Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 77
A.Vorbemerkungen
Оглавление1Mit § 107 GWB enthält das GWB nunmehr eine eigene Vorschrift für allgemeine Ausnahmen von der Anwendung des Vergaberechts, die für alle Vergaben von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen gelten.1 Vorher waren die allgemeinen Ausnahmen in § 100 Abs. 2 bis 8 GWB a. F. geregelt. Die jetzt in § 107 GWB geregelten Ausnahmen sind solche, die in allen vier EU-Vergaberichtlinien vorgesehen sind. Im Einzelnen betrifft dies die KVR, die VRL, die SRL und die VSVR.2 Satz 2 und 3 in § 107 Abs. 2 GWB wurden aufgrund des am 2.4.2020 in Kraft getretenen Gesetzes zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik (BGBl. I S. 674) eingefügt. Die Änderung soll eine beschleunigte Beschaffung für die militärischen und zivilen Sicherheitsbehörden ermöglichen.3
2Bei den in den Ausnahmevorschriften der §§ 107, 109, 116, 117, 137, 145, 149 und 150 GWB angesprochenen Leistungen sind – anders als beispielsweise bei den Eigenleistungen des öffentlichen Auftraggebers – grundsätzlich die Kriterien einer Beschaffung am Markt erfüllt, womit der Anwendungsbereich eigentlich eröffnet wäre. Lediglich besondere, nicht zu verallgemeinernde Umstände rechtfertigen die Nichtanwendung der Vergabevorschriften. Die Ausnahmevorschriften sind daher eng auszulegen4 und dürfen durch den nationalen Gesetzgeber auch nicht ergänzt werden.5 Bei Inhouse-Geschäften und der interkommunalen Zusammenarbeit (§ 108 GWB) handelt es sich nur um vermeintliche Durchbrechungen der Ausnahmetatbestände, die die nicht im Auftragsgegenstand oder in Merkmalen des Auftraggebers, sondern im rechtlichen Verhältnis der jeweiligen Vertragspartner zueinander ihren Grund haben.6
3Liegt ein Tatbestand aus den Ausnahmevorschriften vor, ist das Vergabeverfahren dem Primärrechtschutz der beteiligten Bewerber insgesamt entzogen. Der Rechtsschutz ist in solchen Fällen auf eine Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen darauf beschränkt, ob die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands von der Vergabestelle zutreffend angenommen worden sind. Abgesehen von der Frage, ob die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands zu Recht bejaht worden sind, findet eine Nachprüfung nach den §§ 160 ff. GWB nicht statt.7 Für die Vergabe von Aufträgen, die die Schwellenwerte nicht erreichen oder durch die Ausnahmevorschriften ausgenommen sind, gelten lediglich die Haushaltsvorschriften (HGrG, BHO, LHO) und die ersten Abschnitte der Vergabeverordnungen, sofern die öffentlichen Auftraggeber dem Haushaltsrecht unterworfen sind.
4Solange die Anwendung eines Ausnahmetatbestands keiner zu dokumentierenden Abwägung bedarf,8 kommt es bei Vorliegen der Voraussetzungen einer derartigen Ausnahme nicht darauf an, ob der Auftraggeber die streitgegenständliche Vergabe in Kenntnis oder Unkenntnis der Anwendbarkeit des GWB durchgeführt hat oder ob er sich für die Anwendbarkeit des vierten Teils des GWB entschieden hat. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 107 GWB („Dieser Teil ist nicht anzuwenden“) ergibt, steht die Unterwerfung unter die Ausnahmevorschrift nicht zur Disposition des öffentlichen Auftraggebers. Das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands ist deshalb von den Nachprüfungsorganen von Amts wegen zu prüfen.9