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B.Öffentlicher Auftrag (§ 103 Abs. 1 GWB)

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I.Vertrag

1.Begriff

9Öffentliche Aufträge werden in Deutschland in der großen Mehrheit in Form von privatrechtlichen Verträgen vergeben, für deren Zustandekommen und Abwicklung die allgemeinen Regeln des BGB Anwendung finden. Das GWB-Vergaberecht kennt keinen spezifischen Vertragsbegriff, weshalb für die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals auf den zivilrechtlichen Vertragsbegriff zurückgegriffen werden kann. Kennzeichnend für einen Vertrag sind demnach die übereinstimmenden Willenserklärungen der beteiligten Vertragsparteien über die Erbringung von Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber.6

10Hierin kommt zum Ausdruck, dass öffentliche Auftraggeber zur Deckung des Bedarfs an Leistungen, die sie für die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben benötigen, als Nachfrager am Markt auftreten und die entsprechenden Leistungen von Dritten einkaufen. Als Beschaffer von Leistungen treten die öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber der Verkäuferseite am Markt also nicht als Hoheitsträger gegenüber, sondern als Marktteilnehmer auf gleicher Augenhöhe.

2.Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen zwischen öffentlicher Hand und Dritten als Leistungserbringern

11Der Begriff des öffentlichen Auftrags setzt voraus, dass der Auftraggeber mit dessen Vergabe gegen den Auftragnehmer einen einklagbaren Erfüllungsanspruch hinsichtlich der geschuldeten Leistung(en) erwirbt7. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Staat einzelnen Begünstigten öffentliche Fördergelder auf der Grundlage eines Zuwendungsbescheides ausreicht, die diese dann gemäß der im Bescheid festgelegten Förderbedingungen für bestimmte öffentliche Aufgaben verwenden müssen, z. B. für die soziale Betreuung von Flüchtlingen.8 Eine für einen Vertrag typische wechselseitige Leistungsbeziehung entsteht in einem Zuwendungsverhältnis nicht; verwendet ein Zuwendungsempfänger Fördermittel nicht bestimmungsgemäß, entsteht lediglich ein zuwendungsrechtlicher Rückforderungsanspruch auf Seiten der öffentlichen Hand, nicht aber ein Leistungserfüllungsanspruch.9

12Ein Vertrag nach § 103 Abs. 1 GWB liegt nicht vor, wenn Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber ihren Rechtsgrund unmittelbar in Gesetzen oder Verordnungen haben,10 denn ein Vertrag erfordert die Beteiligung grundsätzlich gleichberechtigter Rechtssubjekte. Aus dem gleichen Grund erfüllen auch einseitige hoheitlich durch Verwaltungsakt angeordnete Verpflichtungen nicht den Tatbestand eines Vertrags.11

13Die Beleihung eines Privaten mit hoheitlichen Befugnissen erfüllt die Begriffsdefinition des Vertrags ebenfalls nicht. Es handelt sich um einen einseitigen hoheitlichen Akt, der in Form eines Verwaltungsakts ergeht. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn die Beleihung ihrem Gegenstand nach eine Leistungserbringung des Beliehenen einschließt und dementsprechend von vertraglichen Regelungen begleitet wird. Solche in einen Beleihungsakt eingekleideten Auftragsvergaben unterfallen der Ausschreibungspflicht.12

