Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 81

Оглавление

18Neben dem Kontrollkriterium ist für ein In-house-Geschäft erforderlich, dass der Beauftragte seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber erbringt, da anderenfalls bei einer nennenswerten Marktausrichtung des Leistungserbringers durch die Privilegierung der In-house-Vergabe Wettbewerbsverzerrungen auftreten können. Die Beurteilung dessen, was „wesentlich“ ist, bereitete in der Praxis allerdings häufig Schwierigkeiten. Der EuGH behalf sich in seiner Rechtsprechung mit der – allerdings wenig weiterführenden – Formel, für die Wesentlichkeit sei erforderlich, dass der Leistungserbringer hauptsächlich für den öffentlichen Auftraggeber tätig wird und jede andere Tätigkeit für andere Auftraggeber rein nebensächlich ist; dies sei unter Berücksichtigung aller qualitativen und quantitativen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. In der gleichen Entscheidung hielt er einen Drittgeschäftsanteil in Höhe von 10 % zur Einhaltung des Wesentlichkeitskriteriums im Ergebnis für unkritisch, nachdem er bis dahin einer starren Abgrenzung anhand von feststehenden Prozentwertangaben unter Verweis auf den Einzelfallcharakter der zu beurteilenden Sachverhalte lange eine Absage erteilt hatte.28

19Den jahrelang bestehenden Zustand der Rechtsunsicherheit hat der Unionsgesetzgeber nunmehr in Abweichung von der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH durch die Einführung einer fixen Prozentgrenze von 80 % in Art. 12 Abs. 1 lit. b) VRL beseitigt. Diese Schwelle gilt gemäß Art. 12 Abs. 3 lit. b) VRL ebenso in den Fällen, in denen die Kontrolle über die auftragnehmende Einheit nicht von einem öffentlichen Auftraggeber allein, sondern gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern ausgeübt wird. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Grenze trotz mancher Kritik im Gesetzgebungsverfahren in den § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB übernommen, so dass das Wesentlichkeitskriterium künftig als erfüllt gelten muss, wenn die auftragnehmende Einrichtung mehr als 80 % ihrer Tätigkeiten für die Erfüllung von Aufgaben verrichtet, mit denen sie von dem oder den sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber(n) betraut wurde.

20Ob eine Betrauung i. S. d. § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB für jeden einzelnen Beschaffungsvorgang einer „aktiven Betrauungshandlung“29 bedarf oder hierfür bereits die (passive) Festlegung des Gesellschaftszwecks im Gesellschaftsvertrag ausreicht,30 wurde in der Praxis noch nicht endgültig entschieden. Der letzteren Auffassung ist jedoch grundsätzlich der Vorzug zu geben, da der Begriff der Betrauung weiter ist als derjenige der Auftragsvergabe und es daher ausreicht, wenn die auftragnehmende Einheit sich nach ihrem Gesellschaftszweck auch unabhängig von einer konkreten Vergabeentscheidung der Erfüllung von Aufgaben im Rahmen der Zuständigkeit des sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers zu widmen hat.31

21Allerdings muss aus der Festlegung des Gesellschaftszwecks im Gesellschaftsvertrag eindeutig hervorgehen, mit der Erbringung welcher Leistungen, die dem Aufgabenspektrum des öffentlichen Auftraggebers zuzuordnen sind, die auftragnehmende Einheit beauftragt wird.32 Insofern ist auch bei Fehlen einer dezidierten Einzelbeauftragung im Rahmen einer konkreten Beschaffung ein rechtlich hinreichend spezifizierter Betrauungsakt erforderlich, um die dadurch begründete Auftragsbeziehung zu einer dem Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nicht unterliegenden In-house-Beziehung zu machen.

