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C.Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB)

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I.Überblick

17In § 160 Abs. 2 ist die Antragsbefugnis (ähnlich § 42 Abs. 2 VwGO) geregelt, die als besondere Ausformung des Rechtsschutzinteresses verstanden werden kann.25 Die Antragsbefugnis setzt sich aus vier von Amts wegen zu prüfenden Merkmalen zusammen, die kumulativ vorliegen müssen, nämlich:

– die Antragstellung durch ein „Unternehmen“26,

– die Darlegung eines Interesses am Auftrag durch den Antragsteller27,

– die Geltendmachung einer Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften28 und

– die Darlegung eines durch die behauptete Rechtsverletzung beim Antragsteller entstandenen oder drohenden Schadens.29

18Zweck der Vorschrift ist es, Nachprüfungsanträge durch nicht betroffene Dritte i. S. v. „Popularklagen“ auszuschließen. Des Weiteren sollen Vergabeverfahren, die ersichtlich rechtsfehlerfrei erfolgt sind, von vornherein dem Nachprüfungsverfahren entzogen bleiben. Insgesamt dient die Vorschrift damit der Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Nachprüfungsverfahren und der Beschleunigung des Vergabeverfahrens.

19Gleichwohl sind die an die Antragsbefugnis zu stellenden Anforderungen nicht zu überspannen. Aufgrund der rechtsschutzbegrenzenden Wirkung sind das Auftragsinteresse weit auszulegen und keine hohen Anforderungen an die Möglichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Nur so wird auch den unionsrechtlichen Anforderungen aus Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie 89/655/EWG Genüge getan, wonach das Nachprüfungsverfahren jedem zur Verfügung stehen muss, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat und dem durch den behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Folglich ist es etwa ausgeschlossen, dem Antragsteller im Hinblick auf etwaige Mängel in seinem Angebot die Antragsbefugnis zu versagen.30

II.Unternehmen

20Die Antragsbefugnis für das Nachprüfungsverfahren steht nur Unternehmen zu, also nicht sonstigen Rechtspersonen wie z. B. unbeteiligten Privatpersonen, dem Auftraggeber selbst, Aufsichtsbehörden oder Unternehmensverbänden, selbst wenn diese aus ihrer subjektiven Sicht ein Nachprüfungsinteresse haben.31 Im Übrigen ist der Unternehmensbegriff weit zu fassen. Als Unternehmen sind sowohl natürliche als auch juristische Personen sowie Personenvereinigungen erfasst, die durch Betätigung im Geschäftsverkehr aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen.32 Mehrere Unternehmen sollen auch gemeinsam einen Nachprüfungsantrag stellen können (sog. subjektive Klagehäufung).33 Ebenso kann die Vergabekammer die Nachprüfungsverfahren mehrerer Unternehmen verbinden, wenn dies aus ihrer Sicht zweckmäßig ist.34 Beide Verfahrensweisen sind allerdings kritisch zu sehen, da dabei eine Verletzung des Geheimwettbewerbs und der Geheimnisschutzinteressen der Unternehmen zu befürchten ist.

21Bei Inanspruchnahme besonderer Unternehmenseinsatzformen ist die personenbezogene Antragsbefugnis differenziert zu beurteilen; sie hängt letztlich davon ab, ob der Antragsteller in funktionaler Hinsicht auf Bieterebene oder auf nachgeordneter Ebene auftritt. Demgemäß stellt die Bietergemeinschaft, deren Mitglieder zusammen ein Angebot abgegeben haben oder abzugeben beabsichtigen und die zivilrechtlich eine BGB-Gesellschaft i. S. v. § 705 BGB darstellt, ein antragsbefugtes Unternehmen i. S. d. § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB dar.35

22Unzulässig ist hingegen der Nachprüfungsantrag eines einzelnen Mitglieds einer Bietergemeinschaft.36 Der Gegenauffassung, wonach einzelne Bietergemeinschaftsmitglieder grundsätzlich antragsbefugt seien,37 ist nicht zu folgen. Hiergegen spricht, dass nicht das einzelne Mitglied, sondern nur die Bietergemeinschaft als Ganze Bieter des Vergabeverfahrens ist und zudem eine Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen nur einheitlich gegenüber der Bietergemeinschaft ergehen kann. Zur Wahrung der Bieteridentität und der Integrität der Bietergemeinschaft ist daher zu fordern, dass die Bietergemeinschaft den Nachprüfungsantrag stellt.38 In diesem Fall ist allerdings durch Auslegung des Nachprüfungsantrags zu ermitteln, ob der Nachprüfungsantrag eines einzelnen Bietergemeinschaftsmitglieds nicht dennoch der Bietergemeinschaft zugerechnet werden kann, was insbesondere dann in Betracht kommt, wenn das vertretungsbefugte Bietergemeinschaftsmitglied den Antrag stellt. Des Weiteren tritt Antragsbefugnis ein, wenn eine wirksame (ggf. auch nachträgliche) Ermächtigung der anderen Bietergemeinschaftsmitglieder vorliegt, das Nachprüfungsverfahren zu betreiben, was als zulässige gewillkürte Prozessstandschaft zu bewerten ist.39

23Auch bei einem Wechsel ihrer Mitglieder steht der im Übrigen fortbestehenden Bietergemeinschaft die Antragsbefugnis zu. Die Fragen, ob hierbei die Bieteridentität gewahrt und die Aktivlegitimation gegeben ist, sind für die Antragsbefugnis unerheblich und stattdessen auf Ebene der Begründetheit zu entscheiden.40 Ob ein solches Angebot wegen Änderung der Bieteridentität und damit des Angebotsinhalts ausschlussbedürftig ist41 oder das Angebot wegen Fortbestands der Bietergemeinschaft als solche Bestand hat und der Wegfall des Mitglieds lediglich hinsichtlich der Beurteilung der Eignung derselben von Relevanz ist,42 ist dabei höchstrichterlich noch nicht geklärt.

24Nicht antragsbefugt sind Unternehmen, die lediglich eine mittelbare Auftragsbeziehung zum Auftraggeber einzugehen beabsichtigen und entsprechend ein entfernteres Auftragsinteresse haben. Folglich sind insbesondere die Nachunternehmer oder Lieferanten eines Bieters oder einer Bietergemeinschaft nicht antragsbefugt.43 Ihnen fehlt der Bieterstatus als (ungeschriebene) Sachurteilsvoraussetzung. Zudem könnte es zu Verwerfungen führen, wenn nachgeordnete Nachunternehmer womöglich entgegen dem Willen des Bieters ein Nachprüfungsverfahren erzwingen könnten.

III.Interesse am Auftrag

25Das Merkmal des Interesses am Auftrag setzt sich aus zwei Aspekten zusammen: Zum einen muss es um die Vergabe eines Auftrags oder einer Konzession gehen, d. h. es bedarf eines konkreten Vergabevorgangs, der der Nachprüfung fähig ist. Zum anderen ist das Interesse am Auftrag als solches nachzuweisen.

