Читать книгу Hineingeworfen - Wolf-Rüdiger Osburg - Страница 26
Zeugnisse
ОглавлениеJulius Kreckler, geb. 1896:
Auf Sylt habe ich bis 1915 Buchdrucker gelernt. An dem Samstag, an dem der Krieg ausbrach, habe ich ein Extrablatt gedruckt. Es spielte die Musikkapelle aus Musikern des Berliner Opernhauses. Ich reichte dem Kapellmeister das Blatt, wonach der Kaiser die Mobilmachung angeordnet hatte. Sofort wurden vaterländische Lieder gespielt. Einige waren begeistert, andere ein bisschen zurückhaltend.
Friedrich Findeisen, geb. 1896:
In den Stunden, bevor der Krieg begann und es brenzlig wurde, bin ich mit anderen jungen Leuten – wir werden ungefähr zwischen 50 und 100 gewesen sein – zur Reichskanzlei gezogen. Wir standen im Vorgarten, und dann erschien der Reichskanzler Bethmann Hollweg auf dem Balkon und sagte uns, es würde noch verhandelt. Weil es an sich kein Angriff auf das Land Österreich war, war man sich wohl über die Auslegung des Bündnisvertrages mit Österreich nicht ganz einig. Es sei eben nur ein ideeller Angriff gewesen. Es bestünde noch eine kleine Hoffnung, dass der Krieg vermieden werden könne. Wir haben uns noch eine Weile in der Gegend der Reichskanzlei herumgedrückt, waren aber neugierig und sind immer wieder hingegangen. Da kam er wieder heraus und sagte, leider wären die Verhandlungen nicht günstig ausgegangen, der Krieg sei unvermeidlich. Anschließend sind wir zum Lustgarten gelaufen. Ich traf dort ein, als der Kaiser auf den Balkon des Schlosses trat und das berühmte Wort sprach: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.« Der Platz im Lustgarten war ziemlich stark gefüllt. Es gab natürlich Beifall.
Fritz Siemers, geb. 1897:
Es war sehr heiß. Und dann hieß es plötzlich: »Wir haben mobilgemacht.« Es war ein Chausseewärter, der anhielt und das ausrief. Alarm für Mobilmachungen hatte es ja schon öfter mal gegeben. Ich habe mir nicht viel daraus gemacht: »Dann haben wir eben mobilgemacht.« Abends sind wir zum Bahnhof gegangen und haben die Züge voller Feldgrauer gesehen und die Aufschriften an die Zugwagen geschrieben mit Kreide. Die Leute waren alle so begeistert, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Bei Hitler war das ganz anders. Die Auffassung 1914 war: »Es musste einfach losgehen.« Die Soldaten wurden mit Schokolade und anderen Sachen überhäuft. Die Geschäftsleute gaben, wenn sie konnten, gleich ein paar Mark, und wenn einer kein Geld hatte, so gab er etwas zu trinken oder zu rauchen. Wir haben uns gedacht: »Das muss so sein, weil sie alle Krieger sind.« So war das, als der Krieg ausbrach.
E. E., geb. 1896:
1914 war ich in Varel in der Lehre bei einem Getreidegroßhändler, Getreideimport aus Russland. Ich musste ein Telegramm zur Post bringen und ging am Rathaus vorbei. Da kam gerade der Rathausdiener heraus, machte diesen Gitterkasten für die öffentlichen Anschläge auf und brachte – es war nachmittags gegen 5 Uhr – einen neuen Zettel an. Ich stieg vom Rad und dachte: »Was packt der da für einen neuen Zettel rein?« Da war es die Mobilmachung. Dem Zettel konnte ich entnehmen, dass ich schon in dem Alter war, in dem man dienen müsste, wenn ich aufgerufen wurde. Das war ein Schlag. Ich bin zur Post gegangen und habe bei mir gedacht: »Du bist ja schon 17 und damit reif für die Front.«
R. M., geb. 1898:
Wir wohnten in Anrath bei Krefeld ganz in der Nähe der Bahnstrecke, die zum Westen, Richtung Aachen, führte. Auf unseren Abendspaziergängen an diesen Tagen haben wir sehr viele Transporte gen Westen rollen sehen. Militärtransporte mit diesen bekannten Sprüchen wie »Jeder Schuss ein Russ’, jeder Stoß ein Franzos’«, also eben das, was nachträglich mit Hurra-Patriotismus bezeichnet wurde. Es lagen ja auch 40 Jahre Frieden hinter uns, und kein Mensch hatte im Grunde eine Ahnung, was Krieg bedeutete.
K. Ol., geb. 1896:
Im Juli 1914 war ich für vier Wochen in England. Mein Vater hatte den Wunsch, dass ich mich dort den Großteil meiner Ferien aufhalten sollte, um die englische Sprache zu lernen. Ich war in einer englischen Pastorenfamilie in Hastings untergebracht. In den letzten Juli-Tagen, am 30. oder 31. Juli, kam ein Telegramm aus Hannover von meinem Vater, in dem nur stand: »Sofort zurückkommen.« Es war natürlich schon aus den Zeitungen bekannt, dass die Kriegsgefahr aufs Höchste gestiegen war. Ich bin mit dem letzten Schiff, einem holländischen, von Folkestone an die französische Küste gefahren und passierte am 3. August die deutsche Grenze. Es war bereits der erste Mobilmachungstag und wir wurden nur ganz flüchtig kontrolliert. Dann kam ich in Hannover an. Auf dem Hauptbahnhof war ein riesiges Gewimmel von eingezogenen Soldaten mit Handgepäck, die sich alle zu ihren Truppenteilen begaben. Abends kam ich bei meinen Eltern an und fiel ihnen in die Arme. Sie waren glücklich, dass ich wieder da war.
Hermann Baass, geb. 1897:
1913 waren wir nach Paris gezogen, wo wir im 10. Arrondissement in der Rue Château d’Eau wohnten. Das war ein Deutschenviertel, in dem ungefähr 100000 Deutsche lebten. Der Krieg kam für uns überraschend. Wir standen am Tag zuvor, am Abend des 31. Juli 1914, zusammen mit einigen Deutschen und vielen Franzosen vor Le Matin, der größten französischen Tageszeitung. Alles wartete auf das Urteil gegen Madame Caillaux, die Frau des Finanzministers, die einen Redakteur erschossen hatte, weil er über ihren Mann schlecht berichtet hatte. Sie wurde freigesprochen. Mit einem Mal wurde die Kriegserklärung Deutschlands gegenüber Frankreich veröffentlicht. Einige Schritte von uns entfernt schrie ein Deutscher: »Nieder mit Frankreich!« Er wurde verprügelt. Ich habe später in einer deutschen Zeitung gelesen, dass damals schon in großem Umfang aktiv gegen Deutsche vorgegangen wurde. Das war aber nicht der Fall.
Am nächsten Tag wollten wir flüchten. Mein Vater war auf der Gesandtschaft gewesen, und da wurde ihm empfohlen zu verreisen, der Krieg könne nicht lange dauern. »Wir haben keine Kohlen mehr und die Franzosen ebenso«, wurde ihm mitgeteilt. Am nächsten Tag bekam ich von meinem Vater Geld, um die Monatsrechnungen beim Milchhändler, Brothändler und Schlachter zu bezahlen. Mein Vater hatte mir Franc-Scheine mitgegeben, aber die Leute wollten Silber haben. Mir wurde geantwortet: »Dann zahlen Sie, wenn Sie wiederkommen.« So waren wir Deutsche dort angesehen, keine Gehässigkeit, gar nichts. Spätabends sind wir nach dem Gare du Nord gefahren und es war abgesperrt. Vor allem gab es viele, viele französische Reservisten, die zu ihren Regimentern wollten, und dazwischen Deutsche. Meine Mutter, meine kleinen Geschwister und mein älterer Bruder, der 18 war, kamen auf Umwegen in den Bahnhof hinein. Wir hatten nämlich einen Diener, dessen Freund Kellner im Wartesaal war. Mein Vater und ich sind über das eiserne Gitter geklettert. Die Koffer – wir hatten nur wenig bei uns – wurden von anderen über das Gitter gereicht und dann haben wir Platz genommen. Meine Mutter hatte einen Sitzplatz und die kleineren Kinder auch. Meine Schwester war zehn, mein kleiner Bruder sechs. Dann fuhr der Zug los, brechend voll. In Maubeuge mussten wir raus. Wir sind in den Wartesaal gegangen. Es war der 1. August 1914.