22Für die Berechnung des prozentualen Anteils der Tätigkeit der auftragnehmenden Einheit, die diese für Dritte am Markt ausübt, werden in § 108 Abs. 7 GWB in Umsetzung entsprechender Regelungen in Art. 12 Abs. 5 VRL nähere Vorgaben gemacht.33

3.Keine Beteiligung Privater an der juristischen Person (§ 108 Abs. 1 Nr. 3 GWB)

23Eine „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“ setzt weiterhin zwingend voraus, dass der öffentliche Auftraggeber an dem anderen Rechtsträger zu 100 % beteiligt ist. Bereits das Faktum des Bestehens einer privaten Beteiligung an einer kontrollierten juristischen Person – ungeachtet ihrer Höhe und ungeachtet dessen, ob es sich um eine direkte oder um eine indirekte Beteiligung handelt – führt, wie der EuGH in seiner „Stadt Halle-Entscheidung“ und zahlreichen späteren Entscheidungen34 klargestellt hat, dazu, dass der private Wirtschaftsteilnehmer einen im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern nicht gerechtfertigten Vorteil erhält und das Handeln der kontrollierten juristischen Person nicht mehr ausschließlich an den Belangen des öffentlichen Wohls orientiert ist. Dies gilt selbst in dem Fall der Beteiligung eines privaten Gesellschafters, der ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig wird und ähnliche soziale Ziele verfolgt wie die anderen am Auftragnehmer beteiligten öffentlichen Auftraggeber.35 ­Damit stellt die Erteilung von öffentlichen Aufträgen an gemischtwirtschaftliche Gesellschaften ohne Durchführung einer Ausschreibung nach den Vorschriften des Kartellvergaberechts grundsätzlich eine unzulässige Direktvergabe (de-facto-Vergabe) dar.

24Bereits die bloße Beteiligungsmöglichkeit für private Gesellschafter (etwa aufgrund entsprechender Satzungsbestimmungen) ist ausreichend, um das Kontrollkriterium auszuschließen und die Ausschreibungspflicht auszulösen, selbst wenn im Zeitpunkt der Auftragsvergabe sämtliche Gesellschaftsanteile von der öffentlichen Hand gehalten werden.36 Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH ist die Möglichkeit der Beteiligung privaten Kapitals allerdings nur zu berücksichtigen, wenn zum Vergabezeitpunkt bereits eine konkrete Aussicht auf eine baldige entsprechende Kapitalöffnung besteht.37 Überdies ist unerheblich, ob die Beteiligung Privater unmittelbar erfolgt oder ob Private sich nur mittelbar mit Stimmrecht beteiligen oder Mitglied werden können.38

25Der Tatbestand der Beteiligung Privater ist auch dann erfüllt, wenn Private als sog. stille Gesellschafter an dem anderen Rechtsträger beteiligt sind.39 Es lässt sich nämlich eine potentielle Einflussmöglichkeit zum einen aus den gesellschaftsrechtlichen Treue- und Rücksichtnahmepflichten zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Geschäftsinhaber und zum anderen aus der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters (vgl. § 230 Abs. 3 HGB) ableiten.

26Der Grundsatz der In-house-Schädlichkeit einer privaten Kapitalbeteiligung an der auftragnehmenden Einheit erfährt dann gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 3, 2. HS GWB eine Ausnahme, wenn es sich um nicht beherrschende Formen der Beteiligung von privaten Dritten an bestimmten öffentlichen Einrichtungen ohne Sperrminorität handelt, die durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln. Von dieser Ausnahme erfasst werden beispielsweise gesetzliche Pflichtmitgliedschaften von privaten Wirtschaftsteilnehmern in Zweck- oder Abwasserverbänden. Derartige Zwangsbeteiligungen sind in aller Regel nicht beherrschend ausgestaltet und verleihen keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person. Sollte dies im Einzelfall jedoch nicht zutreffen, lässt dies das Bestehen einer vergabefreien In-house-Beziehung wieder entfallen.

27Nur die private Beteiligung an der kontrollierten auftragnehmenden Einheit schließt eine In-house-Beziehung aus, nicht dagegen eine private Kapitalbeteiligung an dem oder den kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber(n). Die Beteiligung eines gewerblich tätigen öffentlichen Unternehmens, das kein Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB ist, schließt die In-house-Fähigkeit ebenfalls nicht aus.40 In diesen Fällen erlangt der Private nämlich im Falle einer direkten Vergabe eines öffentlichen Auftrags an die auftragnehmende Einheit keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten. Dies bezieht sich insbesondere auf öffentliche Auftraggeber, die keine Gebietskörperschaften sind, also beispielsweise Stadtwerke, Wasserwerke oder Krankenhäuser, die überdies nicht vollständig im öffentlichen Eigentum stehen.41 Anders liegt der Fall jedoch bei einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft, die unter Beherrschung durch den öffentlichen Partner funktionaler Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB ist. Diese kann keine Aufträge direkt an eigene Tochtergesellschaften vergeben, weil es aufgrund der zwar nur mittelbaren, gleichwohl aber wettbewerbsrelevanten Beteiligung eines Privaten an einem In-house-Verhältnis mangelt.42

