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3. Die modifizierte Subjektstheorie

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Von der heute herrschenden Meinung wird die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht primär anhand der sog. modifizierten Subjektstheorie vorgenommen, deren Entwicklung vor allem auf H.J. Wolff[15] zurückgeht. Öffentliches Recht ist demnach im Gegensatz zum Privatrecht ein Sonderrecht. Eine Rechtsbeziehung ist folglich grundsätzlich dann dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sie durch eine Rechtsvorschrift bestimmt wird, deren Zuordnungssubjekt, sei es als Berechtigter, sei es als Verpflichteter, ausschließlich ein Träger öffentlicher Gewalt ist. Eine Rechtsbeziehung ist hingegen privatrechtlich, wenn sie durch prinzipiell für jedermann geltende Normen bestimmt wird. Maßgeblich ist damit ein formales Kriterium (formale modifizierte Subjektstheorie). Sie ist der materiellen modifizierten Subjektstheorie vorzuziehen (näher zu dieser Kopp/Schenke-Ruthig, § 40, Rn 11 mwN), nach der es darauf ankommen soll, ob durch das Sonderrecht ein Hoheitsträger als solcher verpflichtet wird. Da Letzteres aber davon abhängt, ob der Hoheitsträger öffentlich-rechtlich handelt, mündet die materielle modifizierte Subjektstheorie in einen Zirkel ein. Auch die formale modifizierte Subjektstheorie erkennt andererseits an, dass der Gesetzgeber trotz Vorliegens von Sonderrecht ein hierauf beruhendes Verhalten privatrechtlich qualifizieren kann (sog. Sonderprivatrecht wie zB das Gebot, sich auch bei fiskalischem Handeln wirtschaftlich zu verhalten).

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Hinweis:

Die modifizierte Subjektstheorie trägt – anders als die ältere Subjektstheorie, die alle Rechtsbeziehungen des Staates dem öffentlichen Recht zuordnen wollte – dem Umstand Rechnung, dass auch der Staat ein der allgemeinen Rechtsordnung unterworfener „jedermann“ sein kann.

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Anhand dieses Abgrenzungskriteriums lässt sich nicht nur erklären, dass zB das Polizeirecht, welches nur juristische Personen des öffentlichen Rechts zu Gefahrenabwehrmaßnahmen ermächtigt, als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist. Es macht auch deutlich, dass zB die Sozialhilferegelungen, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts verpflichten, dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind, da hier ebenfalls als Zuordnungssubjekt der Verpflichtung nur eine juristische Person des öffentlichen Rechts angesprochen wird. Gleiches gilt etwa für eine gesetzliche Regelung, die zur Förderung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen des Staates die Gewährung eines zinsgünstigen Darlehens (als eine Form der Subvention) vorsieht. Hier ist die dort geregelte Entscheidung über das „Ob“ der Förderung öffentlich-rechtlicher Natur. Soweit sich die Abwicklung der Förderung aber unmittelbar nach den allgemeinen Vorschriften des BGB vollzieht, ist das Abwicklungsverhältnis (das „Wie“ der Förderung) privatrechtlich zu qualifizieren (zur Zweistufentheorie im Subventionsrecht s. unten Rn 131 ff). Ebenso ist die in den Gemeindeordnungen geregelte Entscheidung der Gemeinden über das „Ob“ der Benutzung ihrer Einrichtungen als öffentlich-rechtlich anzusehen, da sie in Anwendung von Sonderrecht (vgl zB § 10 Abs. 2 BWGemO) ergeht; das „Wie“ der Benutzung kann sich hingegen nach Privatrecht richten[16].

Beispiele:

Streitigkeiten zwischen dem Bürger und einer Gemeinde über die Frage des „Ob“ der Benutzung gemeindlicher Einrichtungen (zB Benutzung eines Gemeindesaals) sind selbst dann öffentlich-rechtlich, wenn die Gemeinde die Einrichtung nicht selbst betreibt, sondern durch eine juristische Person des Privatrechts, deren Allein- oder Mehrheitsgesellschafter sie ist. Dagegen ist ein Streit über die Benutzung zwischen dem Bürger und der juristischen Person des Privatrechts zivilrechtlicher Art (vgl BVerwG, DVBl. 1990, 154; s. auch Rn 185 f). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist auch gegeben, wenn eine politische Partei einen Benutzungsanspruch gem. § 5 Abs. 1 PartG geltend macht (VGH Mannheim, NVwZ-RR 2017, 215; Schübel/Pfister, JuS 2017, 1078 f). Sind bezüglich des „Wie“ der Benutzung privatrechtliche Verträge (zB Mietvertrag) abgeschlossen worden, ist insoweit der ordentliche Rechtsweg einschlägig (zur Problematik dieser Zweistufigkeit Rn 133; v. Danwitz, JuS 1995, 1 ff).