1.Erforderlichkeit eines Vergabevorgangs

26Unverzichtbare Voraussetzung für die Antragsbefugnis ist, dass ein konkreter Vergabevorgang vorliegt.44 Ansonsten kann ein Interesse an einem zu vergebenden Auftrag von vornherein nicht bestehen. Unstrittig ist dies bei förmlichen Vergabeverfahren i. S. d. § 119 GWB gegeben, wobei der Zeitpunkt der EU-Bekanntmachung als „Startpunkt“ maßgeblich ist. Vorbeugender Rechtsschutz in der Phase der Verfahrensvorbereitung ist nach hergebrachter Rechtsprechung unzulässig, selbst wenn sich hierbei tatsächlich Vergabeverstöße abzeichnen.45

27Nach neuerer und überzeugender Rechtsprechung kommt jedoch durchaus vorbeugender Rechtsschutz in Betracht, sofern zumindest ein Vergabeverfahren im materiellen (tatsächlichen) Sinne eingeleitet worden ist und nur durch vorbeugende Rechtschutzmaßnahmen unmittelbar drohende Vergabeverstöße unterbunden werden können.46 Diese Rechtsauffassung ist nicht nur im Lichte der Rechtsschutzgarantie zutreffend; vielmehr liegt die frühzeitige Klärung möglicher Vergabeverstöße auch im Interesse der Beschleunigung und damit dem Interesse des Auftraggebers selbst.

28Ebenso fehlt die Antragsbefugnis nach Abschluss des Vergabeverfahrens aufgrund wirksamer Zuschlagserteilung, da ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden kann (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die Ausnahme zu dieser Regel bildet die sog. de-facto-Vergabe, bei der auch nach Vertragsschluss eine Anfechtung zur Vergabekammer nach Maßgabe des § 135 GWB möglich ist.

29Die Frage, ob die Vergabenachprüfung auch nach einem im Wege der Aufhebung beendeten Vergabeverfahren eröffnet ist, ist differenziert zu beantworten. Grundsätzlich ist die Antragsbefugnis zu verneinen, sofern sich der Antrag lediglich auf materiell-rechtliche Vergabeverstöße innerhalb des wirksam aufgehobenen Vergabeverfahrens bezieht. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn mit dem Nachprüfungsantrag die Aufhebungsentscheidung als solche angegriffen und eine Fortsetzung des Vergabeverfahrens begehrt wird, was aufgrund der bieterschützenden Ausrichtung der Aufhebungsvorschriften grundsätzlich zulässig ist.47 Namentlich dann, wenn die Aufhebungsentscheidung auf vergaberechtlich zu missbilligenden Zwecken beruht, also nur dazu, eine bestimmte, nicht genehme Vergabeentscheidung vermeiden zu können, ist Primärrechtsschutz gegen die Aufhebungsentscheidung mit der angestrebten Rechtsfolge der „Aufhebung der Aufhebung“ eröffnet und geboten.48

30Das Vorliegen eines konkreten Vergabevorgangs ist schwieriger zu bestimmen, wenn es sich um eine (ggf. unzulässige) sog. de-facto-Vergabe49 handelt, also der Auftraggeber lediglich faktisch mit einem oder mehreren Unternehmen ein Auftragsverfahren durchführt, ohne zuvor eine Vergabebekanntmachung veröffentlicht und damit einen allgemeinen Vergabewettbewerb eröffnet zu haben. In diesen Fällen richtet sich die Frage des Vorliegens eines konkreten Vergabevorgangs mangels nach außen tretender Bekundung der Vergabeabsicht nach materiellen Kriterien. Ein anfechtbares faktisches Vergabeverfahren liegt danach vor, wenn der öffentliche Auftraggeber sich zur Deckung eines akuten oder zukünftigen Bedarfs zur Beschaffung von Waren, Bau- oder Dienstleistungen entschlossen, mit organisatorischen und planerischen Schritten das Beschaffungsvorhaben eingeleitet und er den Kreis von Unternehmen ermittelt hat, dies alles mit dem ins Auge gefassten Ziel, dass am Ende dieser organisatorischen Schritte ein Vertragsabschluss steht.50 Abzugrenzen ist der so umschriebene Beginn eines konkreten Vergabeverfahrens gegenüber bloßen Unternehmenskontakten, Aktivitäten des Auftraggebers i. S. einer bloßen Markterkundung,51 Machbarkeitsstudien oder vergleichenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen52 sowie bloßen Absichtsbekundungen gegenüber dem derzeitigen Leistungserbringer, den nach Ablauf bestehender Verträge weiterhin gegebenen Bedarf – möglicherweise anders als früher – in einem Vergabeverfahren decken zu wollen.53

2.Auftragsinteresse

31Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass das antragstellende Unternehmen ein Interesse an dem zu vergebenden Auftrag hat. Gemeint ist damit das Vorliegen eines wirtschaftlichen Interesses am Erhalt des Auftrags.54 Das Interesse am Auftrag ist weit auszulegen. Es liegt in der Regel vor, wenn der Bieter vor Stellung des Nachprüfungsantrags am Vergabeverfahren teilgenommen und einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat.55 Sofern der Antragsteller im Vergabeverfahren eine Bewerbung oder ein Angebot abgegeben hat, ist das Auftragsinteresse in aller Regel zu bejahen und bedarf dann keiner vertiefenden Begründung.56 Die Antragsbefugnis ist allerdings auch auf den Umfang des Angebots beschränkt. So ist bei einer losweisen Vergabe die Antragsbefugnis nur für diejenigen Lose gegeben, für die der Antragsteller ein Angebot eingereicht hat.57

32Der Abgabe eines Angebots bedarf es jedoch nicht unbedingt, um das Interesse an einem Auftrag darzulegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Antragsteller mit seinem Nachprüfungsantrag die Ausschreibungsbedingungen als solche (bspw. grundlegend mangelhafte Leistungsbeschreibung, fehlende Losteilung, fehlerhafte Zuschlagskriterien) angreift, die eine ordnungsgemäße bzw. diskriminierungsfreie Angebotsabgabe von vornherein verunmöglichen und der Auftraggeber einer entsprechenden Rüge nicht abgeholfen hat.58 Gleiches gilt, wenn der Auftraggeber unzulässigerweise kein Vergabeverfahren durchgeführt, also eine de-facto-Vergabe vorgenommen hat, sodass überhaupt keine Gelegenheit zur Angebotsabgabe bestand.59 Die Antragsbefugnis beschränkt sich bei fehlendem Angebot seitens des Antragstellers jedoch auf solche Vergaberechtsverstöße, die kausal für den Entschluss gewesen sein können, kein Angebot abzugeben.60

33In diesem Zusammenhang ist seit der Vergaberechtsreform 2009 außerdem zu berücksichtigen, dass die Interessenten am Auftrag aufgrund § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB nunmehr gezwungen sind, innerhalb von 15 Tagen nach Mitteilung über die Nichtabhilfe einer erhobenen Rüge Nachprüfungsantrag zu stellen, der andernfalls präkludiert ist. Dies führt – namentlich bei einer frühzeitig nach Bekanntmachung des Auftrags erhobenen Rüge, zu der der Antragsteller unter Zugrundelegung der Fortgeltung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auch verpflichtet ist – zu einer Vorverlagerung des Prüfprozesses bei der Vergabekammer mit der Folge, dass der Nachprüfungsantrag häufig weit vor Ablauf der Angebotsfrist eingereicht werden muss, mithin keine Angebotsabgabe zu verlangen ist; in diesen Fällen steht es dem Antragsteller auch frei, ob er noch ein Angebot einreicht (um im Falle des Unterliegens seine Angebotschancen zu wahren) oder dies unterlässt.