14Ungeschriebenes Merkmal eines öffentlichen Auftrags i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB ist, dass der öffentliche Auftraggeber die Absicht haben muss, eine Auswahl unter zulässigen Angeboten zu treffen (Selektivität), mithin einen Anbieter auszuwählen, an den der Auftrag mit Ausschließlichkeit vergeben werden soll (Exklusivität).13 Eine Auftragsvergabe mit der Folge des Anwendungszwangs des GWB-Vergaberechts liegt deshalb wegen Fehlens sowohl einer Selektivität als auch einer Exklusivität nicht vor, wenn alle geeigneten Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse und zur Abgabe entsprechender Angebote zur Deckung des hierzu notwendigen Bedarfs berechtigt werden, ohne dass sie hierzu ein selektives Auswahlverfahren durchlaufen müssen (sog. Open-House-Modell).14 Das Fehlen einer Auswahlentscheidung im Open-House-Verfahren zeigt sich insbesondere daran, dass der öffentliche Auftraggeber während der gesamten Laufzeit des Systems mit allen interessierten Unternehmen einen Vertrag schließt, die sich verpflichten, eine bestimmte Leistung zu vorher festgelegten Bedingungen zu erbringen, und diese Unternehmen dem System während seiner gesamten Laufzeit beitreten oder den Vertrag kündigen können.15

15Es handelt sich in diesen Fällen nur um einfache Zulassungssysteme (z. B. das in § 127 Abs. 2 SGB V vorgesehene Vertragssystem für die Zulassung von Arzneimitteln, medizinischen Hilfsmitteln, ärztlichen Dienstleistungen oder Pflegeeinrichtungen), nicht jedoch um eine Betrauung mit einer Leistung für öffentliche Auftraggeber als Ergebnis eines wettbewerblich strukturierten Vergabeprozesses. Unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungs- und des Transparenzgrundsatzes wird indes auch für ein solches Zulassungs- und Vertragssystem eine Bekanntmachung vorausgesetzt, die es den potentiell interessierten Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, vom Ablauf und von den wesentlichen Merkmalen des Zulassungsverfahrens gebührend Kenntnis zu nehmen.16

16Die Tatsache, dass auch ein Open-House-Verfahren in Konformität mit dem europäischen Primärrecht ausgestaltet werden muss, insbesondere die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz zu beachten sind, ist für die Frage des Vorliegens eines Vertrages i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB irrelevant.17 Verletzt ein öffentlicher Auftraggeber die vorgenannten Grundsätze durch ein Verfahren oder eine Entscheidung im Rahmen eines Open-House-Modells, etwa durch Ungleichbehandlung von interessierten Unternehmen beim Zugang in solche Systeme, sind solche Verstöße ausschließlich durch die für solche Modelle zuständigen Gerichte (z. B. die Sozialgerichte bei Vertragssystemen nach § 127 Abs. 2 SGB V) zu überprüfen. Sie unterliegen, auch wenn sie an typische Verstöße im Zuge einer Auswahlentscheidung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gemahnen, dadurch nicht der Nachprüfung nach Maßgabe des gemäß § 155 GWB allein der Vergabe öffentlicher Aufträge vorbehaltenen vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes.18

17Bezüglich des Zustandekommens eines Vertrages über die Erbringung von Leistungen für einen öffentlichen Auftraggeber legt das Gemeinschaftsrecht ein weites und funktionales Begriffsverständnis zugrunde. Auf seine juristische Etikettierung und Kategorisierung kommt es grundsätzlich nicht an, so dass selbst Vergleichsvereinbarungen den Vertragsbegriff erfüllen, wenn sie eine entgeltliche Leistungserbringung für einen öffentlichen Auftraggeber beinhalten.19 Das Bestehen eines Vertrags i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB wird daher nicht zwangsläufig dadurch ausgeschlossen, dass der Vertrag, auf dessen Grundlage eine Leistung für einen öffentlichen Auftraggeber erbracht wird, von seiner Rechtsnatur her als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist.20 Der EuGH beurteilt das Vorliegen eines Vertrags allein danach, ob dieser die Erbringung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen für den öffentlichen Auftraggeber zum Gegenstand hat. Dies ist vor dem Hintergrund des europäischen Rechts folgerichtig, da in anderen EU-Mitgliedstaaten die dem nationalen deutschen Recht geläufige Unterscheidung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen nicht existiert.

