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1. Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum

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Fehlt dem Handelnden die Kenntnis von einem Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (Tatbestandsmerkmal), so handelt er im Tatbestandsirrtum, mithin gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB bzw. § 11 Abs. 1 OWiG nicht vorsätzlich. In diesen Fällen kommt grundsätzlich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, sofern der Irrtum auf sorgfaltswidrigem Verhalten beruht (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB, § 11 Abs. 2 OWiG). Tatbestandsmerkmale sind auch solche Umstände, die bei Blankettverweisungen zu der in Bezug genommenen Norm gehören (zum Irrtum über blankettausfüllende Merkmale Rn. 80 f.).[182] Ein Tatbestandsirrtum könnte demnach durch Unkenntnis hinsichtlich der gesundheitsschädlichen Wirkungen eines Erzeugnisses, seiner Zutaten, seiner Soll-Beschaffenheit oder der Verbrauchererwartung begründet sein,[183] nicht aber durch mangelhafte Rechtskenntnisse hinsichtlich Umständen außerhalb des gesetzlichen Tatbestandes. Diese begründen lediglich einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB, Rn. 83 ff.) begründen. Auch ein Irrtum über die Qualifizierung als Arzneimittel dürfte regelmäßig ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum sein, sofern der Täter den sozialen Bedeutungsgehalt erfasst hat; in diesen Fällen kommt lediglich ein Verbotsirrtum in Betracht, der regelmäßig vermeidbar sein wird (Rn. 85 ff.).[184]

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Im normativ geprägten Lebensmittelstrafrecht hat das Problem des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale[185] besondere Bedeutung. Insofern ist die Differenzierung der h.M. relevant, die solche Tatbestandsmerkmale als normativ versteht, die zu ihrer rechtlichen Ausfüllung eine sog. Parallelwertung in der Laiensphäre, mithin die Erfassung des normativ-sozialen Bedeutungsgehalts der Norm, nicht aber die Zuordnung der gesetzlichen Tatsachen zu einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal erfordert (z.B. Verkehrsauffassung).[186] Daher stellt die irrige Annahme, ein Umstand sei von dem im Gesetz verwendeten Begriff nicht erfasst, einen unbeachtlichen Subsumtionsirrtum dar, wenn der Täter die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals im Rechtsleben erkannt hat.[187] Die Ausfüllung normativer Tatbestandsmerkmale hat im konkreten Verkehrskreis zu erfolgen[188] und setzt daher im Lebensmittelrecht i.d.R. entsprechendes Fachwissen voraus. Wird eine rechtlich unzutreffende Wertung vorgenommen, der zwar die generelle Kenntnis des Begriffskerns des Tatbestandsmerkmals, aber ebenso eine aus der Laiensphäre nachvollziehbare, rechtlich unzutreffende Bewertung zugrunde liegt, so ist ein beachtlicher Tatbestandsirrtum gegeben.[189]

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Bei Blankettvorschriften geht die Rechtsprechung überwiegend[190] davon aus, dass der Handelnde lediglich um die tatsächliche Erfüllung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes wissen, nicht aber deren normativ-sozialen Bedeutungsgehalt erfasst haben muss.[191] Er muss danach lediglich die tatsächlichen Umstände kennen, nicht aber die außerstrafrechtliche Verbotsnorm; eine diesbezügliche Unkenntnis begründet allenfalls den Schuldausschluss nach § 17 StGB, wenn der Irrtum unvermeidbar gewesen ist.[192]

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Die unterschiedliche Behandlung des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale und über Blankettstraftaten ist zweifelhaft, da sie außer Betracht lässt, dass das normative Element der Verweisung auf außerstrafrechtliche Normen Teil des Tatbestandes und damit auch Bezugspunkt des Vorsatzes ist.[193] Dies bedeutet, dass der Täter bei Blankettstrafgesetzen ebenso wie bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen die Ausfüllung der Verweisung mit vollzogen haben muss, dass er die Normen oder zumindest die Wertungsergebnisse kennen muss. Der Täter, den der Normappell der lebensmittelrechtlichen Ge- oder Verbotsnorm aufgrund von Unkenntnis nicht erreicht, hat nicht den Willen zur Verwirklichung des gesetzlich umschriebenen Unrechts, weil er den normativen Gehalt des Tatbestandes und damit das in ihm liegende Wertungsergebnis nicht erkennt und daher keine Entscheidung gegen das Rechtsgut trifft.[194] Sofern das Lebensmittelrecht zudem Ge- und Verbote beinhaltet, die erst durch positives Recht gesetzt werden (delicta mala mere prohibita), handelt es sich nicht um Wertungen, deren Kenntnis bereits durch die Sozialisation in einer Rechtsgemeinschaft bedingt ist, so dass die Kenntnis der Verbots oder Gebotsnorm zum Kern des Unrechtstatbestandes gehören würde. Damit ist entgegen der Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum anzunehmen, weil durch die Blankettverweisung auch das Verbot selbst Teil des Tatbestandes wird.[195]

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Hinsichtlich der Unterlassungsdelikte ist zu beachten, dass nach h.M. nur die tatsächlichen Umstände, die die Handlungspflicht begründen,[196] nicht aber die Handlungspflicht Tatbestandsmerkmal ist, so dass sich der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit nicht auf den Vorsatz auswirkt, sondern allenfalls einen die Schuld betreffenden Gebotsirrtum darstellt.[197] Dies soll daraus resultieren, dass die Handlungspflicht letztlich eine Rechtsfolge der Umstände ist, die den Tatbestand bilden. Zweifel sind auch an diesem Ansatz angebracht, weil man die Handlungspflicht als Teil des Tatbestandes wird betrachten müssen.

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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