Es lief ein Zug ein, mit dem die deutsche Gesandtschaft Frankreich verließ. Wir erkannten einige Mitarbeiter der Gesandschaft von Empfängen für die Deutschen in Paris. Plötzlich entdeckten wir im Gepäckwagen unsere Koffer. Wir haben unseren Vater geholt und konnten schließlich nach Brüssel mitfahren. Dort mussten wir den Zug verlassen und nahmen ein Hotel für die Nacht. Am nächsten Tag haben wir uns als Engländer angemeldet und in einem holländischen Ledergeschäft in der ersten Etage drei Zimmer möbliert gemietet. Dort sind wir erst einmal eingezogen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Bei Einkäufen haben mein Bruder und ich englisch gesprochen. Zehn Tage später erfuhren wir, dass unsere Wohnung gestürmt werden sollte, weil die Belgier unsere wahre Nationalität herausbekommen haben. Die uns stürmen wollten, waren keine Wallonen, das waren Flamen. Wir sind zum Bahnhof gefahren und wollten über Ostende nach England. Es hieß aber, in Ostende würden Deutsche ermordet. Wir sind erst einmal wieder in unsere Wohnung zurückgekehrt, die dann aber tatsächlich von Flamen gestürmt wurde. Es gelang uns, rechtzeitig über den Garten in die andere Straße zu gelangen. Ich wurde mit einem Hundert-Franc-Schein losgeschickt, um eine Taxe zu holen, die uns zum deutschen Generalkonsulat bringen sollte. Die Straße vor dem Konsulat war vom belgischen Militar abgesperrt. Dennoch fanden wir jemanden, der uns gegen Geld zum Konsulat brachte. Es wurde später gesagt, fünf- bis sechstausend Deutsche seien da gewesen, die Treppen und das gesamte Konsulatsgebäude war belegt. Die Deutschen wurden daraufhin in einen Zirkus gebracht, wo wir alle ringsherum saßen, während auf der Bühne die belgischen Soldaten mit ihren hübschen Friedensuniformen standen. Mein älterer Bruder musste immer bei der Familie bleiben, mein Vater und ich sind auf die Straße gegangen. In den Zeitungen stand, die Belgier hätten Köln erobert. Auf einmal kamen Lazarettautos und wir fragten uns, wie denn die Lazarettwagen hierher kommen konnten, wenn die Belgier in Köln sein sollten. Vereinzelt hörten wir auch Kanonendonner. Teile Belgiens waren ja tatsächlich schon von deutschen Truppen eingenommen worden.
Es war Mitte August 1914. Dann wurden wir im Morgengrauen in einer langen Menschenkette unter Bewachung zu einem Zug gebracht und von Brüssel an die holländische Grenze befördert. Eine Lederaktentasche mit den Familiendokumenten war das Einzige, was wir an Gepäck hatten. Vom letzten Grenzbahnhof aus mussten wir zu Fuß nach Holland laufen. Erst kamen belgische Patrouillen, dann holländische Grenzposten. Mein Bruder und ich verloren meine Eltern und meine Geschwister aus den Augen. Die belgischen Soldaten wollten unsere Papiere sehen, aber wir hatten keine. Mein Bruder und ich waren auf dem Pass meiner Mutter mit drauf. Da wir Französisch konnten, wurden wir durchgelassen. Im holländischen Roosendaal trafen wir uns wieder. Von dort aus kamen wir dann nach Deutschland. In Bergedorf wurden wir von Verwandten aufgenommen. Ersatz für verlorengegangenes Hab und Gut oder eine sonstige Unterstützung gab es damals noch nicht. Mein Vater hatte aber bei der Abreise noch einen größeren Geldbetrag bei sich und es ging uns gut.
G. D., geb. 1898:
Wir wohnten damals so ungefähr 30 Kilometer vor der russischen Grenze. Polen gehörte ja noch zu den Russen. Wir waren in Ostpreußen sehr königstreu. In der Schule wurde uns gesagt: »Der Kaiser ist ein lieber Mann, der wohnet in Berlin.« Als der Krieg nun begann, kamen die Kosaken sofort über die Grenze. Das war ein Beweis, dass der ganze Krieg schon lange vorbereitet war, wir aber ahnungslos waren. Die Russen kamen in das Gebiet, um die männliche kriegstüchtige Jugend abzuschöpfen. Das ist geschehen und die Männer sind nach Russland transportiert worden. Ich war zu diesem Zeitpunkt auf dem Feld, das etwas abseits von unserem Gutshof lag, und mit einem Mal kommt mein Vater oder einer meiner jüngeren Brüder – ich kann das heute nicht mehr sagen – zu mir und schreit: »Du musst schnell weg, die Russen sind hier und nehmen alle Männer mit.«
Ich bin dann geflohen, zunächst nach Pommern und von dort nach Westfalen, wo meine Tante verheiratet war, und habe als 16-jähriger junger Mann über ein Jahr in der Grube gearbeitet. Mit mir geflohen ist ein jungverheirateter Mann, der hatte ein kleines Kind. Der ist erst nach Jahren wieder zurückgekommen und hat die Frau mit dem kleinen Kind ganz allein zurücklassen müssen. So waren die Zustände damals. Die Russen sind ungefähr hundert Kilometer in Ostpreußen eingedrungen. Meine Mutter hat das alles mitgemacht, der Vater auch. Er war schon älter und so haben sie ihm nichts getan. Und mein zweiter Bruder musste die ganze Zeit in der Scheune oben im Stroh sitzen. Nur nachts kam er runter und hat gegessen. Inzwischen drängte Hindenburg die Russen aus Ostpreußen raus. Da bin ich zurückgekehrt und habe eine Arbeit bei der Post angenommen.
August Urban, geb. 1896:
Ich habe die Mobilmachung in Hamburg auf dem Jungfernstieg erlebt. Die Menschen haben sich alle umarmt, gingen auf der Breiten Straße auf und ab und sangen patriotische Lieder, das »Deutschlandlied«, »Die Wacht am Rhein«. Dabei konnte ich mir gar nicht vorstellen, was so ein Krieg in dieser Zeit bedeuten würde. Im Alsterpavillon spielte an diesem heißen Sommertag die Kapelle. Die Menschen haben rauf und runter mitgesungen. Dann hieß es, dass wir zum österreichischen Konsulat, das an der Moorweide lag, ziehen wollten. Da bin ich dann auch mitgewesen. 1914 war die Begeisterung unter den jungen Leuten, den Studenten, die doch alle deutsch-national erzogen worden waren, noch groß. Der Professor sagte: »Wer meldet sich freiwillig? Alle! Habe nichts anderes erwartet, meine Herren.«
Alfred Hardt, geb. 1898:
Ich wurde nahe dem Hamburger Hafen auf der Veddel geboren. Obwohl dies eines der SPD-Viertel ist, wurde dort bei Kriegsbeginn höllisch gefeiert. Ich habe noch gehört, wie einer sagte: »Erst hat Kaiser Wilhelm nur vom roten Arbeiterpack geredet. Jetzt aber kennt er nur noch Deutsche und da gehören wir zu.«
Wilhelm Eddelbüttel, geb. 1894:
Ich bin direkt am Hamburger Hafen an den Vorsetzen aufgewachsen. Ich gehörte schon früh der Sozialdemokratie an. Vor dem Krieg fanden Versammlungen statt, die gegen den Krieg gerichtet waren und an denen ich immer teilnahm. In unserer Partei war eigentlich jeder Gegner des Krieges. Als nachher der Krieg in Gang kam, wunderte ich mich, dass überall Kriegsbegeisterung zu spüren war. Andere Stimmen kamen gar nicht mehr zum Tragen. Es war erstaunlich und machte uns stutzig, dass im Reichstag bis auf zwei Mitglieder alle für den Krieg gestimmt hatten. Allmählich sagte ich mir: »Ja, wenn alle dafür sind und du allein dagegen, dann irrst du dich wohl.« In der SPD kamen wir jetzt nicht mehr zusammen. Ich war schon im Frühjahr 1914 angesetzt worden, und als ich dann einige Wochen später eingezogen werden sollte, ging ich eigentlich mit einer Selbstverständlichkeit mit.