II.Parteien

18Parteien eines als öffentlicher Auftrag zu qualifizierenden Vertrags sind Auftraggeber i. S. d. § 98 GWB (öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 GWB, Sektorenauftraggeber i. S. d. § 100 GWB sowie Konzessionsgeber i. S. d. § 101 GWB) und Unternehmen (Auftragnehmer). Zwischen diesen muss nicht nur eine Personenverschiedenheit herrschen, der Begriff des öffentlichen Auftrags setzt darüber hinaus voraus, dass durch den Vertrag gegenseitige – nicht zwingend wechselseitig abhängige (synallagmatische) – Leistungspflichten der Parteien begründet werden.21 Erforderlich ist weiter, dass der Auftragnehmer institutionell nicht der internen Aufgabenorganisation des öffentlichen Auftraggebers oder Sektorenauftraggebers angehört, sondern es sich um einen außenstehenden Marktteilnehmer handelt.22

19Auch der Begriff des Unternehmens ist funktional zu definieren und entsprechend weit auszulegen.23 Unternehmen, im europäischen Vergaberecht synonym mit dem Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ bezeichnet, sind nach der Definition des Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 VRL „eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet.“ Eine Gewinnerzielungsabsicht ist dabei ebenso wenig erforderlich wie eine ständige oder zumindest regelmäßige Aktivität im Markt.24 Die Erbringung der vom Auftraggeber nachgefragten Leistung im eigenen Betrieb bzw. mit eigenen Mitteln ist ebenfalls nicht erforderlich, um die Auftragnehmereigenschaft zu begründen. Nach dem Kartellvergaberecht ist es vielmehr zulässig, wenn der Auftragnehmer die Leistung vollständig durch Nachunternehmer erbringt.25 Unzulässig ist es demzufolge, wenn ein öffentlicher Auftraggeber in einer Klausel der Vergabeunterlagen eines öffentlichen Bauauftrags vorschreibt, dass der künftige Auftragnehmer einen bestimmten Prozentsatz (hier: 25 %) der von diesem Auftrag umfassten Arbeiten mit eigenen Mitteln zu erbringen hat.26

20Auch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber können die Stellung eines von einem anderen öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber beauftragten Unternehmens einnehmen, wenn sie außerhalb der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben in Konkurrenz zu privaten Marktteilnehmern Leistungen anbieten und somit als nicht-hoheitlicher Akteur am Wirtschaftsleben teilnehmen.27 Die Konkurrenz mit privaten Unternehmen um öffent­liche Aufträge birgt allerdings die Gefahr, dass es aufgrund von Sonderrechten eines sich im Markt bewegenden öffentlichen Auftraggebers zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, die eine zulässige Wettbewerbsteilnahme ausschließen können.28

21Verträge über die Ausführung öffentlicher Aufträge können gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 VRL auch zwischen mehreren Wirtschaftsteilnehmern (Auftragnehmern) und mehreren öffentlichen Auftraggebern abgeschlossen werden. Erforderlich für die Erbringung einer Leistung durch mehrere Auftragnehmer ist allerdings, dass diese die Leistung als Bietergemeinschaft anbieten und im Zuschlagsfall auf Verlangen des Auftraggebers eine bestimmte Rechtsform annehmen, wenn dies für eine ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags erforderlich ist.29

III.Beschaffungsbezug

22Die Erteilung öffentlicher Aufträge ist auf die Beschaffung von Leistungen gerichtet, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Der öffentliche Auftraggeber tritt auf den Markt, um die für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigten Waren, Bau- oder Dienstleistungen einzukaufen.30 Der Beschaffungszweck als „Basiszweck jeder öffentlichen Auftragsvergabe“31 ist dabei aber nicht eng auszulegen. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber die beschafften Leistungen selbst zur Erfüllung seiner im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nutzt oder verwendet. Ein Beschaffungsbezug liegt bereits dann vor, wenn der öffentliche Auftraggeber überhaupt als Einkäufer auf dem Markt agiert.32 Da die Anwendung des Vergaberechts die Chancengleichheit und die Eröffnung eines Wettbewerbs der Marktteilnehmer um den Erhalt öffentlicher Aufträge sicherstellen will, kann es aus Sicht der Unternehmen nicht darauf ankommen, ob der öffentliche Auftraggeber die Beschaffung zur Deckung eigenen Bedarfs oder aus anderen Zwecken vornimmt.