II.Mittelbare oder mehrstufige Kontrolle (§ 108 Abs. 2 Satz 2 GWB)

28Die Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers über die auftragnehmende Einheit kann nicht nur auf unmittelbarem Wege, sondern auch vermittelt über eine andere juristische Person ausgeübt werden. Hierbei ist allerdings vorausgesetzt, dass der öffentliche Auftraggeber seinerseits über diese andere juristische Person die dienststellenähnliche Kontrolle i. S. d. § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausübt.43 Vermittelt sich die Kontrolle über mehrere Stufen (Mutter-Enkel, Mutter-Urenkel), müssen die Kriterien einer dienststellenähnlichen Kontrolle auf jeder einzelnen Stufe uneingeschränkt erfüllt sein, so dass im Ergebnis auch im Verhältnis zwischen Mutter und Enkel bzw. Urenkel eine dienststellenähnliche Kontrolle stattfindet.

29Da einer vertikalen Leistungsbeziehung über mehrere Stufen das Risiko unzureichender Steuerungsfähigkeit44 inhärent ist, bedarf es zur Herbeiführung einer dienststellenähnlichen Kontrolle besonderer rechtlicher Vorkehrungen zur Absicherung des Durchgriffs des öffentlichen Auftraggebers auf die Entscheidungen der auftragnehmenden Einheit. Diese müssen so beschaffen sein, dass die Organe der die Kontrolle über mehrere Stufen vermittelnden juristischen Person(en) zur Vermittlung dieses Durchgriffs erstens rechtlich in der Lage und zweitens rechtlich dazu verpflichtet sind.45

III.In-house-Vergaben bottom-up und horizontal (§ 108 Abs. 3 GWB)

30Der EuGH hatte die Teckal-Kriterien für ein vergabefreies In-house-Geschäft der öffentlichen Hand anhand der „klassischen“ Gestaltung einer In-house-Beauftragung entwickelt, nämlich der Erteilung eines Auftrags durch den kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber „nach unten“ an die von ihm kontrollierte auftragnehmende Einheit (top-down-Vergabe). Eine Bedarfsdeckung durch eigene Mittel der öffentlichen Hand und damit die Rechtfertigung einer Ausnahme vom Anwendungszwang des Kartellvergaberechts liegt aber nicht nur bei top-down-Vergaben vor, sondern auch bei anderen Konfigurationen einer öffentlich-öffentlichen Leistungsbeziehung. In § 108 Abs. 3 GWB werden daher in Umsetzung von Art. 12 Abs. 2 VRL weitere Konstellationen einer Leistungsabwicklung durch die öffentliche Hand als vergaberechtlich zulässige In-house-Beziehungen qualifiziert.

31Hierzu gehören zum einen Aufträge der kontrollierten juristischen Person an den sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber (bottom-up-Vergabe), zum anderen Beauftragungen zwischen juristischen Personen, die von demselben/denselben öffentlichen Auftraggeber(n) kontrolliert werden (horizontale Vergabe).

32Auch diese Gestaltungsformen einer reinen öffentlich-öffentlichen Leistungsbeziehung unterliegen grundsätzlich den allgemeinen Voraussetzungen des § 108 Abs. 1 GWB für die Befreiung vom Anwendungszwang des Kartellvergaberechts: So muss der jeweilige Auftraggeber die Qualifikation eines öffentlichen Auftraggebers i. S. d. § 99 Nr. 1–3 GWB aufweisen und es darf an der juristischen Person, die als „Konzernmitglied“ des Auftraggebers den Auftrag erhalten soll, keine Beteiligung eines privaten Dritten (mit Ausnahme der in § 108 Abs. 1 Nr. 3 HS 2 GWB genannten nicht beherrschenden Beteiligungsformen) bestehen. Schließlich muss die jeweilige auftragnehmende Einheit auch das Wesentlichkeitskriterium erfüllen und mehr als 80 % ihrer Tätigkeit für die öffentliche Hand erbringen, obwohl sich § 108 Abs. 3 Satz 1 GWB nur auf das Kontrollkriterium bezieht. Für eine solche Einordnung als Rechtsgrundverweisung spricht zum einen, dass § 108 Abs. 3 GWB die Anforderungen des Kontroll- und Beteiligungskriteriums nur verkürzt wiedergibt, und zum anderen, dass nur eine solche Einordnung vom gesetzgeberischen Willen erfasst ist, wonach das Privileg der Vergabefreiheit von öffentlich-öffentlichen Leistungsbeziehungen nur dann gewährt wird, wenn deren grundsätzliche Voraussetzungen46 kumulativ erfüllt sind.47

