Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 79

A.Überblick

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1Leistungen, die öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber oder Konzessionsgeber1 für die Erfüllung der von ihnen wahrgenommenen Aufgaben benötigen, können entweder mit eigenen Ressourcen, also durch eigene Einrichtungen oder Dienststellen, erbracht oder von Dritten auf dem Markt beschafft werden. Welche Form der Bedarfsdeckung die öffentlichen Auftraggeber praktizieren, liegt grundsätzlich in ihrem freien Ermessen. Öffentliche Auftraggeber besitzen nicht nur die sog. Beschaffungsautonomie, d. h. die Freiheit, die von ihnen benötigten Leistungen nach Art und Umfang allein zu bestimmen, sondern sind ebenso autonom in ihrer Entscheidung, sich für die Bedarfsdeckung Dritter am Markt und damit im Wettbewerb zu bedienen oder nicht. Bedienen sie sich eigener Ressourcen, verbleibt die Leistungserbringung im staatlichen Innenbereich; eine „Vergabe“ von Leistungen im eigentlichen Sinne findet in diesem Fall nicht statt, weil es an einem hierfür begrifflich erforderlichen Dritten mangelt.

2Die Abgrenzung zwischen vergabefreien In-house-Geschäften innerhalb des staatlichen oder staatsnahen Organisationsbereichs und ausschreibungspflichtigen Fremdgeschäften wurde in der Vergangenheit maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt. Kaum ein anderes Thema hat den EuGH und die nationale Vergaberechtsprechung über die Jahre hinweg mehr beschäftigt, wie sich an der Vielzahl der hierzu ergangenen Entscheidungen ablesen lässt. Nach der Klärung zentraler Abgrenzungskriterien in der richtungsweisenden „Teckal“-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 19992 erfolgten in schneller Folge weitere Einzelfallentscheidungen mit Präzisierungen, Konkretisierungen und Ausdifferenzierungen3, womit allerdings auch eine stets wachsende Unübersichtlichkeit des geltenden Rechts einherging.

3Die Freistellung von Leistungsbeziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern vom Anwendungszwang des Kartellvergaberechts beschränkte sich zunächst ausschließlich auf die unter Abschnitt B dargestellte Zusammenarbeit auf vertikaler Ebene (In-house-Geschäfte). Damit war jegliche Zusammenarbeit von öffentlichen Auftraggebern auf der Ebene der Gleichordnung, also beim Fehlen sowohl einer dienststellenähnlichen Kontrolle als auch einer Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber im Verhältnis der öffentlichen Kooperationspartner untereinander, vom Privileg der Befreiung vom Vergaberecht grundsätzlich ausgeschlossen. Zur Begründung diente eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 20054, in der der Gerichtshof klarstellte, dass es den Mitgliedstaaten unionsrechtlich verwehrt sei, Leistungs- und Vertragsbeziehungen zwischen öffentlichen Stellen und Einrichtungen von vornherein dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu entziehen. Der EuGH übertrug die Geltung der Grundsätze der „Teckal“-Entscheidung damit ohne Abstriche auch auf „Vereinbarungen zwischen Verwaltungen“5, d. h. auf Kooperationsvereinbarungen zwischen gleich geordneten Einrichtungen des öffentlichen Rechts.

4Erst die jahrelang wachsende Kritik6, dass die generelle Einbeziehung jeglicher Formen der Kooperation von öffentlichen Auftraggebern auf horizontaler Ebene zur Erfüllung von hoheitlichen Aufgaben in das Vergaberecht über das Ziel des Schutzes des Wettbewerbs vor unlauterer staatlicher Konkurrenz weit hinaus schieße und einen unzulässigen Eingriff in das und durch das Unionsrecht anerkannte Recht der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer internen Staatsorganisation darstelle, bewog den EuGH zu einer wesentlichen Weiterentwicklung ­seiner Rechtsprechung zur Bestimmung der Reichweite der Tatbestände vergabefreier Formen der Zusammenarbeit zwischen mehreren öffentlichen Auftraggebern. In einer Entscheidung der Großen Kammer des EuGH in der Rechtssache Stadtreinigung Hamburg7 wurde erstmals klargestellt, dass eine öffentliche Stelle ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen im Gleichordnungsverhältnis erfüllen kann, ohne gezwungen zu sein, sich (vergaberechtspflichtig) an externe Einrichtungen zu wenden. Im Ergebnis erklärte der EuGH in seiner Entscheidung die unter Abschnitt C dargestellte interkommunale Zusammenarbeit für vergaberechtsfrei, obwohl das Teckal-Kriterium der „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“ unstreitig nicht erfüllt war, die Kommunen ihre Kooperation vielmehr auf gleichberechtigter Ebene rein vertraglich geregelt hatten.