Karl Theil, geb. 1893:
Ich war damals in meinem zweiten Dienstjahr, hatte eine schöne Extra-Uniform, blau, schick, und auch einen langen blanken Säbel. Alles wurde eingepackt, die feldgraue Kriegsuniform angezogen. Wir zogen 1914 mit der Pickelhaube los. Wer noch einmal nach Hause gehen mochte, konnte fahren. Ich bin noch einmal bei meinen Eltern gewesen. Was war da los: »Krieg, Krieg, hoffentlich überstehst du das.« Die Eltern waren natürlich geknickt, wie man das von Eltern annehmen kann. Ich war jung, damals 21 Jahre. Man selbst ist mitten drin in dem Wirrwarr, Mobilmachung usw., das lenkt ab. Wir wurden dann mit der Bahn von Belgard bis Aachen transportiert. Unterwegs auf den Bahnhöfen standen die jungen Menschen, vor allem viele Mädchen und Kinder, und winkten. Die Begeisterung war damals groß. »Heil Dir Kaiser«, das war nichts Besonderes. Es war alles wie beim lieben Gott.
Dr. Bernhard Lehnert, geb. 1896:
Als der Krieg ausbrach, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich mich dem Vaterland zur Verfügung stellen musste. Ich habe mich also kriegsfreiwillig gemeldet für das Infanterie-Regiment 36, das damals in Halle stand. Ich brauchte dafür die Zustimmung meiner Mutter, die mir diese aber ohne Weiteres und ohne darüber zu diskutieren erteilte. So bin ich also mit Kriegsausbruch sofort Soldat geworden. Sorgen hat man sich damals eigentlich kaum gemacht. Die Begeisterung, dem Vaterland zu dienen, war so groß, dass überhaupt keine Überlegungen angestellt wurden. Ich weiß nur, ich hatte mir seinerzeit durch Nachhilfestunden Geld verdient und hiervon ein paar Schuhe gekauft. Als ich ausrückte, habe ich zu meinem jüngsten Bruder gesagt: »Sollte ich nicht wiederkommen, die Schuhe schenke ich dir.« Es war die allgemeine Auffassung bei Kriegsausbruch: »Zu Weihnachten ist der Krieg zu Ende. Die enormen Waffen, insbesondere das Maschinengewehr, lassen es nicht zu, dass der Krieg lange dauert, da eben zu viele totgeschossen werden.«
H. W., geb. 1897:
Ich fuhr mit dem Sohn meiner Wirtin zuerst nach Magdeburg, um mich bei der Fußartillerie zu melden. Ich war früh gemustert und, da ich ziemlich kräftig gebaut war, der Fußartillerie zugewiesen worden. In Magdeburg wurden wir nicht angenommen. Wir fuhren dann nach Wittenberg. Der Feldwebel, der uns anhörte, wollte uns zunächst auch abweisen. Da erklärte ich ihm: »Nehmen Sie uns doch 14 Tage auf Pump.« Daraufhin lachte er und sagte: »Bleibt beide hier.« Ich kam dann mit dem Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 49 im November 1914 an die Ostfront.
R. S., geb. 1896:
Wir fanden Aufnahme in der großen Atmosphäre, der vaterländischen Begeisterung, die damals alle bewegte. Das ist etwas Einmaliges gewesen, das wohl nie wiederkommt, da heutzutage den jungen Menschen die großen Gedanken fehlen. Ich war damals in der Oberprima, und wir haben uns alle gemeldet. Wir machten das Notabitur. Unser Aufsatzthema hieß: »Was berechtigt uns zu der Hoffnung, mit freudigem Mut in den Kampf zu ziehen.« Es wurden natürlich alle Fächer geprüft, aber in kürzerer und freundlicherer Form. Das war für mich ein großes Glück, normalerweise wäre es schwieriger geworden, die Sprachen Latein, Griechisch sowie Mathematik. Die Schule, die es mir sehr schwer gemacht hat, war nun erledigt. Jetzt herrschte die Begeisterung, für das Große da zu sein. Es wird nie wieder so eine Begeisterung geben.
J. E., geb. 1895:
Es waren die ersten Tage im August 1914, als ich mich als Lehrling in Hamburg wie Millionen Deutsche hingerissen fühlte, dem Vaterland zu dienen. Ich ging abends nach Geschäftsschluss in die Sedanstraße in Hamburg-Altona, um mich freiwillig zu melden. Als ich zum dritten Mal da war, wurde es dem Unteroffizier, der die Abfertigung machte, zu dumm und er fragte mich: »Wo wohnen denn Ihre Angehörigen?« Ich sagte: »In Breslau.« Da sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und sagte: »Mein Gott, dann gehen Sie doch nach Breslau. Was meinen Sie, was da für Militär liegt. Da sind zwei Infanterieregimenter, ein Kürassierregiment, ein Artillerieregiment. Da werden Sie eher drankommen als hier.« Ich folgte seinem Ratschlag, setzte mich am nächsten Tag, nachdem ich zum Entsetzen meines Chefs all meine Verbindungen in Hamburg abgebrochen hatte, in den Zug und fuhr nach Breslau.
Die Züge waren so überfüllt, dass man nicht einmal auf die Toilette gehen konnte. Mitunter hielt der Zug auf Bahnhöfen für mehrere Stunden, da andere Züge Vorrang hatten. Dann rannten viele von uns in die nächstgelegenen Dörfer und kamen einige Zeit später mit den Maruschkas und den Bäuerinnen zurück mit Körben voll Brot, Selters, Zigarren und Zigaretten, Obst und allem Möglichen. Also, das war eine Freude! Nach zwei Tagen waren wir dann endlich in Breslau. Mein Vater betrieb dort das Café »Vier Jahreszeiten« und wir hatten unter unseren Gästen viele Reserveoffiziere. Ich bat meinen Vater: »Frag doch bitte mal deine Gäste, ob mir nicht einer einen Rat geben kann, wie ich bei den Soldaten angenommen werde.« Es dauerte drei Wochen. Einer der Gäste hatte meinem Vater gesagt, in einer Schule in der Nähe von Breslau sei eine Notkaserne eingerichtet worden und da würden noch Kriegsfreiwillige angenommen. Ich meldete mich und kam dorthin.
Gerhard Bahrmann, geb. 1896:
Anfang Juli 1914 bin ich mit dem Wandervogel für 14 Tage in den Böhmerwald gefahren und habe den Ausbruch des Krieges im Böhmerwald miterlebt. Mir ist noch im Gedächtnis, wie die Frauen weinend ihre Männer in den Krieg entließen. In diesem Augenblick dachten wir aber noch nicht daran, dass es auch uns treffen würde. Wir hielten uns vielmehr an das Wort von Kaiser Wilhelm II.: »Wenn die Blätter fallen, seid ihr alle wieder zu Hause.« Wir dachten an einen Blitzkrieg. Als ich nach Hause kam, war schon acht oder zehn Tage vorher der Aufruf an die deutsche Studentenschaft ergangen, sich kriegsfreiwillig zu melden. Es war eine ungeheure Begeisterung aller Schichten, auch der Gebildeten.