33Aus der vergaberechtlichen Gleichstellung der vorbeschriebenen Beauftragungskonstellationen mit der klassischen top-down-Vergabe ist jedoch zu schlussfolgern, dass das in § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB normierte Kontrollkriterium bei diesen Gestaltungen eines In-house-Verhältnisses anders interpretiert bzw. relativiert werden muss, da die Kontrolle des Auftraggebers über die beauftragte juristische Person bei Beauftragungen der Mutter bzw. im „Konzernverhältnis“ notwendigerweise wesentlich anders strukturiert ist wie im Falle der klassischen vertikalen top-down-Vergabe. Das Kontrollkriterium darf deshalb bei der Gestaltung von Leistungsbeziehungen innerhalb der verwaltungsinternen Organisationshierarchie nicht zum ausschlaggebenden Wesensmerkmal einer vergaberechtsfreien In-house-Beziehung schlechthin verabsolutiert werden. Diese Rolle hat es nämlich allenfalls bei der top-down-Vergabe. Wesentlich entscheidender für die Rechtfertigung der Vergabefreiheit für bottom-up-Vergaben und horizontale Vergaben ist, dass die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand ausschließlich von Akteuren im Bereich der verwaltungsinternen Organisation erfolgt, die jeweiligen Auftragnehmer im Wesentlichen für die öffentliche Hand tätig sind und die Tür zum privaten Wettbewerb geschlossen bleibt.

34Aus diesem Grund sind unter denselben Voraussetzungen auch „mehrstöckige“ Beauftragungen im In-house-Verhältnis zulässig, so etwa in dem Fall, dass ein von mehreren öffentlichen Auftraggebern kontrollierter Zweckverband einen Auftrag, den er selbst über einen ebenfalls von mehreren Auftraggebern kontrollierten Zweckverband (Dachverband) erhalten hat, an eine 100 %-ige Tochtergesellschaft weitergibt.48

IV.Kontrolle durch mehrere öffentliche Auftraggeber (§ 108 Abs. 4 und 5 GWB)

35Die notwendige Relativierung des Kontrollkriteriums bei der Grenzziehung zwischen vergabefreien In-house-Geschäften innerhalb des staatlichen Organisationsbereichs und ausschreibungspflichtigen Fremdgeschäften kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Kontrolle des Auftraggebers über die auftragnehmende Einheit nach Maßgabe der in § 108 Abs. 1 GWB niedergelegten Grundsätze auch gemeinsam von mehreren Auftraggebern ausgeübt werden kann. Dies ist die zwingende Konsequenz bei Fallkonstellationen, in denen mehrere öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Gesellschaft gründen, ihr die Erfüllung spezieller Verwaltungsaufgaben zuweisen und ihr zu diesem Zweck (gemeinsam oder individuell) öffentliche Aufträge erteilen.

36Die Tatbestandsvoraussetzungen einer zulässigen gemeinschaftlichen In-house-Beziehung werden in § 108 Abs. 4 GWB in zwei Schritten definiert: Zunächst werden in § 108 Abs. 4 Nr. 1–3 GWB die allgemeinen, in § 108 Abs. 1 Nr. 1–3 GWB kodifizierten In-house-Kriterien – Kontroll- und Wesentlichkeitskriterien sowie fehlende direkte private Kapitalbeteiligung – mutatis mutandis auf die Konstellation einer gemeinschaftlichen In-house-Beziehung übertragen. Sodann werden in § 108 Abs. 5 Nr. 1–3 GWB die materiellen Voraussetzungen definiert, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit von einer gemeinsamen wirksamen und umfassenden Kontrolle mehrerer öffentlicher Auftraggeber über die auftragnehmende Einheit i. S. d. § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB gesprochen werden kann.

