Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 152

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82Anders als das in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a. F. enthaltene Erfordernis einer „unverzüglichen“ Rüge sind die nunmehr geltenden Präklusionsregelungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 GWB unionsrechtskonform.159 Denn diese Präklusionsregelungen sind insbesondere zeitlich klar bestimmt und bewegen sich daher innerhalb des Umsetzungsspielraums des Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG.160 Allerdings veranlasst die rechtsschutzbegrenzende Wirkung der Rügepräklusion eine unions- und verfassungskonforme Auslegung, d. h. die Rügeobliegenheit ist insgesamt restriktiv auszulegen. Die Rügeobliegenheit darf keinesfalls dazu führen, dass die Rechte des Antragstellers unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert werden, etwa indem der Auftraggeber zusätzliche Hürden aufstellt, die über die gesetzlichen Rügeanforderungen hinausgehen.161

2.Überblick über den Tatbestand des § 160 Abs. 3 GWB

83Insgesamt enthält § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vier verschiedene Präklusionstatbestände:

– nach Nr. 1 muss der Antragsteller von ihm erkannte Vergabeverstöße innerhalb von 10 Kalendertagen rügen;

– nach Nr. 2 muss der Antragsteller aus der Bekanntmachung erkennbare Vergabeverstöße spätestens bis zur Bewerbungs- bzw. Angebotsfrist rügen;

– nach Nr. 3 muss er die in den Vergabeunterlagen erkennbaren Verstöße spätestens mit Ablauf der Angebotsfrist rügen;

– nach Nr. 4 schließlich ist der Nachprüfungsantrag spätestens 15 Kalendertage nach einer Mitteilung des Auftraggebers, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, zu erheben.

Auf die einzelnen Präklusionstatbestände wird unten162 näher eingegangen. Im Folgenden wird auf einige generelle Fragestellungen der Praxis eingegangen, die allen Tatbeständen gemein sind.

3.Gegenstand der Rüge

84Gegenstand der Rüge können – auch im Interesse des Bieters – nur solche Rechtsverletzungen sein, die bereits vorliegen163 oder zumindest formell angekündigt wurden.164 Dementsprechend laufen „vorsorgliche Rügen grundsätzlich ins Leere, auch weil der Primärrechtsschutz grundsätzlich nur für begangene Vergaberechtsverstöße geschaffen ist und keinen vorbeugenden Rechtsschutz gewährt.165 Entsprechend ist es von Bieterseite auch nicht geboten, eine „Verdachtsrüge“ auszusprechen im Hinblick auf lediglich denkbare oder vage vermutete Verstöße. Die Rügeobliegenheit entsteht vielmehr erst dann, wenn konkrete Tatsachen und Kenntnisse auf Seiten des Bieters einen hinreichenden objektiven Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Vergabeverstoßes bieten.166 Dies führt im Ergebnis nicht selten dazu, dass der Nachprüfungsantrag teilweise als zulässig, teilweise als unzulässig einzustufen ist. Den Antragsteller trifft keine Obliegenheit, seinen Erkenntnisstand frühzeitig aktiv zu erhöhen, sei es durch sofortige Kenntnisnahme von den Vergabeunterlagen nach Erhalt167 oder durch Einholung von Rechtsrat.

85Die Rügeobliegenheit verlangt weiter, dass jeder einzelne Vergaberechtsverstoß, den der Antragsteller zum Gegenstand der Nachprüfung machen will, gerügt werden muss.168 Entsprechend muss die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 160 Abs. 3 GWB auch für jeden gerügten Vergaberechtsverstoß gesondert dargelegt und von der Vergabekammer geprüft werden.169

4.Entbehrlichkeit der Rüge

86In bestimmten vom Gesetz oder der Rechtsprechung anerkannten Fällen ist die Obliegenheit zur Rüge ausnahmsweise entbehrlich. Insoweit sind der gesetzlich ausgeformte Tatbestand des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB und verschiedene in der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppen zu berücksichtigen.

87a) Entbehrlichkeit der Rüge bei de-facto-Vergaben (§ 160 Abs. 3 Satz 2 GWB). Nach der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelten die vier Rügetatbestände des Satz 1 nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines geschlossenen Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Die Rüge ist also entbehrlich im Falle der de-facto-Vergabe, d. h. der unzulässigen Direktvergabe. Die im Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 in § 107 Abs. 3 GWB a. F. eingefügte und im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung 2016 in § 160 Abs. 3 GWB überführte Regelung entspricht schon der bisherigen Rechtsprechung.170 Diese Regelung ist nur folgerichtig. Denn wenn man die Rügeobliegenheit aus dem Vertrauensverhältnis ableitet, das mit der Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens zwischen öffentlichem Auftraggeber und den an der Auftragsvergabe interessierten Unternehmen begründet wird, kann dies von vornherein nicht zum Tragen kommen, wenn der öffentliche Auftraggeber zu Unrecht auf eine transparente Ausschreibung verzichtet und folglich auch ein vorvertragliches Vertrauens- und Schuldverhältnis nicht zur Entstehung gelangt.

88Der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bezieht sich auf Fälle, in denen es um die Feststellung der Unwirksamkeit eines (bereits geschlossenen) Vertrags geht. Die Regelung ist indessen von ihrem Sinn und Zweck her auch auf den Fall auszudehnen, bei dem eine unzulässige Direktvergabe bevorsteht, der Vertrag jedoch noch nicht mit dem dafür vorgesehenen Unternehmen abgeschlossen ist. Auch dann ist ein unmittelbarer Nachprüfungsantrag zulässig, ohne dass es einer vorhergehenden Rüge bedarf.171 Im Übrigen gilt die Entbehrlichkeit der Rüge nach dem Zweck der Vorschrift auch für den Fall, dass vom Auftraggeber mehrere Verträge geschlossen worden sind.172

89Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Anfechtbarkeit eines direkt geschlossenen Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch den Fall erfasst, bei dem der Auftraggeber mit mehreren Unternehmen verhandelt hat, ohne jedoch eine ordnungsgemäße (EU-weite) Bekanntmachung vorzuschalten. Aufgrund der unmittelbaren Bezugnahme des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist hierfür die dortige Regelung entscheidend. Gegen die Verzichtbarkeit der Rüge könnte der Wortlaut des § 135 GWB sprechen, der nur den Vertragsschluss mit „einem“ Unternehmen anspricht.173 Indessen ist der Wortlaut lediglich unglücklich zu eng gefasst und stattdessen davon auszugehen, dass § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB sämtliche Konstellationen unzulässiger – d. h. gesetzlich nicht gestatteter – de-facto-Vergaben erfasst.174 Demzufolge entfällt auch in diesen Fällen die Rügeobliegenheit.175

