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B.Vergabefreie öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit auf vertikaler Ebene (In-house-Geschäfte)

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I.Tatbestandsmerkmale eines vertikalen In-house-Verhältnisses (§ 108 Abs. 1 GWB)

9Das Bestehen einer In-house-Beziehung zwischen einem öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 bis 3 GWB und einer auftragnehmenden juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts ist an zwei positive und eine negative Tatbestandsvoraussetzung geknüpft. Ein vergaberechtsfreies Eigengeschäft der öffentlichen Hand liegt dann vor, wenn

1. der öffentliche Auftraggeber über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt (Kontrollkriterium, § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB),

2. mehr als 80 % der Tätigkeiten der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von dem öffentlichen Auftraggeber oder von einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird, betraut wurde (Wesentlichkeitskriterium, § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB) und

3. an der juristischen Person keine direkte private Kapitalbeteiligung besteht (§ 108 Abs. 1 Nr. 3, 1. HS GWB).

10Die drei vorgenannten Kriterien für das Vorliegen einer In-house-Beziehung wurden durch die Rechtsprechung des EuGH entwickelt. Während das Kontrollkriterium gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB und das Wesentlichkeitskriterium gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB bereits in der im Jahr 1999 ergangenen Entscheidung in der Rechtssache „Teckal“ entwickelt wurde14, erfolgte die Klarstellung, dass eine „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“ generell nicht mehr vorliegt, wenn ein privater Dritter an der auftragsausführenden Einrichtung beteiligt ist, und zwar ungeachtet der Höhe seiner Beteiligung, erst in einer weiteren wegweisenden Entscheidung in der Rechtssache „Stadt Halle“.15

1.Kontrolle wie über eigene Dienststellen (§ 108 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 GWB)

11Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer dienststellenähnlichen Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers über die auftragnehmende Einrichtung gesprochen werden kann, hat sich die Rechtsprechung in zahllosen Entscheidungen auseinandersetzen müssen. Aufgrund des Gebots der grundsätzlich restriktiven Auslegung von Sachverhalten, die eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts statuieren16, besteht Einigkeit darüber, dass die von einem Auftraggeber ausgeübte Kontrolle wirksam und umfassend sein muss17. Ob eine Kontrolle diesem Wirksamkeitserfordernis entspricht, ist anhand aller einschlägigen Rechtsvorschriften und sonst maßgebenden Umständen zu bewerten.18

12Von einer wirksamen Kontrolle in diesem Sinne ist nach einer ebenfalls durch den EuGH in einer Grundsatzentscheidung19 entwickelten und nunmehr in § 108 Abs. 2 Satz 1 GWB gesetzlich verankerten20 Vermutungsregel auszugehen, wenn die tätig werdende Einrichtung einer Kontrolle unterworfen ist, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, auf die Entscheidungsprozesse dieser Einrichtung lenkend einzuwirken. Dadurch muss der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit haben, ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der tätig werdenden Einrichtung auszuüben.21 Für die in jedem Einzelfall zu treffende Feststellung, ob ein Einfluss diese Qualität aufweist, kann auf eine Reihe konkreter Anhaltspunkte zurückgegriffen werden.

13Relativ unproblematisch sind die Fälle, in denen die öffentliche Hand das Gesamtkapital an der auftragnehmenden Gesellschaft hält, denn dieser Umstand begründet eine Vermutung für das Bestehen einer dienststellenähnlichen Kontrolle.22

14Das Kontrollkriterium wird ferner maßgeblich von der Natur der Rechtsform des künftigen Auftragnehmers beeinflusst. Diese muss dem öffentlichen Auftraggeber aufgrund ihrer Organisationsstruktur umfassende Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten einräumen, die sicherstellen, dass der künftige Auftragnehmer keine eigene Entscheidungsgewalt hat. Dies ist bei der GmbH aufgrund des Weisungsrechts der Gesellschafter gegenüber den Geschäftsführern i. d. R. möglich. Es bedarf deshalb keiner Beteiligung des Auftraggebers an der Geschäftsführung einer GmbH, weil diese nicht das Leitungsorgan der Gesellschaft i. S. d. Rechtsprechung des EuGH ist.23

15Bei der AG in ihrer klassischen gesellschaftsrechtlichen Struktur ist die Bindung von Entscheidungen an Weisungen der Aktionäre angesichts der eigenverantwortlichen Leitung durch den Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG dagegen regelmäßig nicht möglich.24 Eine Differenzierung kann letztlich formal anhand der im Einzelfall vorliegenden Organkompetenzen der Gesellschaft stattfinden. Eine wirksame Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers liegt mithin vor, wenn er neben dem Aufsichtsrat (verfolgt die strategischen Ziele) auch den Vorstand der Gesellschaft (trifft die wesentlichen operativen Entscheidungen) entscheidend steuert und dies nachweist.25

16Von einiger indizieller Bedeutung ist auch der Grad der Marktausrichtung der auftragnehmenden Einheit. Von einer dienststellenähnlichen Kontrolle wird umso weniger ausgegangen werden können, je weiter sich deren Tätigkeit regional oder funktional vom Zuständigkeitsbereich des sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers entfernt und eine enge operative Kontrolle damit wesentlich erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird.26

17Zu beachten ist darüber hinaus, dass nicht eine identische, sondern nur eine vergleichbare Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle erforderlich ist. Hierdurch wird berücksichtigt, dass der Grad der Weisungsgebundenheit von integrierten Dienststellen bei beherrschten Unternehmen auch bei größter Abhängigkeit nicht in gleicher Intensität erreicht werden kann.27

2.Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber (§ 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB)

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