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B.Typologie der Sektorenauftraggeber

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I.Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Abs. 1 Ziff. 1 GWB

8Gemäß § 100 Abs. 1. Ziff. 1 GWB sind öffentliche Auftraggeber gem. § 99 Nr. 1–3 GWB (also klassische öffentliche Auftraggeber) kartellvergaberechtlich als Sektorenauftraggeber einzustufen, sofern und soweit sie eine Sektorentätigkeit i. S. d. § 102 GWB ausüben.

9Öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Ziff. 1–3 GWB sind Gebietskörperschaften einschließlich deren Sondervermögen, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände.

1.Gebietskörperschaften

10§ 99 Nr. 1 GWB erfasst Bund, Länder, Landkreise und Gemeinden (einschließlich Kommunen). Diese gelten als Gebietskörperschaften i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB. Voraussetzung ist, dass eine eigenständige Rechtspersönlichkeit vorliegt. Dies ist regelmäßig nicht der Fall bei Verwaltungssektionen, die keine rechtliche Selbständigkeit haben, wie beispielsweise Eigenbetriebe. Diese werden der jeweils trägerschaftlichen Gebietskörperschaft zugeordnet.

11Entsprechendes gilt für Sondervermögen, bei den es sich ebenfalls um nicht rechtsfähige Einrichtungen von Gebietskörperschaften handelt und die grundsätzlich über spezifische Aufgaben sowie eine eigene Fiskalstruktur verfügen.

2.Einrichtungen des öffentlichen Rechts

12§ 99 Nr. 2 GWB erfasst Institutionen, die öffentlichen Aufgaben erfüllen und dabei eine besondere Staatsnähe aufweisen. Vor allem Unternehmen, die im Zuge formaler Aufgabenprivatisierungen entstanden sind, werden aufgrund dieses funktionsnah definierten Auftraggeberbegriffs dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterworfen.3 Die Tatbestandsmerkmale der Einrichtung des öffentlichen Rechts i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB gliedern sich in drei Aspekte: es muss sich handeln um eine (i) juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die (ii) gegründet wurde zu dem besonderen Zweck, Aufgaben zu erfüllen, die im Allgemeinen Interesse liegen und die (iii) eine besondere Staatsgebundenheit ausweist.

13a) Juristische Person. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Privatrechtlich strukturierte juristische Personen unterteilen sich in Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sowie andere Körperschaften wie Genossenschaften (e.G.) sowie eingetragene Vereine des Privatrechts (e.V.).

14Dogmatisch insoweit unstimmig werden aber auch Personengesellschaften wie die offene Handelsgesellschaft (oHG) und die Kommanditgesellschaft (KG) zu den juristischen Personen i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB gezählt. Insoweit genügt beispielsweise die Rechtsfähigkeit von Handelsgesellschaften nach deutschem Handelsrecht (HGB), da unter einer Firma (also der handelsrechtlichen Bezeichnung des Kaufmanns) Rechte und Verbindlichkeiten begründet werden können. Dies reicht aus, eine Rechtspersönlichkeit im Sinne des Vergaberechts anzunehmen.4

15Angesichts der Teilrechtsfähigkeit gilt dies auch für solche Körperschaften nach deutschem Zivilrecht, die keine Handelsgesellschaften im vorgenannten Sinne sind. Hierzu zählen beispielsweise Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR), denen Teilrechtsfähigkeit zuerkannt ist.5

16b) Gründungszweck. Um nach § 99 Nr. 2 GWB dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu unterliegen, muss die Einrichtung zu dem Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Dies ist nicht ausschließlich nach der gem. Satzung oder in sonstigen Gründungsunterlagen hinterlegten Zwecksetzung zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit auch jede sonstige objektiv nachweisbare, faktisch übernommene Tätigkeit, sofern diese im Allgemeininteresse liegt.6

17Die Feststellung, ob und wann die Tätigkeit eines Unternehmens unter dieses Merkmal der Zweckdienlichkeit zur Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art fällt, ist immer bezogen auf das Unternehmen insgesamt zu treffen. Die Beurteilung erfolgt nicht gesondert nach einzelnen Unternehmenssparten bzw. der konkreten Tätigkeit. Hier gilt die sogenannte Infektionstheorie, nach der auch die in Relation zu dem Gesamtumfang der unternehmerischen Tätigkeit nur geringfügige Wahrnehmung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben bereits gem. § 99 Nr. 2 GWB als vergaberechtlich relevant angesehen wird. Im Allgemeininteresse liegen danach solche Aufgaben, die der Staat grundsätzlich selbst oder zumindest unter eigener Kontrolle erfüllen will. Hierzu zählen Aufgaben der Entsorgungswirtschaft, der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur und -betriebe, öffentliche Bäder, Stadtentwicklung sowie Strom- und Netzbetriebe.