90Umstritten ist, ob sich auch derjenige Bieter auf den Wegfall der Rügeobliegenheit bei De-facto-Vergaben berufen kann, der an einer solchen beteiligt worden ist. Hiergegen spricht, dass diejenigen Unternehmer, die an dem Vergabeverfahren beteiligt worden sind oder seit Längerem über den Umstand des laufenden Vergabeverfahrens unterrichtet sind, ohne Weiteres in der Lage sind, eine Rüge abzusetzen und auch insoweit ein Vertrauensverhältnis zwischen der Vergabestelle und dem Unternehmen zustande kommen und die Rüge ihren Zweck erfüllen kann.176 Nach der vorzugswürdigen Gegenauffassung ist hingegen der Bieter selbst in diesem Fall von der Rügeobliegenheit befreit, da andernfalls die Nichtanwendbarkeit des § 160 Abs. 3 GWB auf de-facto-Vergaben unterlaufen und eine einseitige Belastung der Bieterseite bei gleichzeitiger Privilegierung des öffentlichen Auftraggebers bewirkt würde.177

91b) Weitere Fallgruppen der Entbehrlichkeit der Rüge. Neben dem gesetzlichen Fall der de-facto-Vergabe hat die Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen entwickelt, bei denen die Rüge ebenfalls entbehrlich ist. Generell ist allerdings bei der Annahme der Entbehrlichkeit der Rüge Zurückhaltung geboten, da die nachfolgenden Fallgruppen sich nur auf systematisch-telelogische Erwägungen stützen und im Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB keine unmittelbare Stütze finden.

92Entbehrlich ist die Rüge jedenfalls bei einem anhängigen Nachprüfungsverfahren. Dies bezieht sich insbesondere auf den Fall, dass das Unternehmen erst etwa im Rahmen der Akteneinsicht gem. § 165 GWB erstmalig Kenntnisse über (weitere) Vergabeverstöße erhält.178 In diesem Fall genügt es, wenn der erkannte Vergaberechtsverstoß unmittelbar gegenüber der Vergabekammer geltend gemacht wird. Wird der Verstoß erst im Beschwerdeverfahren erkannt, genügt es, wenn er unmittelbar gegenüber dem Vergabesenat geltend gemacht und der Schriftsatz an die Vergabestelle weitergeleitet wird.179 Grund für die Entbehrlichkeit der Rüge in diesen Fällen ist, dass deren primärer Zweck, den Auftraggeber zu einem vergaberechtskonformen Ausschreibungsverhalten zu veranlassen und ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden, in diesem Stadium nicht mehr erreichbar ist. Im Übrigen erfährt der Auftraggeber auch über die ihm zugeleiteten Schriftsätze von der Rüge und hat auch im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens Gelegenheit zur Abhilfe.

93Nach der Rechtsprechung verschiedener Nachprüfungsinstanzen erfordert § 160 Abs. 3 GWB in diesen Fällen aber, dass der Vergabeverstoß auch dann unverzüglich gegenüber der Vergabekammer bzw. der Beschwerdeinstanz geltend gemacht wird.180 Begründet wird dies mit dem Beschleunigungsgrundsatz, von dem auch gerade das Nachprüfungsverfahren geprägt ist. Diese Ansicht ist indes abzulehnen, da sich die Rügeobliegenheit i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ausdrücklich auf den Zeitraum „vor Einreichen des Nachprüfungsverfahrens“ bezieht.181 Eine zeitliche Limitierung für die Geltendmachung von im Nachprüfungsverfahren erkannten Rügen ergibt sich nur aus der allgemeinen Prozessförderungspflicht, d. h. der Verstoß muss so rechtzeitig geltend gemacht werden, dass sich das Nachprüfungsverfahren nicht (nennenswert) verzögert.182 Im Ergebnis bedeutet dies, dass Vergabeverstöße im Regelfall spätestens in der mündlichen Verhandlung geltend zu machen sind.

94Ebenso entbehrlich ist die Rüge bei bloßer Wiederholung des Vergaberechtsverstoßes.183 Dies gilt sowohl in dem Fall, dass die Vergabestelle (etwa in einem Antwortschreiben auf ein Rügeschreiben) an der Verfahrensweise ausdrücklich festhält oder sich die frühzeitig gerügten Verstöße in weiteren Verfahren fortsetzen und manifestieren (beispielsweise Aufnahme von Verhandlungen im unzulässigen Verhandlungsverfahren).

95Ebenso verzichtbar ist die Rüge, wenn die Vergabestelle Abhilfe eindeutig und endgültig verweigert hat (Rüge als unnötige Förmelei). Hierfür reicht es allerdings nicht, dass sich eine Vergabestelle mit aus ihrer Sicht guten Gründen im Vergabeverfahren gegen das rügende Unternehmen positioniert und die getroffene Entscheidung auch im Nachprüfungsverfahren verteidigt; nicht jede Entscheidung einer Vergabestelle ist daher allein deshalb, weil sie getroffen ist, auch unumstößlich.184 Verzichtbar ist die Rüge vielmehr nur dann, wenn die Vergabestelle etwa auf eine entsprechende bloße Nachfrage eines Bieters eindeutig und abschließend zu erkennen gibt, an der gerügten Verfahrensweise festzuhalten.185

96Eine Rüge soll auch dann entbehrlich sein, wenn der geltend gemachte Vergabeverstoß bereits von einem Dritten (erfolglos) erhoben worden ist; auch dann habe der Auftraggeber Gelegenheit, der Beanstandung abzuhelfen und ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.186 Dem kann nicht gefolgt werden. Denn § 160 GWB verlangt ausdrücklich, dass (gerade) „der Antragsteller“ den Vergabeverstoß gerügt haben muss. Folglich muss das sich beschwert fühlende Unternehmen schon selbst die beanstandete Verfahrensweise rügen und kann sich nicht im Wege des „Trittbrettfahrens“ auf die Rügeaktivitäten von Mitbewerbern verlassen.187

97Nicht verzichtbar wird indes eine Rüge dadurch, dass es sich um schwerwiegende Vergabeverstöße handelt,188 dass es sich aus Sicht des Bieters um einen irreparablen Verfahrensverstoß handelt,189 dass die Vergabestelle ohnehin schon Kenntnis von den Vergabeverstößen hat190 oder dass die Rüge nach der bisherigen Rechtsprechung der Vergabesenate voraussichtlich erfolglos gewesen wäre.191 In all solchen Zweifelsfällen ist daher aus Bietersicht zu empfehlen, „lieber einmal zu viel als einmal zu wenig“ zu rügen.