1.Tatbestandsmerkmale einer gemeinsamen Kontrolle (§ 108 Abs. 4 Nr. 1–3 GWB)

37Gemäß § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB muss die dienststellenähnliche Kontrolle der auftragnehmenden Einheit durch die öffentlichen Auftraggeber als Gesellschafter gemeinsam nach Maßgabe der in § 108 Abs. 5 Nr. 1–3 GWB definierten Kriterien einer wirksamen gemeinsamen Kontrolle ausgeübt werden. Hieraus folgt, dass es auf die Nähe der Beteiligung des oder der einzelnen öffentlichen Gesellschafter(s) nicht ankommt, also auch eine Minderheitsbeteiligung die Beteiligung an einer gemeinschaftlichen In-house-Beziehung sichert49. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 1 GWB für eine gemeinsame Kontrolle der öffentlichen Gesellschafter nicht vorausgesetzt ist, dass jeder Gesellschafter einen eigenen Vertreter in das beschlussfassende Organ der kontrollierten auftragnehmenden Einheit entsenden muss, sondern sich im Zuge der korporativen Willensbildung von einem Vertreter eines anderen öffentlichen Gesellschafters vertreten lassen kann. Entscheidend kommt es deshalb nur darauf an, ob die durch die öffentlichen Gesellschafter gemeinschaftlich ausgeübte Kontrolle diesen einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen operativen Entscheidungen der kontrollierten auftragnehmenden Einheit verleiht50.

38Der EU-Gesetzgeber hat sich durch die vorstehend wiedergegebenen Regelungen im Sinne des von ihm verfolgten rechtspolitischen Ziels der Ausweitung des Bereichs einer vergabefreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben offensichtlich von der jüngsten Rechtsprechung des EuGH in dieser Frage absetzen wollen.51 In der Rechtssache „Econord“ hatte der EuGH in dem Bestreben einer missbräuchlichen Ausweitung vergaberechtlicher Ausnahmetatbestände Grenzen zu setzen, entschieden, dass eine lediglich marginale Beteiligung eines öffentlichen Gesellschafters der kontrollierten auftragnehmenden Einheit, gepaart mit dem Fehlen jeder echten Möglichkeit, die Willensbildung in den beschlussfassenden Organen zu beeinflussen, nicht ausreiche, dessen Gesellschafter an der vergaberechtlichen Privilegierung einer gemeinschaftlichen In-house-Beziehung zu beteiligen.52 Sofern es nach neuem Recht explizit nur noch darauf ankommen soll, dass die Kontrolle durch die öffentlichen Auftraggeber gemeinschaftlich wirksam ausgeübt wird (s. o.), ist der Verdacht einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung in Form einer „symbolischen“ Beteiligung künftig möglicherweise der Boden entzogen.53 Es bleibt indessen abzuwarten, ob die künftige Rechtsprechung dieser Linie folgt oder weiterhin Missbrauchsgrenzen zieht, weshalb in der Praxis von derartigen Konstruktionen besser Abstand genommen werden sollte.

39Bezüglich des Wesentlichkeitskriteriums gelten die für die klassische vertikale In-house-Beziehung zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und der auftragnehmenden Einheit in Rz. 15 ff. gemachten Ausführungen entsprechend auch für eine gemeinschaftliche In-House-Beziehung. Der Umsatzanteil, den die auftragnehmende Einheit aus der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben erzielt, errechnet sich hier nach den gleichen Grundsätzen, allerdings aus sämtlichen Aufträgen, die ihr von den öffentlichen Gesellschaftern oder mittelbar von einer anderen von diesen öffentlichen Gesellschaftern kontrollierten juristischen Person erteilt werden.

40Auch hinsichtlich der dritten Voraussetzung des Fehlens einer privaten Beteiligung an der gemeinschaftlich von mehreren öffentlichen Auftraggebern kontrollierten auftragnehmenden Einheit kann auf die Kommentierung zu § 108 Abs. 1 Nr. 3 GWB verwiesen werden.