18Der vergaberechtliche Begriff des Allgemeininteresses ist insoweit deckungsgleich mit dem kommunal- und staatsrechtlichen Begriff der Daseinsvorsorge.

19c) Nichtgewerblichkeit. Differenzierter gestaltet sich die Prüfung und Subsumtion der weiteren Anforderungen „nicht gewerblicher Art“. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die vergaberechtliche Bedeutung dieses Begriffes in § 99 Ziff. 2 GWB keineswegs inhaltsgleich mit der verwaltungsrechtlichen Bestimmung und Definition von Gewerbe ist.7

20Auch auf europäischer Ebene existiert keine eindeutige Definition. Die Subsumtion und Beurteilung wird vielmehr im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand von Indizien vorgenommen. Maßgeblich für die Annahme einer Nichtgewerblichkeit ist dabei die Frage, ob sich die Vergabestelle von anderen als rein ökonomischen Überlegungen der Beschaffung leiten lässt.8 Dies erfordert die Anwendung des Vergaberechts, da der Binnenmarkt und die potenziellen Bieter vor nachfragenden Unternehmen „geschützt“ werden müssen, die aufgrund ihrer besonderen Situation geneigt sein könnten, auch irrationale und damit für den Anbietermarkt nicht wettbewerblich ausgerichtete Entscheidungen zu treffen. Auf diese Weise soll der Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse durch ein gegebenenfalls nicht an der Wirtschaftlichkeit ausgerichtetes Verhalten und darauf gegründeten Entscheidungen potenzieller Auftraggeber vorgebeugt werden.

21In diesem Sinne kommt es darauf an, ob die Einrichtung unter normalen Marktbedingungen tätig ist. Unter dieser Annahme ist davon auszugehen, dass gewerbliche Ausrichtung vorliegt. Nach europäischer Rechtsprechung haben sich eine Reihe von Indizien herausgebildet, die für die Frage der Gewerblichkeit relevant sind. Hierzu zählen die Gewinnerzielungsabsicht, die Frage, ob die Einrichtung selbst die wirtschaftlichen Risiken ihrer unternehmerischen Tätigkeit trägt (und nicht beispielsweise über einen Beherrschungsvertrag davor geschützt ist). Ferner kommt es darauf an, ob ein Markt bearbeitet wird, der über entwickelte Wettbewerbsstrukturen verfügt.

22Schließlich ist auf die Finanzierung der Tätigkeit aus privaten Mitteln abzustellen.

23Die insoweit zusammengefassten Indizien und Kriterien sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und geben insoweit Aufschluss über die wirtschaftliche Ausrichtung des betroffenen Unternehmens.

24d) Staatsgebundenheit. Neben den vorstehend skizzierten Kriterien kommt es im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB darauf an, dass der betroffene Auftraggeber aufgrund eines entsprechenden Beherrschungseinflusses staatlich dominiert wird. Die unterschiedlichen Formen von vergaberechtlich relevanter Beherrschung bzw. Beeinflussung sind in § 99 Ziff. 2, lit. a bis c GWB wie folgt definiert:

– Überwiegende Finanzierung, einzeln, gemeinsam oder durch Beteiligung,

– Aufsicht über die Leitung oder

– Bestimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder der zur Geschäftsführung oder der zur Aufsicht berufenen Organe der juristischen Person

25Gemäß § 99 Nr. 2 HS 2 GWB kann der beherrschende Einfluss über eine Kette verschiedener Auftraggeber vermittelt werden. Das bedeutet, juristische Personen, die ihrerseits die Anforderung gem. § 99 Nr. 2 HS 2 GWB erfüllen, können im vergaberechtlichen Sinne juristische Personen gem. § 99 Nr. 2 GWB beherrschen (Durchgriffsbeherrschung).

26Ebenfalls ausreichend ist die Beherrschung durch Verbände im Sinne der § 99 Nr. 3 GWB. Finanzierung im Sinne des § 99 Nr. 2, lit. a GWB kann auch in Form einer Mehrheitsbeteiligung vorliegen. Das Eigentum einer Mehrheit der Geschäftsanteile ist insoweit synonym mit dem Merkmal Finanzierung, ohne dass es darauf ankommt, wie die Mehrheitsbeteiligung finanziert ist bzw. ob und inwieweit durch diese eine tatsächliche Finanzierung des Unternehmens durch den Auftraggeber erfolgt.