98Nicht verzichtbar wird die Rüge i. d. R. auch deshalb, weil schon zeitnah die Wartefrist des § 134 GWB abläuft und die Zuschlagserteilung droht. Obgleich der Sinn und Zweck der Rüge, den Auftraggeber noch zu vergabekonformem Verhalten zu veranlassen, kaum noch erreicht werden kann, ist auch in dieser Situation kurz vor Zuschlagserteilung eine Rüge erforderlich, allein schon weil dies der Wortlaut des § 160 Abs. 3 GWB verlangt.192 Etwas anderes gilt jedoch bei einem unmittelbar drohenden Verlust des Primärrechtsschutzes. Erhält demgemäß ein Antragsteller erst einen Tag vor der angekündigten Zuschlagserteilung positive Kenntnis von dem möglichen Vergaberechtsverstoß, kann auch unter Berücksichtigung der zuzugestehenden Reaktions- und Überlegungszeit von dem Antragsteller eine Rüge noch am selben Tag nicht erwartet werden, auch weil er sich in dieser Phase auf die ebenfalls zeitintensive Vorbereitung und Einreichung eines Nachprüfungsantrags konzentrieren muss. In einem solchen Fall wird die Rüge in Teilen der Rechtsprechung ausnahmsweise als verzichtbar angesehen.193 Jedenfalls entbehrlich ist es in solchen Fällen, das Antwortschreiben des Auftraggebers abzuwarten.

5.Form der Rüge

99Die Rüge kann mangels gesetzlicher Vorgaben formlos erhoben werden. Neben der klassischen Schriftform kann daher die Rüge auch per Fax194, per E-Mail195, mündlich196 oder telefonisch197 erhoben werden. Aus Beweiszwecken ist eine Versendung per Fax und/oder Email empfehlenswert, weil dies sowohl eine schnellstmögliche Übermittlung gewährleistet als auch die ggf. vorliegende Faxbestätigung den ordnungsgemäßen Zugang indiziert. Nicht erforderlich ist demzufolge, dass die Rüge mit einer Unterschrift versehen wird. Es muss allerdings aus den Gesamtumständen erkennbar sein, wer der Urheber der Rüge ist bzw. welchem Unternehmen die Rüge zuzurechnen ist.

100Zu richten ist die Rüge regelmäßig an den Auftraggeber als Adressaten der Rüge. Eine Rüge gegenüber einem beauftragten Ingenieur- oder Planungsbüro genügt nicht ohne Weiteres.198 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Ingenieur- oder Planungsbüro – etwa in der Bekanntmachung – ausdrücklich als „Ansprechpartner“ benannt ist oder wiederholt „anstelle“ des Auftraggebers gegenüber der Bieterseite aufgetreten ist.199

6.Inhalt der Rüge

101Eine Rüge ist nur dann rechtswirksam erhoben, wenn deren inhaltlichen Anforderungen Genüge getan ist. Hierzu gehört dreierlei: Es muss zunächst ein bestimmter und abgegrenzter Sachverhalt vorgetragen werden, der den sachlichen Gegenstand der Rüge bildet (Sachverhaltsvortrag). Des Weiteren muss zumindest in laienhafter Form dargestellt werden, inwieweit sich das Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig darstellt (Rechtsvortrag). Hierbei sind jedoch keine überhöhten Anforderungen zu stellen;200 insbesondere ist es nicht nötig, die konkreten Paragrafen zu zitieren, auf die sich der Verstoß gründet. Ebenso wenig erforderlich ist eine detaillierte rechtliche Würdigung etwa mit Hinweisen auf Rechtsprechung oder Literatur.201 Unverzichtbar ist schließlich das dritte Element, wonach die Missbilligung und die Abhilfebedürftigkeit der Ausschreibungsweise zum Ausdruck kommen müssen (Beanstandungsmoment). Bloße Nachfragen zu den Ausschreibungsunterlagen oder Bitten um Aufklärung zu einzelnen Aspekten der Ausschreibung oder ähnliches genügen dem nicht.202

102Zusammenfassend muss die Rüge also eine konkrete Beanstandung angeben, die den Auftraggeber in die Lage versetzt, den beanstandeten Fehler nach Überprüfung zu erkennen und ggf. zu berichtigen.203 Nicht erforderlich ist es bei alledem, den Begriff der Rüge ausdrücklich zu verwenden.204 Es genügt, wenn der missbilligende Charakter anderweitig – etwa durch den Begriff „Beanstandung“ – zum Ausdruck kommt.

103Nicht zu beanstanden ist, wenn die von einer Bietergemeinschaft erhobene Rüge nicht im Einzelnen begründet wurde, sondern auf die bereits zuvor von den Gesellschaftern erhobenen Rügen Bezug genommen wird. Hier macht sich die Bietergemeinschaft den Inhalt und die Begründung der zuvor von ihren Gesellschaftern erhobenen Rügen durch Inbezugnahme zu Eigen. Eine ausdrückliche Wiederholung des Rügevorbringens zu verlangen, stellt vor diesem Hintergrund dann eine bloße Förmelei dar.205

104Vereinzelt wurde in der Vergaberechtsprechung gefordert, dass über die vorgenannten notwendigen Elemente einer Rüge hinausgehend das Bieterunternehmen auch die Konsequenzen anzudrohen habe für den Fall, dass eine Abhilfe unterbleibt. So sei für eine Rüge unabdingbar, dass der Bewerber der Vergabestelle unmissverständlich deutlich macht, dass ihr hiermit die letzte Chance gegeben werde, den vorgetragenen Verstoß zu korrigieren und andernfalls die Vergabekammer angerufen werde.206 Mangels eines gesetzlichen Anhaltspunkts ist diese Rechtsauffassung indes abzulehnen und insbesondere nicht zu fordern, die Anrufung der Vergabekammer anzudrohen.207

105Erforderlich ist schließlich, dass zwischen der Rüge einerseits und dem Rechtsschutzziel im Nachprüfungsverfahren andererseits Kongruenz herrscht; der Gegenstand der Rüge und des Nachprüfungsverfahrens müssen grundsätzlich deckungsgleich sein.208 Rügt etwa ein Bieter nur die unzureichende Information nach § 134 GWB und erteilt der Auftraggeber daraufhin nähere Auskünfte, die den Antragsteller dazu veranlassen, in Nachprüfungsverfahren Wertungsfehler anzugreifen, ohne diese zuvor noch einmal gerügt zu haben, ist die Rügepflicht nicht erfüllt.209 Gleiches gilt, wenn der Bieter Rügen betreffend die Wertung eines Angebots erhoben hat, dann aber im Nachprüfungsverfahren nicht die Angebotswertung, sondern die Ausschreibungsweise als solche angreift und eine Neudurchführung des Vergabeverfahrens begehrt.210 Praxisüblich und unschädlich für die Erfüllung der Rügeobliegenheit ist es hingegen, die Rüge im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens rechtlich zu vertiefen und um zusätzliche rechtliche Gesichtspunkte anzureichern.211

II.Die einzelnen Präklusionstatbestände des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB

106Absatz 1 enthält vier verschiedene Präklusionstatbestände, wobei sich die Nrn. 1–3 auf Rügetatbestände und die Nr. 4 auf die dort normierte Antragsfrist bezieht.