34Der Verzicht auf eine Angebotsabgabe ist allerdings nur dann unschädlich für das Bestehen der Antragsbefugnis, sofern die Vergabemängel in der Ausschreibung auch eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten; zu fordern ist, dass gerade die antragsgegenständlichen Vergaberechtsverstöße den Antragsteller gehindert oder ihn erheblich behindert haben, ein chancenreiches Angebot abzugeben.61 Dies ist etwa gegeben, wenn ein Fachunternehmen die mangelnde Fachlosvergabe beanstandet,62 weil gerade hierdurch eine Angebotsabgabe verunmöglicht wurde. Gleiches gilt für den Fall, dass sich der Antragsteller dadurch an der Angebotsabgabe gehindert sieht, dass die Ausschreibung unter Verstoß gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung auf das Produkt eines Mitbewerbers zugeschnitten ist; auch dann ist für eine Angebotsabgabe von vornherein kein Raum.63 Darüber hinaus ist die Angebotsabgabe für das Bestehen der Antragsbefugnis auch dann verzichtbar, wenn der antragstellenden ­Partei zwar an sich eine Angebotsabgabe möglich gewesen wäre, sich aber bei verständiger Betrachtung die Ausarbeitung des Angebots angesichts der reklamierten und als zutreffend zu unterstellenden Beanstandungen des Vergabeverfahrens aufgrund des damit verbundenen Aufwands als unzumutbar darstellen würde.64 Nicht entbehrlich wird die Angebotsabgabe lediglich bei geringfügigen Vergaberechtsverstößen, etwa bei Unklarheiten bei einzelnen unbedeutenden Positionen des Leistungsverzeichnisses.65

35Die Antragsbefugnis kann (ggf. nachträglich) entfallen, wenn der Bieter seine Bemühungen um den Auftrag ausdrücklich aufgibt. Der Ablauf der Bindefrist für das Angebot z. B. nach § 10 Abs. 4 VOB/A lässt jedoch einen solchen Schluss regelmäßig nicht zu. Denn der Ablauf der Bindefrist führt nur zivilrechtlich (§§ 146, 148 BGB), nicht aber vergaberechtlich zum Erlöschen des Angebots. Der Auftraggeber ist nicht gehindert und unter der Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts (Gebot sparsamer Verwendung öffentlicher Mittel) sogar gehalten, ein verfristetes Angebot nach Maßgabe von § 150 Abs. 1 BGB zu bezuschlagen, und der Bieter ist in der Lage, diesen zivilrechtlich als Angebot zu wertenden Zuschlag anzunehmen.66 Zudem bringt der Bieter gerade mit seinem (nicht zurückgenommenen) Nachprüfungsantrag klar zum Ausdruck, dass er weiterhin Interesse am Auftrag hat.67 Gleiches gilt, wenn der Bieter die Bindefristverlängerung für sich genommen als vergaberechtswidrig beanstandet.68 Richtigerweise lässt sich schon das Weiterbetreiben des vor Ablauf der Bindefrist eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens durch den Bieter mit dem Ziel, seine Zuschlagschancen zu wahren, als konkludente Verlängerung der Bindefrist bis zum Ende des Nachprüfungsverfahrens werten.69

36Das Interesse am Auftrag ist auch dann zu bejahen, wenn der Nachprüfungsantrag letztlich auf die Aufhebung des Vergabeverfahrens abzielt, etwa weil andernfalls die geltend gemachten schwerwiegenden Vergabeverstöße nicht behoben werden können.70 Voraussetzung in diesem Fall ist jedoch, dass der Antragsteller den Erhalt des Auftrags in einem nachfolgenden, ordnungsgemäßen Vergabeverfahren erstrebt; unzulässig ist demgegenüber nach h. M. der auf die endgültige Nichtvergabe des Auftrags gerichtete Nachprüfungsantrag.71 Dies soll auch dann gelten, wenn der Antragsteller das Vergabeverfahren nachvollziehbarer Weise deshalb zu verhindern sucht, weil er selbst in einem Vorgängerverfahren den Zuschlag über denselben Vergabegegenstand erhalten hat und die unzulässige Doppelvergabe stoppen will.72

IV.Rechtsverletzung

37Die Antragsbefugnis setzt weiter voraus, dass das Unternehmen geltend macht, durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein.

1.Verletzung in bieterschützenden Vergabevorschriften

38Die Rechtsverletzung setzt zweierlei voraus: zum einen die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften i. S. einer Verletzung objektiven Rechts, zum anderen die hierdurch begründete Verletzung der Bieterrechte des § 97 Abs. 6 GWB.73 Zusammenfassend ist also erforderlich, dass die Verletzung von bieterschützenden Vergabevorschriften geltend gemacht wird. Dabei ist in Rechtsprechung und Literatur geklärt, dass mittlerweile beinahe sämtliche Vergabevorschriften als bieterschützend i. S. d. § 97 Abs. 6 GWB zu gelten haben.74

39Lange umstritten war die Frage, in wieweit die Preisprüfung auf dritter Wertungsstufe (also insbesondere die Frage der Ausschlussbedürftigkeit niedrigpreisiger Angebote) bieterschützenden Charakter aufweist, mithin Mitbewerber die Ausschlussbedürftigkeit eines für den Zuschlag vorgesehenen mutmaßlich niedrigpreisigen Angebots zulässigerweise vor den Nachprüfungsinstanzen geltend machen können. Dieser Punkt ist von nicht unerheblicher Praxisrelevanz, da häufig gerade das für den Zuschlag vorgesehene Angebot dem Verdacht einer Niedrigpreisigkeit unterliegt. Nach der früher herrschenden Auffassung sollte der bieterschützende Charakter dieser Vorschrift grundsätzlich abzuerkennen sein, da der Ausschluss niedrigpreisiger Angebote nur dem Selbstschutz des Auftraggebers in dem Sinne dienen solle, sich nicht an nicht leistungsfähige Bieter binden zu müssen. Lediglich in besonderen (praktisch kaum nachzuweisenden) Sonderkonstellationen, etwa wenn das niedrigpreisige Angebot in der Absicht einer systematischen Marktverdrängung der Wettbewerber abgegeben worden ist, oder die unauskömmliche Kalkulation Leistungsmängel befürchten lässt, sollte ausnahmsweise bieterschützende Wirkung zu bejahen sein.75 Diese Rechtsauffassung ist jedoch spätestens seit der Entscheidung des BGH vom 31.1.2017 (X ZB 10/16) als obsolet anzusehen. Der BGH hat in dieser Entscheidung zwar nicht ausdrücklich zum bieterschützenden Charakter Stellung genommen, jedoch deutlich gemacht, dass die Wettbewerber – und zwar auch ohne konkreten Rechtsvortrag – prinzipiell Anspruch auf Aufklärung eines als niedrigpreisig indizierten Angebotes haben und folglich auch, sollte sich der Niedrigpreisigkeitsverdacht bestätigen, den Ausschluss des Angebots im Nachprüfungsverfahren durchsetzen können.

