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D.Rügeobliegenheit und Präklusion (§ 160 Abs. 3 GWB)

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I.Allgemeines

1.Normzweck und Rechtsnatur

77§ 160 Abs. 3 GWB knüpft die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags an die weitere Voraussetzung, dass der Antragsteller die im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergabeverstöße zuvor rechtzeitig gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Es handelt sich dabei um eine von Amts wegen von den Vergabekammern zu prüfende Präklusionsregelung, die zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führt.146

78Durch die Vorschaltung einer Rüge soll dem Auftraggeber die Möglichkeit gegeben werden, eventuelle Fehler im Vergabeverfahren frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.147 Zugleich soll mit diesem Instrumentarium der Durchführung unnötiger Nachprüfungsverfahren vorgebeugt und zugleich verhindert werden, dass ein Bieter seine Kenntnisse von möglichen Vergabeverstößen treuwidrig in der Hinterhand behält und erst dann zu einer Intervention gegenüber dem Auftraggeber verwendet, wenn sich am Ende des Verfahrens herausstellt, dass der Zuschlag nicht auf sein Angebot erteilt werden wird.148 Das Vergabeverfahren ist ein Vertragsanbahnungsverfahren, in dem spätestens mit der Anforderung der Vergabeunterlagen durch auftragsinteressierte Unternehmen eine schuldrechtliche Sonderverbindung zum Auftraggeber entsteht (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB), die zu gegenseitiger Rücksichtnahme, Loyalität und Kooperation verpflichtet und demzufolge auch Hinweisobliegenheiten der Bieter begründet.149 Die Rügeobliegenheit enthält mithin eine besondere gesetzgeberische Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB)150 und dient zugleich der Verfahrensbeschleunigung151 als wesensbestimmendes Merkmal des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes.

79Indes ist der Antragsteller nicht in einem strengen Sinne verpflichtet, die ihm bekannt werdenden Mängel im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber zu rügen; vielmehr führt das Unterbleiben der Rüge allein zur Unzulässigkeit eines entsprechenden Nachprüfungsantrags, weshalb die Rüge im eigenen Interesse des Antragstellers geltend zu machen ist. Ihrer Rechtsnatur nach ist das Rügeerfordernis mithin keine Rechtsverpflichtung, sondern eine Obliegenheit.152

80Unstreitig stellt die Obliegenheit zur rechtzeitigen Rüge eine Regelung dar, deren Nichtbeachtung zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führt, also zur Präklusion im verfahrensrechtlichen Sinne. Teilweise wird in Rechtsprechung und Schrifttum darüber hinaus die Auffassung vertreten, die Vorschrift enthalte auch eine materiell-rechtliche Präklusionsregel i. S. eines materiellen Anspruchsverlusts und einer hierdurch fingierten Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens.153 Diese Ansicht ist indes abzulehnen. Die Rügeobliegenheit gehört vielmehr – wie schon die systematische Verortung in § 160 GWB erkennen lässt – zum Verfahrensrecht.154 Für einen materiellen Rechtsverlust gibt weder die systematische Stellung noch der Wortlaut der Vorschrift etwas her. Diese Streitfrage ist dabei nicht nur akademischer Natur, vielmehr hat die rein verfahrensrechtliche Natur insbesondere zur Folge, dass der Auftraggeber auch bei präkludierten Verstößen gehalten bleibt, von sich aus die Vergabeverstöße zu bereinigen, und darüber hinaus die Vergabekammer bei schwerwiegenden Verstößen aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht gehalten ist, auch bei präkludierten Verstößen korrigierend einzugreifen.155

81Die Rügeobliegenheit hat im Schrifttum grundsätzlich Kritik erfahren, weil sie zu einer für den Vergabeinteressenten frühen und nachteiligen „Stigmatisierung“ im Vergabeverfahren führe.156 Dem kann nicht gefolgt werden. Denn die Rügeobliegenheit dient dem legitimen öffentlichen Interesse an einer zügigen Beschaffung. Auch das europäische Vergaberecht lässt es nämlich zu, dass der Rechtsschutzsuchende „den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muss“.157 Dies schließt es im Rahmen des nationalen Umsetzungsspielraums mit ein, dass ein Verstoß gegen eine solche Unterrichtungsverpflichtung sanktioniert werden darf.158

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