1.Rügefrist von 10 Kalendertagen in Bezug auf erkannte Vergabeverstöße (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB

107Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn der Antragersteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrages erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen gerügt hat.

108a) Neuregelung der Vergaberechtsreform 2016 – Regelungsinhalt und Bewertung. Der Tatbestand des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist im Rahmen der Vergaberechtsreform 2016 im Hinblick auf die Rügefrist neu gefasst worden. An die Stelle des in der Vorgängerregelung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a. F. enthaltenen Merkmals der „unverzüglich“ zu erhebenden Rüge ist die nunmehr in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB enthaltene feste Rügefrist von 10 Kalendertagen getreten.212 Hintergrund für die Neuregelung ist der Umstand, dass die vorher vorgesehene Regelung zur „unverzüglichen“ Rüge aufgrund der Unbestimmtheit dieser Rügefrist als unionsrechtswidrig anzusehen war. Nach den Regelungen der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG können zwar Rüge- und Nachprüfungsfristen von den nationalen Gesetzgebern vorgesehen werden, diese müssen aber hinreichend bestimmt sein. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs der „Unverzüglichkeit“ mit einer entsprechend weit gefächerten Kasuistik in Rechtsprechung und Literatur war davon auszugehen, dass die deutsche Regelung im § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB a. F. nicht unionsrechtskonform war, weshalb der Gesetzgeber zu Recht die Vergaberechtsreform 2016 zur Neufassung der Präklusionstatbestände genutzt hat. Hinsichtlich der früher geltenden Rechtslage wird auf die umfassende Kommentierung in der Erstauflage verwiesen.213

109Im Rahmen der Neuregelung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB hat der Gesetzgeber nunmehr – bei einem im Übrigen weitgehend gleichbleibenden Wortlaut – statt der Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge nunmehr eine feste Rügefrist von 10 Kalendertagen ab Kenntnis von dem Vergabeverstoß vorgesehen. Damit ist zweifelsohne den unions- und verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan, indem eine klar gefasste Kalenderfrist normiert ist. Rechtsunsicherheiten verbleiben allenfalls noch im Hinblick auf den Umstand, dass der Fristbeginn von der Kenntnis des Rügenden abhängt, mithin von einer ebenso schwer beweisbaren „inneren Angelegenheit“ des rügenden Bieters. Indessen dürfte dieser Anknüpfungspunkt unvermeidlich, im Übrigen auch gerade im Interesse des rügenden Bieters sein, da eine konkrete Kenntnis häufig erst später eintritt bzw. nachweisbar ist gegenüber einer bloßen Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes, welche ihrerseits ohnehin in Nr. 2 und 3 der Vorschrift geregelt ist.

110Die Normierung einer festen Rügefrist ist mithin sicherlich als gesetzgeberischer Fortschritt zu bewerten. Gleichwohl ist auch die Neuregelung mit Unzulänglichkeiten behaftet, die insbesondere bei Betrachtung der praktischen Abläufe im Vergabeverfahren sichtbar werden.214 Bei Lichte betrachtet erweist sich nämlich die zehntägige Rügefrist je nach Stadium des Vergabeverfahrens entweder als zu kurz oder zu lang. Zu kurz erscheint die Frist zu Beginn des Vergabeverfahrens. In diesem Stadium müssen häufig umfangreiche Vergabeunterlagen unter Einbeziehung verschiedener Abteilungen des Unternehmens und vielleicht sogar externer Rechtsanwälte begutachtet werden. Zugleich muss innerhalb des Unternehmens geprüft werden, ob eine Rüge tatsächlich sachlich und strategisch angezeigt ist. Den Unternehmen ist insoweit eine angemessene Prüffrist zuzuerkennen. Hier erscheint die Zehntagesfrist überaus kurz, womit auch die Rechtsschutzmöglichkeit unangemessen verkürzt werden. Dem lässt sich nur dadurch begegnen, dass an die Kenntnis von Vergabeverstößen gerade zu Beginn des Vergabeverfahrens keine überhöhten Anforderungen zu stellen sind und von einer Kenntnis des Bieters erst auszugehen ist, wenn der Sachverhalt vollumfassend vom Tatsächlichen und Rechtlichen her durchdrungen worden ist.

111Umgekehrt erscheint am Ende des Vergabeverfahrens die zehntägige Frist als eher zu lang. Nach Versendung der Bieterinformation gem. § 134 Abs. 1 GWB läuft bei elektronischer Versendung derselben nur eine zehntägige Wartefrist, bevor der Zuschlag erteilt werden kann. Kann sich der Bieter andererseits aber auch zehn Tage Zeit für eine Rügeerhebung lassen, fallen Rüge- und Zuschlagserteilung zusammen, und der Zweck der Rügeerhebung, den Auftraggeber zu einer anderen Vergabeentscheidung zu veranlassen und anderenfalls dem Bieter rechtzeitig Rechtsschutz zu gewähren, scheint gefährdet. Daher läge eine etwas kürzere Frist in dieser Phase des Vergabeverfahrens im allseitigen Interesse.

112Zusammengenommen wäre es vorzugswürdig, wenn zwar feste, jedoch differenzierte Rügefristen festgelegt würden, z. B. dahingehend, dass bis zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe eine zweiwöchige Frist ab Kenntnisnahme und nach dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe (spätestens jedoch nach dem Zeitpunkt der Bieterinformation gem. § 134 GWB) eine Rügefrist von nur noch einer Woche ab Zugang der Bieterinformation normiert wird. Ein solches binäres Rügesystem böte einerseits hinreichende Rechtssicherheit und wäre mit lediglich zwei unterschiedlichen Rügefristen immer noch einfach genug zu handhaben und zu überblicken, würde aber den unterschiedlichen Verfahrenssituationen besser Rechnung tragen.

