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Kriegsausbruch

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Mit dem Ausbruch des Krieges geriet alles in Bewegung. Unzählige Soldaten begaben sich in diesen Stunden zu ihren Truppenstandorten und von dort einige Zeit später in Richtung Front. Es waren dies zunächst die Aktiven des Jahres 1914 sowie die Reservisten, beides Gruppen, die schon vor dem August 1914 Soldaten gewesen sind. Daneben taucht bereits in diesen ersten Kriegstagen eine dritte Gruppe auf, die ganz entscheidend das Bild vom Ersten Weltkrieg prägen wird: die Kriegsfreiwilligen.

Unweigerlich kommen mir im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch Aufnahmen aus Geschichtsbüchern in den Sinn: Soldaten in eher unmilitärischem Gang durch deutsche Garnisonsstädte, Blumen im Gewehrlauf, umsäumt von jubelnden Menschen. Die unterscheiden sich nicht wesentlich von denen unserer Zeit. Der eine oder andere Kaiser-Wilhelm-Bart fällt da kaum ins Gewicht. Heute wissen wir um ihr Schicksal, das so sehr von dem normalen Werdegang eines Menschen in einer zivilisierten Welt abweichen wird. Diese Menschen wurden nicht alt. Sie gehörten einer verdammten Generation an. Die Mehrzahl von ihnen starb in den kommenden vier Jahren auf den Schlachtfeldern Europas.

Wie konnte es sein, dass sie jubelten? Ausgelassenheit auf dem Weg zur Schlachtbank? Nur: Heute wissen wir weit mehr über das Elend der Kriege. Wir sind groß geworden mit den Bildern von den Schlachtfeldern zweier Weltkriege, von Konzentrationslagern, von den Vietnams der Neuzeit mit ihren in die Wohnzimmer übertragenen Schreckensbildern. Wir haben einen Wissensvorsprung vor diesen Menschen, die damals beschönigende Bilder von den Kriegen der deutschen Einigung mit sich herumtrugen. Für sie war der Krieg etwas Abstraktes. Ihre Gedanken kreisten nur um Vermutungen, die dazu verführten, die Sache zu leicht zu nehmen. »Zu Weihnachten ist der Krieg zu Ende«, was sollte man im August 1914 dieser Aussage entgegensetzen? So eingestimmt rückte der Gedanke an den eigenen Tod in weite Ferne, und andere Motive gewannen die Oberhand. Der Krieg wurde zur befreienden Kraft von inneren und äußeren Zwängen, die einen in der Heimat eingeengt hatten. Dies galt für die Wandervögel ebenso wie für Arbeiterjugend, die nun den ersehnten Freiraum vor sich sahen. Wenn dann noch alle Menschen um einen herum in Jubel ausbrechen, wie soll man sich dem entziehen?

Wie tief aber ist dieses Empfinden? Fühlt der Jubler das Gleiche auch am Morgen des Einrückens? Er verlässt die Eltern, seine Frau oder Freundin. Durchzuckt ihn in diesem Moment der Gedanke, dass er sie vielleicht nie wiedersehen wird? Und tatsächlich erkenne ich auf den Fotos auch Gesichter, die keine Züge von Freude zeigen. Im Sommer 1914 stand die Mehrzahl meiner Interviewpartner am Straßenrand. Sie erlebten die Aufmärsche aus der sicheren Perspektive des Beobachters. Doch auch für sie vergingen nur noch Tage, bis der Krieg ihnen bewies, wie sehr er die Existenz aller verändert. Das Wirtschaftsleben kam zwar noch nicht zum Stehen, erfuhr aber Störungen. Kurze Zeit später erreichten dann Nachrichten über erste Verluste an der Front die Heimat und ließen die Menschen erahnen, was auf sie zukommen würde.

Hineingeworfen

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