23Wie sich an der Korrektur der sog. Ahlhorn-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf durch den EuGH gezeigt hat,33 darf die Abstraktion von dem konkreten Verwendungszweck der eingekauften Leistung jedoch nicht so weit gehen, auf einen Zusammenhang zwischen der beschafften Leistung und einem wie auch immer gearteten eigenen wirtschaftlichen Interesse des öffentlichen Auftraggebers an deren Nutzung oder Inanspruchnahme gänzlich zu verzichten. Die Notwendigkeit eines solchen Zusammenhanges wird auch im Gesetz deutlich hervorgehoben, so etwa in § 103 Abs. 3 Satz 2 GWB, der eine von einem Dritten erbrachte Bauleistung u. a. nur dann als öffentlichen Auftrag qualifiziert, wenn die Bauleistung einem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt.

24Treten öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber nicht als Einkäufer, sondern als Verkäufer auf den Markt, etwa bei der Veräußerung von Vermögensgegenständen der öffentlichen Hand, fehlt es grundsätzlich an einem Beschaffungsbezug. Bei reinen Veräußerungsvorgängen sind sie deshalb nicht an das Vergaberecht, wohl aber an andere Vorschriften gebunden, die eine wirtschaftliche Veräußerung öffentlichen Vermögens im Wege sog. „strukturierter Bieterverfahren“ bzw. geordneter Investorenauswahlverfahren sicherstellen sollen, bei denen ebenso wie im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung zu beachten sind.34 Etwas anderes hat selbstverständlich zu gelten, wenn das Veräußerungsgeschäft wirtschaftlich mit der Beschaffung von Leistungen verknüpft ist (Veräußerungsgeschäft mit Beschaffungsbezug).35 In diesem Fall ist das gesamte Geschäft als ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag zu qualifizieren. Im Fall der Veräußerung öffentlicher Grundstücke liegt daher ein vergaberechtsrelevanter Vorgang vor, wenn diese in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der späteren Vergabe eines Bauauftrags steht und bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung daher von einem einheitlichen Vorgang auszugehen ist.36

25In gleicher Weise sind der Abschluss von Gesellschaftsverträgen und eine Veräußerung von Anteilen an öffentlichen Unternehmen zu bewerten. Für sich genommen ist weder der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags noch die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen mangels eines Beschaffungsbezugs ausschreibungspflichtig.37 Ein Beschaffungsbezug kann jedoch dadurch entstehen, dass mit dem Erwerb einer Beteiligung durch einen Privaten die Beteiligung an der Erteilung oder der Abwicklung öffentlicher Aufträge verbunden ist. Solche Konstellationen, für die sich der Begriff „eingekapselte Beschaffungen“ eingebürgert hat,38 führen zur Ausschreibungspflichtigkeit, sofern in einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung ein zeitlicher, sachlicher und beabsichtigter Zusammenhang zwischen der Gründung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens bzw. der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen und der dadurch bewirkten Eröffnung eines Zugangs für den privaten Gesellschafter zu öffentlichen Aufträgen besteht.39

26Spezielle Fragen in Bezug darauf, ob mit dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages eine Beschaffung von Wirtschaftsgütern durch die öffentliche Hand verbunden ist, werfen die städtebaulichen Verträge auf. Hierzu zählen Erschließungsverträge gem. § 124 Abs. 1 BauGB, Durchführungsverträge gem. § 12 BauGB sowie Sanierungs- und Entwicklungsvereinbarungen gem. §§ 157 ff., 167 BauGB.