5Nunmehr hat der Unionsgesetzgeber diese für die Praxis eminent bedeutsame und komplexe Materie erstmals in den neuen Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge geregelt, und zwar in Art. 12 VRL und nahezu wortgleich auch in Art. 17 KVR und Art. 28 SRL, und sich dabei bis auf einige kleinere Modifikationen an der vorgenannten EuGH-Rechtsprechung orientiert. Die Kodifikation der Grundsätze und Tatbestandsmerkmale einer vergaberechtsfreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit in den neuen EU-Vergaberichtlinien schafft damit zum ersten Mal eine neue Qualität der Rechtsklarheit für öffentliche Auftraggeber und für Auftragnehmer8 und kann damit schon jetzt als eine der großen Errungenschaften der jüngsten Vergaberechtsreform bezeichnet werden.

6§ 108 GWB setzt die vorgenannten Bestimmungen des Unionsgesetzgebers zu den vergaberechtsfreien In-house-Geschäften innerhalb des staatlichen Organisationsbereiches eins-zu-eins in das deutsche Recht um. Entsprechend der Vorgaben in den Vergaberichtlinien wird dabei eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit auf vertikaler und auf horizontaler Ebene vorgenommen9. Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern und juristischen Personen, über die der öffentliche Auftraggeber eine Kontrolle ausübt (vertikale In-house-Beziehung), wird in § 108 Abs. 1 bis 5 GWB, die Zusammenarbeit zwischen gleich geordneten und selbstständigen öffentlichen Auftraggebern (horizontale In-house-Beziehung) in § 108 Abs. 6 GWB geregelt. Daneben enthält die Vorschrift in ihrem Abs. 7 eine flankierende Regelung zur Berechnung des Fremdumsatzanteils nach Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 3. § 108 Abs. 8 GWB erstreckt schließlich die in den vorhergehenden Absätzen kodifizierten Grundsätze auch auf Auftragsvergaben von Sektorenauftraggebern und die Vergabe von Konzessionen.

7Unproblematisch und ohne dass es der Prüfung anhand der Grundsätze des § 108 GWB bedürfte, sind die sog. In-house-Geschäfte im engeren Sinne, bei denen der Leistungserbringer zu der gleichen Rechtsperson wie der Auftraggeber gehört wie im Falle von Regiebetrieben oder Eigenbetrieben auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene, von den Anforderungen des Vergaberechts befreit.10 In diesem Fall der „Auftragsvergabe“ innerhalb eines einzigen Rechtsträgers ist ein Vertrag i. S. v. § 103 GWB schon begrifflich nicht gegeben, da dies zwingend zwei unterschiedliche Rechtssubjekte als Partner des Vertrages voraussetzt.11 Regelungsgegenstand des § 108 GWB sind daher allein die sog. In-house-Geschäfte im weiteren Sinne oder Quasi-In-house-Geschäfte, bei denen es zwar um Vertragsbeziehungen zwischen selbstständigen Rechtsträgern geht, diese aber untereinander in einer Verbindung stehen, die der vereinbarten Leistung den Charakter einer Eigenleistung geben.12

8Nicht erfasst vom Regelungsbereich des § 108 GWB sind ferner rein interne staatliche Hoheitsakte, in denen durch Vereinbarungen oder Beschlüsse einzelne Befugnisse oder Zuständigkeiten zur Wahrnehmung von Aufgaben im öffentlichen Interesse von einem Hoheitsträger auf einen anderen übertragen werden.13 Solchen Vereinbarungen oder Beschlüssen fehlt in der Regel jegliches Element einer Entgeltlichkeit und damit der Charakter einer wirtschaftlichen Austauschbeziehung, es handelt sich vielmehr um reine Staatsorganisationsakte ohne jeden Marktbezug.

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