40Neben dieser Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sprechen auch gewichtige Sachargumente für einen Bieterrechtsschutz: Erstens gewährt § 97 Abs. 6 GWB ganz generell den Bietern einen Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften. Zu diesen Vergabevorschriften zählt auch die Vorschrift über die Behandlung ungewöhnlich niedriger Angebote – § 60 VgV. Zwar räumt § 60 Abs. 3 VgV dem Auftraggeber hinsichtlich der Ausschlussentscheidung ein Ermessen ein; die Mitbewerber haben insoweit aber jedenfalls Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, der nur durch eine unabhängige Nachprüfungsinstanz durchgesetzt werden kann. Zweitens ist die Beurteilung, dass die Niedrigpreisigkeit nur dem Selbstschutz des Auftraggebers dient und daher für die Rechtsstellung der Mitbewerber irrelevant ist, erkennbar unzutreffend. Sofern ein Ausschluss erfolgt, weil ein solcher nach den preisrechtlichen Bestimmungen zu erfolgen hat, so scheidet der betroffene – in der Angebotsreihenfolge in der Regel führende – Bieter aus, so dass die nachfolgenden und insbesondere der an zweiter Rangstelle liegende Bieter als nachrückende(r) ein berechtigtes Interesse an der vergaberechtlich richtigen Handhabung der entsprechenden Ausschlussentscheidungen hat bzw. haben. Dies zeigt sich drittens auch an einem Quervergleich zur zweiten Wertungsstufe, der Eignungsprüfung. Auch die Sicherstellung der Eignung der Bieter dient primär dem eigenen Interesse des Auftraggebers, sich nicht an einen Bieter zu binden, dem die technische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fehlt. Gleichwohl war hier schon seit jeher anerkannt, dass die zweite Wertungsstufe der Eignungsprüfung bieterschützenden Charakter hat.76 Warum dies auf der dritten Wertungsstufe anders bewertet werden soll, erschließt sich nicht. Nach alledem hat die Preisprüfung bieterschützenden Charakter und ist infolgedessen ein Bieter, der sich auf Verletzung der Preisprüfungsvorschriften beruft, antragsbefugt i. S. d. § 160 Abs. 2 GWB.

41Ein Nachprüfungsantrag kann zulässigerweise nur auf die Nichtbeachtung gerade von Vergabevorschriften gestützt werden. Hieraus folgt, dass die Nichteinhaltung nicht-vergaberechtlicher Vorschriften nicht zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemacht werden können.77 Dies bedeutet grundsätzlich, dass eine Verletzung klassischer Vergabevorschriften der vergaberechtlichen Normenpyramide (europarechtliche Vergabevorschriften, GWB 4. Teil, VgV, VOB/A) vorliegen muss.

42Allerdings gibt es verschiedene Vergabegrundsätze, die als Schnittstelle und „Einfallstor“ zu anderen Rechtsgebieten fungieren – insbesondere der Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB, womit zumindest die wettbewerbsrechtlichen Grundsätze in das Vergaberecht inkorporiert werden. Folglich kann nach zutreffender Auffassung durchaus in einem Nachprüfungsverfahren moniert werden, der Mitbewerber beteilige sich trotz eines kommunalwirtschaftlichen Betätigungsverbots an der Ausschreibung.78 Kartellrechtliche Aspekte können (nur) insoweit im Nachprüfungsverfahren thematisiert werden, als sie sich unmittelbar auf den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) oder spezifische vergaberechtliche Thematiken wie z. B. Losteilungserfordernisse beziehen.79 Aufgrund der „arbeitsteiligen“ Rechts- und Prozessordnung und der begrenzten Zeitkapazitäten der Vergabekammern im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens können indes sowohl Auftraggeber als auch Vergabekammern von einer vertieften Prüfung von Rechtsfragen, die einem anderen Gerichtszweig unterfallen (z. B. Prüfung bestandskräftiger BImschG-Genehmigung oder sozialrechtlicher Bescheinigungen), absehen. Anderes gilt nur, wenn die nicht-vergaberechtlichen Vorschriften zum vergaberechtlich relevanten Prüfgegenstand gehören; so war früher beispielsweise die Einhaltung des in der HOAI (verbindlich) festgelegten Honorarrahmens gem. § 11 Abs. 5 Satz 3 VOF im Rahmen von VOF-Vergaben zwingend zu berücksichtigen.80 Ebenso in einem Nachprüfungsverfahren kann geltend gemacht werden, dass der Beigeladene im Rahmen seines Angebots und der späteren Leistungserbringung unzulässig von einem dem Antragsteller erteilten Patent Gebrauch macht. Trotz des patentrechtlichen Rügegegenstands stützt sich auch hier der Antragsteller letztlich auf die Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften, nämlich die mögliche Leistungsunfähigkeit des Beigeladenen aus rechtlichen Gründen (§ 97 Abs. 4 Satz 1 GWB, § 42 VgV).81

43Ob also außervergaberechtliche Normen im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden können, hängt letztlich davon ab, ob diese einen vergaberechtlichen Anknüpfungspunkt (wie z. B. § 97 Abs. 1, 3 GWB oder § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VgV) haben und ob sich die Anwendung dieser Normen konkret auf die Rechtsposition des Antragstellers im Vergabeverfahren – namentlich im Rahmen der Angebotswertung – auswirkt.82

2.Geltendmachung

44Auf Ebene der Antragsbefugnis ist nicht zu fordern, dass die Verletzung von Bieterrechten tatsächlich vorliegt, vielmehr ist eine solche vom Antragsteller lediglich geltend zu machen. Vergleichbar mit der Regelung des § 42 Abs. 2 VwGO genügt hierbei bereits die Möglichkeit einer Rechtsverletzung, die vorliegt, wenn eine Vergaberechtswidrigkeit nicht von vornherein aussichtslos erscheint.83 Erst im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels ist zu prüfen, ob eine Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt.84

45Genauso wie bei der Rügeobliegenheit ist hierbei nicht zu fordern, dass der Antragsteller die betreffenden Paragrafen benennt oder eine vertieft recherchierte Sach- und Rechtslage geltend macht. Ausreichend ist vielmehr, dass der Antragsteller hinreichend konkretisiert, inwieweit er eine Rechtsverletzung der Sache nach für gegeben hält (z. B. Geltendmachung der „mangelnden Eignung der Beigeladenen mangels hinreichender Entsorgungskapazität“). Vertiefte Vergaberechtskenntnisse sind vom Antragsteller ebenso wenig zu erwarten wie eine präzise Kenntnis der Sachverhaltsgrundlagen. Letztere sind vom Antragsteller häufig schon deshalb nicht zu erwerben, weil er im Laufe des Vergabeverfahrens weder Aktenkenntnis hat, noch die Angebote der Mitbewerber kennt. Die Darlegungslast darf mithin nicht überspannt werden.85 Demzufolge kann sich ein Antragsteller beispielsweise hinsichtlich Anhaltspunkten, die Zweifel des Mitbewerbers an seiner Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit begründen, durchaus auf seine „Marktkenntnis“ oder „Informationen aus dem Markt“ berufen, jedoch nur, sofern der Angebotsmangel der Sache nach hinreichend konkret geltend gemacht wird.86 Eine Grenze findet dieses weite Verständnis dort, wo Rechtsverstöße offensichtlich nicht vorliegen oder auf Basis von Behauptungen geltend gemacht werden, die ins Blaue hinein oder gar wider besseren Wissens aufgestellt werden; derartiger Vortrag ist unzulässig und unbeachtlich.87

V.Darlegung eines eingetretenen oder drohenden Schadens

1.Grundsätze

46Die Antragsbefugnis erfordert schließlich, dass der Antragsteller durch den behaupteten Vergabeverstoß einen Schaden erlitten hat oder ihm der Eintritt eines Schadens droht.88 Auch dieses Merkmal ist europa- und verfassungskonform auszulegen.89 Folglich ist es unzulässig, einem Bieter den Zugang zum Nachprüfungsverfahren mit der Begründung zu verwehren, dass sein Angebot bereits aus anderen Gründen vom Auftraggeber auszuscheiden gewesen wäre und ihm daher durch die behauptete vergaberechtswidrige Vorgehensweise kein Schaden entstanden sei.90