Ich habe mich gleich 1914 freiwillig gemeldet, »kriegsmutwillig«. Sich freiwillig zu melden war für mich aufgrund der patriotischen Einstellung meines Elternhauses eine Selbstverständlichkeit, obwohl ich als Wandervogel schon eine gewisse Kulturkritik in mir hatte. Zudem herrschte 1914 eine allgemeine Ansteckung, eine idealistische Massenpsychose. Wie wir dann später im Dreck von Flandern lagen und froren, habe ich mich schon manchmal gefragt: »Deine Klassenkameraden sitzen zum größten Teil noch in Leipzig zu Hause und du bist einzig draußen. Warum hast du das eigentlich getan?« Und meine Antwort war: »Für meine Mutter und meine Schwester!« Das waren weniger vaterländisch-nationalistische Gedanken, sondern es war eine Verpflichtung.
Herbert Dangers, geb. 1898:
Als ich aus den Schulferien zurückkam, traf ich meinen besten Schulfreund, der allerdings drei Jahre älter war als ich, auf der Straße und er sagte mir, er hätte sich freiwillig gemeldet. Ich fragte ihn: »Wieso denn? Wir haben ja noch ein stehendes Heer und zudem Reserveformationen.« Als ich dann in die Klasse kam, waren bloß noch vier außer mir da. Die anderen hatten sich alle freiwillig gemeldet. Ich war zwar der Jüngste in der Klasse, aber körperlich den anderen durchaus gewachsen. Da dachte ich: »Dann machst du das auch.«
Ernst Krummrey, geb. 1896:
Ich war 1914 in Neuruppin auf dem Seminar. Als der Krieg ausbrach, war die Zeit der großen Ferien, und ich befand mich zu Hause bei meinen Eltern in Berge. Ich ging wieder zurück auf das Seminar und hatte dort Verbindung mit Klassenkameraden, die sich freiwillig gemeldet hatten. Ich schrieb an meinen Vater: »Ich möchte Soldat werden und auch für mein Vaterland kämpfen.« Mein Vater schrieb zurück: »Wenn du gezogen wirst, dann geh in Gottes Namen, aber freiwillig gebe ich dich nicht her.«
F. Kn., geb. 1897:
Es hatte doch eine gewisse Kameradschaft in der Schule gegeben, und deshalb sah man natürlich auch, dass man zur gleichen Waffengattung kam. Als wir uns zu Hause verabschiedeten, war uns doch ein bisschen mulmig. Die Gefühle des Menschen können häufig nicht scharf voneinander getrennt werden. Aber als wir dann in den Zug eingestiegen waren, da war es schon wieder ein wenig besser. Es ist wie bei kleinen Kindern, eben heulen sie und Tränen fließen und im nächsten Moment lachen sie wieder. Das ist in dem Alter noch nicht ganz entschwunden. Gott sei Dank ist noch ein bisschen Gedankenlosigkeit in einem und man malt sich nicht aus, was im Krieg geschehen wird. Dass geschossen wird und man fallen kann, weiß man schon, aber dass man gedacht hat: »Ich will für mein Vaterland kämpfen und mein Leben einsetzen«, das ist Unfug. Es war ganz klar, dass man wiederkommt. Meine Schulkameraden und ich haben an unsere Begeisterung geglaubt. Ich mache aber heute um das Wort Begeisterung zwei Gänsefüßchen. Das ist im Großen und Ganzen Abenteuerlust gewesen. »Mensch, du brauchst nicht mehr in die blöde Penne gehen.« Und »Es gibt was zu erleben im Krieg.« Unsere Gedanken waren: »Unser Professor soll seinen Sch... selber machen, und wenn niemand mehr da ist, dann soll er daheim bleiben, wenn er zu alt ist für die Soldaten.«
Ludwig Karl Diebold, geb. 1899:
Das 3. Bataillon des 17. Bayerischen Infanterie-Regiments, also die 9., 10., 11. und 12. Kompanie, rückte schon am 28. Juli 1914 aus. Obwohl wir noch nicht 16 Jahre alt waren, wollten wir natürlich alle mit. Bis auf drei Jungen aus unserem Nachbarort Lingenfeld und mich sind alle von ihren Eltern zurückgehalten worden. Wir konnten uns in die Kompanie hineinschleichen. Mich hat dann aber ein Unteroffizier angesprochen, der mich nicht leiden konnte, und hat mich in Landau verraten. Der Hauptmann Sigl wurde gerufen und sagte: »Du musst zurück, das geht nicht.« Sie haben niemand nehmen dürfen, der unter 16 Jahre alt war. Die drei Lingenfelder gingen aber mit bis Lunéville. Der eine von ihnen hat im Kampf sogar ein Auge verloren. In Lunéville ist dieser Hauptmann Sigl gefallen. Es kam ein neuer Kompanieführer, und der hat die drei Jungen nach Hause geschickt.
Johann Buck, geb. 1898:
Auch wir, die wir nicht Soldaten waren, waren in den ersten Kriegstagen sehr engagiert. Man hatte uns klargemacht, dass wir nun große Dienste zu leisten hätten. Wir taten das auch gerne. Als Schüler mussten wir vom Stader Zeughaus Gewehre zum Bahnhof bringen und dort den Soldaten, die bislang noch unbewaffnet waren, aushändigen. 1914/15 trat hier in der Gegend von Stade der Kartoffelkäfer auf. Da verbreitete man, dass die Franzosen den Kartoffelkäfer von einem Flugzeug abgeworfen hätten. Die Parole war: »Alles Schlechte kommt aus Frankreich.« Wir Schüler wurden nun eingesetzt, Kartoffelkäfer abzusammeln. Nachher haben es die Fasane aber besser gemacht als wir.
Prof. Dr. Willi Wegewitz, geb. 1898:
Ich hatte ja noch Schulferien, und in den Augusttagen musste ich nach Stade. Ich fuhr mit dem Fahrrad und wurde an mehreren Stellen angehalten und musste meinen Ausweis vorweisen. Man fürchtete Spione. Ich erfuhr durch eine Zeitung, dass an irgendeinem Ort an solch einem Haltepunkt ein Landrat erschossen worden war. Wir hatten nicht viel Unterricht in Stade, spielten daher Krieg und fochten in den Schwinge-Wiesen eine Seeschlacht aus. Mein Freund aus Harsefeld kriegte mit dem Ruder einen verpasst, fiel koppheister aus dem Kahn ins Wasser. Wir bekamen nun Behelfslehrer, ältere Lehrer, besonders Klaus Schröder. Das war ein richtiger Plattdeutscher von über 80 Jahren. Jeden Sonntag mussten wir die Wilhadi-Kirche besuchen. Es wurde kontrolliert, dass wir auch wirklich zur Kirche gingen. So habe ich natürlich auch den Festgottesdienst mitgemacht, als die 76er ins Feld entlassen wurden. Ich erinnere mich noch an den Pastor Brugenz. Das war ein lebhafter Mann auf der Kanzel, und ich habe ein Wort nicht vergessen, das er sagte: »Da wird die Zeit kommen, wo das lumpige Volk der Engländer mit Gestank hinunterfahren wird in die Hölle.«
Karl Peters, geb. 1898:
Wir waren noch in den großen Ferien, als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg begann. Damals ging ein Gerücht durch ganz Deutschland, dass sich die Franzosen angeschickt hätten, Gold in Autos versteckt quer durch Deutschland nach Russland zu bringen. Ein damals durchaus denkbarer Weg, denn Frachtflugzeuge gab es noch nicht. Ganz Deutschland war drauf und dran, diese Autos abzufangen. Ich habe dies aus allen Gegenden Deutschlands immer wieder bestätigt gefunden. Gewissermaßen eine Psychose hatte uns erfasst, den Russen diese Beute abzujagen. Und so haben wir als Seminaristen in Harpstedt, meinem Geburtsort, auf der Lauer gelegen. Wir sind die ganze Nacht hindurch bis vier Uhr morgens auf Posten geschickt worden, aber ohne Waffen, um diese Autos abzufangen.