27Jenseits des gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsverständnisses lässt § 99 Ziff. 2, lit. c GWB auch genügen, dass die beherrschenden Institutionen die maßgebliche organschaftliche Vertretung, also die Geschäftsführer, stellen.

28Dieses Merkmal steht nicht in Konkurrenz zu einer Beherrschung im gesellschaftsrechtlichen Sinne. Zwar verschafft die Auswahlentscheidung über die relevanten geschäftsführenden Organe einer juristischen Person der berechtigten Institution faktischen Einfluss. Im Unterschied zu einer Mehrheit im Aufsichtsgremium oder der Gesellschafterversammlung wird dadurch aber kein gesellschaftsrechtlicher Durchgriff ermöglicht.

29aa) Überwiegende Finanzierung. Eine überwiegende Finanzierung im Sinne des § 99 Ziff. 2, lit. a GWB setzt voraus, dass die Kapitalisierung der Gesellschaft zu mehr als 50 % durch staatliche Stellen erfolgt. Dies muss jedoch nicht durch unmittelbare Zuwendung seitens des Staates geschehen, sondern kann auch indirekt, beispielsweise über Zwangsbeiträge erfolgen, sofern diese funktionellen staatlichen Zwecken dienen. Dabei ist ferner nicht erforderlich, dass aufgrund des Finanzierungsbeitrages tatsächlich rechtliche Einflussmöglichkeiten bestehen, beispielsweise durch entsprechende Auflagen oder Vertragsvereinbarungen. Es genügt, dass aufgrund der Finanzierungsstruktur potenzielle Einflussnahmen möglich sind, die die Gefahr mit sich bringen, dass sich die entsprechende Institution nicht lediglich anhand wirtschaftlicher Überlegungen im Rahmen ihrer Beschaffungsentscheidungen leiten lässt.

30Keine Finanzierung im Sinne des vergaberechtlichen Tatbestandes gem. § 99 Ziff. 2, lit. a GWB liegt vor, wenn die zufließenden staatlichen Mittel auf der Basis eines entsprechenden Gegenleistungsverhältnisses erfolgen. Eine solche „synallagmatische“ Finanzierung liegt beispielsweise dann vor, wenn eine private Kapitalgesellschaft auf dem Gebiet der Abwasserversorgung auf der Grundlage entsprechender Werk- oder Dienstverträge Abwasserbeseitigungsleistungen für eine Kommune erbringt, die zugleich einziger oder hauptsächlicher Kunde dieser Gesellschaft ist. Dabei ist unschädlich, dass die Kommune ihrerseits, die an die leistende Gesellschaft zu entrichtenden Entgelte oder entsprechende Abwassergebühren der Anschlusspflichtigen refinanziert.

31bb) Leitungsaufsicht. Gemäß § 99 Ziff. 2, lit. b GWB kann die Staatsgebundenheit auch über die Aufsichtsführung betreffend die Leitung der juristischen Person entstehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass eine konkrete Beeinflussung der Beschaffungsmaßnahme erfolgen kann.

32Auch insoweit ist eine Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten vorzunehmen. Das abstrakte Merkmal einer Allein- oder Mehrheitsgesellschafterstellung reicht im Zweifel nicht aus. Es kommt darauf an, dass im Rahmen der Corporate Governance die betreffende juristische Person konkreten Einflussnahme-Rechten des Staates unterliegt.

33Insbesondere die unabhängig von gesellschaftsrechtlichen Strukturen bestehende Rechts- oder Fachaufsicht der Körperschaften über entsprechende Institutionen genügt nicht, diese konkreten Einflussmöglichkeiten herzuleiten. Die im Rahmen der Rechts- oder Fachaufsicht erfolgende repressive Kontrolle und Sanktion ist nicht gleichzusetzen mit der konkreten, im Vorfeld greifende Beeinflussungsmöglichkeit unternehmerischer Entscheidungen.

34cc) Bestimmung der Geschäftsführung sowie der Aufsichtsgremien. Die im § 99 Nr. 2, lit. c GWB geregelte Variante, der zufolge Staatsgebundenheit auch über die Bestimmung von mehr als die Hälfte der Mitglieder, der Geschäftsführung oder der zur Aufsicht berufenen Organe eines Auftraggebers möglich ist, muss anhand der qualitativen Verhältnisse innerhalb des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans bestimmt werden. Insoweit ist ausschlaggebend, dass hier tatsächlich ein alleiniges oder mehrheitliches Entsenderecht greift.

