende Januar 1918 ruft der Spartakusbund – die 1917 durch Abspaltung von der Sozialdemokratie entstandene linksradikale, revolutionäre Bewegung – eine Streikwelle aus. Sie erfasst unter Beteiligung von weit über 100000 Arbeitern kriegswichtige Betriebe in mehreren deutschen Industriestädten. Der Reichskanzler des Sommers 1914, Bethmann Hollweg, ist bereits seit Juli 1917 abgelöst. Nachfolger ist für wenige Wochen Dr. Georg Michaelis. Seit dem 1. November 1917 nimmt seinen Platz Graf Hertling ein. Das Sagen in Deutschland liegt jedoch schon seit geraumer Zeit bei der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff. Sie informieren Berlin nicht nur sehr spärlich, ihre Meldungen an die Reichsleitung lassen bis zum Spätsommer 1918 auch das nahe Kriegsende nicht vermuten. Erst der Zusammenbruch Bulgariens Ende September 1918 gibt Anlass, das Ruder herumzuwerfen. Am 28./29. September fordert Ludendorff mit einem Mal die Regierung auf, bei den Alliierten umgehend um Frieden und Waffenstillstand nachzusuchen. Und er verlangt noch mehr: die Regierung müsse parlamentarisiert werden. Die Verantwortung für das Desaster soll im letzten Moment auf den »Feind« im Innern abgewälzt werden. Am 29. September tritt Hertling zurück. Das konstitutionelle System hat ausgedient.
Sein Nachfolger, gekürt durch die Parteien, wird am 3. Oktober 1918 der Reform-Monarchist Prinz Max von Baden, der allerdings in seinem Amt das Kriegsende auch nicht mehr erleben wird. Von Anfang Oktober datiert das Waffenstillstandsangebot der Mittelmächte an den amerikanischen Präsidenten. Wilson, erst relativ spät auf der traurigen Bühne des Ersten Weltkriegs erschienen, ist seit Ende 1916, d.h. bereits einige Monate vor dem Kriegseintritt der USA, das Medium für einen künftigen Frieden. Es kommt zu einem Notenwechsel, der ganz gezielt Wochen kostet, in denen sich die militärische Situation Deutschlands weiter verschlechtert. Die massiven Forderungen der Alliierten, ihr Streben nach einer deutschen Kapitulation, lassen nun bei der deutschen Militärführung die Nerven durchgehen. Die Oberste Heeresleitung will nun doch bis zum Letzten kämpfen, trifft jetzt aber auf eine deutsche Regierung, die sich gegenüber den Militärs durchsetzen kann und am 26. Oktober 1918 beim Kaiser die Entlassung Ludendorffs erreicht. Sein Nachfolger an der Seite Hindenburgs wird General Groener. Noch wichtiger aber wird, was sich in den folgenden Tagen in der deutschen Flotte abspielt.
Die Seekriegsleitung erwägt in diesen Tagen einen todesmutigen Ausfall auf die Themsemündung und die flandrische Küste. Als der Befehl zum Auslaufen ergeht, kommt es in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1918 auf einigen Schiffen in Wilhelmshaven zu Befehlsverweigerungen eines solchen Ausmaßes, dass die Flotte nicht auslaufen kann. Die Rädelsführer werden verhaftet, ein Teil der Flotte wird nach Kiel verlegt. Am 3. November ereignen sich dort Zusammenstöße zwischen Matrosen und Arbeitern auf der einen und Militärs auf der anderen Seite, in deren Verlauf es die ersten Toten gibt. Die meuternden Matrosen bilden einen »Soldatenrat«. Vom 5. November an gibt es Matrosendemonstrationen in Wilhelmshaven, Cuxhaven, Lübeck, Hamburg und weiteren norddeutschen Städten. Matrosen verbünden sich mit streikenden Arbeitern, örtlichen Funktionären vor allem der USPD und der Gewerkschaften. Überall werden »Arbeiter- und Soldatenräte« etabliert. Jetzt geht es anders als in den ersten Matrosenerhebungen nicht mehr bloß um die Eingrenzung der Rechte der Militärs, sondern allgemein um die Änderung der politischen Machtverhältnisse. Gleichzeitig proklamiert am 7. November 1918 am anderen Ende Deutschlands, in München, der Führer der bayerischen USPD, Kurt Eisner, die Republik. Der König von