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In Zweifelsfällen können auch die Subordinationstheorie und die Interessentheorie zur Abgrenzung ergänzend herangezogen werden.

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Beispiel:

In § 19 Abs. 1 VersG ist für Versammlungen unter freiem Himmel in Form eines Aufzugs vorgesehen, dass der Leiter des Aufzugs für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen hat und er sich hierbei der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen kann. Ergänzend bestimmt § 19 Abs. 2 VersG, dass die Teilnehmer verpflichtet sind, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen. Will man die Rechtsnatur der von dem Versammlungsleiter bzw einem ehrenamtlichen Ordner getroffenen Maßnahmen bestimmen, so ergeben sich, da diese Privatpersonen (und nicht Amtsträger) sind, auf der Basis der modifizierten Subjektstheorie Schwierigkeiten, weil fraglich ist, ob sie als Träger öffentlicher Gewalt anzusehen sind. Dies träfe dann zu, wenn hier eine sog. Beleihung Privater vorläge. Da der Versammlungsleiter bzw die Ordner einseitig verbindliche Regelungen treffen können und polizeiliche Aufgaben durch sie wahrgenommen werden, legen sowohl die Subordinations- wie auch die Interessentheorie eine öffentlich-rechtliche Qualifikation einer auf § 19 Abs. 2 VersG gestützten Anordnung nahe.

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Der Rückgriff auf die Interessentheorie und die Subordinationstheorie vermag auch dort weiterzuhelfen, wo die modifizierte Subjektstheorie deshalb nicht unmittelbar anwendbar ist, weil es an einem Rechtssatz fehlt, durch welchen das Verwaltungshandeln dirigiert wird (sog. gesetzesfreie Verwaltung). Wird eine typische Aufgabe der Leistungsverwaltung erfüllt, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage besteht (etwa bei einer wirtschaftspolitisch motivierten Fördermaßnahme des Staates), so ist die Maßnahme – zumal mit ihr öffentliche Interessen verfolgt werden – jedenfalls dann öffentlich-rechtlich, wenn sich die Behörde nicht ausdrücklich der Mittel des Zivilrechts bedient[17].

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Von der Interessentheorie her rechtfertigt es sich auch, dass eine Vermutung für ein öffentlich-rechtliches Handeln dann besteht, wenn Aufgaben der Leistungsverwaltung durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts wahrgenommen werden und dabei nicht deutlich wird, ob für die Rechtsbeziehungen Sonderrecht gelten soll.

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Beispiel:

Lässt sich bei dem zwischen der Gemeinde und dem Bürger bestehenden Nutzungsverhältnis hinsichtlich der Wasserversorgung nicht eindeutig klären, ob hier Sonderrecht zur Anwendung kommt, so ist vom Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses auszugehen.

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Bei gesetzlich nicht geregelten Maßnahmen kann zudem häufig der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs bei der Bestimmung ihrer Rechtsnatur weiterhelfen. Steht eine Tätigkeit in engem Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit, so ist auch sie meist als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren (Beispiele Rn 134 u. Rn 136). Entsprechendes gilt beim Zusammenhang mit privatrechtlichem Handeln. Deshalb ist zB für Streitigkeiten im Vergabeverfahren, die nicht in den Anwendungsbereich der §§ 97 ff GWB fallen, weil sie Aufträge unterhalb der Schwellenwerte betreffen und für welche die spezielle Rechtswegzuweisung an die Vergabekammern (§ 106 GWB) nicht gilt, der ordentliche Rechtsweg gegeben (sehr str!)[18].

§ 3 Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO) › III. Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit › 4. Abgrenzungsfragen

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