3.Verbände

35§ 99 Nr. 3 GWB regelt schließlich, dass Verbände, deren Mitglieder ihrerseits der Anforderung gem. § 99 Nr. 1 oder 2 GWB unterliegen, öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB sind.

36Insoweit handelt es sich also um Organisationen öffentlicher Auftraggeber, die unabhängig von ihrer rechtlichen Auskleidung tatbestandlich als Verband im Sinne des § 99 Nr. 3 GWB anzusehen sind.9

37Hierzu zählen im Sektorenbereich Wasser- und Abwasserzweckverbände sowie Verkehrsverbände.

4.Auftraggeber im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB

38§ 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB erweitert den Anwendungsbereich des Vergaberechts auf private Unternehmen, sofern diese in bestimmten Branchen, also Sektoren, tätig sind. Weitere Voraussetzung ist, dass die privaten Unternehmen das Merkmal einer Staatsnähe ausweisen. Diese Staatsnähe entsteht entweder durch eine Beherrschung der öffentlichen Hand oder aufgrund besonderer oder ausschließlicher Rechte, über die das private Unternehmen in Ausübung der relevanten Tätigkeit verfügt, also in einer (Quasi)Monopolstellung agiert. Die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe werden also auf private Unternehmen ausgedehnt, was den vergaberechtlichen Paradigmenwechsel von der rein fiskalorientierten Binnensicht zu einer markt- und wirtschaftsrechtlichen Ausrichtung zeigt.10

39Die im § 100 Abs. 1 Ziff. 2 GWB geregelten Sektorenauftraggeber, also private Unternehmen mit besonderer Staatsnähe im Sektorenbereich, waren nach alter Rechtslage begrifflich allein Sektorenauftraggeber. Dies hat sich durch die entsprechende Differenzierung im § 100 GWB differenziert. Auf dieser Weise wird der Tatsache Rechnung getragen, dass auch klassische, öffentliche Auftraggeber, gem. § 99 Ziff. 1–3 GWB bei Tätigkeiten und Beschaffungen im Sektorenbereich zu sektorenspezifischen Zwecken Sektorenauftraggeber im Sinne des Vergaberechtes sind und in diesen Feldern ausschließlich dem Sektorenvergaberecht unterliegen. Das Verhältnis der beiden Bestimmungen reflektiert den auftragsbezogenen Vorrang der Sektorenvergabe als die speziellere Regelung.11

40a) Natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts. § 100 Abs. 1 Ziff. 2 GWB erfasst natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts. Hier darunterfallen entweder natürliche Einzelpersonen oder Personengesellschaften (wie GbR, OHG, KG) oder juristische Personen, die vor allen Dingen Kapitalgesellschaft (GmbH, AG, GmbH & Co. KG).

41b) Sektorentätigkeiten. Neben der rechtlichen Strukturierung als Person des privaten Rechts erfordert eine Subsumption als Sektorenauftraggeber, dass unternehmerisch eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 GWB ausgeübt wird.

42Dabei genügt, dass eine Sektoren der Sektorentätigkeiten nach § 102 GWB einen Teil des unternehmerischen Tätigkeitsspektrums des jeweiligen Auftraggebers ausmachen. § 100 GWB verlangt nicht, dass das betreffende Unternehmen ausschließlich Sektorentätigkeiten nachgeht. Erforderlich ist aber eine operative Tätigkeit. Die Inhaberschaft einer öffentlich-rechtlichen Gewährleistungsverantwortung für einzelne Sektoren oder entsprechende daseinsvorsorgliche Pflichten für sich genommen, genügen nicht.12

43Die Subsumtion unter das Profil des Sektorenauftraggebers gem. § 100 GWB genügt nicht allein, um die Anwendung des Sektorenvergaberechts zu eröffnen. Vielmehr fordert § 136 GWB, dass die jeweilige Beschaffung auch zum Zwecke der Sektorentätigkeit erfolgen muss, wobei insoweit ein funktionaler Bezugszweck gegeben sein muss. Die allgemeine Infektionstheorie genügt im Rahmen dieser auftragsbezogenen Prüfung nicht.13 Davon profitieren private Sektorenauftraggeber, die dann gegebenenfalls freihändig beschaffen dürfen. Im Hinblick auf mehrstufig organisierte Konzernunternehmen ist die Eigenschaft als Sektorenauftraggeber jeweils individuell für das beschaffende Unternehmen bzw. die Gesellschaft festzustellen. Eine vertikale oder horizontale Überwälzung dieser Eigenschaft aufgrund gesellschaftsrechtlicher Verbundenheit greift nicht.14

44Erfolgt nun die Beschaffung eines Unternehmens, das aufgrund seiner unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich Sektorenauftraggeber gem. § 100 GWB ist, zu sektorenfremden Zwecken, greift gem. § 136 GWB das Sektorenvergaberecht nicht.