Willi Marquardt, geb. 1898:
Ich war damals erst 16 Jahre alt. Mein Vater, obwohl begeisterter Soldat, sagte: »Du hast noch Zeit, du wirst schon noch drankommen. Ich gebe dir nicht die Erlaubnis.« Andere Schüler aus meiner Klasse bekamen die Erlaubnis, fuhren nach Danzig und sahen sich die Sache dort einmal an. Sie mussten im Stall übernachten und schon alles an Dienst mitmachen. Das gefiel ihnen nicht, und da fuhren sie alle wieder nach Hause.
Dr. Arthur Tischer, geb. 1895:
Sehr viele meiner Mitschüler, sogar Lehrer, mit denen wir dann auf einmal auf Du und Du waren, haben sich als Kriegsfreiwillige gemeldet. Ich habe zunächst gezögert. Nun hatte ich vor, Medizin zu studieren, und, da ich nicht gerne andere Menschen umgebracht hätte, habe ich es vorgezogen, mich für den Sanitätsdienst freiwillig zu melden, in der Erwartung, ich könne dadurch in diesem Kriegsgeschehen etwas Positives bewirken. Wäre ich als normaler Soldat in die kämpfende Truppe gekommen, hätte ich halt schießen müssen wie andere auch, aber solange es eben ging, habe ich mein Ziel verfolgt. Wir sind dann in Offenburg in dem dortigen Krankenhaus als Sanitäter ausgebildet worden und im Oktober in eine Sanitätskompanie nach Karlsruhe versetzt worden.
Kurt Weickhmann, geb. 1897:
Überall herrschte eine Hurra-Stimmung: »Zum Krieg sind wir geboren.« Dann kamen mir aber doch Bedenken, dass ich im Krieg Menschen erschießen müsste. Da bin ich an einem Sonntag in die Kirche gegangen. Der Pastor war national eingestellt, und die Predigt war ganz darauf ausgerichtet. Ich bin ziemlich beruhigt wieder nach Hause gegangen.
Wilhelm Rath, geb. 1895:
Mit dem Ausbruch des Krieges fand meine Seefahrtslaufbahn ein jähes Ende. Am 1. August mittags kam ein Postbote durch den Elbtunnel und brachte uns die Meldung, dass die Mobilmachung befohlen sei. Ich ging von Blohm & Voss durch den Elbtunnel nach Hamburg rüber, neben mir ging mein Freund und Kollege, der nicht zur See fuhr, sondern Bootsmann war. Er war ganz niedergeschlagen. Da er militärpflichtig war, musste er nun Soldat werden. Er wurde eingezogen, und sein Lebenslauf nahm nun einen ganz anderen Weg. In Hamburg herrschte riesige Freude. Auf der Reeperbahn war alles in hellem Aufruhr. Aus den Lokalen und Theatern schallte vaterländische Musik. Es war ein Lärm ohnegleichen. Ich gehörte damals dem Verein der Schiffsunteroffiziere an, das waren Bootsmänner, Zimmermänner und Stewards. Ich bin in den kommenden Tagen noch mehrmals zu Versammlungen gegangen, und da war die allgemeine Stimmung, der Krieg könne nicht lange dauern, es könne sich nur um eine kurze Zeit von zwei, drei Wochen handeln.
Schon bald ging alles wieder seinen alten Gang. Ich wohnte in Altona auf einem Zimmer und habe erst mal drei Wochen gebummelt, bis ich mich im Baugewerbe wieder zur Arbeit gemeldet habe. Auf meinen Spaziergängen in dieser Zeit habe ich immer wieder beobachtet, wie die Reserven eingezogen wurden und die Soldaten in früher Morgenstunde zu den großen Exerzierplätzen nach Bahrenfeld marschierten, von wo sie mittags schweißgebadet mit der Musikkapelle heimgeführt wurden. Ich habe sie auch begleitet, wenn sie mit Gewehr über der Schulter fix und fertig zum Bahnhof zogen, dort verladen wurden und an die Front kamen. Einmal entdeckte ich dabei auch einen Freund aus Ribnitz. Er sprang aus seiner Reihe heraus und wir haben uns begrüßt. Er sagte zu mir: »Du solltest dich auch freiwillig melden. Weihnachten ist der Krieg bestimmt vorbei, und alle, die am Krieg teilgenommen haben, werden entlassen und sind mit ihrer Militärzeit fertig.« Beneidet habe ich ihn aber nicht. Ich wusste mich ja in Sicherheit, da ich für das Militär zur seemännischen Bevölkerung gehörte. Als ich mich in Altona beim Bezirkskommando zur Aushebung meldete, wurde mir mitgeteilt, dass es noch keinen Bedarf zum Einziehen gebe. Das hat sich dann so fortgesetzt. Die kurze Seefahrtszeit hat mir das Leben gerettet, sonst wäre ich als Zimmermann zu den Pionieren eingezogen worden.
Prof. Dr. Wilhelm Wortmann, geb. 1897:
Anfang August traf ich auf der Straße einen Bekannten, der lange Zeit in China gelebt hatte und wegen seiner Frau 1913 nach Deutschland zurückgekehrt war. Ich fragte ihn: »Hast du die letzte Nachricht gehört? England hat uns den Krieg erklärt.« »Ihr ahnt ja nicht, was England bedeutet. Auch wenn sie jetzt keine Truppe haben, in kurzer Zeit werden sie eine haben.« Das war der Einzige, der das Geschehen wirklich von Anfang an pessimistisch gesehen hat. Ich bin dann beim Militär nicht angenommen worden, fühlte mich dadurch sehr erniedrigt und kam mir eigentlich überflüssig vor.
Paul Grünig, geb. 1897:
Die Kieler Werftarbeiter waren beim Ausbruch des Krieges nicht kriegsbegeistert. Meine Arbeitsstelle war ganz in der Nähe der Universität. Es waren immer eine Menge Studenten im Schlossgarten versammelt. Ich habe mich gewundert, dass die alle so kriegsbegeistert waren. Wenn ich nachmittags dort vorbeikam, habe ich mich ein bisschen versteckt. Ich konnte da nicht mitmachen. Ich war ja Mitglied der Arbeiterjugend. Diese Studenten konnte ich nicht begreifen.
Josef Dornhof, geb. 1896:
Mein Heimatort lag an der Landesgrenze zu Russland, eben zwischen Tschenstochau und Lublinitz, und da war die Stimmung verdammt ernst. Soweit ich mich entsinnen kann, war der erste Mobilmachungstag ein Sonntag. An diesem Sonntag war die Kirche überfüllt und die meisten, die am 2./3. einrücken sollten, sind zum Tisch des Herrn gegangen, um die Sakramente zu empfangen. Ich glaube, dem Geistlichen standen Tränen in den Augen, denn er musste selbst mit der Einberufung rechnen.
Mir ist der Text eines Liedes haften geblieben, der in Bayern entstand und folgendermaßen lautete: »Endlich ist der Krieg gekommen, / da machen wir halt mobil. / Und da wird Abschied genommen, / ausgezogen das Zivil. / Dann gehen wir aufs Kommando / und da kriegen wir ein Gewehr, / dann marschieren wir miteinander / hinter unserem Ruprecht her. / Unsere Madeln, die werden schauen, / denn vorbei zieh’n ihre Grauen, / in der schönen, in der neuen, / in der neuen, in der grauen, / in der neuen grauen Felduniform.« Das wurde wiederholt und war ein lustiges, fröhliches Lied. Es hat mich, der ich bei Kriegsausbruch 171/2 Jahre alt war, damals schon geärgert, wie man das so hinstellen konnte.
