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5.2 Erziehungspraxis der Eltern

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Im Folgenden wollen wir nun prüfen, wieweit sich die Annahme belegen lässt, dass Eltern, Spielkameraden und sonstige Sozialisationsagenten bei Kindern ausschließlich oder bevorzugt Verhaltensweisen verstärken, die als geschlechtsangemessen gelten. Jungen würden dieser Theorie zufolge in erster Linie für selbstbewusstes, aggressives, leistungs-und wettbewerbsorientiertes Verhalten belohnt, Mädchen dagegen, wenn sie nett, entgegenkommend, fürsorglich und hilfsbereit sind, um nur die gängigsten Stereotype aufzugreifen. Sofern die Kinder ein nicht rollenkonformes Verhalten zeigten, müsste dies Ablehnung, Befremden, vielleicht gar Spott und Strafe hervorrufen.

In einem Übersichtsartikel, der alle erreichbaren Untersuchungen zu geschlechtsdifferenzierenden Erziehungspraktiken in Nordamerika im Zeitraum von 1952 bis 1987 einer Meta-Analyse (siehe Kasten »Meta-Analyse«, Kap. 1.7) unterzog, fanden sich in den meisten Bereichen, die Gegenstand der Evaluation waren, keine signifikanten Unterschiede in der Behandlung von Jungen und Mädchen, sondern im statistischen Sinn lediglich Tendenzen, die zum Teil in die Richtung des einen, zum Teil aber auch in die des anderen Geschlechts wiesen. So erhalten Jungen etwas mehr Ermutigung auf dem Leistungssektor, werden etwas häufiger eingeschränkt und sind mehr disziplinierenden Maßnahmen, einschließlich körperlicher Strafe, ausgesetzt, während Mädchen etwas öfter warme Zuneigung erfahren und etwas mehr zu Abhängigkeit angeregt werden (Lytton & Romney, 1991). Lediglich bei der Ermutigung zu geschlechtsrollenadäquaten Tätigkeiten, also z. B. zu bestimmten Spielaktivitäten und zum Umgang mit bestimmten Spielsachen, ergab sich ein signifikanter Effekt von mittlerer Stärke (d = 0,43)4. Eltern verstärken eher rollenkonformes als gegengeschlechtliches Verhalten. Außerdem stellte sich heraus, dass entsprechende Anleitungen bei Jungen ein größeres Gewicht haben und dass Väter in ihrem erzieherischen Verhalten etwas stärker als Mütter zwischen Jungen und Mädchen differenzieren. Kein signifikanter Unterschied zeigte sich im elterlichen Verhalten gegenüber Aggression, einem der am eindeutigsten belegten Geschlechtsunterschiede; die Untersuchungen wiesen hier lediglich eine ganz leichte, aber eben wirklich nicht signifikante Tendenz dahingehend auf, dass Aggression bei Mädchen etwas weniger geduldet wird.

Eine neuere Meta-Analyse belegt, dass auch in den letzten Jahrzehnten Eltern eine annähernd gleiche Erziehungspraxis Jungen und Mädchen gegenüber an den Tag legten. Eine Verschiebung gab es lediglich bei der Förderung der Autonomie, wenn man das Untersuchungsjahr berücksichtigt: Wurden in den 70er und 80er Jahren Jungen stärker als Mädchen in dieser Hinsicht gefördert, drehte sich der Effekt in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten der Mädchen um (Endendijk et al., 2016).

Lytton und Romney kommen zu dem Schluss, dass die durchgängig favorisierte Annahme, geschlechtstypische Unterschiede seien in erheblichem Maß auf differenzierende Erziehung im Elternhaus zurückzuführen, sicher nicht aufrechterhalten werden kann. Vor allem mahnen sie zur Vorsicht bei der Ursachenanalyse. Wenn geschlechtsadäquate Aktivitäten verstärkt würden, so bedeute dies nicht automatisch, dass diese auch primär dadurch verursacht seien; man könne vielmehr nicht ausschließen, dass die Eltern damit etwas aufgriffen, was den bereits bestehenden Vorlieben der Kinder entspräche. Wie eine Untersuchung von Caldera und Mitarbeitern (Caldera et al., 1989) zeigt, spielten bereits 18-monatige Kinder lieber mit für ihr Geschlecht als typisch geltenden Spielsachen, obwohl sie nicht besonders von den Eltern dazu angehalten wurden, und sogar schon einjährige Jungen machten sich nichts aus Puppen, selbst wenn es der Vater war, der sie ihnen zum Spielen anbot. Auch weitere Studien, die bei Lytton und Romney nicht berücksichtigt wurden, ergeben ein uneindeutiges Bild von der Verstärkungspraxis der Eltern. Selbst wenn sie vornehmlich geschlechtstypisches Spiel verstärken, muss das noch nicht heißen, dass sie nicht auch gegengeschlechtliches Spiel tolerieren und in Einzelfällen sogar begrüßen (Snow et al., 1983).

