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C.Vergabefreie öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene (Innerstaatliche Zusammenarbeit)
ОглавлениеI.Allgemeines
44Die innerstaatliche Zusammenarbeit als zweite Grundform der vergabefreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit unterscheidet sich von den unter Abschnitt B dargestellten In-house-Geschäften fundamental dadurch, dass die Zusammenarbeit hier im Gleichordnungsverhältnis organisiert wird. Dieser Unterschied zeigt sich am augenfälligsten dadurch, dass das für das Bestehen eines vertikalen In-house-Verhältnisses so charakteristische Merkmal der Kontrolle der auftragsausführenden Einheit durch den oder die öffentlichen Auftraggeber bei der Zusammenarbeit auf der gleichen Ebene wegfällt: Gleichgeordnete Kooperationspartner üben keine wechselseitige Kontrolle über sich aus. Da das Kontrollkriterium als Voraussetzung für eine vergabefreie Zusammenarbeit auf vertikaler Ebene wiederum eine ganz entscheidende Bedeutung besitzt, bedurfte es offenbar einer gewissen Zeit, bis die Rechtsprechung des EuGH erkannt hat, dass eine Befreiung vom Vergaberecht auch dann geboten ist, wenn die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand durch eigene Ressourcen und außerhalb des Marktwettbewerbs durch Hoheitsträger geschieht, die sich zu einer gemeinschaftlichen Leistungserbringung auf horizontaler Ebene zusammenschließen.
45Die Befreiung vom Anwendungszwang des Vergaberechts bei der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene setzt voraus, dass
1. der Vertrag zwischen den beteiligten Hoheitsträgern im Gleichordnungsverhältnis eine Zusammenarbeit begründet bzw. regelt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden (§ 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB),
2. die Durchführung der Zusammenarbeit nach Nummer 1 ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird (§ 108 Abs. 6 Nr. 2 GWB) und
3. die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 % der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit nach Nummer 1 erfasst sind (§ 108 Abs. 6 Nr. 3 GWB).
II.Tatbestandsmerkmale der innerstaatlichen Zusammenarbeit (§ 108 Abs. 6 GWB)
1.Zusammenarbeit zur Erfüllung gemeinsamer öffentlicher Aufgaben oder Ziele (§ 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB)
46Eine vergabefreie Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber auf horizontaler Ebene erfordert zunächst, dass diese eine vertragliche Leistungsbeziehung eingehen, die der Erfüllung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe dient. Eine gemeinsame Aufgabenerfüllung liegt unzweifelhaft vor, wenn den an der Zusammenarbeit beteiligten Hoheitsträgern eine gemeinsame Zuständigkeit zur Wahrnehmung der betreffenden hoheitlichen Aufgabe verliehen ist.57 Dies gilt aber auch dann, wenn jeweils sich ergänzende Einzelzuständigkeiten vorliegen, auf deren Basis die Wahrnehmung der Aufgabe gemeinsam erfolgt58. Kennzeichnendes Merkmal einer innerstaatlichen Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene ist es, dass die beteiligten öffentlichen Auftraggeber ihre Ressourcen bündeln und jeweils eigene Leistungsbeiträge dazu beisteuern, um die Erfüllung der gemeinsam wahrgenommenen öffentlichen Aufgabe im Interesse des Allgemeinwohls optimal zu organisieren59. Diese Leistungsbeiträge müssen sich nicht notwendig auf die Ausführung wesentlicher vertraglicher Pflichten beziehen, können also bei den Beteiligten quantitativ und qualitativ durchaus erhebliche Unterschiede aufweisen. Sie müssen auch nicht ausschließlich den Charakter operativer Leistungsbeiträge tragen, sondern können auch aus finanziellen Beiträgen zur Deckung der für die Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe anfallenden Kosten bestehen.60 Unverzichtbares Merkmal einer innerstaatlichen Zusammenarbeit ist jedoch, dass diese auf „Augenhöhe“ erfolgt, d. h. auf einem kooperativen und arbeitsteiligen Konzept beruht.61