47Der in § 160 Abs. 2 GWB verwendete Schadensbegriff steht im Gesamtkontext des Primärrechtsschutzes. Infolgedessen hat das Tatbestandsmerkmal eines bereits entstandenen Schadens kaum Bedeutung. Zentrales Anliegen des Primärrechtsschutzes ist vielmehr die Verhinderung eines dem Antragsteller drohenden Schadens, nämlich des Verlusts des Auftrags und des damit entgehenden Gewinns.91 Generell droht dem Antragsteller, der sich mit einem Angebot am beanstandeten Vergabeverfahren beteiligt oder anderweitig sein Auftragsinteresse demonstriert hat,92 ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das Vergabeverfahren ursächlich aufgrund der behaupteten Rechtsverletzung nicht durch einen Zuschlag beendet werden darf und folglich zur Bedarfsdeckung entweder eine Rückversetzung des laufenden Vergabeverfahrens oder eine vollständige Neuausschreibung veranlasst ist.93 Hierzu genügt die Darlegung, dass entweder die Aussichten des Antragstellers auf eine Auftragserteilung innerhalb des beanstandeten Vergabeverfahrens zumindest verschlechtert worden sein können94 oder dass der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen neuerlichen Vergabeverfahrens bessere Chancen haben könnte als im beanstandeten Verfahren.95 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Antragsteller i. S. einer strengen Kausalität nachweisen kann, dass er bei korrekter Anwendung der Vergabevorschriften den Auftrag mit Sicherheit erhalten hätte.96

48An die Darlegung des Schadensumfangs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen.97 Insbesondere ist der Schaden nicht der Höhe nach darzulegen, vielmehr genügt – schon nach dem Wortlaut des § 160 Abs. 2 GWB – die Darlegung (irgend-)eines Schadens. Ein Schaden liegt dabei regelmäßig im Nichterhalt des Auftrags, weil damit dem Antragsteller der Gewinn, dessen Einkalkulation marktüblicherweise unterstellt werden kann, entgeht.

2.Fallgruppen

In der Vergabepraxis sind insbesondere folgende Fallgruppen von Relevanz:

49a) Drohender Schaden bei erfolgter oder unterbliebener Angebotsabgabe. Unabhängig davon, ob der Antragsteller im streitgegenständlichen Vergabeverfahren ein Angebot oder eine Bewerbung abgibt oder dies unterlässt, kann – neben dem Auftragsinteresse98 – ein drohender Schaden vorliegen.

50Die Gefahr eines drohenden Schadens wird insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Bieter sich trotz der gerügten Verstöße zu einer Angebotsabgabe entschließt. Denn aus der Tatsache, dass der Bieter seine Chance, den Auftrag zu bekommen, auf jeden Fall durch die fristgerechte Abgabe eines Angebots wahren will, kann keineswegs abgeleitet werden, dass eine Schadensgefahr nicht bestehe.99 Hierfür sprechen zwei Gesichtspunkte: Zum einen kann es dem Antragsteller nicht „verübelt“ werden, dass er vorsorglich ein Angebot abgibt für den Fall, dass die Nachprüfungsinstanzen seiner Rechtsauffassung nicht folgen und folglich sein Nachprüfungsantrag erfolglos bleibt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich durch Abgabe seines Angebots zwar eine Zuschlagschance sichert, es jedoch möglich erscheint, dass bei der begehrten vergabekonformen Ausschreibung – etwa Aufteilung der Leistung in Lose, Verzicht auf bestimmte Produktvorgaben – der Bieter möglicherweise anders und besser hätte kalkulieren können. Eine solche Verbesserung der Zuschlagsaussichten im Falle der Vermeidung der vorgetragenen Verstöße ist durchaus vorstellbar und reicht für die Geltendmachung eines möglichen Schadens aus.100 Vor diesem Hintergrund kann einer Angebotsabgabe nach Treu und Glauben (§§ 242, 133 BGB) auch nicht die Bedeutung eines Verzichts auf die vorher erhobenen Beanstandungen beigelegt werden.101

51Umgekehrt ist der Verzicht auf eine Angebotsabgabe (oder die Abgabe einer Bewerbung) für die Annahme eines drohenden Schadens ebenso zumeist unschädlich. Zwar gilt im Grundsatz, dass der Unternehmer, der sich einer Angebotsabgabe enthält, von vornherein jegliche Möglichkeit vergibt, den Zuschlag zu erhalten und er daher grundsätzlich nicht als antragsbefugt anzusehen ist.102 Die Antragsbefugnis ist jedoch für den – häufigen – Fall zu bejahen, dass der Unternehmer gerade durch den gerügten Verfahrensfehler an der Abgabe oder sogar schon an der Erstellung des Angebots gehindert worden ist.103 Beruft sich der Antragsteller hierauf, muss er zur Begründung seiner Antragsbefugnis die Verhinderung schlüssig darlegen; ihn trifft also eine erhöhte Darlegungs- und Begründungspflicht.104 Dementsprechend ist ein Antragsteller trotz unterbliebener Einreichung einer Bewerbung antragsbefugt, wenn er geltend macht, die in einem ÖPP-Projekt übergreifend ausgeschriebenen Beratungsleistungen hätten losweise getrennt ausgeschrieben werden müssen.105 Gleiches gilt, wenn der Bieter im Rahmen der rechtswidrigen Ausschreibung eines Leitfabrikats zwar in der Lage wäre, dieses zu liefern, er aber daran gehindert wird, ein wirtschaftlicheres Konkurrenzprodukt anzubieten.106

52b) Drohender Schaden bei mangelhaftem Angebot des Antragstellers und ggf. der Mitbewerber. Der Umstand, dass das Angebot des Antragstellers ausgeschlossen werden darf oder muss, mag zwar die Feststellung rechtfertigen, dass die Wertung ordnungsgemäß erfolgt ist mit der Folge, dass der Nachprüfungsantrag im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen ist. Für die auf Zulässigkeitsebene zu prüfende Antragsbefugnis ist es hingegen i. d. R. ohne Bedeutung, ob das Angebot des Antragstellers (etwa wegen Unvollständigkeit) ausgeschlossen werden kann oder muss.107 War das Angebot eines Antragstellers auszuschließen, so kann der weitere Fortgang des Vergabeverfahrens weder seine Interessen berühren, noch kann der Antragsteller durch eine etwaige Nichtbeachtung vergaberechtlicher Bestimmungen in seinen Rechten verletzt sein, was in der Konsequenz die Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags – nicht jedoch seine Unzulässigkeit – zur Folge hat.108 Hintergrund für die Behandlung erst auf der Ebene der Begründetheit ist, dass der Angebotsausschluss regelmäßig gerade Gegenstand des Nachprüfungsbegehrens ist und eine „Abqualifizierung“ schon auf Zulässigkeitsebene zu einem nicht tragbaren Rechtsschutzdefizit führen würde, auch weil beispielsweise dann der Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen werden könnte.