1.Erschließungsverträge (§ 124 Abs. 1 BauGB)

27Erschließungsverträge regeln in erster Linie die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Erschließungspflichten.40 In der Regel haben solche öffentlich-rechtlichen Verträge daher nicht den Erwerb von Leistungen durch den Staat zum Gegenstand. Sie können daneben im Einzelfall aber auch Elemente der Beschaffung und damit eines öffentlichen Auftrags i. S. d. § 103 GWB aufweisen, und zwar dann, wenn Bauleistungen im Rahmen einer Erschließung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen.

28Der bisherigen im Rahmen der vergaberechtlichen Einordnung von Erschließungsverträgen vorgenommenen Differenzierung zwischen dem echten und dem unechten Erschließungsvertrag41 wurde durch Einführung des Kriteriums des unmittelbaren wirtschaftlichen Zugutekommens der Boden entzogen. Werden lediglich den städtebaulichen Anforderungen entsprechende und nicht darüber hinaus gehende Erschließungsanlagen versprochen, findet unabhängig von der Finanzierungsart des Vorhabens keine Bauleistung statt, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt.42

2.Durchführungsverträge (§ 12 BauGB)

29Mit einem Durchführungsvertrag verpflichtet sich der Vorhabenträger auf Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung der Vorhaben- und Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB. Auch hier gilt es für eine Beurteilung der vergaberechtlichen Relevanz, den wirtschaftlichen Gehalt des Vertrags zu bewerten. Dabei kann von einem – für die Anwendung des Vergaberechts erforderlichen – entgeltlichen Vertrag nur dann gesprochen werden, wenn ein wirtschaftlicher Austausch im Sinne von Leistung und Gegenleistung besteht.43

30Der EuGH hat in der Rechtssache Helmut Müller ausdrücklich klargestellt, dass die Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber weder auf den Erhalt einer vertraglichen Leistung noch auf die Befriedigung eines unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers gerichtet ist.44 Darüber hinaus habe ein öffentlicher Auftraggeber nur dann seine Erfordernisse i. S. d. § 99 Abs. 3, 3. Alt. GWB a. F. genannt, wenn er Maßnahmen ergriffen habe, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben. Der bloße Umstand, dass eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft, genüge nicht der Voraussetzung der Erbringung „gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber gemachten Erfordernissen“ im Sinne der genannten Vorschrift.45

31Ist der Vorhabenträger Eigentümer des Grundstücks (geworden) und will der öffentliche Auftraggeber das erforderliche Baurecht im Wege eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans auf Grundlage eines Durchführungsvertrages schaffen, ist das Vergaberecht daher grundsätzlich nicht anwendbar, da es sowohl am Merkmal der Entgeltlichkeit als auch – für das Vorliegen einer Baukonzession – an der Einräumung eines Nutzungsrechts durch den öffentlichen Auftraggeber fehlt. Zur Anwendung des Vergaberechts kann es allerdings dann kommen, wenn öffentlicher Auftraggeber und Unternehmer im Zusammenhang mit einer Grundstücksveräußerung städtebauliche Baubindungen eingehen, die im Rahmen der Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten nicht durchsetzbar wären, oder Letzterer vom öffentlichen Auftraggeber ein Entgelt in Form einer Vergütung oder eines Nutzungsrechts erhält oder sich Aufwendungen erspart; ferner, wenn sich der öffentliche Auftraggeber durch Risikoübernahmen am Projekt beteiligt und ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dessen Realisierung hat.46

3.Sanierungs- und Entwicklungsvereinbarungen (§§ 157 ff., 167 BauGB)