113b) Positive Kenntnis. Der Tatbestand des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB verlangt – anders als die Tatbestände in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB –, dass der Bieter den Vergabeverstoß „erkannt“ hat, also positive Kenntnis hiervon erlangt haben muss.215 Zur Kenntnis gehört zweierlei: zum einen das Wissen von denjenigen Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Vergabefehler ergibt; zum anderen das Erkennen der rechtlichen Bedeutung, dass es sich in dem betreffenden Punkt um eine vergaberechtswidrige Vorgehensweise handelt.216 Dies bedeutet auch, dass bei bloßen Vermutungen über die zu rügenden Tatsachen sowie bei Zweifeln an der Rechtslage noch keine positive Kenntnis vorliegt.217 Im Falle solcher Zweifel besteht auch keine Obliegenheit des Bieters, sich die maßgeblichen Kenntnisse durch eigene Nachforschungen zu verschaffen.218

114Indem in der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auf die Kenntnis abgestellt wird, kommt es insoweit auf die subjektiven Fähigkeiten des Bieters an.219 Damit kann nicht die Kenntnis bereits dann angenommen werden, wenn ein durchschnittlicher und „redlich denkender“ Bieter den Verstoß erkennen müsste. Vielmehr muss der Bieter selbst aufgrund einer Wertung in der Laiensphäre subjektiv zu der Erkenntnis gelangt sein, dass der zu beanstandende Sachverhalt einen vergaberechtlichen Verstoß darstellt.220 Entscheidend ist dabei die Kenntnis der natürlichen Personen, die befugt sind, für ein Unternehmen im konkreten Vergabeverfahren verbindliche Erklärungen abzugeben, also insbesondere diejenigen, die ein Angebot rechtsverbindlich unterschreiben können.221

115Der Nachweis einer solchen positiven Kenntnis ist vielfach schwierig, wenn nicht gar unmöglich, da es sich eben um eine innere Tatsache handelt. Dies wirft die Frage auf, ob nicht auch ein Kennenmüssen der konkreten Umstände und ihrer rechtlichen Bedeutung ausreicht. Gerade im Bestreitensfall wird man kaum anders zu einer Feststellung der positiven Kenntnis im Wege entsprechender Rückschlüsse kommen können. Indessen wäre eine solche Würdigung aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts nicht zulässig.222 Vielmehr ist die tatsächliche Kenntnis ausschlaggebend, wobei außerdem die individuellen Kenntnisse des jeweiligen Bieters differenziert zu beurteilen sind: Einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen, das sich nur sporadisch an Vergabeverfahren beteiligt, wird man weniger schnell die Kenntnis von vergaberechtswidrigem Verhalten des Auftraggebers unterstellen dürfen als größeren und im Vergabewesen erfahrenen Unternehmen, die sogar über eine eigene Rechtsabteilung verfügen.223

116Positive Kenntnis vom Verstoß kann ungeachtet dessen aber dann angenommen werden, wenn der Kenntnisstand des Antragstellers ersichtlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht, dass die Berufung auf eine angebliche Unkenntnis sich als ein mutwilliges Sichverschließen vor der Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes darstellt.224 An ein mutwilliges Sichverschließen vor der Erkenntnis des Rechtsverstoßes sind allerdings strenge und vom Auftraggeber darzulegende Anforderungen zu richten.225

117Hinsichtlich der Beweislast gilt Folgendes: Grundsätzlich ist es Sache des Auftraggebers, die positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes auf Seiten des Antragstellers nachzuweisen.226 Jedoch sind dem öffentlichen Auftraggeber oder ggf. dem beigeladenen Unternehmen eine Beweiserleichterung zuzugestehen, wenn die Unkenntnis des Antragstellers vom Vergaberechtsverstoß ersichtlich als ein mutwilliges Sichverschließen im vorgenannten Sinne verstanden werden kann.227 Dies gilt etwa dann, wenn ein vergabeerfahrenes Unternehmen glauben machen will, auch klare und einfache Vergabeverstöße nicht erkannt zu haben.

118c) Zehntägige Rügefrist. Die Rügefrist beträgt 10 Kalendertage ab dem Erkennen des Vergabeverstoßes in dem oben unter b) erörterten Sinn.

119Die Rügefrist endet nach Ablauf von 10 Kalendertagen. Die Berechnung der Frist erfolgt entsprechend §§ 31 ff. VwVfG, 187 ff. BGB. Nach § 187 Abs. 1 BGB wird bei der Fristberechnung der Tag, in welchen das fristauslösende Ereignis (hier die Kenntnisnahme vom Vergabeverstoß) fällt, nicht eingerechnet; folglich beginnt die Frist erst am Folgetag zu laufen.

120Beispiel:

Kenntnisnahme vom Vergabeverstoß am 7.10.2017, 14:00 Uhr – Fristbeginn am 8.10.2017 und Fristende für die Rüge 17.10.2017, 24:00 Uhr. Fällt das so berechnete Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag, so tritt an die Stelle dieses Tages der nächste Werktag (§ 193 BGB). Es gelten mithin die allgemeinen Fristberechnungsregeln.

2.Aufgrund der Bekanntmachung erkennbare Verstöße gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB

121Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße, die aufgrund der Vergabebekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden sind. Es geht mithin ausschließlich um Verstöße, die sich aus der Bekanntmachung ergeben, während Verstöße, die sich aus den Vergabeunterlagen ergeben, in Nr. 3 der Vorschrift geregelt sind. Aus der Ausschlussfrist ergibt sich im Rückschluss, dass der Bewerber bzw. Bieter zum Erhalt seines vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes verpflichtet ist, die Vergabebekanntmachung vor Ablauf der Frist auf das Vorliegen von Vergabefehlern zu prüfen.228

122Für die Erkennbarkeit ist auf die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Antragstellers abzustellen. Maßgeblich ist also nicht der subjektive Maßstab des Antragstellers, sondern der objektive Maßstab eines sorgfältig handelnden und prüfenden Unternehmens, das mit den wichtigsten Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe vertraut ist.229 Dies ist allerdings nicht unbestritten; nach der Gegenauffassung kommt es auch insoweit auf die individuellen Maßstäbe des rügeverpflichteten Unternehmens an.230 Die objektive Interpretation verdient demgegenüber den Vorzug. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Regelung in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB, die (anders als bei § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB) objektiv-passivisch formuliert ist. Es liegt auch im Interesse der Rechtssicherheit, insoweit einheitliche Maßstäbe anzulegen. Allerdings muss der Maßstab der Erkennbarkeit realistisch sein. Nicht vorauszusetzen sind vergaberechtliche Spezialkenntnisse oder sonstiges fachmännisches Spezialwissen.231