53Dementsprechend ist auch die zuweilen geübte Praxis der Nachprüfungsinstanzen, das Angebot des Antragstellers danach „durchzurastern“, ob der Auftraggeber einen Wertungsausschluss hätte vornehmen können oder müssen, und bei „erfolgreicher“ Suche den Nachprüfungsantrag als unzulässig mangels drohendem Schaden abzuweisen, vergaberechtswidrig.109

54Verbleiben in einem Vergabeverfahren noch wenige Bieter, deren Angebote unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sämtlich auszuschließen sind, so fragt sich, ob ein möglicher Schaden i. S. d. § 160 Abs. 2 GWB aus Sicht eines ausgeschlossenen Bieters darin begründet liegen kann, dass diese Sachlage eine Aufhebung der Ausschreibung erfordert (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A und § 48 Abs. 1 Nr. 1 UVgO) und die dann notwendige Neuausschreibung des Auftrags die Chance eröffnet hätte, nunmehr ein zuschlagsfähiges Angebot abzugeben („zweite Chance“). Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB, der es grundsätzlich erfordert, gleich gelagerte Sachverhalte gleich zu behandeln und es folglich nicht zulässt, dass der Auftraggeber das eine Angebot ausschließt, während er beim anderen Angebot einen großzügigeren Maßstab anlegt.110

55Gegen die Annahme eines Schadens i. S. v. § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB in der beschriebenen Konstellation wurde eingewendet, dass das den Anspruch des Bieters auf Gleichbehandlung nach § 97 Abs. 2 GWB begründende Rechtsverhältnis mit dessen Ausscheiden aus dem Wettbewerb unabhängig von der Beurteilung der anderen Angebote untergeht, falls das beanstandete Angebot tatsächlich mit Mängeln behaftet ist, die ihm die Zuschlagsfähigkeit nehmen.111 Hierfür spricht auch, dass selbst im Falle der Aufhebung der Ausschreibung nicht gewährleistet ist, dass der Auftrag neu ausgeschrieben wird.112 Das Argument, das ausschlussbedürftige Angebot des Antragstellers nehme am Vergabeverfahren nicht mehr teil und sei daher nicht gleichbehandlungsbedürftig i. S. d. § 97 Abs. 2 GWB, geht indes fehl, da die Ausschlussbedürftigkeit des Angebots und die Wahrung des Gleichbehandlungsgebots nach § 97 Abs. 2 GWB gerade den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens und der dort zu überprüfenden Angebotswertung bilden. Zutreffend ist daher die Gegenansicht, wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Behandlung der Angebote im Rahmen der Wertung nach einheitlichen Maßstäben erfordert und folglich der Auftraggeber entweder nach einheitlichen Maßstäben sämtliche Angebote mit dem gebotenen Ausschluss belegt oder er – in begründeten Ausnahmefällen – hiervon bei allen Angeboten gleichermaßen absieht oder er – wie nunmehr in den Vergabe- und Vertragsordnungen vorgesehen – die Mängel durch Nachforderung fehlender Unterlagen und Erklärungen bei allen Bietern gleichermaßen beheben lässt. Kommt es demzufolge zur Aufhebung der Ausschreibung, so liegt eine neue Chance des ausgeschlossenen Bieters bereits in der bloßen Möglichkeit begründet, dass sich der Auftraggeber nach Aufhebung für eine Neuausschreibung entscheiden könnte.113 Dies ist auch regelmäßig der Fall, da ungeachtet des fehlgeschlagenen Vergabeverfahrens der Beschaffungsbedarf der Vergabestelle regelmäßig fortbesteht.

56Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz als vergaberechtlichem Anknüpfungspunkt für die vorgenannte Judikatur wird zur Feststellung vergleichbarer Sachverhalte teilweise gefordert, dass die konkurrierenden Angebote unter gleichartigen Mängeln zu leiden haben.114 Zur Konkretisierung der Gleichwertigkeit der Mängel wurden in den Vergabeinstanzen verschiedene Kriterien entwickelt. Insbesondere soll hierbei entscheidend sein, ob alle Angebote auf der gleichen Wertungsstufe, etwa der formalen Wertung (erste Stufe) oder der Eignungsprüfung (zweite Stufe) auszuschließen sind.115

57Diese Rechtsauffassung ist indes auf Basis der BGH-Rechtsprechung abzulehnen. Ob die in Betracht stehenden Angebote an dem gleichen oder an unterschied­lichen Ausschlussgründen leiden, ist ohne Bedeutung.116 Entscheidend sind ­nämlich nicht die womöglich divergierenden Rechtsgründe für den Angebotsausschluss; vielmehr sind die – letztlich identische – Rechtsfolge der Ausschlussbedürftigkeit der Angebote und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, das Vergabeverfahren aufzuheben und ggf. eine Neuausschreibung durchzuführen, maßgeblich. Zwar hat der EuGH insoweit einen etwas strengeren Prüfmaßstab angelegt. Das Anliegen eines großzügigeren Maßstabes stellt sich jedoch gleichwohl als unionsrechtskonform dar, da dies nicht etwa zu einer Begrenzung, sondern zu einer Ausweitung des Rechtsschutzes der Bieter führt und somit die Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie ebenso und erst recht eingehalten werden.

58Freilich ist der Antragsteller im Hinblick auf die mögliche Ausschlussbedürftigkeit der Konkurrenzangebote mit der praktischen Schwierigkeit konfrontiert, dass er die Konkurrenzangebote nicht kennt und folglich auch keine Kenntnis über deren etwaige Mängel erlangt. Als Kompensation dieses kognitiven Defizits greift, jedenfalls soweit es um gleich gelagerte und offensichtliche Ausschlussgründe geht, die für die Vergabekammer bestehende und in vorliegender Konstellation besonders bedeutsame Amtsermittlungspflicht (§ 163 GWB). Es sprechen gute Gründe dafür, dass die Vergabekammer zumindest bei dem für den Zuschlag vorgesehenen Angebot dessen Nichtausschlussbedürftigkeit von Amts wegen zu überprüfen hat. Ungeachtet dessen empfiehlt sich aus Sicht des Antragstellers, die Ausschlussbedürftigkeit der Angebote der Mitbewerber und namentlich des Beigeladenen ausdrücklich zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens zu machen.

59c) Drohender Schaden bei einem auf einer hinteren Rangstelle liegenden Angebot. Die Frage, ob ein drohender Schaden auch dann vorliegen kann, wenn das Angebot des Antragstellers aufgrund seiner Rangstelle im Angebots-Ranking chancenlos erscheint, ist differenziert zu beurteilen. In der Regel ist die schlechte Platzierung des Angebots des Rechtsmittelführers im Angebotsfeld unschädlich für die Antragsbefugnis. Dies gilt insbesondere dann, wenn nur wenige Angebote vorliegen und folglich selbst der letztplatzierte Bieter nur wenige Bieter überspringen muss, um an die zuschlagsfähige Rangstelle zu gelangen. Die Antragsbefugnis ist auch immer dann zu bejahen, wenn bei Hinwegdenken der mit dem Nachprüfungsantrag geltend gemachten Vergabeverstöße der Antragsteller hätte womöglich anders und besser kalkulieren können, z. B. indem er bei unklaren Leistungsbestandteilen auf Sicherheitszuschläge verzichtet.117 Gleiches gilt, wenn gerade die Wertungsweise auf vierter Stufe angegriffen wird; dies gilt insbesondere für den Fall, dass auch leistungsbezogene Zuschlagskriterien zur Anwendung gelangt sind und folglich die Beurteilung der Richtigkeit der Wertung nicht nur rechnerisch-schematisch erfolgen kann, sondern einer komplexeren Beurteilung unterliegt.118

60Ebenso ist die Antragsbefugnis bei eigentlich aussichtsloser Rangstelle des Angebots zu bejahen, wenn der Antragsteller die Ausschreibungsbedingungen als solche angreift mit dem (statthaften) Ziel, insgesamt eine Aufhebung der Ausschreibung zu erwirken. In diesem Fall kommt es auf die schlechte Rangstellung des Angebots oder sonstige Angebotsmängel nicht an.119 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass das „Überholen“ der Angebote der Mitbewerber durch ein auf den ersten Blick aussichtslos erscheinendes Angebot auch unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommt, dass die anderen Angebote auf erster, zweiter oder dritter Wertungsstufe auszuschließen sind, während gerade das Angebot des Antragstellers fehlerfrei sein kann und im Wettbewerb verbleibt, mit dem Ergebnis, dass gerade sein Angebot an die erste Rangstelle rückt.