32Unter Sanierungs- und Entwicklungsvereinbarungen i. S. d. §§ 157 ff., 167 BauGB sind solche Vereinbarungen zu verstehen, bei denen Kommunen Aufgaben der städtebaulichen Sanierung sowie der Vorbereitung bzw. Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen an Dritte übertragen.47 Hierbei handelt es sich zwar um Leistungen, deren Erbringung im unmittelbaren öffentlichen Interesse der Kommunen liegt. Dies allein kann aber ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse nicht begründen. Ein solches kann nämlich nur dann angenommen werden, wenn die Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen über die gesetzlich zwingenden städtebaulichen Anforderungen hinausgehen, die Kommune also zusätzlich eigene unmittelbare wirtschaftliche Zwecke verfolgt. Deshalb stellen diese Vereinbarungen grundsätzlich keinen öffentlichen Auftrag dar.48

IV.Entgeltlichkeit des Vertrags

33Ein öffentlicher Auftrag setzt voraus, dass der Unternehmer, der mit der Erbringung einer Leistung für den öffentlichen Auftraggeber beauftragt wird, als Gegenleistung ein Entgelt erhält. Die Rechtsprechung legt hinsichtlich des Merkmals der Entgeltlichkeit durchgängig einen weiten Entgeltbegriff zugrunde. Nicht nur Geldzahlungen an den Auftragnehmer erfüllen den Entgeltbegriff, sondern alle Arten von Vergütungen, die einen geldwerten Vorteil darstellen können. Nicht erforderlich ist es, dass der Auftragnehmer aus der Abwicklung des öffentlichen Auftrags einen Gewinn erzielt.49 Eine Entgeltlichkeit liegt selbst dann vor, wenn die vorgesehene Vergütung auf einen Ersatz der Kosten beschränkt bleibt, die durch die Erbringung einer Dienstleistung entstehen.50 Durch die weite Auslegung des Entgeltbegriffs sollen ausschreibungspflichtige Verträge, bei denen Leistung und Gegenleistung voneinander nicht trennbare Teile eines einheitlichen Leistungsaustauschverhältnisses sind,51 nur von vergabefreien Gefälligkeitsverhältnissen oder außerrechtlichen Beziehungen abgegrenzt werden.52

34Der Entgeltbegriff ist folglich bereits dann erfüllt, wenn der öffentliche Auftraggeber:

– auf die Erhebung von Gebühren verzichtet,53

– dem Auftragnehmer im Zusammenhang mit der Auftragsabwicklung bewegliche oder unbewegliche Wirtschaftsgüter zu einem reduzierten Preis überlässt54 oder

– dem Auftragnehmer Rechte zur Nutzung bzw. Vermarktung der zu erbringenden Leistung einräumt.55

35Eine entgeltliche Leistungsbeziehung liegt deshalb auch im Hinblick auf Verträge vor, durch die sich der Auftraggeber zur Überlassung werthaltiger Wirtschaftsgüter, z. B. Altpapier56, an den Auftragnehmer verpflichtet, die dieser dann auftragsgemäß zu vermarkten bzw. zu verwerten hat. Voraussetzung hierfür ist, dass die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung erforderliche Gegenleistung des Auftragnehmers (z. B. ordnungsgemäße Abfallverwertung) nicht von der kaufvertraglichen Pflicht zur Überlassung der werthaltigen Wirtschaftsgüter durch den Auftraggeber (z. B. Veräußerung von Altpapier) trennbar ist, die Leistungen insoweit zwei miteinander verbundene Leistungsaustauschgeschäfte darstellen.57 So wird die Dienstleistung des Auftragnehmers in diesen Fällen dadurch abgegolten, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer das Altpapier mit einem Abschlag auf den Marktpreis berechnet, den der Auftragnehmer bei der Durchführung der von ihm geschuldeten Vermarktung erzielt. Entgeltlichkeit liegt auch dann vor, wenn der Vermarktungserlös, den der Auftragnehmer erzielt, höher als das vom Auftraggeber zu zahlende Dienstleistungsentgelt ist und der überschießende Erlösausgleich an den Auftraggeber ausgekehrt wird (negativer Preis).