47In einer späteren Entscheidung hat der EuGH seine Rechtsprechung zur vergaberechtsfreien Übertragung von kommunalen Aufgaben an einen Zweckverband dahingehend konkretisiert, dass die mit der Aufgabenübertragung einhergehende Kompetenzübertragung bestimmten materiellen Anforderungen genügen müsse. So müssten mit der Aufgabe auch die notwendigen hoheitlichen Befugnisse übertragen werden und die für die gemeinsame Aufgabenerfüllung geschaffene Einheit über eine ausreichende rechtliche, organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit verfügen.62 Daran fehlt es beispielsweise, wenn ein bisheriger Aufgabenträger, der die Aufgabe übertragen hat, weiterhin die Kontrolle über die Aufgabenerfüllung der neu geschaffenen gemeinsamen Einheit ausübt oder sich sogar ein Zustimmungserfordernis zu deren Maßnahmen ausbedingt.63
48Die vorgenannten Voraussetzungen einer vergabefreien innerstaatlichen Zusammenarbeit liegen nicht vor, wenn sich Inhalt und Ziel der Zusammenarbeit lediglich in der Beschaffung einer marktgängigen Leistung von einem anderen öffentlichen Auftraggeber erschöpfen, für die ein entwickelter Marktwettbewerb besteht und die der beschaffende Auftraggeber deshalb ebenso bei einem privaten Auftragnehmer einkaufen könnte64. Es handelt sich hier der Sache nach lediglich um fiskalische Hilfsgeschäfte, die allenfalls mittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen, und um eine „klassische“, lediglich als innerstaatliche Zusammenarbeit „getarnte“ vertikale entgeltliche Leistungsbeziehung zwischen dem beauftragenden und beauftragtem öffentlichen Auftraggeber, der jedes Element einer arbeitsteiligen Ressourcenbündelung im Interesse einer Erhöhung der Effizienz der innerstaatlichen Organisation hoheitlicher Aufgabenbewältigung fehlt.
49Ein nicht von der Bereichsausnahme der interkommunalen Zusammenarbeit erfasster Fall liegt deshalb vor, wenn ein Abwasserzweckverband mit einem seiner Verbandsmitglieder einen Kooperationsvertrag abschließt, mit dem das Verbandsmitglied die Aufgabe der technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigungsanlagen übernimmt.65 Eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit liegt ebenfalls nicht vor, wenn ein öffentlicher Auftraggeber eine Vereinbarung mit einem anderen öffentlichen Auftraggeber schließt, die lediglich zum Gegenstand hat, dass der beauftragte öffentliche Auftraggeber für den beauftragenden öffentlichen Auftraggeber eine allein jenem obliegende Aufgabe erfüllen soll, mit dem er selbst jedoch ohne diese Vereinbarung von seiner Zuständigkeit her nichts zu tun hätte.66
50Dagegen ist es nicht entscheidend, auf welcher rechtlichen Grundlage und in welcher Rechtsform sich die innerstaatliche Zusammenarbeit vollzieht, weil das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten insoweit keine bindenden Vorgaben macht67. Soweit und solange deshalb die materiellen Kriterien einer vergabefreien innerstaatlichen Zusammenarbeit erfüllt sind, kann diese auch auf Basis einer zivilrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den beteiligten Kooperationspartnern erfolgen.