61Vor dem Hintergrund dieser vielgestaltigen Fallgegebenheiten, die allesamt dazu führen können, dass der Antragsteller trotz eines zunächst aussichtslos erscheinenden Angebots mit dem Nachprüfungsantrag Erfolg hat, verbleibt nur wenig Raum, dem Antragsteller mit Blick auf die schlechte Rangstelle die Möglichkeit eines Schadens und die Antragsbefugnis von vornherein abzusprechen. Ungeachtet dessen wird in der Rechtsprechung vereinzelt daran festgehalten, dass einem Antragsteller das in § 160 Abs. 2 GWB vorausgesetzte Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn er im Falle einer Neubewertung seines Angebots mit dem Erhalt des Zuschlags oder zumindest der Verbesserung der Zuschlagschancen nicht rechnen darf.120 Nach Vorgesagtem erscheint dies jedoch nur gerechtfertigt, wenn es sich um eine reine Preiswertung handelt, der Antragsteller gerade nur sein Abschneiden in der Angebotswertung (und nicht die Ausschreibungsweise als solche) angreift und zugleich auf Basis einer entsprechenden Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen feststeht, dass der für den Zuschlag vorgesehene Mitbewerber zu Recht auf Rangstelle 1 eingestuft wurde und sein Angebot keinem Ausschlussgrund unterliegt. Allein dies stellt jedoch ein relativ anspruchsvolles Programm dar, das regelmäßig der Begründetheitsprüfung zugeordnet sein dürfte, weshalb im Ergebnis die Antragsbefugnis nur in seltenen Fällen (und allenfalls nach bereits erfolgter Überprüfung der Wertungsfähigkeit der Angebote) unter Hinweis auf die chancenlose Rangstelle des Angebots des Antragstellers abgesprochen werden kann.

62d) Drohender Schaden bei falscher Verfahrenswahl. Ein drohender Schaden und die Antragsbefugnis können sich auch aus der falschen Verfahrenswahl durch den Auftraggeber ergeben. Dabei steht namentlich der pauschale Einwand, der Antragsteller sei an dem betreffenden Vergabeverfahren beteiligt worden, einer Antragsbefugnis nicht ohne Weiteres entgegen. Im Einzelnen sind dabei unterschiedliche Fallkonstellationen zu berücksichtigen, so insbesondere die Wahl eines nationalen Vergabeverfahrens anstelle der gebotenen EU-weiten Ausschreibung, die unzulässige Durchführung einer de-facto-Vergabe, die Wahl der falschen Vergabeordnung sowie die Wahl einer unzulässigen Verfahrensart. Im Einzelnen:

63Beanstandet der Antragsteller die Durchführung einer lediglich nationalen statt einer aus seiner Sicht gebotenen EU-weiten Ausschreibung (z. B. weil der Auftragswert fehlerhaft unterschätzt worden ist), ist ein drohender Schaden zumeist gegeben.121 Zu bejahen ist die Antragsbefugnis in diesem Fall jedenfalls für – insbesondere ausländische – Bieter, die nachvollziehbar darlegen können, dass gerade der Verzicht auf eine EU-weite Bekanntmachung ihnen die Teilnahme verunmöglicht oder erschwert hat. Diffiziler verhält es sich, wenn sich ein Antragsteller auf die mangelnde EU-Bekanntmachung beruft, obgleich er von der nationalen Ausschreibung Kenntnis erhalten und sich ggf. daran auch beteiligt hat. In diesem Fall verlangen einige Vergabesenate zur Darlegung eines drohenden Schadens einen Sachvortrag, aus dem sich ergibt, dass seine Aussichten auf einen Zuschlag gerade durch das behauptete fehlerhafte Verfahren beeinträchtigt worden sind, d. h. dass er bei einer europaweiten Ausschreibung ein anderes, chancenreicheres Angebot hätte abgeben können.122 Ob ein so detaillierter Vortrag notwendig ist, kann nach der Entscheidung des BGH vom 10.11.2009 bezweifelt werden.123 Es wird vielmehr ausreichen, wenn der in der Wahl der falschen Veröffentlichungsform liegende Rechtsverstoß seiner Art nach geeignet ist, die Aussichten des Antragstellers auf eine Erteilung des Zuschlags nachteilig zu beeinflussen.124 Eben dies ist bei einem unzulässigen Verzicht auf eine EU-weite Ausschreibung aufgrund der unterschiedlichen materiell-rechtlichen Anforderungen regelmäßig zu bejahen. Insbesondere ist der Auftraggeber nur im EU-weiten Vergabeverfahren verpflichtet, Zuschlagskriterien in gewichteter Form anzugeben, die stets erheblichen Einfluss auf die Angebotsgestaltung und -bewertung haben. Allerdings dürfte der Nachprüfungsantrag in diesen Fällen häufig aufgrund Verletzung der Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 GWB unzulässig sein, sofern sich der Antragsteller auf das nationale Verfahren rügelos eingelassen hat und die EU-weite Ausschreibungspflicht für ihn zu erkennen war.

64Stellt sich umgekehrt heraus, dass der einschlägige Schwellenwert trotz EU-weiter Bekanntmachung objektiv nicht erreicht ist, ist das Vergabenachprüfungsverfahren mangels Erreichen des Schwellenwerts – der objektiv zu bestimmen ist – unstatthaft.125

65Behauptet der Antragsteller, dass ein gebotenes EU-weites Vergabeverfahren nicht stattgefunden hat – sog. de-facto-Vergabe126 – gilt für die Annahme eines drohenden Schadens grundsätzlich, dass der behauptete Vergaberechtsverstoß geeignet sein muss, die Aussichten auf Erhalt des Zuschlags zu beeinträchtigen. Das ist bei einem am (faktischen) Vergabeverfahren nicht beteiligten Unternehmen immer dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einem geregelten Vergabeverfahren der Antragsteller den Zuschlag hätte erhalten können.127 Folglich reicht insoweit der schlüssige Vortrag aus, dass der Antragsteller die in Rede stehenden Leistungen überhaupt anbietet und er ein entsprechendes Auftragsinteresse hat.128

66Demgegenüber ist die bloße Wahl einer fehlerhaften Vergabeordnung aufgrund der zumeist vergleichbaren Regelungen in der EU VOB/A und der VgV regelmäßig nicht geeignet, einen drohenden Schaden zu begründen. Der Antragsteller muss hier vielmehr dezidiert darlegen, dass er bei der seiner Auffassung nach richtiger Ausschreibung ein anderes, aussichtsreicheres Angebot hätte vorlegen können. Ansonsten fehlt die Antragsbefugnis.129 Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn aufgrund der fehlerhaften Zuordnung zur VOB/A der Auftrag aufgrund des hier viel höheren Schwellenwerts als nationale Vergabe anstatt der gebotenen EU-weiten Ausschreibung nach der VgV erfolgt ist.130

67Differenziert zu beurteilen ist die Möglichkeit eines drohenden Schadens aufgrund einer unzulässigen Verfahrensart, d. h. der Wahl eines Verhandlungsverfahrens, eines Wettbewerblichen Dialogs oder einer Innovationspartnerschaft, obgleich deren qualifizierte Voraussetzungen gem. § 3a EU VOB/A bzw. §§ 14 ff. VgV nach dem Vortrag des Antragstellers nicht gegeben sind. Erforderlich ist dabei, dass sich die falsche Verfahrenswahl zum Nachteil des Antragstellers hat auswirken können.