45Daraus ergeben sich in Abhängigkeit von dem Profil und der Struktur des Sektorenauftraggebers unterschiedliche Konsequenzen: rein private Unternehmen gem. § 100 Abs. 1 Ziff. 2 GWB, die also Sektorentätigkeiten im Sinne des Sektorenauftraggebers wahrnehmen, aber eine konkrete Beschaffung planen, die nicht sektorenspezifischen Zwecken dient, sind als private Unternehmen außerhalb des Sektorenvergaberechts nicht zur Anwendung vergaberechtlicher Bestimmungen verpflichtet.

46Öffentliche Auftraggeber gem. § 99 Ziff. 1 bis 3 GWB, die aufgrund bestimmter Tätigkeiten diesbezüglich Sektorenauftraggeber gem. § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB sind, haben sofern die Beschaffung nicht sektorenspezifischen Zwecken dient, die regulären vergaberechtlichen Bestimmungen gem. § 115 bis 135 GWB anzuwenden.

47Vom Sektorenbegriff i. S. d. § 102 GWB erfasst werden (i) Trinkwasserversorgung, (ii) Elektrizitätsversorgung, (iii) Gas- und Wärmeversorgung, (iv) Verkehrsleistungen, (v) Häfen und Flughäfen sowie (vi) Öl- und Gasförderung, Exploration und Förderung von Kohle oder anderer festen Brennstoffe.

48Die Einbeziehung dieser Sektoren in den Anwendungsbereich vergaberechtlicher Bestimmungen ist dadurch motiviert, dass aufgrund der durch Beherrschung oder ausschließliche Rechte vermittelten Staatsnähe Marktbedingungen entstehen, die die Wettbewerbsausrichtung der Binnenmärkte beeinträchtigen. Um diese Strukturen zu liberalisieren und wettbewerblichen Prozessen zu öffnen, ist die Anwendung von vergaberechtlichen Bestimmungen gesetzlich angeordnet.15

49c) Besondere und ausschließliche Rechte. Was unter besonderen und ausschließlichen Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 und 2 GWB zu verstehen ist, definiert § 99 Abs. 2 GWB.

50Danach zeichnen sich besondere und ausschließliche Rechte in diesem Sinne dadurch aus, dass die Ausübung bestimmter Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und das dadurch die Möglichkeit anderer Marktteilnehmer, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigen wird.

51Zusätzlich erfolgt eine negative Abgrenzung dergestalt, dass von besonderen oder ausschließlichen Rechten i. S. d. § 99 GWB nicht auszugehen ist, sofern die betreffenden Rechte aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften des Vergaberechts oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt werden, das angemessen bekannt gemacht worden ist und das auf objektiven Kriterien ruht. Die Bezugnahme auf objektive Kriterien schließt entsprechend die Gleichbehandlung aller Interessenten ein.16

52Mit anderen Worten sind solche Rechte, die in einem vergaberechtlichen Verfahren erteilt oder in anderer Form vergeben wurden, die mindestens in sonstiger Weise Publizität und Wettbewerb genügen, ungeachtet ihrer marktabschottender Wirkung keine besonderen oder ausschließlichen Rechte i. S. d.§ 99 GWB. Die Anwendung des Vergaberechts in derartigen Fällen ist nicht geboten, da die betreffenden ausschließlichen oder besonderen Rechte zwar marktabschottend wirken, im Vorfeld aber in einer Weise vergeben wurden, die den Anforderungen anderer wettbewerblicher Verfahren genügt.17

53Dies wird besonders greifbar, wenn die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte in einem wettbewerblichen Verfahren durchgeführt wurde, das den Bestimmungen des Teils 4 des GWB folgt. Zusätzlich kann auf Anhang II der Richtlinie 2014/25 EU zurückgegriffen werden, der beispielhaft vergleichbare EU-Genehmigungsverfahren auflistet, zumal diese ähnlichen Anforderungen genügen.