R. G., geb. 1898:
Die meisten, mit denen ich über den Kriegsausbruch gesprochen habe, sagten: »Ach, zu Weihnachten sind wir wieder hier, da ist der Krieg längst zu Ende.« Das habe ich oft gehört, hatte dafür aber nicht das geringste Verständnis. Ich bekam Angst. Ich sagte mir damals: »Es könnte sein, dass dich dieser Krieg völlig verändert. Was kannst du machen? Was kannst du tun?« Und da hab ich beschlossen: »Der Krieg findet für dich nicht statt. Du tust alles, um dich zu erhalten und dich vom Krieg nicht beeindrucken zu lassen.« Das habe ich mir ganz eisern vorgenommen und so ungefähr ist dies auch hingekommen.
Wilhelm Höpfner, geb. 1892:
Bei Kriegsbeginn waren alle aufgeregt. Ich habe die Stimmung in Rostock so empfunden, dass alle sehr niedergeschlagen waren. Wenn ich ehrlich sein soll, ich war bedrückt. Für mich war der Kriegsbeginn unangenehm. Ich hatte gerade ausgelernt und wollte anschließend aufs Technikum. Das alles ist ins Wasser gefallen.
Wilhelm Dettmer, geb. 1898:
Ich weiß noch, als der Krieg erklärt wurde, habe ich meinen Vater das einzige Mal im Leben weinen sehen. Er war gedienter Soldat und wusste, was Krieg bedeutete. Er wurde jetzt nicht mehr Soldat, erstens weil er sich beim Militär einen Bruch geholt hatte und zweitens war er auch zu alt. Er war 1871 geboren, damals also schon 43 Jahre alt. Aber das hat ihn doch so erschüttert und mitgenommen, dass er geweint hat. Wir als Kinder haben hurra gerufen.
Emil Buck, geb. 1898:
Mein Vater war sehr gegen den Krieg. Ich auch. Ein Krieg kann nur Unheil schaffen. Ich habe mich bei Kriegsausbruch über die Menschen gewundert, als wenn es gar nichts Besseres gäbe als den Krieg. Ich weiß noch, seinerzeit gingen viele Italiener über die Dörfer und verkauften Gipsfiguren. »Uri figuri«, haben sie immer gesagt, »kaufen du uri figuri?« Als der Krieg ausgebrochen ist, haben sie plötzlich dem »Uri figuri«-Mann den ganzen Korb voll Gipsfiguren kaputtgeschlagen. Es herrschte das Gefühl, als wenn jetzt jeder Ausländer vogelfrei sei.
Alfred Toepfer, geb. 1894:
Ich hatte in den ersten Kriegstagen ein interessantes Gespräch bei mir in der Firma. Da sagte der 70-jährige Lagermeister zu mir: »Ich bin ganz überrascht über die ernste Stimmung, die hier heute bei Kriegsausbruch herrscht. Als ich 1870 Soldat wurde, war die Begeisterung groß, und wir waren absolut bereit, den Krieg erfolgreich zu führen. Es gab keinerlei Bedrückung.«
S. N., geb. 1898:
Als die SPD in den ersten Augusttagen 1914 für den Krieg stimmte, haben wir gestaunt. Das hätte sie nicht machen dürfen. Es wurde begrüßt, dass Liebknecht dagegen war. Wir haben es abgelehnt, uns freiwillig zu melden. Ich habe keinen aus meiner näheren Gruppe oder dem weiteren Umfeld kennengelernt, der dies gemacht hat. Den hätten wir auch erschlagen. In der Druckerei, in der ich gelernt habe, wurde ein Flugblatt für den Krieg gedruckt, ein Aufruf, dass das Volk sich für den Krieg entscheiden und spenden sollte. Ich habe es einer Dienststelle der Partei übergeben. Am Anfang des Krieges wurden die Toten noch durch Anzeigen in der Zeitung geehrt. Dies hörte aber bald auf, weil es zu viele waren. Schon bald waren sehr viele gegen den Krieg. Ich bin nicht in Kreise gekommen, die für den Krieg waren. Ich hätte sie auch gemieden.
Kurt Schröder, geb. 1897:
Die Arbeiter sangen »Die Wacht am Rhein«, als wenn sie nie den Sozialistenmarsch gesungen hätten. Mein Vater hat mit der Faust auf den Tisch geschlagen, weiter hat er allerdings nichts gekonnt. Er war ein alter Kämpfer, sozusagen mit Leib und Seele und von klein auf Sozialdemokrat, und jetzt musste er erleben, wie alle anderen umfielen. Mein Vater hat dann ein Wort geprägt, das für mich heute noch Gültigkeit hat: »Den Krieg können sie ja nicht verhindern, das geht nicht, das können sie alle nicht. Man braucht aber doch nicht dafür zu sein. Wie kann das angehen, dass sie dafür sind?« Als die Sozialdemokraten für die Kriegskredite stimmten, ist das für meinen Vater der Punkt gewesen, aus der SPD auszutreten. Später wurde er Mitglied der USPD.
Hans Seidelmann, geb. 1898:
1914 war ich 15 Jahre alt. Jedenfalls war es bei Kriegsausbruch wundervoll, wir brauchten nicht gleich zurück, die Ferien wurden verlängert. Die Jubelstimmung im Land wirkte sich bei uns in Bad Kudowa aber ganz anders aus. Kudowa war zu damaliger Zeit ein sehr besuchtes Bad mit einer Frequenz von ungefähr 10000 Gästen im Sommer, natürlich nicht Badegäste wie heute, die hinfahren, um sich zu amüsieren, sondern alles wirklich nur schwer herzkranke Menschen. Als am 2. August die Mobilmachung bekanntgemacht wurde, floh alles aus dem Bad, um nach Hause zu kommen. Ich weiß noch, der Droschkenkutscher in unserem Nebenhaus musste jetzt zu jedem Zug drei- bis viermal fahren und hatte die größte Mühe. Dazu wurden viele junge Reservisten aus dem Ort eingezogen. Da hieß es: »Der ist heute Nacht weggegangen und der auch.« Jedenfalls leerte sich Kudowa binnen drei oder vier Tagen. Von großer Begeisterung war infolgedessen wenig zu spüren. Dieses fluchtartige Verlassen war ja für das Bad eine Existenzfrage.
Otto Frahm, geb. 1896:
Obgleich schon acht Tage vorher vom Krieg geredet wurde, kam er dann doch unerwartet. Alle Welt hier oben im Exportgeschäft war bestürzt. Wir handelten mit Indien, Japan. Die Schiffe mit unseren Gütern blieben unterwegs liegen. Die Hälfte des Personals wurde gleich einberufen. Nach einem Jahr war ich ganz allein in der Firma und wurde schließlich auch eingezogen.
Hermann Gieselmann, geb. 1895:
Im März 1914 hatte ich bei der Post auf dem Telegrafenamt angefangen. Als der Krieg losging, wurden unsere alten Kollegen eingezogen und wir Jungen mussten für sie arbeiten. Wir verstanden an und für sich so gut wie gar nichts vom Telefon. Dann wurde ich nach Harburg versetzt, wo ich auf der Strecke schwer arbeiten musste. Die 15-Meter-Stangen mussten wir tragen. Ich hatte einen Rückstellungsschein vom Heer, dass ich nicht eingezogen zu werden brauchte. Den hab ich aber nicht abgegeben, da ich bei der Post wieder weg wollte. Die Arbeit war mir zu schwer und ich wollte doch Soldat werden.