68Liegt der behauptete Rechtsverstoß etwa in der Wahl eines Verhandlungsverfahrens statt des gebotenen Offenen oder Nichtoffenen Verfahrens, so ist die Antragsbefugnis zu bejahen.131 Denn aufgrund der Verhandelbarkeit der Angebote ist hier ein ganz anderer und mit wesentlich mehr Manipulationsmöglichkeiten behafteter Verfahrensablauf gegeben als bei dem gebotenen Offenen oder Nichtoffenen Verfahren. Diese Verfahrensoffenheit kann sich dabei auch zu Lasten des Antragstellers ausgewirkt haben. Allerdings kann sich die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags in diesen Fällen aufgrund Nichtbeachtung der Rügeobliegenheit ergeben, sofern sich der Antragsteller auf das Verhandlungsverfahren sehenden Auges rügelos eingelassen hat.

69e) Drohender Schaden bei einzelnen Verfahrensfehlern und Vergabeverstößen. Darüber hinaus ist ein drohender Schaden auch bei Nichtbeachtung einzelner Verfahrensregeln zu bejahen, sofern diese nicht nur geringfügigen Charakter haben oder sich sonst nicht auf die Verfahrensstellung des Antragstellers haben auswirken können. Dementsprechend geht insbesondere eine zu kurze Angebotsfrist mit einem drohenden Schaden einher. Dies ist schon deshalb zu bejahen, weil die Angebotsfristen erkennbar bieterschützenden Charakter haben und bei Aberkennung eines möglichen Schadens die Möglichkeit verwehrt wäre, ordnungsgemäß Angebotsfristen durchzusetzen. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass sowohl bei Nichtabgabe eines Angebots als auch bei Abgabe eines fehlerhaften Angebots diese Defizite bei ordnungsgemäßer Angebotsfrist unterblieben wären.132 Beteiligt sich ein Bieter fristgerecht mit einem Angebot an der Ausschreibung, so bedarf es allerdings substantiierten Vortrags, warum ihm gleichwohl aus der angeblich zu kurzen Angebotsfrist ein Nachteil erwachsen ist.133

70Im Einzelnen umstritten ist die Frage, ob die Verletzung der Dokumentationspflicht einen drohenden Schaden i. S. d. Vorschrift begründen kann. Die Beanstandung einer fehlenden oder ungenügenden Dokumentation und Transparenz führt für sich genommen noch nicht zu einem Schaden; denn die Dokumentation ist nicht Selbstzweck, sondern hat eine „dienende“ Funktion.134 Ungeachtet dessen ist aber die Schadensmöglichkeit bei Verletzung der Dokumentationspflichten dann zu bejahen, wenn sich die diesbezüglichen Mängel gerade auf die Rechtsstellung des Antragstellers im Vergabeverfahren nachteilig ausgewirkt haben könnten, was namentlich hinsichtlich einer ungenügend dokumentierten Angebotswertung regelmäßig der Fall ist.135

71Neben den Verfahrensverstößen ist selbstverständlich auch bei materiell-rechtlichen Vergabeverstößen regelmäßig von einem drohenden Schaden auszugehen, beispielsweise bei fehlender Losbildung oder unzureichendem Loszuschnitt136, rechtswidriger Ausschreibung eines Leitprodukts137 oder aufgrund unzureichender Kalkulationsangaben des Auftraggebers.138

72f) Drohender Schaden bei Aufhebung des Vergabeverfahrens. Ein Schaden kann auch dann drohen, wenn die Aufhebung des Vergabeverfahrens in Rede steht. Dabei sind zwei ganz unterschiedliche Szenarien zu unterscheiden: zum einen der Fall, dass der Antragsteller selbst mit seinem Nachprüfungsantrag die Aufhebung des Vergabeverfahrens begehrt; zum anderen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren schon aufgehoben hat und sich der Antragsteller mit seinem Nachprüfungsantrag gegen diese Aufhebung wendet.

73Sofern der Antragsteller gem. dem erstgenannten Fall – ggf. in Form eines Hilfsantrags – die Aufhebung der Ausschreibung begehrt, namentlich indem er die Ausschreibungsbedingungen als solche angreift, so steht ihm für diesen Fall die Antragsbefugnis zu. Zwar kann – abgesehen von nutzlosen Aufwendungen – kein Schaden im laufenden Vergabeverfahren mehr entstehen, da in diesem Fall auch ein Mitbewerber den Zuschlag nicht erhalten kann; es besteht dann für den Antragsteller jedoch die Möglichkeit, sich an einem anschließenden neuen Vergabeverfahren zu beteiligen und so den Auftrag doch noch zu erhalten.139

74Richtet sich der Nachprüfungsantrag umgekehrt gegen die schon erfolgte Aufhebung des Vergabeverfahrens durch den Auftraggeber, so sind auch insoweit die Möglichkeit eines Schadenseintritts und die Antragsbefugnis auf Seiten des Antragstellers in der Regel zu bejahen. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH140 hat sich auch in der deutschen Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass die Entscheidung über die Aufhebung eines Vergabeverfahrens – unabhängig von möglichen Schadensersatzansprüchen – im Primärrechtsschutz, d. h. im Nachprüfungsverfahren zulässig sein muss. Demzufolge kann ein Bewerber in zulässiger Weise eine Rechtsverletzung auch noch nach und aufgrund Aufhebung der Ausschreibung geltend machen,141 also die „Aufhebung der Aufhebung“ betreiben. Insoweit besteht für den Auftraggeber das Gebot, nur aus den in § 63 VgV und § 17 EU VOB/A genannten Gründen eine Ausschreibung aufzuheben.142 Dieses Gebot hat bieterschützende Wirkung und stellt insbesondere im Interesse des aussichtsreichsten Bewerbers sicher, dass die Vergabestelle nicht im Wege der „Flucht in die Aufhebung“ eine Zuschlagserteilung an diesen – möglicherweise nicht genehmen – Bieter unterläuft.143

75Unschädlich ist dabei für die Antragsbefugnis, wenn sich der Antragsteller in einem sich anschließenden Vergabeverfahren – etwa dem unmittelbar angeschlossenen Verhandlungsverfahren – mit einem neuen Angebot beteiligt hat.144 Denn mit der Abgabe des neuen Angebots will sich der Antragsteller nur eine zusätzliche Zuschlagschance sichern, ohne dass diesem Verhalten der Erklärungsgehalt beigelegt werden könnte, die aus dem ersten Angebot im ursprünglichen Vergabeverfahren erwachsenden Zuschlagschancen aufzugeben.

76Stellt sich allerdings heraus, dass das Vergabeverfahren auf Basis der anerkannten Aufhebungsgründe rechtmäßig und rechtswirksam aufgehoben worden ist, so ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, weil das Vergabeverfahren damit wirksam vor dem Eingang des Nachprüfungsantrags beendet worden ist. Denn ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn er sich gegen ein bei seiner Einreichung schon beendetes Vergabeverfahren richtet.145

Vergaberecht

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