123Ob insoweit für einen durchschnittlichen Bieter Erkennbarkeit des Verstoßes gegeben ist, ist damit stark vom Einzelfall abhängig. Handelt es sich um Gesichtspunkte, die eher fachlich-technischer Natur sind und entsprechende Branchenkenntnis erfordern, so ist dies für ein durchschnittliches Unternehmen regelmäßig erkennbar. Gleiches gilt für weitbekannte Prinzipien des Vergaberechts, etwa die Verpflichtung zur Losteilung.232 Ebenso ist es für durchschnittliche Bieterunternehmen regelmäßig erkennbar, ob die abgeforderten Eignungsnachweise erbracht werden können oder diskriminierenden Charakter haben.233

124Anders verhält es sich indessen bei sich noch entwickelnden234 und rechtlich anspruchsvollen Thematiken; selbst wenn diese dem Vergaberechtler vertraut sind, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass sie auch für ein durchschnittliches Unternehmen erkennbar sind. Dies gilt auch weiterhin für die Vermischung von Zuschlags- und Eignungskriterien. Die nach den Entscheidungen des EuGH vom 24.1.2008 (Rs. C-532-06) und des BGH vom 15.4.2008 (X ZB 129/06) eingetretene Verschärfung der Rechtsprechung muss einem Bieter bis heute nicht bekannt sein.235 Gleiches gilt etwa für die rechtlich anspruchsvolle Frage, ob Mindestanforderungen für Nebenangebote festgelegt sind und im Einzelfall den europarechtlichen Anforderungen entsprechen,236 sowie in Bezug auf Vergaberechtsverstöße im Zusammenhang mit der Aufstellung und Ausfüllung einer Bewertungsmatrix mit Kriterien und Unterkriterien sowie dem entsprechenden Bewertungssystem, bei dem Leistungspunkte aufgrund von Gewichtungs- und Bewertungspunkten errechnet werden.237 Auch der sog. „Flipping-Effekt“ im Rahmen der Preisformeln selbst ist für einen vergaberechtlich geschulten Bieterkreis nicht erkennbar, zumal die Thematik schwankender Rechtsprechung unterliegt.238 Zudem zählen die vergaberechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit von Alternativ- oder Bedarfspositionen nicht zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise.239

125Die Frist in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB – zur Fristberechnung siehe oben Rn. 118 f. – bezieht sich auf die in der Bekanntmachung enthaltene Bewerbungs- bzw. Angebotsfrist. Fraglich ist, ob sich die Rügefrist verlängert, sofern die Bewerbungs- bzw. Angebotsfrist von Seiten des Auftraggebers verlängert wird. Dies ist zu bejahen, da sich mit der Verlängerung zugleich der maßgebliche Rügezeitpunkt verschiebt.240 Denn in diesen Fällen wäre der Auftraggeber streng genommen verpflichtet, eine Änderungsbekanntmachung zu schalten; unterlässt er dies, darf er hierdurch keinen Vorteil erzielen.

3.Aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB

126§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bezieht sich auf die Fälle, in denen sich die Vergabeverstöße nicht schon aus der öffentlichen Bekanntmachung, sondern erst anhand der Vergabeunterlagen ergeben. Zu den Vergabeunterlagen gehören insbesondere die Aufforderung zur Angebotsabgabe samt Bewerbungsbedingungen, die Leistungsbeschreibung sowie die vertraglichen Bestimmungen. Für Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, gelten die Ausführungen zu aus der Bekanntmachung erkennbaren Vergabeverstößen entsprechend.241 Dies gilt insbesondere für den (objektiv zu bestimmenden) Maßstab, der für die Erkennbarkeit des Verstoßes anzulegen ist.

127Der Gesetzeswortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB a. F. ging bisher davon aus, dass die Angebotsfrist in der Bekanntmachung festgelegt war. Dies galt indessen regelmäßig nur für das Offene Verfahren. Beim Nicht Offenen Verfahren – dem Verhandlungsverfahren und dem Wettbewerblichen Dialog – war die Vorschrift indes entsprechend anzuwenden.242 Hier ist es regelmäßig so, dass die Angebotsfrist erst in der Angebotsaufforderung genannt wird.243 In diesem Fall war die dort genannte Frist maßgeblich. Die Streichung der Wörter „in der Bekanntmachung“ in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB n. F. lässt nunmehr erkennen, dass neben dem Offenen Verfahren auch das Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb bezüglich der Angebotsphase in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen wird.244 Bei einem solchen Verfahren bezieht sich die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen im ersten Verfahrensabschnitt, d. h. vor Ablauf der Bewerbungsfrist, zunächst nur auf den Teil der Vergabeunterlagen, der für den Teilnahmewettbewerb – und nicht bereits für das Angebot – relevant ist.245 Als Angebotsfristen i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB sind dabei auch Fristen für die Abgabe noch nicht verbindlicher, indikativer Angebote anzusehen.246 Wird die Angebotsfrist verlängert, so verlängert sich entsprechend auch die Rügefrist.247

4.15-tägige Antragsfrist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB

128Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des öffentlichen Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Sofern sich das Fristversäumnis von der Vergabekammer eindeutig ermitteln lässt, führt dies sogar zur offensichtlichen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags mit der Folge, dass er gar nicht zugestellt werden braucht.248 Anders als § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 regelt Nr. 4 GWB der Vorschrift also keine Rügeobliegenheit, sondern eine Nachprüfungs- bzw. Antragsfrist.

129a) Nichtabhilfemitteilung des Auftraggebers. Voraussetzung für den Fristbeginn ist eine Nichtabhilfemitteilung seitens des Auftraggebers an den Bieter (Antragsteller). Der Inhalt der Mitteilung kann sich dabei auf die Erklärung beschränken, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen. Einer Begründung dafür bedarf es nicht. Jedoch muss die Erklärung als solche klar und unmissverständlich sein. Vor dem Hintergrund, dass mit der Einführung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB a. F. eine Antragsfrist geschaffen wurde, die den Primärrechtsschutz des Bieters zeitlich begrenzt, sind an die Eindeutigkeit der Nichtabhilfeerklärung hohe Anforderungen zu stellen.249 Dementsprechend wird die Frist nicht ausgelöst, wenn insofern Unklarheiten verbleiben oder es sich nur um eine Eingangsbestätigung bzw. einen Zwischenbescheid des öffentlichen Auftraggebers handelt.250