E. E., geb. 1896:
Ich wurde zunächst noch reklamiert, weil meine Firma, Getreide und Kohlen en gros, von der Reichsgetreidestelle beauftragt worden war, das gesamte Getreide im Amtsbezirk Varel zu beschlagnahmen. Betriebe oder kleine Leute, die mindestens 25 Pfund Roggen ernteten, mussten einen Teil abliefern. Die Einlagerung war ja nicht vorbereitet gewesen, und so wurden einfach die großen Bauernhöfe im Marschland und außerdem die Windmühlen, die ja drei, vier, fünf Böden übereinander hatten, beschlagnahmt und das Getreide eingelagert. So hatte ich zum Beispiel die Dangaster Mühle unter mir. Ich bin dort mit Marinesoldaten gewesen und habe die Mühle gefüllt. Als der Mitlehrling Klemm in Oldenburg eingezogen wurde, haben wir das erste weibliche Wesen als Lehrling eingestellt.
Wilhelm Garmsen, geb. 1896:
Mit der Mobilmachung wurden auch junge Bauern eingezogen. Einer, Hans Kalsen hieß er, kam zu mir und sagte: »Ich bin schwer in Druck, ich werde in den nächsten Tagen eingezogen. Nun brauche ich jemanden, der meinen Hof weiterführen kann. Würdest du das übernehmen? Ich weiß, du kannst das.« Ich sag: »Hans, da gibt es ein Problem. Du weißt ja, dein Vater ist dauernd auf dem Hof und kommandiert. Wenn ich den Hof übernehmen sollte, dann will ich es in eigener Regie machen. Ich muss das zur Bedingung machen.« Ein paar Tage später kommt er an: »Du, Wilhelm, ich hab das mit meinem Alten geschafft. Das war eine schwere Arbeit.« Ich habe geantwortet: »Dann übernehm ich den Hof und du kannst beruhigt eingezogen werden.« Bis zum 2. November 1915 habe ich den Hof geführt. Hans Kalsen ist aus dem Krieg zurückgekommen. Er war schon etwas älter. Auf die älteren Jahrgänge nahm man etwas Rücksicht, und so war er in Dänemark als Wachbeamter.
Dr. Richard Wege, geb. 1898:
Die Ernte war noch nicht ganz fertig, aber das nützte nichts, die Reservisten wurden sofort eingezogen. Die Aufregung im Dorf wurde noch dadurch größer, dass gleich anschließend die Pferde gemustert und mitgenommen wurden. Natürlich mussten wir die besten liefern. Da gab es beinahe wieder Tränen. Ich bin mit meinem Vater in die Stadt gefahren, wo wir noch einmal mit einigen Reservisten sprachen. Sie sagten: »Ja, weißt du, entweder wir gewinnen den Krieg, dann kommen wir wieder. Oder wir verlieren den Krieg, dann kommen wir nicht wieder.« Die Bauern, die sich von ihrem Zuhause trennen mussten, jubelten nicht, aber sie sagten sich: »Na ja, das macht die Frau schon, der Nachbar hilft mir, das haben wir schon so organisiert.« Ich war in diesen Tagen einmal zu Fuß auf dem Weg zur Schule im Nachbarort, als mir ein Radfahrer entgegenkam, rechts und links zwei Polizisten. Ich guckte, und da kam mir mein Englischlehrer entgegen. Er rief mir zu: »Richard, mein Vaterland braucht mich!« Das war alles. Es war erschütternd für mich, weil es mein liebster Lehrer war.
Hans Seidelmann, geb. 1898:
Als uns die ersten Nachrichten von dem glorreichen Durchmarsch der deutschen Truppen erreichten, erschien mein Vater eines Tages mit einer Karte und Fähnchen und sagte zu mir: »Du musst jetzt Fähnchen stecken, wo unsere Fronten sind.« Dies musste laufend verändert werden, wenn neue Nachrichten kamen. Der erste Kudower, der starb, war der zweite Lehrer an der Evangelischen Schule. Es handelte sich bei ihm um einen jungen, unverheirateten Lehrer, der den alten Lehrer unterstütze. Er fiel, und da fand in Kudowa ein Trauergottesdienst statt, in dem mein Vater sang, und zwar, das weiß ich heute noch, »Dank sei Dir, Herr«. Dann fing es an, entschuldigen Sie das schreckliche Wort, etwas Alltägliches zu werden. Man hörte eben: »Ach, der ist auch gefallen. Die Familie hat die Nachricht gekriegt.«
Es kam eine Zeitschrift »Der Weltkrieg« heraus, für die wir Schüler Abonnenten werben mussten. Wir waren natürlich unglaublich begeistert, vor allen Dingen, als im Herbst Hindenburg oben in Ostpreußen die Russen besiegte. In Brieg lag das Regiment der 157er. Vor dem Rathaus stand ein Denkmal des Alten Fritzen, der mit seinem Degen auf Mollwitz zeigte. Anlässlich des Sieges von Tannenberg hielt ein General unter dem Denkmal eine Rede. Die Garnison war aufmarschiert, es waren natürlich schon Reservisten, weil die anderen ja sofort eingezogen waren. Ein paar Tage darauf erhielt ich von meinen Eltern die Nachricht, ein Vetter von mir, ein Sohn des damaligen Hamburger Gymnasialdirektors Wilhelm Wegerhoff, der Hans Wegerhoff, sei in den Rückzugskämpfen bei Tannenberg gefallen. Er war im Stab Reserveoffizier gewesen, seine Truppe hatte in einem Gutshof gelegen. Sie wurden überfallen und in barbarischer Weise niedergemacht. Sein Vater gab dies mit tiefem innerem Schmerz und Leid kund. Aber mein Vater war immer noch mit ganzem Vaterlandsstolz dabei. »Bei einer so großen Sache muss jede Familie bereit sein, ein Leid hinzunehmen.«
Wir haben den Krieg in diesen Tagen genommen, wie er war, und haben uns über die Erfolge gefreut. Es mögen sich Ältere über den Grund des Krieges Gedanken gemacht haben, aber wir Jungen taten dies nicht. Den Augenblick, in dem der Vormarsch nach Paris zum Stillstand kam und sich in einen Stellungskrieg an verschiedenen Fronten umwandelte, haben wir zu damaliger Zeit gar nicht richtig begriffen. Da war ein Nest und das wurde umkämpft. Fähnchen habe ich in dieser Zeit nicht mehr gesteckt.
Prof. Dr. Wilhelm Wortmann, geb. 1897:
Etwa im Oktober 1914 sagte ein Freund zu mir: »Wir haben eine ganz große Schlacht verloren an der Marne.« Davon war in der Presse kein Wort zu lesen gewesen. Rundfunk gab es ja noch nicht. Die Presse war das einzige Mittel, um Mitteilungen zu verbreiten.
A. S., geb. 1899:
Mit Kriegsbeginn waren die Herren plötzlich alle Soldaten, und alle waren frohen Mutes. Da gab es einen Postschaffner Müller, der erschien in Uniform. Der eine Nachbar, er war Maurer von Beruf, wurde zum Landsturm eingezogen. Die Truppen erzielten Erfolge. Ich weiß nur, dass die »Cellische Zeitung« täglich ein Extrablatt herausgab, das in der Stadt umhergetragen wurde. Wir freuten uns immer, wenn der Mann mit dem Extrablatt kam und wir jetzt erfuhren, was wieder geschehen war. Ich persönlich habe mich dann gewundert, als mit einem Mal die Nachricht kam, Lüttich sei gefallen. »Mein Gott, was ist denn das? Die kämpfen doch gegen Frankreich. Lüttich ist aber in Belgien.« Da wurde man gewahr, dass die deutsche Armee über Belgien nach Frankreich zog. Besonders war dann noch, dass der Kommandeur vom X. Armeekorps in Hannover, das war der General von Emmich, für seine Fahrten von unserem Chef einen Personenwagen bekam. Es wurden immer wieder Leute einberufen, entweder Reservisten oder Landwehrleute. In Celle lag das Infanterie-Regiment 77, das rückte gleich in den ersten Tagen aus, und ebenfalls die Celler Artillerie, die war eine Abteilung mit den Wolfenbüttlern zusammen. Dann wurden neue Regimenter aufgestellt. Da war das Infanterie-Regiment 232, das hier noch stationiert wurde.