Einen Einblick in dieses Phänomen gibt eine Untersuchung von Langlois und Downs, bei der in einer Experimentalsituation beobachtetet wurde, wie Eltern sich verhielten, wenn ihre drei- bzw. fünfjährigen Kinder mit als geschlechtsadäquat bzw. nicht -adäquat geltenden Objekten spielten. Jungen und Mädchen erhielten nacheinander Jungenspielzeug (Soldaten, Tankstelle, Cowboyanzug) und Mädchenspielzeug (Puppenhaus, Kochherd mit Töpfen, Sachen zum Verkleiden) (Langlois & Downs, 1980).

Insgesamt lobten die Mütter mehr, während die Väter häufiger tadelten. Mädchen wurden von ihren Müttern insbesondere dann gelobt, wenn sie mit den Mädchenspielsachen spielten, bei der Beschäftigung mit Jungenspielsachen dagegen erhielten sie milden Tadel. Mütter verhielten sich den Mädchen gegenüber also ganz im Sinne der Stereotypeverstärkung. Auch die Jungen wurden von den Müttern mehr gelobt als vom Vater, insgesamt aber doch auch häufiger getadelt als die Mädchen. Entscheidend ist nun aber, wofür sie positiv oder negativ verstärkt wurden. Mütter lobten ihre dreijährigen Jungen nämlich vorzugsweise dann, wenn sie mit den Mädchenspielsachen spielten. Tendenziell war dies auch noch bei den Fünfjährigen der Fall, wenn auch weniger ausgeprägt. Die Beschäftigung mit Jungenspielzeug dagegen veranlasste die Mütter eher zu Tadel oder zu Nicht-Beachtung. Zumindest die Jungen erhielten von ihren Müttern also keine durchgängige geschlechtsrollenkonforme Bekräftigung.

In dieser Hinsicht verhielten sich die Väter eindeutiger, sie verstärkten strikter geschlechtsrollenkonform, wie auch andere Untersuchungen belegen. Sie lobten sowohl Jungen als auch Mädchen für geschlechtsadäquates Spiel und tadelten sie für gegengeschlechtliches, wobei bei Mädchen das Lob, bei Jungen der Tadel überwog. Bei der Gruppe der Fünfjährigen reagierten die Väter bei Söhnen sensibler auf abweichendes Verhalten als bei Töchtern. Fagot fand eine solche Tendenz bereits bei Vätern von 18-monatigen Söhnen (Fagot & Hagan, 1991; s. auch Siegal & Robinson, 1987). Väter befürchten offensichtlich schneller einmal, ein Junge könne verweichlichen, während sie »Wildfangverhalten« bei Mädchen eher zu tolerieren bereit sind. Wenn also überhaupt elterlicherseits Druck auf geschlechtstypisches Verhalten ausgeübt wurde, dann am ehesten noch vom Vater; aber man muss dabei immer im Auge behalten, dass es, wie die Meta-Analyse von Lytton und Romney zeigt, etliche Bereiche gibt, die von geschlechtsrollenkonformer Sozialisation durch die Eltern kaum oder gar nicht betroffen sind.

In einigen Studien wird sogar berichtet, dass die reine Anwesenheit der Mutter das Spielverhalten der Kinder beeinflusst. In einer Studie von Zosuls und Kollegen an 17 bis 21 Monate alten Kindern zeigten die Jungen eine Präferenz für Spielzeuglastwagen, während die Mädchen eine Puppe bevorzugten. Diese Präferenz trat vor allem auf, wenn die Kinder alleine spielten. Waren die Mütter anwesend, dann traten diese Präferenzen weniger deutlich in Erscheinung, was möglicherweise an dem Wunsch der Mütter lag, ihr Kind möge nicht geschlechtsrollenkonform, sondern eher geschlechtsneutral spielen (Zosuls et al., 2009). Zwar konnte dieser Effekt in einer Meta-Analyse zu geschlechtstypischem Spiel bei Kindern nicht bestätigt werden, was jedoch nicht verwundert, denn es wurde hier nicht zwischen der Anwesenheit der Mutter und der Anwesenheit des Studienleiters unterschieden (Todd et al., 2018). Stattdessen zeigte diese Meta-Analyse, dass die Kinder konsistent mehr geschlechtsstereotypes Spiel in einem außerhäuslichen Beobachtungsraum als daheim zeigten. Auch hier ließe sich eine ähnliche Interpretation anwenden, die schon bei der Studie von Zosuls und Kollegen zum Tragen kam: Daheim ist geschlechtsstereotypes Spiel nicht sonderlich erwünscht.

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