130Ebenso wie sich eine Rüge immer auf den jeweiligen Vergaberechtsverstoß bezieht, also nicht pauschal zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags führt, erstreckt sich auch § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB immer nur auf den jeweiligen Vergaberechtsverstoß und die betreffende Erklärung des Auftraggebers.251 Es ist daher bei mehreren Rügen für jeden einzelnen Verstoß gesondert festzustellen, ob und wann der öffentliche Auftraggeber mitgeteilt hat, der Rüge nicht abhelfen zu wollen. Erfolgen die diesbezüglichen Erklärungen des Auftraggebers nicht zeitgleich – etwa bei einem mehrfachen Schriftwechsel –, gelten für die verschiedenen Vergaberechtsverstöße ggf. unterschiedliche Fristen.252

131b) Fallgruppen der Irrelevanz der Antragsfrist. In verschiedenen Fallgruppen kommt die 15-tägige Antragsfrist indessen von vornherein nicht zum Tragen. Nicht einschlägig ist die Regelung in den Fällen, in denen es keiner Rüge bedarf, vor allem bei einer unzulässigen Direktvergabe.253 Dies gilt selbst dann, wenn der Bieter (überobligatorisch) in dieser Situation eine Rüge absetzt und eine abschlägige Mitteilung des Auftraggebers erhält. Denn § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB besagt ausdrücklich, dass in den Fällen der De-facto-Vergabe nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB die Vorschrift des § 160 Abs. 3 „Satz 1“ GWB nicht gilt; zu diesem Satz 1 gehört auch die Antragsfrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB.254 In solchen Fällen gilt jedoch dann – anstelle der allgemeinen Regelung zur Antragsfrist in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB – die speziellere Vorschrift des § 135 Abs. 2 GWB, mithin eine Frist von 30 Tagen ab Kenntnis des ohne Ausschreibung erfolgten Vertragsschlusses.255

132Ferner beginnt die Antragsfrist von vornherein nicht zu laufen, sofern der Bieter zwar eine Rüge erhoben hat, der Auftraggeber aber keine Nichtabhilfeentscheidung abgesetzt hat. Der öffentliche Auftraggeber ist nämlich nicht verpflichtet, auf eine bei ihm eingehende Rüge zu reagieren. Es kann durchaus gute Gründe dafür geben, dies nicht zu tun, etwa um ein Nachprüfungsverfahren zu einem unpassenden Zeitpunkt zu vermeiden.256 Erklärt also der öffentliche Auftraggeber nicht gegenüber dem rügenden Unternehmen, dass er der Rüge nicht abhelfen will, greift die in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB geregelte Rechtsfolge nicht.257 Außerdem wird die Rechtsbehelfsfrist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB im Falle einer europaweiten Ausschreibung nur dann in Gang gesetzt, wenn der Auftraggeber in der europaweiten Ausschreibung ordnungsgemäß auf die Folgen einer Versäumung dieser Frist hingewiesen hat.258

133c) Fristberechnung. Für die Fristberechnung sind § 31 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG i. V. m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB maßgeblich.259 Die Frist endet mit Ablauf des 15. Tages nach Zugang der Mitteilung bei dem betreffenden Unternehmen.260 Der Tag des Eingangs selbst zählt dabei nicht mit.261 Eine Verlängerung der Frist ist nicht möglich, da es sich um eine gesetzlich bestimmte und indisponible Frist handelt. Selbst wenn eine Verlängerung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer einvernehmlich vereinbart wird, ist die Fristverlängerung unbeachtlich.262 Zur Wahrung der Frist reicht es aus, wenn der Vergabekammer ein Schriftsatz per Telefax zugeht, der zumindest ein bestimmtes Begehren in Form der Antragstellung sowie Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis enthält.263

134d) Erforderlichkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung. Die Nichtbeachtung der 15-tägigen Antragsfrist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB führt zum Verlust des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes. Dies wirft die Frage auf, ob den Bietern nicht rechtzeitig – sei es in der Bekanntmachung oder in der Nichtabhilfeentscheidung selbst – eine Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen ist, wie sie sonst beim verbindlichen Verwaltungshandeln – insbesondere auch hinsichtlich der Entscheidung der Vergabekammer (§ 168 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 61 GWB) vorgesehen ist. Erstaunlicherweise enthält das nationale Recht indessen keine derartige Verpflichtung. Ungeachtet dessen ist jedoch eine angemessene Information über die Rechtswirkungen der Nichtabhilfe und die gegebene Rechtsmittelfrist unionsrechtlich geboten. Anhang V Teil C Nr. 25 der VRL verlangt nämlich, dass in der Vergabebekanntmachung Hinweise in Bezug auf die Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen gegeben werden. Alternativ können die vollständigen Kontaktdaten (Name, Anschrift, Telefonnummer, Faxnummer und E-Mail-Adresse) einer Dienststelle angegeben werden, bei der diese Auskünfte eingeholt werden können. Das Bekanntmachungsformular geht insoweit von zwei alternativ zu wählenden Möglichkeiten aus, nämlich die (empfehlenswerte) Aufnahme der Kontaktdaten der Vergabekammer oder der Hinweis auf zuständige Stellen, diesbezüglich Rechtsauskünfte zu erteilen.264 Bei dieser Vorgabe handelt es sich um zwingend geltendes Unionsrecht. Wird keine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung im vorgenannten Sinne in die Bekanntmachung aufgenommen, hat dies die Unanwendbarkeit der Antragsfrist zur Folge mit dem Ergebnis, dass keine Präklusion eintritt.265 Allerdings kann dieser Mangel einer fehlenden oder unzureichenden Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich noch durch einen späteren (ordnungsgemäßen) Hinweis in der Rügezurückweisung durch den Auftraggeber geheilt werden.266 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Vergabekammer selbst keine zur Rechtsauskunft befugte Stelle ist.267

135Richtigerweise ist die Rechtsbehelfsbelehrung aber auch auf die Rügetatbestände des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 GWB auszudehnen. Denn auch diese Rügetatbestände sind mit einem Ausschluss vom Primärrechtsschutz sanktioniert und haben daher eine gleichermaßen rechtsschutzbegrenzende Wirkung.268 Im Ergebnis empfiehlt sich daher für die Vergabestellen zur Sicherstellung der Wirksamkeit der in § 160 Abs. 3 GWB enthaltenen Präklusionsvorschriften, dass in dem EU-Bekanntmachungsformular in der betreffenden Rubrik über mögliche Rechtsbehelfe und -fristen auf sämtliche Präklusionstatbestände des § 160 Abs. 3 GWB hingewiesen wird. Dies lässt sich am einfachsten und umfassendsten dadurch umsetzen, dass der gesamte § 160 Abs. 3 GWB in seinem Wortlaut abgedruckt wird.