2.Tatbestandsmerkmale einer gemeinsamen Kontrolle (§ 108 Abs. 5 Nr. 1–3 GWB)

41Die gemeinsame Kontrolle i. S. d. § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB setzt zunächst voraus, dass sich die beschlussfassenden Organe der kontrollierten auftragnehmenden Einheit aus Vertretern sämtlicher beteiligter öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen (§ 108 Abs. 5 Nr. 1, 1. HS GWB). Wie aus dem zweiten Halbsatz der Vorschrift hervorgeht, erfordert dies jedoch nicht, dass jeder beteiligte öffentliche Gesellschafter einen eigenen Vertreter in das jeweilige Organ entsendet. Ein Gesellschafter kann sich vielmehr durch den Vertreter eines öffentlichen Mitgesellschafters vertreten lassen. Die Vertretungsmöglichkeiten gehen soweit, dass ein einzelner Vertreter mehrere oder sogar alle beteiligten öffentlichen Auftraggeber vertreten kann. Die personelle Zusammensetzung der beschlussfassenden Organe und die Zahl der vertretenden Mitglieder spielt damit letztlich keine Rolle für die Erfüllung des im Katalog des § 108 Abs. 5 GWB, unter Nr. 1 geregelten Kriteriums einer gemeinsamen Kontrolle, womit der Gesetzgeber den öffentlichen Auftraggebern einen maximalen Freiraum bei der Gestaltung der Willensbildungsprozesse in öffentlichen Gemeinschaftsunternehmungen zugesteht.

42Von wesentlicher Bedeutung für eine wirksame gemeinsame Kontrolle ist dagegen, dass die öffentlichen Auftraggeber in den beschlussfassenden Organen - ungeachtet dessen, wie diese personell zusammengesetzt sind – in einer Weise gemeinschaft­lich repräsentiert sind, dass sie gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen operativen Entscheidungen der kontrollierten auftragnehmenden Einheit ausüben können (§ 108 Abs. 5 Nr. 2 GWB). Die in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine in diesem Sinne wirksame und damit dienststellenähnliche Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers54 sind uneingeschränkt auch dann zu erfüllen, wenn diese Kontrolle durch mehrere öffentliche Auftraggeber gemeinschaftlich ausgeübt wird.

43Als weitere Voraussetzung einer gemeinsamen Kontrolle i. S. d. § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB wird in § 108 Abs. 5 Nr. 3 GWB schließlich gefordert, dass die kontrollierte auftragnehmende Einheit keine Interessen verfolgt, die den Interessen der öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen. Es erschließt sich allerdings nicht auf den ersten Blick, worin die eigenständige, über die anderen tatbestandlichen Voraussetzungen einer gemeinsamen Kontrolle hinausgehende Bedeutung dieser Vorschrift liegen soll. Sind die öffentlichen Auftraggeber gemeinschaftlich in den beschlussfassenden Organen der auftragnehmenden Einheit vertreten und dadurch in der Lage, gemeinsam maßgeblichen Einfluss auf deren Tätigkeit auszuüben, dürfte allein dadurch in der Regel auszuschließen sein, dass die kontrollierte auftragnehmende Einheit als Teil ihrer geschäftlichen Strategie gleichsam „unter den Augen“ der sie gemeinsam kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber Ziele verfolgt oder verfolgen kann, die den Interessen ihrer öffentlichen Gesellschafter oder zumindest eines oder einiger unter ihnen zuwiderlaufen, etwa durch ihrem Gesellschaftszweck widersprechende Geschäftstätigkeiten auf dem freien Markt. In der Praxis kann dies jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, z. B. dann, wenn die auftragnehmende Einheit bei ihrer operativen Tätigkeit über ein Maß an Selbstständigkeit verfügt, das eine wirksame Kontrolle nicht jederzeit als gesichert erscheinen lässt.55 Es ist daher sachgerecht, die Übereinstimmung der Interessen zwischen der auftragnehmenden Einheit und den sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggebern in § 108 Abs. 5 Nr. 3 GWB als gesonderten Prüfpunkt dafür vorzuschreiben, ob das Kriterium einer wirksamen gemeinsamen Kontrolle als Voraussetzung für die Gewährung des In-house-Privilegs erfüllt wird.56

Vergaberecht

Подняться наверх