54Ausschließliche Rechte im Sinne des § 100 Abs. 1 Ziff. 2 GWB können spiegelbildlich also solche Rechte sein, die nicht im Wege entsprechend öffentlicher Verfahren auf der Grundlage objektiver Kriterien erworben worden. Dementsprechend können Wegenutzungsrechte, die auf Grundlage des § 46 EnWG vergeben wurden, nicht mehr als entsprechend ausschließliche oder besondere Rechte angesehen werden. Dies liegt neben dem insoweit erforderlichen energiewirtschaftlichen Vergabeverfahren auch daran, dass diese Rechte keine Exklusivitätszusicherungen mehr enthalten (anders als die klassischen Konzessionsverträge aus früheren Zeiten), sodass schon deswegen eine marktabschottende Wirkung zumindest rechtlich nicht mehr entsteht.18

55d) Besondere Staatsgebundenheit. Neben der Nutzung besonderer Rechte kann die zur Anwendbarkeit des Sektorenvergaberechts erforderliche Staatsnähe eines Sektorenauftraggebers auch aufgrund besonderer Staatsgebundenheit mit § 100 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b GWB i. V. m. § 100 Abs. 3 GWB entstehen. Danach liegt Staatgebundenheit vor, wenn Auftraggeber gem. § 99 Abs. 1 bis 3 GWB auf die Vergabestelle einen beherrschenden Einfluss ausüben können, wobei dieser Einfluss auch durch ausländische Hoheitsträger vermittelt werden kann.19

56Der Beherrschungsbegriff gem. § 100 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b GWB ist insoweit anders konstruiert als in den parallelen Bestimmungen (§ 99 Ziff. 2 GWB), als § 100 Abs. 1, Ziff. 2, lit. b GWB i. V. m. § 103 GWB eine widerlegbare Vermutung zugunsten der Annahme eines beherrschenden Einflusses bewirkt.20 Eine konkrete Beeinflussungsmöglichkeit zur Annahme einer hinreichenden Beherrschung muss nicht gegeben sein.

57Die Vermutungswirkung gem. § 100 Abs. 3 entsteht dann, wenn ein Auftraggeber nach § 99 Ziff. 1–3 GWB entweder (i) unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder (ii) über die Mehrheit der mit den Anteilen an Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder (iii) mehr als die Hälfte der Mitglieder Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane des Unternehmens bestimmen kann.

58Auch bei tatbestandlichem Vorliegen der Merkmale der Vermutungsregel und dem damit eingetretenen Vermutungstatbestand kann der betroffene Auftraggeber durch entsprechend substantiierte Darlegung die Vermutung der Beherrschung widerlegen.21 Maßgeblich für die erfolgreiche Widerlegung kann unter anderem die konkrete Verfassung der Corporate Governance des betreffenden Unternehmens sein, die z. B. der Geschäftsführung hinreichende Freiheits- und Autonomieräume gewährt, die gegenüber dem Einfluss der öffentlichen Hand überwiegen.

§ 101 GWBKonzessionsgeber

(1) Konzessionsgeber sind

1. öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Konzession vergeben,

2. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 1, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben,

3. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben.

(2) § 100 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.

Schrifttum: Classen, Zur Abgrenzung von Dienstleistungskonzessionen gegenüber Miet- und Pachtverträgen nach der Richtlinie 2014/23/EU, VergabeR 2016, 13 ff.; Goldbrunner, Das neue Recht der Konzessionsvergabe, VergabeR 2016, 365 ff.; Knauff/Badenhausen, Die neue Richtlinie über die Konzessionsvergabe, NZBau 2014, 395 ff.; Opitz, Die Zukunft der Dienstleistungskonzession, NVwZ 2014, 753 ff.; Schröder, Das Konzessionsvergabeverfahren nach der RL 2014/23/EU, NZBau 2015, 351 ff.; Ullrich, Rechtsschutz in den Vergabeverfahren zwischenstaatlicher Organisationen in Deutschland, VergabeR 2002, 331 ff.; Wagner/Pfohl, Die neue Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe: Anwendungsbereich, Ausnahmevorschriften und materielle Regelungen, ZfBR 2014, 745 ff.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1
B. Auftraggebereigenschaft 2–7
I. Öffentliche Auftraggeber 3
II. Sektorenauftraggeber 4–7
C. Konzessionsbezug 8, 9
D. Regelungswirkung 10
Vergaberecht

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