136e) Mindestfrist zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag?. Die 15-Tagesfrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB stellt eine gesetzlich klar und abschließend bestimmte Höchstfrist dar. Umgekehrt stellt sich aber auch die Frage, ob zwischen Erhebung der Rüge und der Einreichung eines Nachprüfungsantrags ein zeitlicher Mindestabstand zu fordern ist. Ein solcher ist gesetzlich nicht geregelt. Allerdings liegt der Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit darin, dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit zu geben, selbst etwaige Vergaberechtsverstöße auszuräumen. Dies setzt eine dafür hinreichende Frist voraus. Sofern daher keine besonderen Umstände des Einzelfalls vorliegen, hat dies zur Folge, dass zwischen der Rüge und der Einreichung des Nachprüfungsantrags zumindest eine kurze Frist zu liegen hat.269 Etwas anderes gilt jedoch, wenn nach Erhalt der Bieterinformation unmittelbar die Zuschlagserteilung droht. Da allein ein zugestellter Nachprüfungsantrag, nicht jedoch die Rüge als solche zu einem Zuschlagsverbot führt (vgl. § 169 Abs. 1 GWB), ist es dem Bieter hier zuzugestehen, ohne Abwarten der Antwort des Auftraggebers den Nachprüfungsantrag einzureichen.270

III.Ausnahmevorschriften des § 160 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GWB

137In Satz 2 und 3 des § 160 Abs. 3 GWB wird der Anwendungsbereich der Rügeobliegenheit eingeschränkt. § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB entbindet den Antragsteller im Falle einer de-facto-Vergabe von der Rügeobliegenheit.271

138§ 160 Abs. 3 Satz 3 GWB bestimmt in diesem Zusammenhang, dass § 134 Abs. 1 Satz 2 GWB „unberührt bleibt“. Die Vorschrift des § 134 Abs. 1 Satz 2 GWB erstreckt dabei die Informationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB auch auf Bewerber, denen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt wurde. Da sich der Sinn dieser Verweisnorm nicht erschließt, ist dessen Interpretation in der Literatur strittig. Zum einen könnte man annehmen, dass die Vorschrift die selbstverständliche Regelung treffen will, dass der Auftraggeber seinen in § 134 Abs. 1 Satz 2 GWB auferlegten Informationspflichten unabhängig von dem Bestehen einer Rügeobliegenheit nachkommen muss.272 Eher ist jedoch davon auszugehen, dass der Verweis in § 160 Abs. 3 Satz 3 GWB auf einem Redaktionsversehen beruht und stattdessen auf § 134 Abs. 1 Satz 3 und 4 GWB verweisen und so wiederum eine entsprechende Vorgabe aus Art. 1 Abs. 4 der Rechtsmittelrichtlinie in deutsches Recht umsetzen sollte. Im Ergebnis wird damit also lediglich klargestellt, dass der Rüge – im Gegensatz zum Nachprüfungsverfahren – keine aufschiebende Wirkung zukommt.273

IV.Verwirkung und Rechtsmissbrauch

139Ein Nachprüfungsantrag ist ebenfalls unzulässig, sofern auf Seiten des Antragstellers Verwirkung eingetreten ist oder der Nachprüfungsantrag rechtsmissbräuchlich erfolgt. Unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kam insbesondere nach früherer Rechtslage eine Verwirkung des Nachprüfungsrechts in Frage. Dies galt etwa für den Fall einer nachträglichen Anfechtung einer de-facto-Vergabe, wenn der Bieter monate- oder gar jahrelang zunächst gegen eine ihm bekannte de-facto-Vergabe nicht vorgeht.274 Allerdings hat der Aspekt der Verwirkung erheblich an praktischer Bedeutung verloren, nachdem nunmehr Rechtsmittelfristen eingeführt worden sind, die den Antragsteller zu einer frühzeitigen Geltendmachung seiner Bieterrechte veranlassen. Hierher gehört einerseits die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB, wonach nach Zurückweisung einer Rüge die 15-Tagesfrist für die Einlegung eines Nachprüfungsantrags zu beachten ist.275 Andererseits sind bei de-facto-Vergaben nunmehr die Ausschlussfristen des § 135 Abs. 2 GWB zu beachten, die ebenfalls als lex specialis den allgemeinen Verwirkungsvorschriften vorgehen. Letztere dürften daher allenfalls noch bei Altfällen eine Rolle spielen, bei denen die vorgenannten Ausschlussfristen noch nicht gegolten haben; diese können nämlich nicht rückwirkend in Ansatz gebracht werden.

140Unzulässig ist auch ein Nachprüfungsantrag, der rechtsmissbräuchlich erhoben wird. Ein Rechtsmissbrauch liegt insbesondere in den Fällen des § 180 Abs. 2 GWB vor.276 Dazu gehört etwa der Fall, dass ein Nachprüfungsantrag in der Absicht gestellt wird, ihn später gegen Geld oder andere Vorteile zurückzunehmen.277 Allerdings kommt es hier maßgeblich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wobei sich Rechtsmissbrauch nur schwer nachweisen lässt. Die Beweislast dafür, dass der Nachprüfungsantrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde, liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft, regelmäßig also beim öffentlichen Auftraggeber oder dem beigeladenen Unternehmen.278

§ 161 GWBForm, Inhalt

(1) 1Der Antrag ist schriftlich bei der Vergabekammer einzureichen und unverzüglich zu begründen. 2Er soll ein bestimmtes Begehren enthalten. 3Ein Antrag­steller ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat einen Empfangsbevollmächtigten im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu benennen.

(2) Die Begründung muss die Bezeichnung des Antragsgegners, eine Beschreibung der behaupteten Rechtsverletzung mit Sachverhaltsdarstellung und die Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel enthalten sowie darlegen, dass die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist; sie soll, soweit bekannt, die sonstigen Beteiligten benennen.

Schrifttum: S. Schrifttumsverzeichnis zu § 155 GWB.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1
B. Schriftformwahrender Antrag bei der Vergabekammer 2–6
C. Begründung des Antrags 7–19
I. Unverzügliche Begründung (§ 161 Abs. 1 Satz 1 GWB) 7, 8
II. Mindestanforderungen an den Begründungsinhalt (§ 161 Abs. 2 HS 1 GWB) 9–18
III. Rechtsfolgen unzureichender Begründung 19
D. Benennung sonstiger Beteiligter (§ 161 Abs. 2 HS 2 GWB) 20
E. Bestimmtes Begehren (§ 161 Abs. 1 Satz 2 GWB) 21, 22
F. Benennung eines Empfangsbevollmächtigten (§ 161 Abs. 1 Satz 3 GWB) 23
G. Kostenvorschuss 24–26
Vergaberecht

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