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5.4 Erziehung durch Gleichaltrige
ОглавлениеNun muss man allerdings noch einen anderen wichtigen Umstand berücksichtigen. Fagots Untersuchung ergab, dass Jungen generell weniger auf Erwachsene hörten als Mädchen. Einen wesentlichen Einfluss übten bei ihnen dagegen die gleichgeschlechtlichen Peers – also andere Jungen – aus: Sie verstärkten sich gegenseitig, und dies in der Tat vor allem für geschlechtstypisches Verhalten. Beobachtungen dieser Art sind durch mehrere Studien belegt (z. B. Langlois & Downs, 1980; Martin & Fabes, 2001) und führten zu einer neuen Variante der Sozialisationseuphorie: Vergesst die Erwachsenen, die Kinder erziehen sich gegenseitig (Harris, 1995)!
In Wirklichkeit muss man schon etwas kurzgefasst denken, um sich mit solchen »Lösungen« zufrieden geben zu können. Zwar dürfte außer Frage stehen, dass sich der Gruppendruck bei älteren Kindern auf das Verhalten der Einzelnen geschlechtsprofilierend auswirkt. Was aber die jüngeren Kinder betrifft, so erhebt sich die unbequeme Frage, wie die gleichaltrigen Spielgefährten denn überhaupt zu einer geschlechtstypischen Präferenz in ihrem Verstärkungsverhalten gekommen sind. Man muss sich vor Augen halten, dass die beobachteten Kinder noch nicht einmal zwei Jahre alt waren. Wie wir noch sehen werden, ist dies ein Alter, in dem sie noch Schwierigkeiten haben, das eigene Geschlecht und das der anderen richtig einzuordnen. Die erste Frage ist also schon einmal, wieso ein kleiner Junge überhaupt unter den bevorzugten Einfluss männlicher Peers gerät, und die zweite, woher diese wissen sollen, was sich für einen »richtigen« Jungen gehört.
So waren in der Studie von Langlois und Downs negative Reaktionen, die sich auf das Geschlecht bezogen, unter den Kindern auch eher selten. Wenn solche Reaktionen überhaupt auftraten, dann bei Jungen, die ihren Spielkameraden zu verstehen gaben, dass man nicht mit Mädchen oder Mädchenspielsachen spielt. Kleine Mädchen des gleichen Alters dagegen fanden bei ihren Geschlechtsgenossinnen jede Form von Verhalten akzeptabel, unabhängig davon, ob es geschlechtsadäquat war oder nicht. Im Übrigen wurden die Mädchen als gehorsamer beschrieben, allerdings nur gegenüber den Betreuern; von den Jungen ließen sie sich nichts sagen.
Neuere Studien aus Carol Martins Arbeitsgruppe zur Beeinflussung durch Peers sind von der Anlage her wenig überzeugend. Zwar wurde das geschlechtsstereotype Verhalten der Kinder festgestellt, nicht aber deren Versuche, andere Kinder zu beeinflussen (Xiao et al., 2019). Stattdessen wurden die Kinder einfach nur gefragt, wer von den anderen Kindern ihnen sage, dass sie mit etwas nicht spielen sollten, weil sie ein Junge oder ein Mädchen seien.
Zudem neigten die Autoren zu einer Überinterpretation ihrer Befunde. Es zeigte sich, dass Kinder zu mehr Geschlechtsstereotypen tendierten, je mehr Zeit sie mit Kindern verbrachten, die häufig als Verstärker von Geschlechtsstereotypen nominiert wurden. Nun wäre natürlich auch denkbar, dass sie sich mit diesen Kindern von vornherein besser verstanden und deswegen gern mit ihnen zusammen waren, dass der Verursachungszusammenhang also genau umgekehrt ist.
Geradezu abenteuerlich wirken die praktischen Schlüsse, die aus solchen Ergebnissen gezogen wurden. So sollten Kinder, zumeist Jungen, die in den Augen der Autoren zu viel geschlechtsrollenverstärkendes Verhalten zeigten, besonderen Schulungen zugeführt werden. Darüber hinaus sollten sie in regelmäßigen Abständen ihre Spielpartner wechseln, um einen nicht zu schädlichen Einfluss auf die anderen Kinder zu entfalten, die sonst zu viel Zeit mit ihnen verbrächten.