Die Leute waren erst begeistert. Die Begeisterung ließ dann aber ein wenig nach, weil die Siege ein bisschen ausblieben. Man wunderte sich, dass die Truppe an der Front nicht so vorwärtskam, und keiner konnte sich das erklären. Es fing eben der lange Krieg an. Es kamen auch die Nachrichten über größere Verluste, vor allen Dingen für unsere 77er. Das war ja das Heideregiment. Im Feld wurden sie »Heidschnucken« genannt. Bis zum Krieg führte der Oberst von Oertzen das Regiment. Der kriegte wohl einen höheren Posten. Dann wurde ein Oberstleutnant von Roques, so habe ich es in Erinnerung, eingesetzt. Da sickerten nun so eigenartige Gerüchte durch: »Der Roques soll einen Verwandten oder gar einen Bruder im französischen Heer haben!« Ich weiß nicht, was daran wahr ist, aber so hieß es damals. Dann kam im Herbst gegen Winter 1914 die große Schlacht in Flandern bei Ypern, in der das Regiment sehr viele Soldaten verlor. Da war die Bevölkerung ganz und gar unzufrieden. Es hieß: »Der Roques hat die Truppen unter Musik zum Angriff antreten lassen.« Unter anderem waren es sehr viele Kriegsfreiwillige, die ihr Leben lassen mussten, Söhne von Geschäftsleuten, die das Abitur gemacht und sich freiwillig gemeldet hatten. Sie wurden schnell ausgebildet und gingen mit Begeisterung an die Front, waren als Soldaten aber noch nicht so auf der Höhe und wurden dort hingeschickt, wo es gefährlich war. Die Bevölkerung war natürlich nicht erbaut darüber, dass so viele junge Menschen ihr Leben lassen mussten. So zog sich der Krieg hin, nach der Offensive begann der Stellungskrieg. Man hörte von den Schlachten vor Verdun, vor allen Dingen an der Somme, was vielleicht daran lag, daß die Celler Regimenter mehr dort eingesetzt waren. Der Krieg dauerte den Leuten allmählich zu lange.
Johann Buck, geb. 1898:
Schäfer – aus Mittelstenahe stammte er – war der Erste, von dem wir hörten, dass er gefallen war. Man kann nicht sagen, dass sich das irgendwie groß ausgewirkt hat. Das war eben ein Bekannter und es wurde allgemein bedauert. Er hinterließ auch eine Frau. Das war natürlich bedrückend. Aber das Leben ging ja weiter.
Kurt Schröder, geb. 1897:
Im Altonaer Krankenhaus besuchte ich einen Jugendbündler. Er war dort im Pflegedienst beschäftigt und hatte die unangenehmste Aufgabe. Es gab da so große Körbe, mit denen die Leichen transportiert wurden. Sie hatten keine Rollen, sondern wurden einfach über den Boden geschleift. »Mensch«, sagt er, »das ist ja fein, dass du mich besuchen kommst. Ich habe hier einen furchtbaren Job, aber«, nun kommt es, »das will ja keiner machen. Das habe ich mir zunutze gemacht. Nun werde ich sicherlich reklamiert, denn sie können mich nicht entbehren.« »Du bist ja ein ganz gewiefter Kopf.« »Da muss ich aber auch schwer für büßen.« Da sag ich: »Wir müssen uns aber öfter mal besuchen, denn du bist der Einzige, der noch nicht eingezogen ist.«
Ich wollte ihn dann immer besuchen, er war aber nie da. Dann erfuhr ich von einem anderen, dass er schon vor 14 Tagen oder drei Wochen gefallen war. Das war ganz erschütternd für mich. Das war der erste Gefallene, dessen Tod mich ganz tief getroffen hat. Er war der glücklichste Mensch der Welt gewesen, als er diesen Job gefunden hatte.
Hermann Siebe, geb. 1898:
Mein Bruder war gleich Unteroffizier geworden und erhielt früh das EK I. Das war zu Beginn des Krieges ein großes Ereignis. In der Zeitung – es war damals noch das »Hamburger Fremdenblatt« – erschien ein Bild. Auch für meinen Vater war das etwas Besonderes. Im Betrieb gratulierte ihm der Chef.
E. P., geb. 1897:
Ich war bei Kriegsausbruch in der Penne in der Sekunda. Ostern 1914 hatten wir unsere Abiturienten noch verabschiedet. Die haben wir nie wiedergesehen. Unsere Unterprima wurde in die Oberprima versetzt, als der Krieg ausbrach. Am ersten Mobilmachungstag meldete sich unsere ganze Oberprima. Sie kamen nur kurz in die Schule und holten ihr Notabitur ab. Wir hatten gerade Ferien und sie waren weg, als wir nach den Ferien wieder in die Schule gingen. Auch die haben wir nie wieder gesehen. Dann hatten wir Langemarck, und da waren sie drin. Wir zitterten zu Hause und wollten weg. Das versteht heute kein Mensch mehr. Beim Militär wussten sie gar nicht, wohin mit den Rekruten. Es wurden ja die normalen Jahrgänge noch gezogen und dann die ganzen Freiwilligen.
Eine Familie hatte drei Söhne ins Feld geschickt. Zwei waren gleich 1914 gefallen. Der dritte wurde deshalb zurückgeholt. Mein älterer Bruder ging 1915 als Münsterscher Kürassier an die Front. Meine Eltern verlangten von mir: »Du wirst erst 18, ehe du Soldat wirst.« Ich bibberte darauf. Immerhin wurde ich seit Herbst 1914 vormilitärisch ausgebildet. Altgediente Militärs, die Zwölfender, kamen, nachdem sie die zwölf Jahre abgedient hatten, als unterste Beamte zum Beispiel in der Zollbehörde. Diese Leute, die mit dem Krieg nichts mehr zu tun hatten, waren unsere Ausbilder. Was haben wir in der Ausbildung gemacht? Vielleicht zwei Mal in der Woche gingen wir abends zur Turnhalle. Es wurde marschiert und gesungen. Wir machten auch Übungen im Felde. Mit kleinen Handkästen wurden Telefonverbindungen hergestellt. Bei mir in Dortmund im Hause nebenan wohnte eine jüdische Familie. Der Junge und ich waren dicke Freunde. Wir gingen zusammen zur vormilitärischen Ausbildung. Nachher habe ich nichts mehr von ihm gehört. Das ging so den ganzen Winter 1914/15.
Hermann Wölp, geb. 1896:
Mein Bruder, der ist zwei Jahre älter als ich, wurde gleich zu Anfang des Krieges eingezogen. Er wurde nach Russland geschickt. Ein paar Wochen später kriegte meine Mutter Bescheid, er sei verwundet. Sie hat sich noch so gefreut und es mir und meinem Vater auch gleich mitgeteilt. Aber zwei Tage später kam dann die Nachricht: »Es stimmt leider nicht, wir wissen nicht, wo er geblieben ist.« Also war er entweder von einer Granate zerrissen worden oder man wusste es wirklich nicht. Dann wurde auch ich eingezogen.
Gerd Rehder, geb. 1897:
Drei Schulkameraden von mir, die waren noch keine 18 Jahre alt, sind gefallen. Der eine war in Shanghai aufgewachsen und der Sohn eines Reeders. Der Schulkamerad, der neben mir gesessen hatte, ist nur sechs Wochen Soldat gewesen. Dann war er schon tot. In Buxtehude hatte ein Pastor Ross von der Kanzel aus gesagt: »Ich bin stolz, einen Sohn auf dem Altar des Vaterlandes geopfert zu haben.« Er hat dies nur einmal gesagt. Als die beiden anderen Söhne gefallen sind, hat er geschwiegen.