Bayern tritt zurück. In den Straßen Berlins herrscht zu dieser Zeit noch vergleichsweise Ruhe, allerdings plant der Spartakusbund die Revolution. An seiner Spitze stehen der seit dem 21. Oktober aus dem Gefängnis entlassene Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Das wesentliche Hindernis für einen Frieden ist der Kaiser, der rein politisch gesehen im Verlaufe des Krieges fast jeden Einfluss verloren hat. Seit Ende Oktober fordern insbesondere die Sozialdemokraten seine Abdankung. Der Kaiser selbst zieht sich am 29. Oktober in den Kreis seiner Militärführer ins Hauptquartier im belgischen Spa zurück. Berlin wird er in seinem Leben nie mehr wiedersehen. Eine Verständigung über die Frage der Abdankung zwischen dem Kaiser, seinen Beratern, der Obersten Heeresleitung und den Sozialdemokraten scheitert noch am 6. November. In Spa wird erwogen, den Kaiser an der Spitze des Heeres in die Heimat zurückkehren zu lassen. Diese Idee wird aber verworfen, da mittlerweile große Zweifel an der Loyalität der Fronttruppen bestehen und sich am 9. November die Revolution in Form eines Generalstreiks und mit Großdemonstrationen nunmehr auch in Berlin durchsetzt. Ohne präzisen Auftrag hierfür zu haben, aber beseelt von der Idee, den Bürgerkrieg zu verhindern, nimmt Max von Baden gegen Mittag des 9. November 1918 dem schwankenden Monarchen die Entscheidung ab und verkündet die Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen. Gleichzeitig übergibt er das Kanzleramt an den Führer der Mehrheitssozialdemokraten, Friedrich Ebert. Die Sozialdemokraten nehmen die geschichtliche Herausforderung an, und gegen 14.00 Uhr ruft Philipp Scheidemann in einer spontanen Aktion vor dem Reichstag die deutsche Republik aus. Er kommt auf diese Weise der Ausrufung einer »sozialistischen« Republik zuvor, die dann zwei Stunden später durch Liebknecht vor dem Schloss auch erfolgt. Es gelingt Ebert in den folgenden unsicheren Stunden, die USPD für ein Bündnis mit den Mehrheitssozialdemokraten und den Eintritt in sein Kabinett, den »Rat der Volksbeauftragten«, zu gewinnen. Damit sind die Anhänger einer »Rätediktatur« im Sinne der bolschewistischen Revolution vorerst auf Distanz gehalten.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1918 verständigen sich Groener für die Oberste Heeresleitung und Ebert, Revolution und Militärmacht wechselseitig anzuerkennen. Den schwierigsten Schritt vermeiden die Militärführer aber geschickt. Zur Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarung am 11. November 1918 erscheint in dem legendären Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne vor dem alliierten Oberkommandierenden General Foch eine Delegation aus Zivilisten, angeführt von dem Zentrums-Abgeordneten Matthias Erzberger. Es gibt keinerlei Verhandlungen. Foch fordert die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. In den frühen Morgenstunden des 11. November 1918 unterzeichnet Erzberger die ihm vorgelegten Waffenstillstandsbedingungen. Diese sehen die Räumung der besetzten Westgebiete einschließlich des linken Rheinufers binnen 15 Tagen vor, ferner die Aufhebung der Friedensschlüsse mit Russland und Rumänien, die Auslieferung des schweren Kriegsmaterials und der U-Boote und Aufbauleistungen in den besetzten Gebieten. Einige Stunden später, um 12.00 Uhr mittags am 11. November, ist der Erste Weltkrieg beendet. Der deutsche Kaiser weilt zu diesem Augenblick schon nicht mehr auf deutschem Boden. Er hatte am frühen Morgen des 10. November 1918 mit seinem Hofzug Spa verlassen und sich in die Niederlande ins Exil begeben. Die Truppen an der Westfront erfahren mit Kriegsende von dem Befehl des Armeeoberkommandos, wonach sie Soldatenräte zu wählen haben. Gleichzeitig machen sie sich auf den Weg zurück in die Heimat.