51Verträge, die eine interkommunale Zusammenarbeit begründen, dürfen ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung privater Dienstleistungserbringer geschlossen werden.68 Unschädlich ist hingegen eine private Kapitalbeteiligung an einem der öffentlichen Auftraggeber, solange die Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 GWB erfüllt sind.69
2.Zusammenarbeit ausschließlich orientiert am öffentlichen Interesse (§ 108 Abs. 6 Nr. 2 GWB)
52§ 108 Abs. 6 Nr. 2 GWB ergänzt den Tatbestand einer vergabefreien innerstaatlichen Zusammenarbeit um die Vorgabe, dass die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird. Die Vorschrift führt damit der Sache nach nicht wesentlich über § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB hinaus, denn sofern und solange eine vertraglich begründete Zusammenarbeit öffentlicher Stellen maßgeblich der arbeitsteiligen Erfüllung der gemeinsam wahrgenommenen öffentlichen Aufgabe dient und nicht lediglich der Abwicklung von fiskalischen Hilfsgeschäften zur Deckung des Bedarfs an marktgängigen Leistungen, kann sie bereits begrifflich nicht zu einer Verzerrung des freien Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten führen70. Die Hervorhebung einer ausschließlichen Orientierung am öffentlichen Interesse bekräftigt allerdings den Grundsatz, dass eine vertraglich geregelte Kooperation öffentlicher Auftraggeber auf horizontaler Ebene allein nicht ausreicht, um eine Befreiung vom Vergaberecht zu rechtfertigen, sondern die Kooperation ausschließlich öffentliche Interessen berühren darf und dafür qualifizierte Anforderungen in Bezug auf ihren Zweck und ihren Gegenstand erfüllen muss.
53Einen Indikator dafür, ob und inwieweit eine innerstaatliche Zusammenarbeit am öffentlichen Interesse orientiert ist, bilden die Finanztransfers zwischen den beteiligten öffentlichen Kooperationspartnern. Finden solche Transfers lediglich zum Zweck des Ausgleichs, der Erstattung oder der Verrechnung von Kosten statt, der den einzelnen öffentlichen Auftraggeber im Zuge der arbeitsteiligen Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe entstehen, ist dies ein Indiz für eine Orientierung an den Belangen des Allgemeinwohls, während einseitige Zahlungstransfers als Entgelt für beschaffte marktgängige Leistungen belegen, dass die Leistungsbeziehung von den beteiligten öffentlichen Auftraggebern primär aus wirtschaftlichen Motiven eingegangen wurde.71
3.Wesentlichkeitskriterium bei der innerstaatlichen Zusammenarbeit (§ 108 Abs. 6 Nr. 3 GWB)
54Auch im Bereich der innerstaatlichen Zusammenarbeit ist die Befreiung gemeinsamer Aufgabenerfüllung von öffentlichen Auftraggebern vom Anwendungszwang des Vergaberechts nur dann gerechtfertigt, wenn hierdurch keine Verzerrung des Marktwettbewerbs zu Lasten privater Marktteilnehmer bewirkt wird, die die den Gegenstand der Zusammenarbeit bildenden Leistungen als Auftragnehmer zu erbringen in der Lage wären. Aus diesem Grund wird nunmehr in § 108 Abs. 6 Nr. 3 GWB das Wesentlichkeitskriterium auch auf die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene erstreckt und damit ein Gleichlauf mit In-house-Geschäften der öffentlichen Hand hergestellt. Auch eine vergabefreie innerstaatliche Zusammenarbeit mehrerer öffentlicher Auftraggeber setzt daher voraus, dass diese auf dem Markt weniger als 20 % der Tätigkeiten erbringen, die den Gegenstand ihrer Zusammenarbeit bilden.
55Bezugspunkt der Ermittlung der 20-Prozent-Grenze in Fällen der innerstaatlichen Zusammenarbeit ist der externe Drittmarkt für die Leistungen, die die kooperierenden öffentlichen Auftraggeber zum Zweck der Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe gemeinsam erbringen. Leistungen, die die Kooperationspartner – entweder allein oder ebenfalls gemeinsam – in einem anderen Marktsegment, also auf einem anderen Drittmarkt erbringen, bleiben bei der Ermittlung der Fremdumsatzquote unberücksichtigt.72 Im Übrigen sind die Regeln zur Berechnung des Fremdumsatzanteils in § 108 Abs. 7 GWB anzuwenden.