36Ein entgeltlicher Vertrag liegt auch dann vor, wenn der öffentliche Auftraggeber das Entgelt nicht aus eigener Kasse zahlt, dieses vielmehr von einem Dritten an den Auftragnehmer geleistet wird. Hiervon sind allerdings die Fälle abzugrenzen, in denen der Auftragnehmer für die Erbringung einer Leistung anstelle eines Entgelts das Recht erhält, diese zu vermarkten und sich bei den Nutzern zu refinanzieren. In diesen Fällen handelt es sich um die Erteilung von Konzessionen, deren Vergabe den speziellen Regeln des neuen Konzessionsvergaberechts, insbesondere der Konzessionsvergabeverordnung unterliegt.

37Der Entgeltbegriff ist schließlich auch dann erfüllt, wenn der Verwaltung Sach-, Geld- oder Dienstleistungen zugewendet werden und der Zuwendende damit in der Folge Eigenwerbung betreibt (sog. Verwaltungssponsoring). Die Eröffnung der Möglichkeit zur Eigenwerbung stellt hierbei den geldwerten Vorteil im Sinne einer Gegenleistung dar.58

V.Form

38§ 103 Abs. 1 GWB trifft keine Aussage über eine bestimmte Form, in der Beschaffungsverträge abzuschließen sind. Dies entspricht der nationalen Rechtslage, nach der wirksame Verträge auch durch mündliche Vereinbarungen zustande kommen können. Da der Verzicht auf ein Schriftformerfordernis nicht als Versehen des Gesetzgebers angesehen werden kann, ist nach h. M. die Schriftlichkeit für die Wirksamkeit eines öffentlichen Auftrags nicht vorausgesetzt.59

39Im Gegensatz zum nationalen Recht wird in Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 VRL von „schriftlich geschlossenen Verträgen“ gesprochen. Dies zwingt nach zutreffender Ansicht jedoch nicht zu einer entsprechenden Auslegung des § 103 Abs. 1 GWB, weil der Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts durch den Verzicht auf ein Schriftformerfordernis nicht eingeengt, sondern im Gegenteil ausgedehnt wird,60 wenngleich das Schriftformerfordernis dem vergaberechtlichen Transparenzgebot in besonderem Maße Rechnung trägt.

40In der Praxis dürfte die Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags ohne Einhaltung der Schriftform für den Vertrag allerdings regelmäßig nicht vorkommen, weil sich aus den formalen Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnungen eine Reihe von Verfahrensvorgaben ergeben, deren Erfüllung eine Schriftlichkeit des Vertragsschlusses voraussetzt. So muss der öffentliche Auftraggeber beispielsweise als Bestandteil der Vergabeunterlagen und als Grundlage für Verhandlungen im Verhandlungsverfahren Vertragsunterlagen erarbeiten und vorgeben.61 Außerdem müssen der Gegenstand öffentlicher Aufträge sowie die Kriterien für ihre Vergabe vom Beginn des Verfahrens über die Vergabe dieser Aufträge an klar bestimmt sein.62 Damit dürfte ein Verzicht auf die Schriftform beim Abschluss von Beschaffungsverträgen gegen das Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 GWB) und den Grundsatz der Chancengleichheit (§ 97 Abs. 2 GWB) verstoßen. Im Bereich öffentlich-rechtlicher Verträge ist ein derartiger Verzicht ohnehin gem. § 57 VwVfG ausgeschlossen.

VI.Laufzeit

41 Es existiert keine vergaberechtliche Bestimmung, die den Abschluss von Verträgen mit unbestimmter Laufzeit explizit verbietet.63 Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob sich aus allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen eine Obergrenze für die Laufzeit von ausschreibungspflichtigen Verträgen ableiten lässt. Es dürfte jedenfalls nicht zu bezweifeln sein, dass es der aus dem Wettbewerbsgrundsatz folgenden Verpflichtung der öffentlichen Hand, ihre Beschaffungen dem Markt zu öffnen und Leistungen im Wettbewerb einzukaufen, wider­sprechen würde, wenn der Wettbewerb zur Beschaffung bestimmter Leistungen wegen überlanger Vertragslaufzeiten oder fehlender Befristung auf un­absehbare Zeit ausgeschaltet werden würde. Neben einem Verstoß gegen den vergabe­rechtlichen Wettbewerbsgrundsatz widersprechen überlange Vertragslaufzeiten auch dem EU-Primärrecht, insbesondere dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs.64

42Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass die Fixierung einer einheitlichen, für alle Vertragstypen geltenden Obergrenze für die Laufzeit auszuschreibender Verträge weder sachgerecht noch zweckmäßig wäre. Es ist vielmehr der Praxis des Marktwettbewerbs überlassen, für jeden einzelnen Vertragstyp und jeden einzelnen Beschaffungsmarkt eine angemessene und sachgerechte Vertragslaufzeit zu definieren.65 Bewegt sich der öffentliche Auftraggeber in diesem Rahmen, sind auch längere Vertragslaufzeiten vergaberechtlich nicht zu beanstanden.

43In einer jüngeren Rechtsprechungsserie hat die VK Bund allerdings entschieden, dass der Abschluss unbefristeter Verträge dem Wettbewerbsgrundsatz generell widerspricht und deshalb unzulässig ist. Dies gelte insbesondere für Märkte, die erst jüngst für den Wettbewerb geöffnet wurden (z. B. den Briefdienstleistungsmarkt).66 Diese Rechtsprechung wird man so auslegen müssen, dass die VK Bund in einem Marktumfeld, das sich bereits etabliert hat, auch längere Laufzeiten für zulässig hält, sofern diese zeitlich begrenzt sind.

44Längere Vertragslaufzeiten sind insbesondere dann zulässig, wenn der Auftragnehmer als Voraussetzung für seine Leistungserbringung umfangreiche Investitionen tätigen muss. Dies ist beispielsweise bei Verträgen der Fall, die neben der

Erbringung von Dienstleistungen auch die Errichtung dafür erforderlicher Anlagen durch den Auftragnehmer beinhalten. Die Amortisationszeiträume für derartige Investitionen können sich durchaus auf 10 bis 15 Jahre, im Falle der Errichtung von Gebäuden im Kontext von PPP-Projekten und Betreibermodellen auf 25 bis 30 Jahre oder noch länger erstrecken. Eine Vertragsdauer, die diesen Zeitraum abdeckt und dem Auftragnehmer bzw. Investor die Amortisation seiner Investition einschließlich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals ermöglicht, ist zulässig.67

45Nach den gleichen Grundsätzen ist die Laufzeit von Konzessionen zu beurteilen. Auch hier ist deren Laufzeit danach auszurichten, dass der Konzessionsnehmer die von ihm getätigten Investitionen amortisieren und sein eingesetztes Kapital angemessen verzinsen kann. Da bei einer Konzession die mit der Leistungserbringung verbundenen wirtschaftlichen Risiken vom Konzessionsnehmer getragen werden, rechtfertigt dies zusätzlich, ihm im Gegenzug durch die Bemessung einer längeren Laufzeit Chancen auf die Erzielung eines angemessenen Gewinns zu eröffnen.

46Bei allen anderen Verträgen über Dauerschuldverhältnisse dürften Laufzeiten von mehr als sieben oder acht Jahren aus den oben genannten Gründen vergaberechtlich zumindest als kritisch einzustufen sein. Ein Anhaltspunkt dafür, welche Höchstlaufzeiten für Verträge über Dauerschuldverhältnisse im Wettbewerb als angemessen angesehen werden, lässt sich der Regelung des § 21 Abs. 6 VgV entnehmen, nach der die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung vier Jahre nicht überschreiten darf, es sei denn, der Auftragsgegenstand oder andere besondere Umstände rechtfertigen ausnahmsweise eine längere Laufzeit.68

Vergaberecht

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